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Sonntags-Kettage Ne.ZS ANsÄi'uNei' Tageblatt 2.Y. igzz Tagesspruch. An Niedres leibst gewöhnt man endlich, An Schlechtes sich, vom Besten fern. Die Hoffnungen sind ganz unendlich, Allein man hofft nur gar zu gern. Die Stunde hat mich oft gesegnet. Noch aber nie am rechten Ort, Mir ist das Schönste nicht begegnet: Doch leb' ich noch und träume fort. schiss ah-rr Vierundzwanzig deutsche Mädels auf einem Schulschiff. Ein Hafenbild von Hermann Reinecke. Augustsonne liegt über Kopenhagen. Ein Schwarm Men schen ergießt sich über die Langelinje, Frauenlachen zerflattert über dem Wasser, dänische, deutsche, englische Laute schwirren durch die Luft, hier und dort schiebt sich ein russischer Emi grant heran, um sich als Stadtführer anzubieten, und ganz in der Ferne sieht man im rechten Bogen von Helleruv die Fähre nach Malmö dampfen. Es wimmelt von Automobilen, alle Menschen strömen einem bestimmten Punki zu. Das zweimastige Segelschiff, das vor Anker liegt, ist vor Prcssephotographen und anstürmenden Reportern nicht zu er kennen. Undeutlich nur sieht man die Aufschrift „Gud Win", was nun weder Dänisch, noch Englisch oder Hochdeutsch ist, sondern Helgoländisch und „Güt' Wind" bedeutet. Man tritt gespannt näher. Hier und da fängt man Brocken auf. Das Schiff? O ja, sehr fein! Und der Eigentümer? Das ist die Blankeneser Ssachtschulc bei Hamburg, die auf die ungewöhn liche Idee gekommen ist, 24 blonden deutschen Mädels eine regelrechte Seemannsausbildung zu verschaffen. Mit zu sammengekniffenen Augen, damit die Sonne nicht blendet, mustert ein Schifferjunge aus Kastrup den Hamburger Zwei master. „Ganz schöner Kasten", meint er dann, „mit dem kommt man durch das schlimmste Wetter!" Die Umstehenden nicken. Ein Photograph riskiert noch zwei Schnappschüsse, dann stürzt er los, um zur Abendausgabe zurecht zu kommen. Sein Begleiter, der Reporter, bleibt noch da, er gibt seinen Bericht später einfach telephonisch durch. Aber erst soll er ihn einmal haben, denn vorläufig ist das Deck noch ratzekahl, als handle es sich um das Schiff des „Fliegenden Holländers". Zehn Minuten später taucht eine entzückende achtzehnjährige Blondine auf. „Schiff ahoi!" rufe ich auf Deutsch hinüber. „Schiff ahoi!" antwortet sie lächelnd zurück. Es ist die Tochter des Kapitäns von Stosch, der den Zwei master von Blankenese nach Kopenhagen konunandiert hat. Auch sein Töchterchen kommandiert. Jedenfalls ruft sie ener gisch etwas nach unten, und schon tauchen hübsch im Gänse marsch dreiundzwanzig junge Mädchen in richtigen blauen Seemannshosen und weißen Polojacken auf, stippen ihre Besen in die Eimer und machen sich über das Deck her, um es gründ lich zu scheuern. Dabei singen sie im Chor „Das ist die Liebe der Matrosen", ganz wie im Kino, bloß daß man beim Film sagen würde, die Sache sei gestellt und nicht lebensecht. Hier jedenfalls i st sie echt. „Na, sind das nicht Prachtmädels?" ertönt Plötzlich eine sonore männliche Stimme neben uns. Eine Halbwendung nach rechts, und wir schauen Papa von Stosch geradewegs in das echte Hamburger Kapitänsgesicht mit dem typischen Spitz bart am Kinn, der tiefgebräunten, furchendurchzogenen Haut und den lustig-listig blinzelnden schmalen Augen. „Die Mädels sind die beste Besatzung, die ich je gehabt habe", fährt er sort, „sie haben sich mit verblüffender Fixig keit an das Seeleben gewöhnt, und mit jedem Tag, der ver geht, werden sie frischer und gesünder." Wahrhaftig, die Mädels schauen prima auS. Ihre Pola jacken sitzen straff über dem Oberkörper, und die flotten blauen Seemannshosen verleihen ihnen einen Charme, der an die Ballhäuser der Reepervahn ebenso erinnert wie an die gul aufgezogenen Revuen amerikanischer Tanzgirls. Ueberhaupt: die ganze Sache könnte Film sein. Nur eins allerdings nicht '— Lippenstift und Puder sind an Bord des „Gud Win" streng verpönt, und wer dieses Gebot übertritt, büßt, nebenbei be merkt, bei der nächsten Sturzwelle über Deck seine Malkünste sowieso wieder ein. „Wie ist es mit der Kost?" fragen wir den Kapitän. „Oha!" sagt er und zeigt ein seemännisches Grinsen, „echte, rechte Teerjackenkost, und nicht zu knapp! Sehen Sie übrigens die beiden jungen Männer an der Stiege? Das sind Zwil linge; der eine arbeitet als Koch, der andere als Leichtmatrose." Hm. Die schlanken, kräftigen Jungens sehen nicht übel aus. In einer Mischung von Bade-, Sport- und Arbeitsanzng stehen sie da und schmunzeln vergnügt zu den Neugierigen am Kai hoch. Kunststück, sie haben gut lachen, denn für heute sind sie mit der Arbeit fertig. „Sind noch mehr männliche Wesen an Bord?" „Noch zwei Brüder von mir", erwidert Kapitän von Stosch, „sie sind beide als Llohdoffiziere rnnd fünfunddreißig mal um Kap Horn gefahren, also alte, gediente Seeleute, die Wissen, was auf hoher See gespielt wird." „Und die Mädels — halten die sich tapfer, wenn es stürmt?" „Na, und ob! Die sollen Sie mal Handanlegen sehen! Das flutscht aber, wie der Autoverkehr auf dem Hamburger Rathausmarkt. Die wollen uns Männer am liebsten über haupt nicht dabei haben. Haha!" Und der olle, ehrliche See bär streicht sich versonnen mit der gebräunten Hand über den Bart und läßt den Blick der graublauen Augen verliebt über das Deck gleiten, — verliebt in das Schiff natürlich. „Sehen Sie", nimmt er wieder das Wort, „Sport ist die Losung der Zeit, und weshalb sollten wir den Mädels nicht eine der besten Sportarten beibringen, die es gibt: den rich tigen Hochseesport — richtiges Segeln, ans einem richtigen Schoner, auf richtigem Meer? Die Mädels erhalten in erster Linie eine sportliche Ausbildung. Sie wollen ja schließlich später keine Matrosen werden, — immerhin, wenn sie mit dem Kursus fertig sind, können sie ebensoviel wie ein ordent licher Seemann. Schon jetzt, nach verhältnismäßig kurzer Zeit, segeln wir beispielsweise bei jedem beliebigen Wetter. Angst vor Windstärke neun gibt's bei uns einfach nicht." Er klopft an der Reling seine Pfeife aus und stopft sie neu. Rings herum lagern Boote, Segler, Kanus, deren In sassen — Männer, Frauen, goldblonde Däninnen — neugierig zum „Gud Win" hinüberlugen, um vierundzwanzig deutsche Mädels zu sehen. Aus der Ferne wird die Schiffskapellc des Bergnügungsdampfers nach Helsingör hörbar. „Woher stammen Ihre Mädets, Käptn?" „Aus allen möglichen deutschen Gauen", antwortet er, „wir haben Berlinerinnen, Hamburgerinnen, auch Süd deutsche, darunter zwei, die vorher überhaupt noch kein Wasser gesehen hatten. Eins der Mädels ist eine Gräfin, andere stammen aus Bauernhöfen der Lüneburger Heide, aber wie oem auch sei: Klassenunterschiede gibt's bei uns nicht! Wir stammen aus einem Land, sind e i n Schiff, eine Besatzung und e i n Geist!" „Und wohin geht die Reise jetzt?" „Weiter in die Ostsee, immer weiter." „Na, dann also gute Fahrt, Käptn! Und grüßen Sie Deutschland, wenn Sie heimkommen." ' „Wird gemacht", ruft der alte Seebär und hebt zum Gruß die Tabakpfeife mit dem zerbissenen Bernsteinende. Eine Dampfpinasse der Hafenpolizei legt an, um die Schiffspapiers zu prüfen. Noch einmal werfen wir vom Ufer aus einen Blick auf „Gud Win", dessen deutsche Flagge stolz im Winde weht^ sehen den wellengekräuselten offenen blauen Sund, der die Fahrt nach Schweden und Norwegen freigibt, und dann — dann reißen wir noch einmal die Hände an den Mund unH rufen über das Meer: „Schiff ahoi!" Und der nette alte Kapi tän legt die Hand an die betreßte Mütze und grüßt schallend zurück: „Schiff ahoi!"