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14634 «Sillnblatl o. ru»n. vuchhllnvu Nichtamtlicher Teil. ^lk 274. 26. November 1910. Nichtamtlicher Teil. Prüfungsausschüsse und Buchhandel. <Bgl. Nr. 159 sS. 8198), IK4, 173, 248, 255, 25g, 268 d. Bl.> Je näher an Weihnacht, desto weniger Zeit HUben wie drüben. Also flugs heran zur weiteren Auseinandersetzung in dieser Sache. Herr Köhler bedauert im Börsenblatt vom 19. d. M., daß ich auf Wolgasts sozialistisch-materialistische Weltanschauung hingewiesen habe. Das ließ sich nicht ver meiden, da Herr Köhler sich besonders auf Wolgasts »Das Elend der Jugendliteratur« beruft. Eine Enlkrästung meiner aus diesem Buche gezogenen Behauptungen versucht Herr Köhler auch nicht. Zur weiteren Erhärtung teile ich noch mit, daß Wolgasts Äußerung »ich kann kein Gedicht empfehlen, welches einen Kaiser verherrlicht, der das Sozialistengesetz unterschrieben hat« (gemeint ist Liliencrons -In einer Winternacht») vor einigen Jahren hier zeugeneidlich als richtig sestgestellt wurde. Wie sich diese Äußerung mit Tendenzlosigkeit, die man an geblich verfolgt, vereinigen läßt, entzieht sich meiner Einsicht allerdings vöuig. Mir scheint das nur auf dem Boden des Wortes »ja, Bauer, das ist ganz was anders, möglich zu sein. Es ist immer wichtig, den Ursprung einer Bewegung zu kennen, um sie selbst richtig beurteilen zu können. Der Ursprung dieser Bewegung hängt aber eng zusammen mit der Bemühung, die Religion aus dem Schulunterricht zu entfernen und dafür Kunst und Ästhetik, Kunstgenuß, einzusiihcen. Ich behaupte durchaus nicht, daß die Prüfungs ausschüsse schlichtweg nun auch das religiöse Moment aus der Jugendliteratur auszumerzen beabsichtigen; aber daß sie dem ästhetischen den Borzug vor all-m geben möchten, ist offensichtlich ihr Bestreben. Darunter leidet selbstverständlich das Religiöse und auch das Vater ländische, wenigstens soweit dieses waffenfreudig ist. Diese Bevorzugung des Ästhetische» hat zu argen Mißgriffen geführt. Neben den früher erwähnten »Pole Pappeuspäier« und »Fitzebutze» möchte ich z. B. Hinweisen auf die »Blumen märchen» und die »Schlafenden Bäume». Mag man mir noch so viel die vortreffliche Technik und die prachtvolle Farben gebung rühmen, für mich bleiben die Kreidolsschcn Bilder scelen- und gemütlos. Und dann mag man mir einmal die Kinder vorstellen, die »Groth, Min Modersprak» und andere plattdeutsche Bücher gern und leicht lesen. Ihre Zahl wird in plattdeutschen wie in hochdeutschen Häusern verzweifelt gering sein, denn so leicht ist das Lesen und Verstehen des Plattdeutschen wirklich nicht, weder für Erwachsene noch für Kinder. Ich möchte über die so zahlreichen Mißgriffe hier eine unparteiische Stimme, die aus Studium und Erfahrung spricht, zu Worte kommen lassen. Mit Datum vom 18. d M. erhielt ich aus einer großen Stadt Mitteldeutschlands folgenden Brief! «In der Deutschen Zeitung lesen wir einen Artikel, ge zeichnet «Georg Böttcher», der sich wiederum auf einen Aussatz von »Justus Pape« im Börsenblatt für den Deutschen Buch handel vom 3. November bezieht. Mein Brief soll nun weiter nichts sein als das freudige Echo einer Mutter, die eifrig Kinder- und andere Bücher kaust und verschenkt, und die sich seit fünf zehn Jahren über die Bevormundung der Hamburger Lehrer schaft geärgert hat. Aber mit vielen anderen Mütter» zu sammen haben wir uns dagegen gesträubt und uns und unser» Kindern die Litcraturlieblinge nicht rauben lassen. Als Heinrich Wolgast s. Z. die oberflächliche Jugendliteratur durch eine ge diegene ersetzen wollte, da hatte er wohl alle denkenden Mütter auf seiner Seite; aber dann lasen wir, was er über die warmherzige, prächtige Johanna Sphri äußerte, und schüttelten die Köpfe. So ging es dann immer weiter mit dem Kopf- schütteln. — Segen über Theodor Storml Aber seinen Pole Poppenspäler will kein kindliches, echtes Kind, und Fitzebutze vou Dehmel's? <Jch greise diesen beiden heraus, weil sie immer zusammen gepriesen wurden ) Letzteres Buch wurde von meinen eigenen sehr gesunden, unsentimentalelr, frischen Kindern s. Z. durchaus als ,schauderhaft' abgelehnt, als sie es von anderer Seite als Geschenk erhielten. Dann zeigte ich es einmal einem kleinen forschen Jungen, der mir mäuschenstill zuhörte, als ich ein paar von de» greulichen Versen las, und dann besah er aufmerksam die bunten Farben, um dann zum Schluß liefseuszcnd zu rufen: Jsfen aber »ich ßön.» Und so ist es »ns Alteren auch mit einer Menge Bücher gegangen, die uns als das einzig Wahre vom Prüfungs ausschuß vorgeschlagen wurden. Wir riesen, wenn wir gelesen Hallen: ,Ilsen aber »ich ßön' und wählten uns selbst besseres., Die Erlaubnis zur Veröffentlichung dieses Briefes wurde mir durch nachstehendes Schreiben erteilt, das ich als ein sehr wertvolles Dokument zur Beurteilung der wichtigen Frage desgleichen veröffentliche: »Freundlichen Dank für Ihren Brief und die Übersendung des Sonderabdrucks, den ich sehr gern noch behielte, um ihn an maßgebender Stelle vorzuzeigen, weil er so knapp und klar die Sachlage beleuchtet. Meinen Brief dürfen Sie gern ab- drucken mit dem Vermerk: ,Von einer Mutter, die für ihre Kinder das Beste gerade gut genug findet'. Aber ich und viele andere Mütter mit mir, die wir wirklich in der Kinderstube unsere liebste Heimat suchten und fanden, bestreiten ganz energisch, daß in den Verzeichnissen des Prüfungsausschusses nur das Rechte für unsere Jugend vorhanden ist. Und manche Erzählung aus diesem Verzeichnis, die mir lieb war, und die ich voll Begeisterung übermitteln wollte, lehnte meine Schar glatt ab. Ich entsinne mich, daß nach einer ganz netten (hoch- gepriesenen und warm empfohlenen) Erzählung mein Mädel leuchtenden Auges rief: .Aber nun noch 'ne .Heyspekter' Fabel, damit das Andere wieder weggeht. Kinder aus einer guten Kinderstube nehmen garnicht so Wahl- und planlos Bücher in sich aus, wie behauptet wird. Man kann die wunderbarsten Studien und Erfahrungen in dieser Beziehung machen, aber nur, wenn man wirklich nach des alten Leopold Schesers Wort lebt: ,Geh fleißig um mit deinen Kindern, habe sie Tag und Nacht um Dich und liebe sie und laß sie Dich lieben einzig schöne Jahre'. «Die ganze »Fitzebutze-Pole Poppenspäler-Bewegung« hat viel mehr Gegner unter den Müttern, als sie ahnt, die meisten Gegner aber unter den Kindern selbst, und wenn nicht schon eher und energischer Front gemacht worden ist, so lag es daran, daß wir .altmodischen Mütter' (obgleich nicht alte Mütter) uns vor der Öffentlichkeit und deren Wespennestern fürchteten. Aber wo es das Wohl unserer Lieblinge gilt, ist keine Furcht am Platze, als nur die Gottesfurcht, und die soll ja Wohl in den neuesten Schriften ganz ausgemerzt werden — oder nicht?« Diese Beweisstücke brauche ich durch Bemerkungen meiner seits nicht zu stärken. Nur auf das »Wespennest» möchte ich Hinweisen. Eine politische Partei Hamburgs, die durchaus die Anschauungen des hiesigen Prüfungsausschusses ver tritt, veröffentlichte vor Jahresfrist einen Rechenschafts bericht, der sich u. a. auch mit der Jugendschriftenfrags befaßte. Hierin war kühnlich gesagt, die hamburgischen Buchhändler — mein Name wurde »ehrenvoll» genannt —- hätten bei Bekämpfung der Arbeit des Jugendschriften Aus schusses sich ein patriotisches und religiöses Mäntelchen um gehängt, in Wahrheit jedoch »fürs Geschäft» gefürchtet. In ein Wespennest soll man fest greisen, und das habe ich ge tan, verstehe aber auch, wenn namentlich Frauen es zu ver meiden suchen, sich öffentlich von den Wespen stechen zu lassen. Herr Köhler sagt, daß in den Verzeichnissen die sozia listisch - materialistische Weltanschauung nicht zum Ausdruck käme. Ich weise auf »Ewald, Ausgewählte Märchen» hin, darin wird der politische Klaffenhaß gepredigt, z. B. in einem