Volltext Seite (XML)
WUSdrMer Tageblatt 2. Blatt Nr. 191 — Donnerstag, den 17. August 1933 Tagesspruch. Ist auch dein Kreis unscheinbar eng und klein. Erfülle ihn mit deinem ganzen Wesen. Bestrebe dich, ein guter Mensch zu sein! Gelingt dir dies, so bist du auserlesen . Auf Größe muß der Mensch zumeist verzichten. Die Güte aber ist der Kern der Pflichten. Redwitz. Zerstörung gibt Kraft. Energicgcwinnung durch Atömzertrümmerung. — 160 Mil lionen Pferdekräfte in einem Gramm Radium-Strahlung. Von Erik Holthausen. Kohle und Erdöl, aus denen der Mensch heute in erster iLinie seine wirtschaftlich nutzbare Energie bezieht, drohen in «iner zwar noch nicht allzu nahen, aber doch immerhin bereits absehbaren Zukunft restlos erschöpft zu werden. Die „Weitze (Kohle", die Wasserkraft, liefert einen immer grötzere Be deutung gewinnenden Ersatz, daneben bemüht man sich, bisher ^allerdings mit geringem Erfolge, andere Kraftquellen wie die ^Gezeiten oder die Sonnenstrahlung verwendbar zu machen, ics scheint aber zweifelhaft, ob sie insgesamt auf die Dauer ausreichen werden. Und dabei wären wir aller Sorgen um unsere künftige Energie-Versorgung mit einem Schlage ledig, iwenn es nur gelänge, die gewaltigste Kraftquelle, die wir ^überhaupt kennen, die in den Atomen gebundene Energie, für uns auszunutzen. Theoretisch ist das Problem bereits seit ^einiger Zeit gelöst, nur ist es bislang nicht gelungen, es auch praktisch in ein»r unseren wirtschaftlichen Bedürfnissen ge nügenden Weise durchzuführen. Auf die in den Atomen verborgene ungeheure Energie wurde die Wissenschaft zuerst aufmerksam durch die Be obachtung der radioaktiven, auf dem natürlichen Zerfall der Atome beruhenden Strahlung, die bei verschiedenen Elementen beobachtet wurde, wie z. B. bei Uranium und Thorium. Se kunde für Sekunde, Tag für Tag, Jahr für Jahr geht dieser Atomzerfall vor sich, ohne daß wir bislang imstande wären, ihn irgendwie zu beeinflussen und damit nutzbar zu machen. And nur deshalb, weil uns die nötigen elektrischen Span nungen fehlen. Welche ungeheuren Kraftmengen hier zu ge winnen sind, zeigt die Tatsache, daß in einem einzigen Gramm Radiumemanation rund 160 Millionen Pferdekräfte enthalten sind, genug, um einen Dampfer mit einer Maschine von 800 ?8 und 1000 Tonnen Ladung 60 Stunden lang mit einer Schnelligkeit von 10 Seemeilen durchs Wasser zu treiben. Um den Zusammenhang besser zu verstehen, rufe man sich ins Gedächtnis zurück, daß beim Radiumzerfall drei ver schiedene Strahlenarten auftreten. Es sind dies die Licht-, die Röntgen- und die Gamma-Strahlen. Sie unterscheiden sich voneinander nur durch die Verschiedenheit der — in allen drei Fällen äußerst kurzen — Wellenlänge, die bei der kürzesten Art, den Gammastrahlen die winzige Größe von einem mil liardstel Millimeter aufweist. Seit einigen Jahren war bereits bekannt, daß man durch das Bombardement von Atomen mit Elektronen Lichtwirkungen erzielen kann. Erhöhte mau die Geschwindigkeit der winzigen Geschosse, der Elektronen, so er hielt man Röntgenstrahlen. Der Gedanke lag nahe, daß sich Lei noch weiterer Beschleunigung Gammastrahlen ergeben müßten. Diese erhöhte Schnelligkeit läßt sich den Elektronen indessen nur unter Zuhilfenahme einer entsprechend stärkeren elektrischen Spannung verleihen, und in dieser Richtung be wegen sich demzufolge die jüngsten Versuche auf diesem ebenso interessanten wie hochwichtigen Gebiet. Die Geschwindigkeit der Elektronen beeinflußt man da durch daß man sie in elektrische Kraftfelder verschiedener Spannung bringt. Einer jeden solchen Spannung entspricht eine bestimmte Elektronengeschwindigkeit. Daher redet der Physiker auch der Einfachheit halber von Elektronen- geschwindigkeitcn von 10 oder 100 Volt — was 2000 bezw. 20 000 Kilometer in der Sekunde bedeuten würde —; eine Ausdruckweise, die dem Laien ohne nähere Erklärung ganz widersinnig erscheinen muß. Damit ein Bombardement mit Elektronen Licktwirkunaen auslöst, müssen jene eine Schnellig keit von einem bis zu IO Lou oeptzen, ve: Röntgenstrahlen sind 10 000 bis zu 100 000 Volt nötig, für Gammastrahlen aber eine noch um das Hundertfache höhere Spannung. Mit dieser Erkenntnis begann eine wahre Jagd nach immer höheren Spannungen; deutsche Forscher sind hierbei voran gegangen. Man ist heute bei 6 Millionen Volt angelangt, doch wird das Doppelte erforderlich sein, ehe wir auf die Ge winnung künstlichen Gammastrahlen rechnen können. Das ersehnte Ziel scheint damit keineswegs unerreichbar, aber es türmen sich ihm doch noch riesenhafte Hindernisse ent gegen, von denen nicht das geringste die Kostenfrage darstellt, denn es ist leicht einzusehen, daß Anlagen und Apparate, wie sie hier gebraucht werden, außerordentlich teuer sein müssen, was um so mehr ins Gewicht fällt, als vorerst noch keine praktischen Vorteile bei den Versuchen herausspringen. Man'hat daher daran gedacht, das Ziel auf anderem Wege, ohne elektrische Hochspannungen, zu erreichen. Man kennt heute drei Verfahren, von denen das des bekannten englischen Physikers Rutherford zwar einfach und genial ist, aber sich für sehr hohe Geschwindigkeiten bislang als praktisch nicht ausführbar erwiesen hat. Wideröe geht von dem Ge danken aus, daß Elektronen, die man durch eine Röhre von gleichbleibender Spannung schickt, eine bestimmte Geschwindig keit erreichen. Sendet man sie aber durch zwei Reihen hinter einander geschalteter kurzer Röhren, die metallisch verbunden sind und zwischen denen ein hochfrequenter Wechselstrom läuft, so läßt sich eine besondere Wirkung erreichen. Geht nämlich ein Elektron beim llebergang von beispielsweise Röhre 3 nach Röhre 4 durch ein Kraftfeld entgegengesetzten Vorzeichens, so gewinnt es an Geschwindigkeit. Man sorgt nun dafür, daß bei seinem Aus- rritt aus Röhre 4 die Feldspannung gerade wieder wechselt, und so fort Nach diesem Verfahren erreichte Lawrence bereits vor zwei Jahren bei einer Ausgangsspannung von nur 25 000 Volt Endgeschwindigkeiten von ein und einer viertel Million Volt. Der Genannte verbesserte im Vorjahre das Verfahren in einer Weise, die sehr vielversprechend erscheint. Sein Appa rat besteht aus zwei Hälften einer metallenen Dose, die sich in geringem Abstand innerhalb eines vertikalen Magnetfeldes gegenüber stehen. Dementsprechend beschreiben elektrisch ge ladene Teilchen, wie Elektronen, gekrümmte Bahnen, die innerhalb der Dose zu Kreisbahnen werden. Setzt man nun beide Dosenhälften nach dem Wideröeschen Prinzip unter hoch frequente Wechselspannung, dann fliegen die Elektronen mit stets wachsender Geschwindigkeit in immer größer werdenden Kreisbahnen von der einen Dosenhälfte zur anderen. Bei einer Spannung von 100 000 Volt erreichen sie nach etwa 100 Kreisläufen eine Endgeschwindigkeit von 10 Millionen Bolt. Schon eine nahe Zukunft dürfte uns lehren, ob die an dieses Verfahren geknüpften hohen Erwarlu-'.' n sich auch in der Praxis erfüllen werden. Spende für die natiomle Arbeit. Siemenswerke spenden über 100 000 Mark zur Förderung der nationalen Arbeit. Berlin. Die in den Siemenswerken von den Angestellten und Arbeitern aufgebrachte Spende zur Förderung der natio nalen Arbeit hat die Summe von 100 000 Mark bereits über schritten. Der Hitlergruß auch in den Schulen. Der Hitlergruß als Gruß aller Deutschen hat sich jetzt auch in den Schulen bei unseren jüngsten Volksgenossen ein gebürgert. Hier sieht man, wie die kleinen Abc-Schützen nach Schulschluß von ihrer Lehrerin und dem Rektor in Reih und Glied mit dem Hitlergruß entlassen werden. Kvmgm-Luise-Slind der AS.-Amen- schaff unterstellt. Die NSK. meldet: Die Bundesführerin des Bundes Königin Luise, Frau von Hadeln, ist von der Führerin der Deutschen Frauenfront und der Reichs leiterin der NS.-Frauenschaft, Parteigenossin Lydia Gottschewski, im Einvernehmen mit der obersten Leitung der PO. ihres Amtes enthoben worden. Die Landesverbände des Bundes Königin Luise werden den zuständigen Gaufrauenschaftsleiterinnen der NS.- Frauenschaft unmittelbar unterstellt. Oie Führer der Deutschen Evangelische« Kirche bei Staatssekretär pfundiner In Vertretung des beurlaubten Reichsinnenministers Dr. Frick empfing der Staatssekretär Pfundtner die Herren der einstweiligen Leitung der Deutschen Eangelischen Kirche, und zwar den Vorsitzenden, Landesbischof Wehrkreispfarrer Müller, ferner Professor Fezer-Tübingen, Präsident Koopmann-Aurich, Landes bischof Schüssel-Hamburg und Professor Schumann- Halle a. d. Saale, die sich in ihrer Eigenschaft dem Reichs- iinnenminister vorstellen wollten. Bei dieser Gelegenheit wurden auch die Evangelische Kirche betreffenden Fragen besprochen. An alle SS.-Aührer und SS.-Mnner der Gruppe Ost. Der Gruppenführer der Schutzstaffel Ost hat an die SS.-Führer und SS.-Männer der SS. - GruppeOst folgenden Aufruf gerichtet: Kameraden! Ich danke euch für die selbstlose Erfüllung meiner Befehle für den SS.-Aufmarsch am 11., 12. und 13. August dieses Jahres in Döberitz und Berlin. Ich habe gesehen, daß die jahrelange Aufbau arbeit in der SS.-Gruppe Ost ein gutes Ergebnis ge zeitigt hat, daß ihr den Geist des Nationalsozialismus im Sinne unseres Führers AdolfHitler voll erfaßt habt. Ich weiß, daß ihr auch in Zukunft bereit sein werdet, in dem gleichen Sinn- weiterzuarbeiten, und wenn es not tut und befohlen wird, euer Leben für die Idee und für Deutschland einzusetzen. Ihr selbst werdet den Dank, den euch das deutsche Volk für eure restlose Hingabe abstattet, an dem begeisterten Empfang in Berlin ge spürt haben. Ihr wißt, daß gerade in der SS.-Gruppe Ost SS.-Mann zu sein, durch die strengen Befehle be- fonders erschwerend ist. Seid darum um so stolzer, daß ihr Staffelmänner werdet und seid. Mein Befehl heißt weiter: Dienen und kämpfen in restloser Pflichterfüllung für den Führer, für das Volk und für das Vaterland, Heil Hitler! Gezeichnet Daluege, Gruppenführer. Jeder Radfahrer soll versichert sein. Die neue Führung des Deutschen Radfahre v- verbandes, in dem alle deutschen Radfahrervereine zusammengeschlossen sind, hat sich die Aufgabe gestellt, für alle Radfahrer eine großzügige Haftpflicht- und Unfallversicherung zu schaffen. Für einen ge ringen Jahresbeitrag (nicht mehr als drei Mark) will er jeden deutschen Radfahrer vor allen wirtschaft lichen Schäden, die durch einen Unfall verursacht werden, schützen. Die Hilfe soll sogar so weit gehen, daß an Schwerverletzte Tagegelder bis zu ihrer Genesung ge zahlt werden. Der Deutsche Nadfahrerverband ist der erste Verband, der bewußt die Nichtsportler unter den Radfahrern durch wirtschaftliche Vorteile als Mitglieder werben will. Auch der „Tag des deutschen Radfahrers" am 27. September, der zu einer imposanten Kundgebung für den deutschen Radsport werden wird, liegt in der gleichen Linie. L> rUebsiscüuUr OurcR L. Komsn^sntralS 8tutt§art 11) Sylvia konnte sich nicht satt sehen an diesem herr lichen Bild und verweilte viel länger oben, als sie eigentlich gewollt. Erst als sie den Rauch aus den wunderlich hohen Nauchfängen des Wohnhauses unten aufsteigen sah, lief sie eilends hinab. Indes hatte sich unten nicht viel geändert. Alles im Haus war totenstill, von der Dienerschaft niemand zu sehen. Nur in der Küche hantierte eine rundliche alte Frau — offenbar die Köchin, Frau Christine Wochinz — und betrachtete die schüchtern eintretende Sylvia mit neugierigen Blicken. „Sie sind wohl die neue Mamsell? fragte sie dann mit einem Schimmer von Wohlwollen in Blick und Ton. „Ja. Ich wollte nur fragen, ob Frau Gröger schon auf ist?" „Scheint nicht so, wenigstens habe ich sie noch nicht gesehen." „Wollen nicht Sie mir irgendeine Arbeit anweisen, Frau Christine? Ich kann doch nicht so müßig herum stehen!" „Ach, du lieber Gott, mit der Arbeit ist es jetzt am Morgen bei uns nicht so wichtig. Bloß ich muß stets schon zeitig aus den Federn, weil die Leute schließlich doch eine Kleinigkeit essen wollen." Sylvia unterdrückte ein Lächeln. Zeitig nannte das die Köchin. Dabei war es fünf Minuten vor zwölf Uhr mittags. Inzwischen hatte Frau Christine bereits zwei Tassen aus dem Schrank geholt und stellte sie an den Herdrand. „So, erst mal wollen wir Kaffee trinken, Mamsell. Dabei freundet man sich am besten an. Nachher können Sie mir ja einstweilen ein wenig in der Küche helfen, bis die Gröger kommt. Können Sie kochen?" „Meine Tante, die mich erzog, ließ es mich lernen und daheim habe ich oft mitgeholfen, aber ganz selb- Mndig habe ich noch nie gekocht." „Gut, dann werde ich Sie ein bißchen in die Schule nehmen. Es kann immer einmal sein, daß ich mal krank bin und Sie einspringen müssen." Sie schwatzte gemütlich weiter und trank behaglich ihren Kaffee dazu, aß ein paar Stücke Milchbrot und stand dann, die Krumen von ihrer blütenweißen Schürze schüttelnd, auf, um sich — ohne jede Hast und Eile — endlich an die Arbeit zu begeben, während Sylvia halb belustigt halb wehmütig an Tante Berta dachte, der Flinkheit bei der Arbeit stets als erste und unerläßliche Tugend galt. Inzwischen brachte Frau Christine unendlich viel Material für ihre Tätigkeit aus der Vorratskammer herbeigeschleppt. Dabei erklärte sie Sylvia, was daraus für heute alles bereitet werden müsse. Eine schier endlose Aufzählung von Gerichten folgte: Kraftsuppe, Brathühner, Lendenbraten, Krebsmayon naise, Vutterteigpasteten, Kalbsfrikand^" Prinzen törtchen, Nußpudding. Sylvia wirbelte der Kopf. „Kochen Sie jeden Tag so vielerlei? And alles ganz allein?" fragte sie. „Nun, einmal hilft mir Johanna dabei. Und vieler lei? Gott, man muß doch für Abwechslung sorgen, und dann haben wir ja auch so viele Mahlzeiten! Uebrigens bin ich dafür da und, wenn ich mal anfange, geht es mir flink von der Hand." Und das war richtig. Sylvia staunte, wie rasch und umsichtia die behäbige Köchin arbeitete, nachdem sie endlich angesangen hatte. Das flog nur alles so, während der Ofen glühte und alles um die Wette kochte, briet und backte. Sylvia be kam auch ihr Teil Arbeit angewiesen und hatte Mühe, i nur Halbwegs mit Fr.au Christines Anordnungen Schritt zu halten. Gegen zwei Uhr erschien Johanna, um in der an die Küche anstoßenden Stube den Tisch für die Diener schaft zu decken, nachdem sie, wie sie sagte, „oben" be reits gedeckt hatte. Auch Jakob und Franz erschienen, sowie der Gartner Andreas Edlinger, den Sylvia noch nicht kannte. Zu letzt kam Frau Gröger und in ihrer Begleitung der alte Mann mit dem spitzen, langen Schnurrbart, den Sylvia schon in der Nacht am Kutscherbock des Schlittens ge sehen. Er war der einzige, der mit einer kurzen Pfeife im Mund eintrat und nur durch ein stummes Kopfnicken grüßte. Aber er schien trotzdem besondere Achtung zu genießen, denn Frau Gröger hatte Sylvia kaum be grüßt, als sie sich auch schon an den Alten wandte und freundlich sagte: „Nun, lieber Horwarth, wollen Sie nicht ein wenig näher kommen, damit ich Sie mit unserer neuen Stütze, Fräulein Frankenstein, bekannt mache?" Zögernd trat der Alte, die Pfeife aus dem Mund nehmend, näher heran. Er war zweifellos ein Ungar, wie sein Typus bewies, und Frau Grögers Worte be stätigten dies. Sie erzählte auch, daß Horwarth schon in Frau Helleports Elternhaus bedienstet gewesen war, und daß sie auf niemand im Haus so große Stücke halte, wie auf ihn. Währenddem betrachtete Sylvia voll Interesse das wie aus braun gebeiztem Holz geschnittene, verwitterte des alten Mannes, dessen weißes Haar in selt- Gegensatz zu den noch immer feurigen Augen Worts, folgt.! Gesicht samem stand.