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Wilsdruffer Tageblatt 2. Blatt Nr. 172 — Mittwoch, den 26. Juli 1933 Sommerwind. - Wo Mr wandern, stehn und sind Wandert mit der Sommerwind. Ar der Frühe wehend auf Weckt er uns zum Tageslauf. In dem heißen Mittaglicht Streicht er kühl ums Angesicht. Durch den Tag auf Schritt und Tritt Laust er wie ein Hündlein mit. Tritt beim letzten Abendschein Mit AW «ns durch die Türe ein. Wassert Kis die ganze Nacht Arn das Bett getreu und wacht. —Sag', «P du die Liebe bist. Dir »gegenwärtig ist! -M WiU Vesper. « — Sie gesunde Zugend geht der verkommenen vor. ^Bisher gab man für die Jugendfürsorge, alsostür die „Besserung" der verkommenen Jugend, etwa das zehnfache des Betrages aus, den man dem gesunden Teil der Jugend in der Form der Jugend pflege zuwandte. über diese erschreckenden Zusammen hänge berichtet nachfolgend unser in der vordersten Reihe der Berliner Jugendpflege stehender Mitarbeiter. Nur 30 Prozent der Berliner schulentlassenen Jugend lichen bis zum Alter von 21 Jahren gehören irgendwelchen Jugendvcreincn an. Der Großteil, jene 70 Prozent, vegetieren dahin, Schund und Kitsch geben ihnen die Freuden des Lebens, die Vergnügungen der Großstadt vergiften Leib und Seele; oder sie erstreben in selbstver ständlichem und selbstbewußtem Individualismus ein satt es Spießbürgertum und die Zivilisation der sogenannten der oberen Zehntausend. In der praktischen Arbeit der Jugendwohlfahrt ergibt sich, daß aus diesen 70 Prozent die große Masse der jugendlichen Kriminellen, der Fürsorgezöglinge und sonstiger Hilfsbedürftiger hervorgeht. Diesen wird erst dann geholfen, erst dann kümmert man sich um sie,wenn sie straf- fällig geworden sind oder die Gefährdung in anderen Tatsachen Ausdruck gesunden hat. Den übrigen aber wird keinerlei Hilfe zuteil. Die Erfassung dieses Teiles der Jugendlichen ist heute vordringliche Aufgabe. Jeder Jugendliche muß unter allen Umständen dem Ein- slußderJug endpflegezugeführt werden, wenn wir verhindern wollen, daß die unzureichende Er ziehung der Großstadtjugend in ihrer Mehrzahl noch offenkundiger als bisher wird. Die Notwendigkeit, weitere Kreise der Jugendlichen der Jugendpflege znzuführen, als bisher geschehen ist, hat sich somit ergeben. Die Frage ist jetzt, wie die Jugendlichen dafür gewonnen werden können. Hier Begriffe, wie Pflicht, Zwang oder Gesetz zu verwenden, wäre unzweck mäßig. Der geeignete Weg wird sein, bei Ein stellung von Arbeitskräften in den Staatsdienst wie in die Wirtschaft solche Bewerber zu bevorzugen, die durch die Schule eines anerkannten Jugendpflegevereins gegangen sind. Zur Zeit ist die praktische Wirksamkeit der Jugend arbeit dadurch stark beschränkt, daß es an den erforder lichen Mitteln fehlt. Hier müssen die Gemeinden ein- springen. Es wäre verfehlt, wenn die Gemeinden zur Förderung der Jugendpflege etwa eigene Organisationen aufbauen wollten. Der Gedanke der Selbsthilfe muß gewahrt bleiben. Die notwendige Kontrolle der Ver wendung der den Vereinen zur Verfügung zu stellenden Mittel und die staatliche Beeinflussung hätte durch die Ortsausschüsse für Jugendpflege zu geschehen. Die Frage ist, woher die erforderlichen Mittel genommen werden sollen. Heute geben die Gemeinden pro Kopf der Bevölkerung aus: Städte von 50 000 bis 100 000 Einwohnern für Für sorgeerziehung u. dgl. 1,55 Mark, für Leibesübungen und Sport (Jugendpflege) dagegen nur 0,47 Mark; Städte von 100 000 bis 200 000 Einwohnern für Für sorgeerziehung u. dgl. 1,97 Mark, für Leibesübungen und Sport (Jugendpflege) dagegen nur 0,54 Mark; Städte mit über 200 000 Einwohnern für Fürsorge erziehung u. dgl. 2,54 Mark, für Leibesübungen und Sport (Jugendpflege) dagegen nur 0,68 Mark. In Berlin ist das Verhältnis der beiden Posten noch mehr zuungunsten der Jugendpflege verschoben. Für Fürsorgemaßlmhmen entfallen auf den Kopf der Bevölke rung 3,52 Mark, für Maßnahmen der Jugendpflege 0,37 Mark. Das ist ein völlig ungesunder Zu - stand. Dadurch, daß für die Jugendlichen keine aus reichende jugendpflegerische Betreuung geschaffen wird, läßt man einen Teil von ihnen er st verkommen und dann werden nachher Gelder zur Verfügung gestellt, die ein Vielfaches des für jugendpflegerische Maßnahmen erforderlichen Betrages ausmachen, um ihn zu „bessern". Hier muß grundlegend Wandel geschaffen werden. Als Stadt mit der größten Zahl gefährdeter Jungendlicher hat Berlin hier voranzugehen. Wir sind vor den Entschluß gestellt, mit der alten Auffassung zu brechen, daß den kranken und sittlich beschädigten Jugendlichen mehr Unter stützung zuzuwenden sei, als den gesunden. Im nationalsozialistischen Staat wird man dafür zu sorgen haben, dass den Jugendlichen von vornherein die nötige Pflege zuteil wird, um sie vor Erkrankung und Ent artung zu schützen. I. R. Die große Fahndungs aktion. Die Fahndungsaktion des Geheimen Smatspottzet- amtes ist in ganz Preußen und in den übrigen Ländern völlig reibungslos verlaufen und mustergültig zu Ende geführt worden. Die Aktion hat den Beweis dafür erbracht, daß die Staatsmaschinerie im gegebenen Moment schnell und zielsicher zu arbeiten versteht. Auch die technische Durchführung der Maßnahmen wurde zur vollsten Zufriedenheit ohne die geringste Störung ab gewickelt. Zahlreiche steckbrieflich gesuchte Personen wurden fest genommen. An einzelnen Stellen wurde bei der Einsichtnahme in Gepäckstücke illegales Schriftenmaterial vorgefunden. Ferner erfolgte die Festnahme bzw. Feststellung verschiedener Personen, die teils unbefugt Schußwaffen bei sich führten, teils ohne Führerschein am Steuer von Kraftwagen saßen. Die Aktion, die schlagartig 12 Uhr im ganzen Reichs gebiet einsetzte, wurde, wie vorgesehen, um 12.40 Uhr beendet. Fahndung nach Staatsfeinden im ganzen Reich. Der Bildberichterstatter hat hier die Durchsuchung eines Personenwagens durch die Polizei sestgehalten. Bewaffnete RFB.-Kolonne festgenommen. Hochverräterische KPD.-Aktione« in Breslau. Den Breslauer Beamten der geheimen Staats polizei gelang es, im Stadtteil Breslau-Scheitnig eine bewaffnete Klebekolonne der KPD. nach Feuergefecht festzunehmen. Die Kolonne hatte versucht, geheimgedruckte hetzerische Flugblätter an den Häusern anzukleben und auch unter der Bevölke rung für den bevorstehenden NSBO.-Aufmarsch in Breslau zu verteilen. Im Laufe der Ermittlungen wurde jetzt festgestellt, daß es sich um die Terrorgruppe des verbotenen Not-Frontkämpfer- Bundes handelt, welche in Breslau die Tätigkeit gegen die Negierung erneut ausgenommen hatte. Die Terrorgruppe bestand nur aus den zuverlässigsten KPD.-Leuten, die rücksichtslos bei Gefahr von der Schuß waffe Gebrauch machen sollten. Bei dem Führer der Klebekolonne, der gleichfalls Führer der Terrorgruppe des RFB. ist, wurde eine geladene Pistole vorgefunden. Nach den Angaben der Festgenommenen sollte bei Stellung durch die Polizei rücksichtslos von der Schuß waffe Gebrauch gemacht werden. Es konnten ferner die Hersteller der Greuelpropagandaflugblätter sowie die gesamte Geheimdruckerei ermittelt werden. Bisher wurden eine ganze Anzahl Mitglieder und der Führer des ver botenen Rot-Frontkämpferbundes und der ihm unter stellten Terroraruvve festaenommen. Mißlungene SMungsverfuche des Deutschen Turnfestes. 200 Festnahmen in Stuttgart. Von Anhängern der verbotenen Linksparteien war, wie amtlich mitgetcilt, beabsichtigt, das Deutsche Turnfest in Stuttgart zum Anlaß einer besonders intensiven illegalen Tätigkeit zu benutzen. Es sollten verbotene Schriften zur Verteilung ge bracht, darüber hinaus aber auch von Provokateuren Störungen der öffentlichen Ruhe und Ordnung aus gelöst werden. Die Politische Polizei hat sich daher ver anlaßt gesehen, in der Nacht zum 25. d. M. rund 200 P e r s o n en, die der Teilnahme an derartigen Umtrieben verdächtig waren, in Schutzhaft zu nehmen. Die Durch führung der Aktion verlies reibungslos. Es konnten große Mengen von verbotenen Schriften und eine geringe Anzahl von Waffen beschlagnahmt werden. Die Schutz- Häftlinge und das Material wurden sicheraestellt. Das „Lan-jahr". Ein neuntes Volksschuljahr in Preußen geplant. Der preußische K u l tu s min i ste r hatte schon vor einiger Zeit angekündigt, daß er die Einführung eines neunten Volksschuljahres zu einem be sonderen, für die Volksgemeinschaft wichtigen Erziehungs zweck erstrebe. In unterrichteten Kreisen verlautet, daß bereits Vorbereitungen getroffen werden, um im Jahre 1934 für die Volksschule als neuntes Schuljahr dasso- genannte „Landjahr" einzuführen. Im Sinne des nationalsozialistischen Grundsatzes der Verbindung von Blut und Boden solle die deutsche Jugend in diesem neunten Schuljahr auf das Land gebracht werden, wo sie in enger Verbundenheit zu Heimat, Landschaft und Boden körperlich und geistig weiter ertüchtigt werden kann. Es werde auf diese Weise für den Volksschüler eine ganz neue Art der Abschlußerziehung ge troffen, die zugleich auch die Umstellung auf die Siedlung und andere neustaatliche Gebiete vorbereitet. Winicks krko!ung . . . findet nur der gepflegte Körper, wobei Mund und Zähne infolge ihrer täglichen Mitarbeit besonders pflegebedürftig sind. Zur richtigen Zahn- und Mundpflege gehören unbedingt die Qualitäts erzeugnisse Lhlorodont -Zahnpaste, -Mundwasser und -Zahnbürste; sie sind in den kleinsten Orten erhältlich. (17. Fortsetzung.) 11. Wenig später betritt Rambeaux das Arbeitszimmer des Hauptmanns Lefevre. Der Kommissar 'ist noch verschlossener als sonst. Etwas wie Müdigkeit und besorgter Ernst spie- aeln sich in seinem Wesen. Er versucht sichtlich, seinen Be such so kurz als möglich zu gestalten. Ohne auf die Förm lichkeiten des Hauptmanns einzugehen, entnimmt er der schwarzen Ledertasche Akten und Verordnungen und beginnt mit seinem Vortrag. Seine Stimme ist gedehnt und er wartend. „Leider muß ich Ihnen auch heute wieder das Mißfallen des Oberkommandos ausdrücken, Herr Haupt mann ..." Er macht eine Pause, die eine Antwort er fordert. „Ich habe darauf nichts zu erwidern, Herr Kommissar, als daß ich meine Pflicht tue!" Rambeaux sieht den Hauptmann an, dann sagt er nach denklich: „Wir wissen, wie es steht. Aber trotzdem müssen wir unter allen Umständen dafür Sorge tragen, daß die Be stände der Besatzungsarmee unter keinen Umständen leiden oder gar zurückge-hen." Lefeore unterbricht ihn: „Was möglich ist, tun wir ohne dies. Ich habe die geeigneten Leute Tag und Nacht auf den Beinen — aber es gibt'hier schon Ortschaften, in denen keine Ratte mehr etwas finden wird. Die Herren vom grünen Tisch haben gut reden . . ." Rambeaux will den Hauptmann beschwichtigen. „Ihre Erregung ist begreqlich, Herr Hauptmann. Aber Befehl ist Befehl, und ich sage Ihnen nochmals: Wie Sie Ihre Ration stellen, ist Ihre Sache." „Die letzten Befehle lauten," erwidert scharf Lefevre, „daß, wenn irgend möglich, von jeder Gewalt gegen die preußische Bevölkerung Abstand genommen werden soll! Ich handle nach dem Befehl! Ich habe oft genug in den letzten Wochen mit knapper Not offenen Aufruhr unterdrücken müssen. Be denken Sie bitte meine exponierte Lage — ich hafte für das Wohl meiner Leute. Verzweiflung kennt keine Gesetze und keine Furcht mehr — wenn ich allein hier die Gewalt aus spielen soll, so ist das ein Trumpf, der eines Tages viel Blut kosten wird." Rambeaux blickt nicht auf. Er hat Lefevre wohl verstanden. Ueberlegend blättert er mechanisch in den Akten. Er hat gehört, was er befürchtet hat. Ueberall das gleiche Bild: das Land, die Bevölkerung, ist ausgebeutet bis aufs Letzte. Und überall lodert heimlich der Aufruhr. Da nützen keine Be fehle mehr, da nützt kein Appell an Ehrgeiz und Pflichtgefühl der Führer — wo nichts zu holen ist, ist Gesetz ebenso ohn mächtig wie Gewalt. Hauptmann Lefevre ist ans Fenster getreten und sieht hinaus in den Schloßhof. Dort macht sich eine Requisitions patrouille fertig unter Führung des Korporals Landry, der kein Pardon kennt. Ein Zivilbeamter vom Stabe Rambeaux' begleitet ihn. Lefevre kennt ihre Methoden — der stärkste Haß und Wille brechen vor dieser Brutalität zusammen. Die Bauern geben ihr letztes Korn, mit dem sie kärglich genug ihr eigenes Leben fristen, um diesen Henkern zu entgehen. „Herr Hauptmann," sagt der Kommissar aus der Tiefe des Zimmer.", und Lefevre wendet sich um, „ich hoffe, daß trotz allen Hindernissen nichts unversucht bleiben wird, auch in Zukunft der Pflicht voll zu genügen. Gewalt ist nach Mög lichkeit zu vermeiden. Haben Sie berechtigten Verdacht, daß an irgendeiner Stelle die Besatzungsbehürde arglistig ge täuscht worden ist, so greifen Sie schonungslos zu und sta tuieren Sie ein Exempel." Rambeaux' Stimme wächst zu alter Giftigkeit. „Noch sind wir Herren eines Landes, dem kein Pardon gegeben werden darf, solange noch ein Atemzug geheimer Rebellion in ihm lebt!" Der Kommissar reicht dem Hauptmann ein Befehlsformu lar hinüber. „Unsere Lage ist zwar schwerer denn je — aber gerade deshalb müssen wir die Faust erhoben halten und wenn es not tut, zupacken Ich bitte Sie. diesem Geheim befehl Ihre volle Aufmerksamkeit zuzuwenden. Das Ober kommando hat sicherste Nachrichten, daß gerade in diesem Teil Schlesiens die geheimen Verschwörungen und Rüstungen in vollem Gange sind. Es ist unsere unumgängliche Pflicht, die Augen offenzuhalten, es ist Selbsterhaltungstrieb, wenn wir die Rädelsführer der Militärjustiz überliefern." Lefevre begegnet dem Blick Rambeaux'. „Ich bin kein Spitzel, Herr Kommissar, ich bin gewohnt, in offener Schlacht dem Feinde ins Auge zu sehen — aber das hier . . ." Rambeaux' Gesicht bekommt einen bösen Zug. Er kennt diesen Widerstand der Feldsoldaten gegen die geheime Polizei. Sie sind schon immer Rivalen gewesen. Oft genug haben er und seine Leute die unverhohlene Verachtung der Offiziere zu spüren bekommen. „Hier handelt es sich nicht, gegen Kanonen zu kämpfen, Herr Hauptmann, hier heißt es, das schleichende Gift des Aufruhrs, das in unserem Rücken lauert, unschädlich zu machen, Verschwörung und Sabotage im Keim zu ersticken. Lesen Sie Ihren Befehl!" Seine Stimme wird trocken vor Aerger. „Die Armeepolizei ist Tag und Nacht auf den Beinen, um das Uebel mit der Wurzel auszurotten, aber wir sind machtlos, wenn wir nicht der vollen Unterstützung des Militärs gewiß sind. Vergessen Sie nicht, daß wir uns in einem Lande befinden, dessen ganzer Haß unserer Nation gilt! Diese Kleinarbeit gegen einen Feind im Dunkeln ist im Augenblick unsere notwendigste Aufgabe. Verstärken Sie die Außenposten, lassen Sie Meldung machen über jeden, auch den geringsten verdächtigen Vorfall. Richten Sie einen besonderen Fahndungsdienst ein für die preußischen Melde reiter und Kuriere. Das Oberkommando hat hohe Prämien ausgesetzt." Rambeaux holt ein neues Blatt aus seinen Akten. „Es ist uns bekannt, daß der Kurier Hauptmann Döllnitz Anfang des Monats aus Berlin wiederum unter falschem Namen abgereist ist. Er soll sich auf dem Wege hierher befinden. Man vermutet in ihm mit Sicherheit einen der gefährlichsten Parteigänger des preußischen Unterhändlers Stein in Peters burg." Der Kommissar macht eine bedeutungsvolle Pause. Lefevre hat Mühe, seine Bewegung bei dem Namen Döll nitz zu verbergen. Rambeaux' lauernder Blick läßt ihn nicht los. „Es sind sogar gewisse Anzeichen dafür vorhanden, Herr Hauptmann, daß dieser Kurier sich hier auf Schloß, Löbau an einem der Weihnachtstage aufgehalten haben soll. Seine Stimme hat einen irritierenden Klang. „Sie sehen also, wie gut es gewesen wäre, schon damals auf das genaueste In formationen erhalten zu haben, dann wäre dieser Fang wohl sicher geglückt und der Sache des Feindes unermeßlicher Schaden erwachsen — man wird das zu guter Zeit nachholen müssen."