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s. Blatt Nr. 306 - „Wilsdruffer Tane-latt" Sonnabend, den 31. Dezember 1932 Sim md Ziel des Ardeitsdieiisles. Es gehört zu den Hauptaufgaben unserer Notzeit, die -Jugend körperlich und seelisch gesund in eine bessere Zeit hinübcrzuführen. Mehr als im abgelaufenen muß im rammende» Jahr diese Aufgabe beachtet werden. Es Wird heMe kaum mehr bestritten, daß der Arbeitsdienst der Weg ist, der Hunderttausende unserer Jugendlichen aus den Gefahren der Zeit herausführen kann. Da es not wendig ist, daß sich die größere Öffentlichkeit mehr als bisher mit der Frage Arbeitsdienst beschäftigt, hat unser Berliner O8-Mitarbciter die Leiter großer Organisationen des Arbeitsdienstes über ihre Erfahrungen und die Ziele ihrer Arbeit gefragt. Wir geben die Antworten im folgenden wieder: * Sie Entwicklung des Arbeitsdienstes Von Generalmajor a. O. N). Faupel Vorsitzender des Reichsbundes für Arbeitsdienst. Noch vor zwei Jahren erfuhren die Vorkämpfer des Arbeitsdienstgedankens mit ihren Vorschlägen seitens des größten Teiles der Presse und der Behörden eine völlige Ablehnung. Seitdem hat sich der Freiwillige Arbeits dienst (FAD.) allgemein durchgesetzt. Seine Fort schritte sind am deutlichsten aus der zahlenmäßigen Ent wicklung ersichtlich. Im August 1931 trat der FAD. in Kraft. Die Menge der eingestellten Arbeitsdienstwillizen betrug: Anfang September 1931 106 , Dezember 1931 rund 5 000 „ März 1932 „ 20 000 „ Juni 1932 , 57 000 „ September 1932 „ 144 000 ' „ Dezember 1932 „ 285 000 Am augenfälligsten ist das Emporschnellen im Ver lauf des letzten halben Jahres, hervorgerufen durch die im vergangenen Sommer durch die von der Regierung Papen erlassenen verbesserten Bestimmungen. -Den Arbeitsdienst wieder fallenzulassen ist heute eine politische Unmöglichkeit. Es kann sich nur darum handeln, vb er bei weiterem Ausbau freiwillig bleiben oder zur Pflicht entwickelt werden soll. Die Entscheidung darüber hängt einmal von der Frage ab, was wollen wir mit dem Arbeitsdienst erreichen, sodann davon, was ist finanziell vertretbar. Die bisherigen Erfahrungen fahrungcn haben die von Anfang an gehegte Erwartung bestätigt, daß ein richtig organisierter FDA. billiger ist als Notstandsarbeiten oder normale tarifgelöhnte Ar beiten. Gleichzeitig zeigte sich aber, daß trotz der erfreu lichen wirtschaftlichen Erfolge des FAD. sein Hauptwert ün den ganz außerordentlichen, in ihm liegenden volks- erzieherisch-staatspolitischen Möglichkeiten beruht. Das beweisen vor allem die zahlreichen, gutgeleiteten „ge schlossenen" Lager, d. h. diejenigen, in denen die jungen Leute in kasernenartiger Form gemeinsam untergebracht sind. Die gemeinsame Unterkunft und Arbeit, der tägliche gemeinsame Hin- und Rückmarsch, gemeinsame Mahl zeiten, Sport-, Unterrichts- und Freizeitstunden erzeugen ein Kameradschafts- und Zusammen gehörigkeitsgefühl, das zur Überbrückung aller Klassen- und politischen Gegensätze geradezu unersetzlich ist. Jeder einzelne lernt so, in seinem Lagerkameraden, such wenn er einem anderen Bunde oder einer anderen Partei angehört, in erster Linie wieder den deutschen Volksgenossen zu sehen. Gerade das und die Wieder gewöhnung an den Gedanken des Dienstes am Vaterlande brauchen wir heute am nötigsten. Für Arbeitsdienstpflicht Da aber, solange der Arbeitsdienst freiwillig ist, ein großer Teil unserer männlichen Jugend ihm doch fern bleibt, so können wir es eben nur durch Einführung der Arbeitsdienstpflicht eines ganzen Jahrganges erreichen, daß alle jungen Männer durch diese Ertüchtigungsschule Hindurchgehen. Aber auch vom Standpunkt der Volks gesundheit ist der Arbeitsdienst sehr hoch zu bewerten. Die in den Arbeitslagern verabfolgte reichliche und gute Kost bewirkt bei geregelter körperlicher Tätigkeit durchweg eine wesentliche Kräftigung und Gewichtszunahme der oft völlig unterernährt ankommenden jungen Leute. Aus diesen Erfahrungen heraus ist die baldige Einführung -er Arbeitsdienstpflicht für uns eine volkserzieherische Notwendigkeit, zum mindesten so lange, bis wir wieder eine auch wirklich voll durchgeführte allgemeine Wehr pflicht haben, die uns neben der körperlichen und sittlichen Ertüchtigung unserer männlichen Jugend auch die Mög lichkeit der Verteidigung unserer Grenzen gibt. Ein Jahrgang Neunzehnjähriger. Was die finanzielle Sekte anbetrifft, so ist bei «gleicher Zahl der Eingestellten der pflichtmäßige Arbeits dienst nicht teurer als der freiwillige. Die Mehrkosten, die durch den für die Arbeitsdienstpflicht nötigen stärkeren Führer- und Verwaltungskörper eintreten, werden durch die bei einheitlicher Verwaltung zu machenden Ersparnisse wieder ausgeglichen. Nun kommt uns, so bedauerlich diese Schrumpfung an sich ist, das Schicksal insofern ent gegen, als die in den Kriegsjahren 1915 bis 1918 gebore nen, demnächst zu einer einzuführenden Arbeitsdienst- Pflicht heranstehenden Jahrgänge zahlenmäßig so schwach sind, daß sie die im Dezember 1932 erreichte Höchstzahl von 285 000 eingestellten Arbeitsfreiwilligen kaum über steigen würden. Benutzt man also das jetzt anbrechende Jahr 1933 zur Ausbildung von mehreren Tausenden -von Lagerleitern und Führern und zur Durchführung Mer sonstigen organisatorischen Vorbereitungen, so kann Man Januar 1934 einen ganzen Jahrgang MunLehMWgxx^eitzheM Gr würde unter BerüA Ausmarsch zur gemeinsamen Arbeit. In der Morgenfrühe geht es „im gleichen Schritt und Tritt" mit frischem Gesang hinaus zur gemeinsamen Arbeitsstätte. sichtigung der Tatsache, daß viele junge Leute schon als Achtzehnjährige eine Arbeitsdienstperiode freiwillig ab geleistet haben, nicht stärker als 300 000 Mann sein, eine Zahl, die auch in den nächstfolgenden Jahren nicht über schritten werden würde. Die dafür erforderlichen Geld mittel lassen sich um so eher verantworten, als der Arbeits dienst ja immer bei rund 36 Arbeitsstunden je Woche gleichzeitig mit der erzieherischen auch wirtschaftlich nutz bringende Arbeit leistet. Es kommt also nur darauf an, ob man die zur Ar beitsbeschaffung nötigen Geldmittel in erster- Linie für die teureren Notstands- und normalen tarifgelöhnten Ar beiten ansetzt, oder ob man sich von dem Druck einer über spitzten Kaufkrafttheorie freimacht und einen ausreichenden Betrag zur Einführung der billigeren, wirtschaftlich ebenso nützlichen, volkserzieherisch unendlich viel wert volleren Arbcitsdienstpflicht verwendet. Ser ZreiwMge Arbeitsdienst eine geistige Vewegung? Or. v. Viebahn Evangelischer Reichsbeauftragter für den Freiwilligen Arbeits dienst. Die innere Linie, welche als Lebensinhalt für die Lager des Freiwilligen Arbeitsdienstes (FAD.) allmählich klar hervortritt, ist nicht vom Anfang an in einer Theorie oder Verordnung dagewesen, sondern wurde aus den Lebensnöten, Opfern, Willen, Gehorsam und Arbeit der Gruppen gefunden, welche gegen vielerlei Sorgen der Neunmalklugen und gegen Bürokratie und statistische Be denken ihre Sache durchsetzten. Die Wesensmerkmale des FAD. sind: Wachstum von Person und Gemeinschaft in Arbeit und Dienst. Die schaffende Arbeit ist Grundlage. Mühe und Ernst, die den Charakter der Arbeit ausmachen, sollen wir nicht zum Sport entwerten, weil gerade diese Selbstüberwindung der Unannehmlichkeiten um eines Zweckes willen festigt. Geeignet für den FAD. sind Auf gaben, welche man nicht in der privaten Wirtschaft anfassen kann und an deren Bewältigung die Allgemeinheit ein Interesse hat. Formung durch Gemeinschaft Das Wort „Dien st" weist darauf hin, daß der FAD. grundsätzlich einen Unterschied zum Arbeitsverhältnis in der freien Wirtschaft betont. Die Bewertung der Leistung wird nicht vom Lohn und vom Geld hergeleitet, sondern von der Gültigkeit und der Anerkennung im gemeinsamen Dienst. Die Eingliederung der einzelnen ins Leben des Ganzen schafft eine neue Achtung der Persönlichkeit wie der Gemeinschaft. Das gesellschaftliche Schwergewicht liegt in der Lagergemeinschaft selbst, daraus auch die Ord nung des Tages. Solch' formende Gemeinschaft kann nur zur rechten Wirkung kommen, wenn die Jugend im ge schloffenen Lager Wohnung, Schlafen, Essen und Feier abend auch gemeinsam hat. Die Ordnung männlicher Lebensgemeinschaft fordert so viel Rücksichten unterein ander, daß die einzelnen wirklich aufeinander „an gewiesen" sind. Und manchem zweifelnden Nachbar ist der Feierabend eines Lagers zum Anlaß des Dankes ge worden. Die Verantwortung des Führers Zum Lager gehört der Führerals Garant der Frei zeit und der Zucht, aber alle Ordnung ruht in selbst- gewollter Verantwortung aller. Führer und Obleute, welche im FAD. das Schicksal der Bewegung bestimmen, sollen nicht auf Grund wissenschaftlicher Schulung, ab gelegter Examina oder technischer Prüfungen ein Recht besitzen, sondern sie sollen Autorität haben. Diese Autorität soll nicht in der Entferntheit bestehen, sondern muß lebendige Wurzeln haben. Der Führertyp im FAD. muß sich neu herausbilden, denn der Arbeitsdienst ist nicht eine fürsorgerische oder militärische Angelegenheit, ist auch keine politische Bewegung oder bloße Schule, deshalb muß der Führer aus der Sache herauswachsen, um den neuen Weg zu zeigen. Spaten und Arbeitsschulung sind etwas anderes als die Waffe und das Exerzieren. Hier klar zu sehen und nicht dem Wunsch nach Soldaten spielerei die Zukunft einer neuen Ordnungserziehung aus zuliefern, ist die ernsthafte Verantwortung der Dienst- träLer. Der Arbeitsdienst ist ei« Lrrieüunasvoraaua Lirs spätere Leben. Da aber für die Gestaltung de^ spateren Lebens heute der Jugend geistig, seelisch wie technisch un- körperlich so viele Voraussetzungen fehlen, ist die Pflege der inneren Linie im Arbeitsdienst eine schwierigere Aufgabe als in einer militärischen Dienstzeit. Die BUdungsaufgabe Zwischen Arbeit und Feierabend steht der Unterricht, denn es ist auch Sinn des FAD., eine Zeit der geistigen Formung zu sein. Die volksbildnerische Arbeit hat der Träger des Dienstes zu verantworten, damit die zwanzig oder vierzig Wochen nicht bloß herunter gearbeitet werden, sondern daß die Zeit genutzt wird zur Bildung unserer Jugend zu Gemeinschafts leben in Stand und Staat, in Familie, Volk und Kirche. Die Lehrkräfte sollen im wesentlichen im Lagerleben selbst stehen (z. B. Studenten), aber ein freiwilliger Bildungs dienst aus der Nachbarschaft des Lagers von Pfarrern, Lehrern, Ärzten, Richtern usw. ist nötig. Es ist durch aus nicht so, daß man Religion und Weltanschauung aus dem Lagerleben ausscheiden muß. Aber die evange lischen Lager richten im FAD. keine Schranken auf, sondern sind allen geistigen und politischen Unterschieden offen. Denn wir fallen ja antworten auf die deutliche Frage nach unserer Kraft zur Bildung neuer Gemeinden aus widerstrebenden Geistern, Gegen staatliche Bevormundung Aus alledem geht hervor, daß der FreiWMgs Arbeitsdienst ein Gebiet ist, auf welchem sich die Kräfte des Staates und die geistigen Kräfte, welche im Volks lebendig sind, miteinander in rechter Zusammenarbeit finden müssen. So wenig es angeht, daß die Verbände ohne obrigkeitliche- Führung arbeiten können, so wenig geht es an, daß derStaat aus den verwaltungsmäßigen Aufgaben, die ihm auf diesem Gebiet entstehen, den An spruch einer geistigen Bevormundung herleitet, wofür er gar nicht die Kräfte besitzt. Es würde ein schlimmer Schaden sein, wenn eine ängstliche Bürokratie solch freies Leben und Wachstum vorzeitig beschränkte. Es würde auch durch eine verwaltungsmäßige Abtrennung und rein staatliches Kommando über den Arbeitsdienst einer der wesentlichen Vorteile des Arbeitsdienstes unterdrückt, die für die Zukunft unseres Volkes und Staates von größern Wert sind, nämlich die Weckung des einzelnen Opfers und der nachbarschaftlichen Freiwilligkeit wie der letzten eigenen schöpferischen Kräfte. Beim Mittagessen in einem Lager.