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Wieder einmal ist eine Amnestie — diesmal eine sogar sehr weitgehende — Gesetz geworden und die Länderregierungen wollen nun, da sie doch nichts mehr daran ändern können, für eine möglichst baldige Ent lassung der amnestierten Strafgefangenen sorgen. Im Reichsrat waren wohl gegen diese Amnestie inel mehr Ländervertreter eingestellt, als bei der Abstimmung über sie Nein-Stimmen abgegeben wurden, aber man sagte sich, daß es keinen rechten Zweck habe, offiziell gegen den Gesetz entwurf den verfassungsgemäß zulässigen Einspruch zu er heben, weil ja der Reichstag die Amnestie mit einer starken Zweidrittelmehrheit angenommen hatte. Daher hätte eine neue Reichstagssitzung einen etwaigen Reichsratseinspruch doch nur einfach beiseitegeschoben und das Zustande kommen des Gesetzes wäre nur verschoben worden; höch stens hätte diese Sitzung womöglich noch vor Weihnachten oder unmittelbar nachher einbernfen werden müssen. Doch das war nicht nötig und der Ältestenrat des Reichstages hat voller Dankbarkeit in seiner Mehrheit beschlossen, schleunigst in die Weihnachtsferien zu gehen. Allerdings müssen die Herren in der nächsten Woche Wohl wieder zu sammenkommen, da die Sozialdemokraten und Kommu nisten von neuem einen Antrag auf baldige Einberufung des Reichstages stellen wollen. Allerdings ist es recht un wahrscheinlich, daß dieser Antrag angenommen und uns als nachträgliches Weihnachtsgeschenk ein Zusammentritt des Reichstages beschert wird; sehr viel wahrscheinlicher ist, daß die Fahnen auf den Ecktürmen des Reichstages erst im nächsten Jahre hochgehen werden. Allerdings ist es ein Zufall, daß die Amnestie am gleichen Tage Gesetzeskraft erhielt wie die Notverordnung, die die Beseitigung der Strafbestimmungen gegen den Terror und der Presseeinschränkungen gebracht hatte; denn der Widerstand nicht weniger Ländervertreter gegen das Amnestiegesetz hatte dessen Erledigung mehrere Tage hinausgezögert. Aber wenn dieses Zusammenfallen auch ein Zufall war, so ist dieser doch nicht ganz bedeutungslos. Beide, jenes Gesetz und diese Aufhebung der Notverord nungen gegen den Terror, machen einen Strich unter die Vergangenheit. Die Kritik gegen den Amnestiegesetzentwurf im Reichs rat richtete sich auch nicht so sehr gegen den Grundgedanken dieser Maßnahme, als gegen die Nebenwirkungen, die die Amnestie nach Ansicht der Kritiker — von denen es übrigens recht zahlreiche im Reichstag gab — unbedingt haben muß. In der Entschließung, die von dem Berliner Oberbürgermeister dem Reichsrat vorgelegt und von der Mehrheit angenommen wurde, kommen diese Bedenken auch sehr deutlich zum Ausdruck, und es wird dort unter Hinweis auf den diesmaligen großen Umfang der Amnestie gesagt, daß „Rechtssicherheit und Rechtsbewußt sein, die Grundlagen jeder staatlichen Ordnung, Schaden leiden, wenn Gesetzesverletzungen so schwerer Art und in so großer Zahl straflos bleiben". Wenn namentlich die drei süddeutschen Länder gegen die Amnestie stimmten, so wollten sie damit gegen die Erstreckung der Reichsamnestie auf Landesstrafsachen protestieren; das sei ein Eingriff in die Hoheitsrechte der Länder. . Nach bayerischer Ansicht war das Entgegenkommen der Reichsregierung in der Amnestiefrage überhaupt aus dem Grunde erfolgt, um die Oppositionsparteien zu einer Art „Stillehaltung" gegenüber dem neuen Kabinett zu veranlassen. Aber das gehört, einschließlich aller berechtigten und unberechtigten Bedenken, nun der Vergangenheit an. Erst die Zukunft wird zeigen, ob der Appell a n die politische Vernunft, der mit jenen beiden Maß nahmen erfolgte, auch Gehör findet und ob, wie es in der gleichzeitigen Regierungserklärung heißt, die poli tischen Meinungsverschiedenheiten künftig in der Öffent lichkeit in einer Form ausgetragen werden, die des deutschen Volkes als einer Kulturnation würdig ist. SchrUUMM für ArMWaffung Öffentliche Arbeiten und Privatwirtschaft. Die Verhandlungen des Reichskommissars für Arbeitsbeschaffung über die Ausgestaltung seines Programms sind jetzt in das entscheidende Stadium ge treten. Dr. Gereke hatte eine längere Besprechung mit dem ReichsbankpräsidentenDr. Luther. Die Besprechung wird sich zweifellos um die Frage der Finanzierung der von Dr. Gereke vorgeschlagenen Arbeitsbeschaffungs pläne gedreht haben. Ferner empfing der Reichskommissar Vertreter der kommunalen Reichsspitzenverbände zu einer Besprechung, in der die Durchführung eines öffentlichen Arbeitsbeschaffungsprogramms (Sofortprogramm) ausführlich erörtert wurde. Reichs kanzler von Schleicher hat seinerseits Vorstands mitglieder des Landkreistages unter Führung des Präsidenten Dr. von Stempel empfangen. Die Vorstands mitglieder haben dabei ihre Auffassung zur Frage der Arbeitsbeschaffung vorgetragen und betont, daß die schwierige Finanzlage der Landkreise nur durch schleunige Arbeitsbeschaffung erleichtert werden könne. Mein die Vergebung öffentlicher Arbei ten sei in der Lage, die Privatwirtschaft wieder anzu kurbeln und die Zahl der Wohlfahrtserwerbslosen zu senken. Eine Finanzierung lediglich durch Darlehen müsse wegen der damit verbundenen nicht zu verantworten den Vermehrung der gemeindlichen Schulden vermieden werden. * Millionen für Arbeitsbeschaffung. Das Sofortprogramm der Rcichsregierung. Das Neichskabinett befaßte sich nach der Verabschie dung des Winterhilfsprogramms mit Fragen der Ar beitsbeschaffung und mit allgemeinen handelspolitischen Fragen. Wie bekannt wird, ist über ein Sofortprogramm für die Arbeitsbeschaffung in voranfgegangenen Besprechun gen zwischen dem Finanzminister von Krosigk, dem Wirtschaftsminister Warmbold, dem Arbcitsbefchaffungs- kommissar Gercke und dem Ncichsbankpräsidcnten Luther eine völlige Einigung erzielt worden, und zwar dergestalt, daß für dieses Sofortprogramm 508 Millionen bereit- gestellt werden sollen. Diese Einigung wurde vom Neichs kabinett bestätigt. über die Einzelheiten des Programms und seine Finanzierung wird sich der Reichskommissar für die Ar beitsbeschaffung am Freitag abend im Nnndfnnk ver breiten. Nach diesem Programm werden, wie verlautet, die öffentlichen Körperschaften günstiger gestellt sein, als das in den früheren Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der Fall war. Winterhilfe vom Michslabinett beschloßen. Das R e i ch s k a b i n e t t befaßte sich am Mittwoch- uachmittag zunächst mit der Wintexhtlfe und führte die Beratungen hierüber zu Ende. Amtlich wird mitgcteilt: Die öffentliche Winter hilfe, welche die Rcichsregierung am 21. Dezember b e - schloffen hat, erweitert die bisücriae in der Zeitdauer, der Art und dem Umfang der Leistungen und im Personen kreis. Sic wird für die drei Monate Januar bis März gewährt, verbilligt den Erwerb von Lebensmitteln ! und Brennstoffen. Bor allem aber dehnt sie den Per. ! sone «kreis erheblich aus. ! Bei den Lebensmitteln besteht die Grund leistung in der Verbilligung des Erwerbs von monatlich vier Pfund frischem Rind- oder Schweinefleisch oder von Rückenfett und Liesen oder frischer Wurst um 30 Pfennig beim Pfund. Familien mit vier und mehr Zü sch lagsempsängern können zwei Verbilligungs scheine erhalten und auf den zweiten Verbilligungsschein wahlweise auch Milch beziehen. Familien mit drei Zuschlagsempfängern können ebenfalls einen zweiten Verbilligungsschein erhalten, wenn von den Zuschlagsempfängern mindestens zwei über 16 Jahre alt sind. Je einmal im Monat kann der bedachte Haushalt nach seinen besonderen Bedürfnissen an Stelle des Fleisches oder der Wurst auch Schweine schmalz, frischen Seefisch oder Roggenbrot wählen. Schmalz und Brot als Gegenstand der Winterhilfe wird den Hilfsbedürftigen ohne' eigenen Haushalt und der ver billigte Bezug von Milch kinderreichen Familien besonders erwünscht sein. Bei den Brennstoffen wird der Erwerb von zwei Zentner Kohle im Monat um 30 Pfennig beim Zentner verbilligt. Für Steinkohle, Braunkohlenbriketts oder Koks kann je nach den örtlichen Verhältnissen auch Tors oder Holz gewährt werden. Nach der bisherigen Regelung wurde die öffentliche Winterhilfe nur Unterstützungsempfängern gewährt, die Familienzuschtäge erhielten bzw. einen eigenen Haushalt führten. Die neue Regelung dagegen umfaßt alle Hauptnnterstützten in der Arbeitslosen- und Krisenunterstützung und in der öffentlichen Fürsorge so wie bedürftige Empfänger von Zusatzrente nach dem Reichsversorgungsgesetz. Die Führung eines eigenen Haushalts wird nur für die Verbilligung von Brennstoff vorausgesetzt. Ausgabestellen für die Verbilligungsscheine sind wie bisher für die Hauptunterstützungsempfänger der Arbeitslosenversicherung und Krisenfürsorge die Arbeits ämter, für alle übrigen die Dienststellen der öffentlichen Fürsorge. Bezugs st ellen für die verbilligten Waren sind alle Verkaufsstellen, die die betreffenden Waren führen und sich bereit erklären, den Perbilligungsschein in Zahlung zu nehmen und den sonst gegebenen Vorschriften zu entsprechen. Die für die neue Winterhilfe notwendigen Mittel — rund 35 Millionen Mark — werden von der Reichskaffe ausgebracht. Außerdem werden im Notwerk der deutschen Jugend besondere Mittel für die gemeinsame Verpflegung von jugendlichen Arbeitslosen zur Verfügung gestellt. Nähere Einzelheiten werden in Kürze bekanntgegeben. Oie Wirkung der Krise auf die Giaaisfinanzen. Reichsfinanzminister Graf Schwerin von Kro sigk schildert in einem Artikel im Heimatdienst die Lage der Staatsfinanzen. Im Vergleich mit dem Jahre 1929 hat das Jahr 1932 einen Steuerausfall von 6 Mil liarden gebracht. Die Ausgaben für die Arbeitslosen haben sich von 1^ auf 3 Milliarden erhöbt, trotzdem die Entlassung der Gefangenen. Die Durchführung der Amnestie. Nachdem der Reichspräsident die Amnestievorlage unterzeichnet hat, ist das Gesetz, nachdem es auch im Reichsgcsetzblatt veröffentlicht worden ist, in Kraft ge treten. Etwa 15000 Personen dürften durch die Amnestie die Freiheit wiedergewinnen. Ganz außerordentliche Aufgaben fallen jetzt den Strafvollzugsämtern zu. Die Gefangenen, die jetzt die Anstalt verlassen sollen, müssen fürsorgerisch betreut werden, soweit sie nicht über ausreichende Mittel verfügen. Soweit sie nur Sommerkleidung hatten, müssen sie Wintergarderobe erhalten. Sie haben Anspruch aus Aus zahlung des Geldes, das sie sich durch Gcfängnisarbeit verdient haben. Es muß ihnen Übergangs- und Zehrgeld gewährt werden, bis die Wohlfahrt eingrcift, es müssen auch Eiscnbahnfahrkarten besorgt werden, um den Amne stierten die Möglichkeit zu geben, wieder zu ihrer Familie zurückzukehrcu. Strafvollzugsämter müssen in verständ nisvoller Arbeit mit den Gefängnislcitungen arbeiten. Wer wird amnestiert? Unter die Amnestie fallen viele Straftaten, die in der Öffentlichkeit seinerzeit großes Interesse erregten. So werden die vor den Sondergerichten wegen Trans portgefährdung anläßlich des Berliner Verkehrs streiks Verurteilten amnestiert. Auch die in vielen Land- sriedensbruchprozessen Verurteilten werden aus den Straf anstalten entlassen werden. Ebenso wird den kürzlich vom Ohlauer Sondergericht verurteilten Reichs bannerleuten die Amnestie zugute kommen. Auch die bisher von den Sondergerichten abgeurteilten politischen Straftaten, soweit es sich nicht um Totschlag aus politischen Beweggründen handelt, fallen unter die Amnestie. Ledig lich die wegen Nädelsführerschaft beim Landfricdensbruch auf Grund der Verordnung des Reichspräsidenten gegen den politischen Terror zu zehn Jahren Zuchthaus Ver urteilten müssen ihre Strafen absitzen, die aber in Gefängnisstrafen von zwei Jahren sechs Monaten um gewandelt werden. Außerdem fallen sämtliche politischen Beleidigungsprozesse unter die Amnestie. Auch Dr. Roosen, der den Anfchlag auf den Reichsbankpräsidenten Dr. Luther verübte, kommt die Amnestie zugute. Das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft gegen den preußischen Finanzminister Klepper wird zu einem großen Teile der Einstellung verfallen müssen, weil zweifellos ein Teil der ihm zum Vorwurf gemachten Handlungen aus politischen Gründen begangen sein dürfte. Zu erwähnen ist noch, daß der Schriftsteller von Ossietzky, der wegen Landesverrats eine Gefängnis strafe von einem Jahr sechs Monaten Gefängnis verbüßt, auf Grund des Amnestiegesetzes aus der Strafhaft ent lasten werden wird. Lediglich die vom Sondergericht Beuth en zur Todesstrafe verurteilten fünf National sozialisten, denen allerdings die Todesstrafe vom Reichs kommissar für Preußen in lebenslängliche Zuchthausstrafe umgewandelt wurden, fallen nicht unter die Amnestie. Bei dem jetzt der KPD. angehörenden früheren Neichswebr- leutnant Scheringer wird es zumindest zweifelhaft fein, da hier noch zu prüfen ist, ob Scheringer aus un eigennützigen Beweggründen gehandelt hat. Würde diese Frage bejaht, so würde auch Scheringer unter die Amnestie fallen. -i- Kallen Devisenschieber unter die Amnestie? Das Amnestiegesetz sieht vor, das; Straftaten, die aus wirtschaftlicher Not begangen worden sind, sofern die Strafe weniger als sechs Monate beträgt, erlassen werden. Die Frage, ob auch Devisenschieber unter diese Bestim mung fallen, ist noch nicht geklärt. Man stellt sich aber an zuständiger Stelle auf den Standpunkt, daß der Reichstag die Devisenschieber am allerwenigsten der Begnadigung teilhaftig werden lasten wollte.