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Wilsdruffer Tageblatt : 07.12.1932
- Erscheinungsdatum
- 1932-12-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-193212071
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19321207
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19321207
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1932
-
Monat
1932-12
- Tag 1932-12-07
-
Monat
1932-12
-
Jahr
1932
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 07.12.1932
- Autor
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Anterhaltungs-Stunde Sein Opfer. Der Wirklichkeit nacherzählt von Georg Eschenbach. Ein Mann schritt unter den entlaubten Bäumen die Landstraße entlang. Er mußte weit gewandert sein, denn seine Hosen waren geflickt und ausgefranst, und die Bart stoppeln standen ihm'struppig im Gesicht. Sein Schritt schien müde, vielleicht auch nur zögernd. Seine Augen waren voll Erwartung auf das Dorf gerichtet, das von Pappeln umringt vor ihn? auftauchte. Er sah wie ein Mensch aus, der nach vielen Jahren eine ihm früher liebe Stätte wieder betreten soll und sich doch vor dem Wieder sehen fürchtet, weil er nicht weiß, was ihn nach so langem Fernsein erwartet. Hundert Schritt vor den ersten Häusern blieb der Mann stehen. Am Straßenrand erhob sich zwischen dürftigen kahlen Büschen ein Denkstein. Er war so armselig wie seine Um gebung, wie das Dorf hinter ihm. Der Wanderer stutzte. Und dann las er aus den einfachen Lettern des Steins, die einmal vergoldet gewesen waren, daß dieses Denkmal zur Erinnerung an diejenigen aus der Gemeinde Tisza-Kotai errichtet worden sei, die im Kampf um ihr ungarisches Vater land fielen. Da wachte das Leben in dem Manne auf. Er reckte den Kopf vor und fuhr mit dem Finger über die eingehauenen Lettern, als könnte er so die Namen, die nun kamen, besser buchstabieren. Und dann ließ er die Hand sinken: „Also doch! Andor Asztalos! Hier steht es: Gefallen!" Er stand lange unschlüssig und mit gebeugtem Kopf. Er sprach ein Paar Worte mit sich selbst: „Kehr um! Es ist ja jetzt zwecklos." Und doch blieb er stehen, als könnte er sich nicht von diesem Denkmal trennen. Das Bellen eines fernen Hundes dort hinten im Dors weckte ihn aus dem Grübeln. Er hob den Kopf mit Plötz lichem Entschluß: „Nein, ich bleibe. Einmal wenigstens will ich die Frau sehen, die Vilma!" So betrat er das Dorf. Er sah nach rechts und nach links, und das Erkennen dieses und jenes Hauses flog über sein Gesicht. Vor einem Hof blieb er stehen. Langsam, zögernd trat der Mann näher. Er legte die Hand auf die Gartenpforte, unschlüssig, ob er eintreten sollte. Dann hob er mit raschem Entschluß doch den Riegel, klopfte an die Haustür. Eine stämmige Frau in den dreißiger Jahren öffnete. Sie war noch schön in ihrer gesunden Stattlichkeit. Sie sah ein wenig gleichgültig auf den Verschlissenen: „Was soll es sein?" Die Antwort kam nicht sofort. Die Frau fragte auch nicht gleich zum zweiten Mal. Denn sie iah den Mann mit plötzlichem Erstaunen an. Doch das Zögern Lauerte nur einen Augenblick. Sie wischte sich mit der Hand über die Stirn, als wollte sie einen unnützen Gedanken rasch verjagen. Dann forderte sie exneut Auskunft: „Was soll es sein?" Der Mann hatte eine rauhe Stimme: „Ich wollte... ich habe keine Arbeit... ich möchte ... kann ich nicht eine Nacht..." Die Frau sah an ihm herunter, sah seine aus getretenen Schuhe und schnitt ihm das Wort ab: „Ja, eine Gesindekammer ist leer. Du kannst heute Nacht hier bleiben, denn es wird bald dunkel sein." Er hielt den Atem an, als er in das Haus trat. — Aus der einen Nacht, die der Fremde bleiben sollte waren schon viele geworden. Denn die Frau hatte sich mn ihrem Mann über ihn unterhalten: „Er hat keine Heimat, und er tut mir leid. Wir können ihn doch beschäftigen, Bela Ich habe das Gefühl, daß es ein anständiger Mensch ist trotz seiner Lumpen, und so kommt er vor dem Winter von der Landstraße fort." Bela Gevay sagte Ja. Der Fremde nannte sich Ferenc. Er war ein stillet Mann und sprach auch nicht viel mit den Knechten. , Nur einmal, als das Gespräch auf die Frau kam, wollte er vor ihr hören: „Ist sie schon lange verheiratet?" — „Bela Gevah ist ihr zweiter Mann. Der erste, dem auch der Hof gehörte, Andor Asztalos, starb als Gefangener in Rußland. Sie Hai vielleicht gehofft, die Nachricht sei doch nicht wahr. Sr wartete sie sechs Jahre. Sie war ganz jung gewesen, als sic Andor nahm, und es soll eine große Liebe gewesen sein." Mehr wollte der neue Knecht anscheinend nicht wissen. Denn er stand auf und ging hinaus. So unvermittelt, das die anderen die Köpfe schüttelten und mit dem Finger an ihre Schläfe zeigten: „Er ist eben ein wenig komisch dort oben." — Auch mit der Frau sprach Ferenc nur wenig. Er tat, was sie ihm sagte. Es war nicht viel, was sie anzuweisen hatte, denn er schien immer zu wissen, was sie von ihm wollte, ohne daß sie es auszusprechen brauchte. Es war wie ein stummes Verständnis zwischen den beiden, und doch blieb immer die Schranke zwischen Herrin und Knecht. Doch einmal überraschte die Frau den Ferenc bei einem Blick, der ihr das Blut heiß durch die Adern jagte. Er schlug die Augen gleich nieder, als sie aussah, aber- er hörte ihr schweres Atmen. Er wollte wohl gehen, doch die Frau hielt ihn zurück: „Ferenc, Ferenc... was ist mit uns beiden? Ferenc... wer bist Du?" Sie hatte seine Jacke mit beiden Händen gepackt und zwang ihn, ihr ins Gesicht zu sehen. Ihre Blicke kreuzten sich für Sekunden. Der Mann schwieg. Er fuhr in verhaltener Erregung mit den Händen über den Stoff seiner Hose. Dann wollte er den Kops ab wenden und gehen. Doch die Frau zwang ihn zurück: „Ich habe Deine Auger gesehen. Du bist Andor!" „Ja." Sie standen sich schweigend gegenüber, und die Freud« verjüngte das Gesicht der Frau um Jahre. Da riß Andor sie an stch und küßte sie auf den Mund Fünfzehn Jahre lang hatte er von diesem Augenblick geträumt, fünfzehn Jahre der Gefangenschaft. Und die Frau gab sick ihm willig hin. Doch Plötzlich fiel aus ihrem Mund ein Wort des Ent- setzens: „Bela!" „Bela!" sagte auch Andor. „Bela!" Und er wußte, wat dieses eine Wort bedeutete: „Weg, weg, Du hast kein Rech mehr in diesem Haus!" So ließ er die Frau stehen und ging mit müden Schritt. — Am andern Morgen kletterte er aufs Dach. Er sagte dort oben hätten sich durch den Wind ein paar Pfannen der schoben. Doch er kam nicht dazu, den Schaden auszubessern oenn er glitt aus und schlug hart mit dem Kopf auf den Rani des Brunnens auf. Er starb ein Paar Minuten später. Die Knechte auf dem Hof zuckten die Achsel: „Er wai eben immer ein wenig ungeschickt." Die Frau schloß sich eine Stunde lang in ihrer Kamms: ein. Als sie wiederkam, um aus der Truhe auf dem Flm das Leinen für das Totenhemd zu holen, sah das Gestndi zum ersten Mal, daß ihr schwarzes Haar von grauen Strähnen durchzogen war. Die „Schwarze Ferkel"-Runde untersucht die Erdgestalt. Eine lustige Strindberggeschichte von Alfred Hein. In den literarisch kriegerisch-bewegten Jahren 1892 und 1893 hatten deutsche Freunde Strindberg nach Berlin geholt. Schon waren die beiden in Frauenhaß anklagenden Dramen des Schweden „Der Vater" und „Fräulein Julie" von der Freien Bühne aufgesührt. Der Berühmte erschien trotzdem unglücklich und mißtrauisch, von Geldnot verfolgt, an der Spree und ließ sich zunächst einsam und wie fast immer mit der Welt zerfallen in Friedrichshagen nieder. Doch heiterte bald die viel besungene Tafelrunde im „Schwarzen Ferkel" in der Wilhelmstraße den Dichter ans. Hier fand er den norwegischen Maler Edward Munch, die nordischen Dichter Adolf Paul und Holger Drachmann, den Polen Prszybhszewski und das deutsche Dreigestirn Richard Dehmel, Otto Erich Hartleben, Karl Ludwig Schleich. Wenn diese erlesene Runde allein versammelt war, öffnete Strind berg den Freunden die sonst ängstlich verschlossen gehaltene Seele, ja er begann mit Schleich um die Wette Lieder zur Gitarre zu singen, und restlose Glückseligkeit spiegelte sich auf dem Dichterantlitz, wenn nach Mitternacht Prszybhszewski sich ans Klavier setzte und mit Schumanns „Ausschwung" dir Seelen emporriß. Denn er liebte wie Kleist und Shakespeare die Musik über alles. Strindberg verlebte — er hatte sich gerade von seiner ersten Frau scheiden lassen — in Berlin das glücklichste Jahr seines Lebens. Nur wenn in den fröhlichen Kreis des „Schwarzen Ferkels" neugierige Fremde eindrangen, ver schwand der Dichter mit seinen deutschen Busenfreunden Otto Erich und Karl Ludwig, um in einem kleinen Nebenzimmer tiefsinnige Gespräche zu führen. „Warum haßt Du die Frauen?" fragte Otto Erich Hart leben einmal bei solcher stillen Gelegenheit, als Strindberg gerade ein schwedisches Liebeslied vor sich hin summte. — „Vielleicht", äußerte der Dichter leise, und das sonst gewöhn lich offiziersmäßig bärbeißige Gesicht mit dem Katerschnurr bart erhielt schöne verträumte Züge, „weil ich sie zu sehr liebe... Weil ich in jeder.Frau, für die ich mich begeistere, das weibliche Ideal suche und mich, wie es nicht anders sein kann, bald jämmerlich enttäuscht sehe." „Mensch, machst Du Dir das Leben unbequem!" prostete ihm Otto Erich zu. Karl Ludwig meinte, er müsse zwar als Mediziner, von der Unvollkommenheit der menschlichen Fähig keiten überzeugt, Strindbergs Streben nach den Idealen für ! geradezu unnormal erklären; jedoch werde man bald erkennen, daß der Dichter mit seiner Nietzsche-Peitsche zum mindesten zur Vervollkommnung fraulichen Fühlens und Liebens bei getragen habe. Denn nicht die, um mit Goethe zu sprechen, bringen die Welt vorwärts, die sich im Ueblichen und Breit getretenen zurecht finden, sondern jene, die wie Strindberg immer wieder das menschlich Unmögliche von ihr ertrotzen Wollen. Otto Erich konnte sich aber noch immer nicht beruhigen > und fragte Strindberg, ob er denn glaube, je eine vollkommene i Frau zu finden, er, der sonst von nichts überzeugt sei, was er nicht mit eigenen Augen gesehen und erkannt habe. Obwohl alle drei schon viel getrunken hatten, schwieg ! Strindberg plötzlich sein von den Freunden als unvergeßlich s und unnachahmlich geschildertes würdiges, in sich zurück- I gezogenes Schweigen. Karl Ludwig Schleich fürchtete, Strind berg würde im nächsten Augenblick hochspringen und, wie es dann seine niemand schonende Art war, einsach grußlos davon laufen. Er lachte daher jäh hell auf, klopfte dem Dichter auf die Schulter und sagte: „Ja, unser großer August, er glaubt bestimmt nicht einmal, daß unsere Erde eine Kugel ist." Strindberg trank sein Glas aus, sah über die beiden Köpfe der Freunde hinweg in die Ferne und zischte dann verächtlich unter seinem Schnauzbärtchen hervor: „Das ist ja alles Bücherwissen. Wer von Euch will mir das ernsthaft beweisen?" Der dicke Hartleben preßte seine Hängebacken sinnend in den hohen steifen Kragen, den man dazumal trug, so daß sich ein dreisaches Kinn bildete, und sprach: „Det wollen wir gleich haben. Jetzt ist es halb drei Uhr nachts, da ist die Friedrich straße vom Belle-Alliance-Platz bis zum Stettiner Bahnhof wie leergesegt. Ick nehme den langen Besen vom Schwarzen- Ferkel-Wirt und stelle mich an der Kreuzung Leipziger Straße auf. Ihr aber legt Euch Unter den Linden auf den Bauch und gebt «ht, wie mein Besen gleich einem Segel auf dem weiten Meer langsam entschwindet, wenn ich mich auf den Belle-Alliance-Platz hin zurückziehe..." Das Trio war so weinfröhlich, daß der Vorschlag zur Tat wurde, zumal Strindberg keineswegs im Scherz, sondern immer wieder mit eigensinnigen Gegenbeweisen an seiner vorgefaßten Meinung festhielt. Schleich und Strindberg legten sich wahrhaftig im Morgengrauen Unter den Linden auf den Bauch und hielten nach dem besenbewaffneten Hartleben Aus schau, der sich langsam nach der Leipziger Straße entsernte und schließlich dort postierte. Schleich begann Strindberg einen wissenschaftlichen Vortrag über die Erdkrümmung zu "halten. Tie Demonstrationen durch Otto Erichs Besen aber miß langen, weil der Dichter des „Rosenmontag" doch schon so vollgeladen hatte, daß es ihm nicht mehr möglich war, an der Leipziger Straße still zu stehen. Strindberg wurde über den Wankenden wütend und brüllte mit einer Stimme, die einem Oberst aus den Schweden heeren des Dreißigjährigen Krieges Ehre gemacht hätte, die Friedrichstraße wett hinunter einen echten schwedischen Fluch. Darob hielt zwar Otto Erich in seinem Schwanken nicht inne, aber vom Brandenburger Tor her kam auf das Gebrüll des Dichters eine berittene Schutzmann-Patrouille angerast, und im nächsten Augenblick wurden Schleich und Strindberg aus ihrer wissenschaftlichen beobachtenden Bauchlage von harten Polizistenfäusten emporgerissen. So hat die Preußische Polizei, die im übrigen, nachdem Karl Ludwig Schleich sich und seine Gefährten legetimiert hatte, das seltsame Dreimänner-Kollegium ungeschoren ließ, auf dem Gewissen, daß Strindberg gestorben ist, ohne an die i Kugelgestalt der Erde zu glauben. Corrida de Toros. Skizze von Alexander von Keller- Wien. „Eldictador ... Elimparcial... Corridadetoros ..." schrien die Zeitungsjungen und huschten vorbei, als fürchteten sie, irgend wohin zu spät zu kommen. Ich lag vor der alten Kirche in Zacatecas in Mexiko. Neben mir saß der Berliner Ingenieur.Walter Kruse. Wir be trachteten die Menschen. Rote Ponchos, hellblaue Rebozos, Weiße schwarze und gelbe Gewänder verwoben sich im Licht zu wandernden, farbigen Klecksen unter der Sonne, die ihre Strahlen unerbittlich zur Erde schleuderte. Unter den alten Bäumen war es trotzdem kühl. Die Blumen wiegten sich leise im Winde. Zierliche Kolibris flitzten durch die Luft und flatterten wie Schmetterlinge. Die Blüten dufteten betäubend, und das Wasser der Springbrunnen führte ernste, geflüsterte Selbstgespräche. Wir träumten, bis Kruse aufsprang. Er war manchmal ruhelos und neugierig, und das Wort „Corrida" riß ihn fort. „Das müssen Sie sich ansehen", sagte er -und zog mich hinaus in die Sonne. Wir trabten durch die Stadt, die lange Alameda hinab — mitten in einer Menschenmenge. Es waren Spanier, Indios und zwischen ihnen die dreiundzwanzig MWungsProdukte, die sie im Lause der Jahrhunderte geschaffen. Von einer nahen Hazienda ritt der Patron — hinter ihm seine Administradores, hinter diesen ihre sechshundertfünsundzwanzig Ayudantes. Es war ein Glück, daß die keine Begleitung mehr nötig hatten. Wir kamen an die Kartenschalter, kleine turmähnliche Ge bäude mit Schießscharten. Mit den Fingerspitzen reichte inan das Geld hinein — mit den Fingerspitzen schob der unsichtbare Kartenverkäufer die Karten heraus. Alles praktisch angelegt, damit niemand den Revolver hineinschieben kann... Mexiko ist das Land der Sonne. Für den Schatten muß man zahlen. Die Plätze in der Sonne — Sol — kosteten drei Pesos, die im Schatten — Sombra — zehn. Vor uns stand ein riesiger, schmuckloser Holzbau. Wir gingen durch eine Kette von schwerbewaffneten Soldaten, eine weitere Kette schwatzender Indios, und dann standen wir be täubt in der riesigen Arena — betäubt vom Licht und von Farben, vom Brüllen und Schreien. Irgendwo ganz oben sind unsere Plätze. Ein alter Herr, in einem anderen Land ein würdiger Senator, zeigt zwischen den Sitzen umher, hält einen Trichter an den Mund und brüllt; er brüllt, was ihm gerade einsällt, vollkommen würde los und lächerlich. Er ruft den Leuten auf der Sombra-Seite Beleidigungen zu. Von drüben antwortet ein zweiter Methu salem, und das Publikum gröhlt. Endlich ebbt der Lärm ab. In eine weit in die Arens geschobene Loge tritt der Alkalde, neben ihm ein Trompeter. Ein langgezogenes Trompetensignal. Eine Tür an der Sombra fliegt auf, und die Stierkämpfer ziehen in die Arena. Faschingsumzug. Bon der Höhe sehen sie bum aus. Hinter ihnen traben zehn angeschirrte Maultiere — das Todes gespann; sie werden den toten Stier aus der Arena schleifen. Ein langweiliges Tücher- und Hüteschwenken — ein endloses Geschrei — alles zusammen erinnert an Szenen auf einem Bahnhof am Sonntagnachmittag. Dann ein zweites Signal — da ist der Stier auch schon in der Arena. Er senkt den Kopf, trommelt mit den Vorderfüßen und schwenkt den Schweif. Das ist seine Begrüßung. Das Publikum brüllt; der Stier bleibt regungslos stehen und lauscht. Er scheint den Eindruck zu haben, daß es Geschöpfe in seiner Nähe gibt, die dem Tollhaus entsprungen sind. Die Capeadores schleichen um ihn herum wie bösartige Hunde. Sie winken mit bunten Tüchern und geben sich alle Mühe. Der Stier dreht sich um und geht in eine Ecke. Ein Schatten nähert sich ihm von rückwärts, ein Mann zu Pferd mit einer langen Lanze. Er reitet ein elendes Pferd, das widerwillig vorwärts geht. Aber der Stier hat Mitleid mit der Kreatur. Er beschnüffelt den Gaul, senkt den Kopf und bleibt ruhig... bis ihn der Picador mit der Lanze ins Genick zu stechen beginnt, bis das gequälte Tier sein Mitleid vergißt und wie aus einer Kanone geschossen gegen das Pferd anrennt. Ein dumpfer Krach — das Roß liegt am Boden, und der Stier stürmt weiter, gegen die Capeadores, die ihren Heldenmut vergessen und blitzschnell über die Holzplanken klettern. Das Pferd wird abgeschleppt, und der Stier trabt lang sam in die Mitte der Arena. Er mustert mit kleinen, wilden Augen die lächerlichsten Figuren des grausamen Spiels: die Banderilleros. Er sieht sich die Leute genau an — stürzt plötz lich vor, mit donnernden Husen, und jagt die Nachfolger Don Quichottes über die Planken. Er trabt einmal um die Arena. Da kommen die Banderilleros zurück, und nun geht es blitz schnell. Wütend versucht der Stier den Stichen der Bande rilleros zu entkommen. Aber es sind ihrer zu viele. Sie fallen ihn von allen Seiten an; sie quälen ihn, bis er schwer atmend stehen bleibt und unwillig den Kopf schüttelt. Ein Trompeten stoß — der Toreador steht vor dem müden, abgehetzten, ver zweifelten Tier. Ein rotes Tuch flattert, wird jäh weggezogen. Eine lange Klinge blitzt in der Sonne und verschwindet. Ein langer, jammernder Schrei fliegt durch die Stille. Der Stier hebt den schweren Kopf und sieht hilflos umher. Er sucht ver gebens nach Menschlichkeit. Er schüttelt sich, tritt einen Schritt zurück und bricht mit dumpfen Krach nieder. Die Hölle ist los. Das Publikum rast vor Begeisterung. Hüte, Uhren, Ringe, Armbänder, Fächer, Handschuhe, Blumen, Münzen fliegen in die Arena. Walter Kruse steht neben mir, brüllend wie ein Seewart, und schleudert Gegenstände in die Tiefe. Wir stehen wieder im Hellen Sonnenlicht auf der Straße. Pfui Teufel — ich fühle einen salzigen Geschmack auf der Zunge, und ein tiefer Ekel überkommt mich. „Ihre Be geisterung", sage ich grollend zu Kruse. „Ich muß sagen..." „Ah", meint Kruse, „das war eine Kleinigkeit. Ich habe dem Toreador nur zwei Schuhe, einen Hut, eine Weste, einen Trichter, eine Jacke, eine Hose und eine Tabaksdose zu geworfen." „So? Ich bedauere Sie wirklich." „Mich?" lacht Kruse dröhnend. „Bedauern Sie lieber den alten Kerl, der neben mir gesessen und so begeistert getan hat! Die Sachen gehören nämlich ihm." Humor. Tin junger Landrat hatte bei Friedrich dem Großen in einer Audienz eine Anstellung erlangt, nachdem er sich erboten hatte, einen Monat kostenlos zu arbeiten. Nach einem Monat erschien der junge Landrat wieder vor Friedrich mit der Bitte, ihm nun ein entsprechendes Gehalt zu gewähren. Der „Alte Fritz" sagte: „Wieviel bekommt Er jetzt?" „Nichts, Majestät!" war die kurze Antwort. „So werde ich Ihm vom Ersten an sein Gehalt verdop peln", war der Bescheid des Königs. „Wir müssen uns eine Büste für den Flügel kaufen", sagW sie. „Soll ich Mozart oder Beethoven nehmen?" — Nimm lie ber Beethoven", riet er, „der war taub."
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