Volltext Seite (XML)
MbnOrAMüt Nationale Tageszeitung für die Landwirtschaft Nr. 283 — 91. Jahrgang Wilsdruff-DreSden Telezr.-Adr: „Amtsblatt" Postscheck: Dresden 2640 Sonnabend, den 3. Dezember 1932 für Bürgertum, Beamte, Angestellte u. Arbeiter werden nach Möglichkeit Fernsprecher' Amt N tage und Platznorschrisien annahme bisvorm.IVUHr. — , . «INI LVllSorUfs Nk. v berücksichtig«. Anzeigen. Das „Wilsdruffer Tageblatt» erscheint an allen Werktagen nachmittags 8 Uhr. Bezugspreis monatlich 2,— RM. tret Haus, bei Postbestellung 1,8V AM. zuzüglich Bestellgeld. Einzelnummern 10 Apsg. Alle Postanstalten und Post boten, unsere Austräger u. -- Geschäftsstelle, nehmen zu lederZeit Bestellungen ent- Wochenblatt für Wllsdiuff u. Umsiegend gegen. Im Falle höherer Gewalt, Krieg od. sonstiger —— Betriebsstörungen besteht kein Anspruch aus Lieserung der Zeitung oder Kürzung des Bezugspreises. Rücksendung cingesandter Schriftstücke -r nu-, wenn Rückporto beiliegt. -------- ^^7'^ Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtskauutmannf^nkt . geeicht- und des S.ad.r-t- zu Wilsdruff, des Forftrenlam.s Tharandt und d-s Va7zamck N°^ Schleicher bei äer Kabinettsbildung Don Papen zu Schleicher. Zum zweitenmal, seit das Deutsche Reich besteht, ist ein General zum Reichskanzler gemacht worden. Der Nachfolger Bismarcks, General von Caprivi, bat immer erklärt, das; er nur einem Befehl seines kaiserlichen Herrn gefolgt sei. Bei der Berufung des Generals d. Schleicher spielte natürlich das persönliche Verhältnis zu Hindenburg ebenfalls eine große Rolle. Daß lediglich ein Mann des persönlichen Vertrauens Hinden burgs für die Reichskanzlerschaft in Frage kommen konnte, nachdem die Kandidatur Hitlers als Führer eines Präsidialkabinetts abgelebt« worden mar, konnte man seit Tagen als selbstverständlich ansehen In Frage kamen infolgedessen nur die Herren von Papen nnd von Schleicher. Beide kamen in langen Verhandlungen mil den Parteien und den großen Organisationen der Wirt schaft zu einer gewissen Klärung der Lage in positivem und negativem Sinne. Hier erhielt Schleicher, dort Papen eine Zusage oder eine Ablehnung, hier hörte Schleicher, daß man ein Präsidialkabinett Papen unterstützen oder ein Kabinett Schleicher billigen werde, dort erfuhren si< das Umgekehrte oder das Gegenteil. Herr von Paper hatte schließlich darum gebeten, ihn nicht wieder zmr Reichskanzler zu machen: denn es war damit zu rechnen Laß der Reichstag nach seinem Zusammentritt genau sc scharf oder noch schärfer gegen Papen als Reichskanzlei Stellung nehmen und sich dadurch der innenpolitische Konflikt zwischen Reichspräsident und Volksvertretung noch mehr znspitzen würde. Seit dem Augenblick, als die innenpolitische Krise mil der Demission des Kabinetts Papen ansbrach, hat bei Reichspräsident alle nur erdenklichen Versuche gemacht, eine Brücke zum Reichstag als der Vertretung des deut schen Volkes hinüberzuschlagen. Daß es mißglückte, war nicht seine Schuld. Die Bildung eines neuen Präsidial kabinetts blieb infolgedessen als einziger Answeg übrig. Und dieses Kabinett sollte und konnte nur die Aufgabe haben, das deutsche Volk über den Krisenwinter hin wegzubringen. Die Regierung Schleicher will und soll nun diese Aufgabe zu erfüllen versuchen. Der neue Reichskanzler ist parteipolitisch „unbelastet*. Er ist der erste General, der aber eine politische Aufgabe und Stellung erhielt dadurch, daß für ihn das „Ministcr- amt im Reichswehrministerium" geschaffen, er also zum ersten Staatssekretär in diesem Ministerium gemacht wurde. Damit wurden ihm im wesentlichen politische Aufgaben übergeben, und es war fast eine Selbstverständ lichkeit, daß er der Nachfolger des Reichswehrministers Groener geworden ist. Schön sein früheres Amt brachte es mit sich, daß er mit den Exponenten aller politischen Strömungen von rechts bis links mehr oder weniger gute, aber offene Verbindungen auf nahm und Pflegte, daß man ihn als die „Sphinx in der B e n d l e rstr a ß c"" bezeichnete, wo das Reichs- wchrministerium seinen Sitz hat, mag darin seinen Grund haben, daß der General v. Schleicher zwar jeder Meinung und Ansicht sein Ohr lieh, aber es selbst sorgfältig vermied, feine politischen An- und Absichten kundzugeben. So etwas ist in unserer Zeit der Vielrederei allerdings etwas „Sphinxartiges"! Auch über sein P ro g r a mm als Kan z l er hat Herr d. Schleicher bisher nichts Bestimmtes verlauten lassen; von diefcm Programm wird es aber wesentlich abhängcn, wie die Aussichten des neuen Reichskanzlers zu beurteilen find. Außenpolitisch hat v. Schleicher als Reichs wehrminister wiederholt betont, daß die Wiedererlangung der Wehrhoheit für ihn ein Hauptziel ist. Da für will er aber nicht bloß die außenpolitischen Vor aussetzungen allmählich durch diplomatische Verhand lungen herbeiführen, sondern er will den Gedanken der Wehrpflicht wieder in das deutsche Volk Hinein bringen. Darum begrüßte und förderte er die Be strebungen der Kreise, die den Wehrgedanken tatkräftig Pflegten. Innenpolitisch ist die Öffentlichkeit über die bis herigen Auffassungen v. Schleichers sehr wenig unter richtet. In einer Rundfunkrede im letzten Sommer hat Herr v. Schleicher erklärt, die Reichswehr sei nicht dazu da, „überalterte Besitzformen" zu schützen. Das klang nach Formulierungen bestimmter Kreise, die von einem „Sterben des Kapitalismus" reden und daher eine „Plan- tvirtfchaft" fordern. . Der neue Kanzler wird sich bald äußern müssen, wie er feme Hauptaufgabe lösen will, nämlich Arbeit zu schaffen für fünf Millionen Deutscher. * Hugenberg beim Reichspräsidenten. Wie angekündigt, hat am Freitag nachmittag der Empfang des Führers der Deutschnationalen Volkspartei, Dr. Hugenberg, durch den Reichspräsidenten von Hinden burg zu einer Besprechung über die politische Lage statt gefunden. SHlricherMel dieMchsregieriW Nach einer Regierungskrise, die länger als vierzehn vgge gedauert hat, hat Reichspräsident von Hindenburg am Freitag endlich General von Schleicher zum Reichs- kanzler ernannt. über die zum Teil dramatisch zugespitzten Vorgänge, die sich kurz vor der Betrauung Schleichers als Kanzlei zugetragen haben, wird von zuständiger Seite noch folgendes bekannt: Papens Verzicht. Am Donnerstagabend und Freitagvormittag hat Herr von Papen dem Reichspräsidenten eingehenden Bericht über die politische Lage erstattet, wie sie sich nach scinei Ansicht darstcllt. Er hat dabei den Vorschlag gemacht, von seiner Wicderbetrauung abzusehcn und den Reichswehr- Minister Schleicher mit der Kanzlerschaft zu betrauen. Her, von Papen hat geglaubt, seine Person hinter die Erfordcr- nissc der jetzigen politischen Lage zurückstcllen zu sollen, weil er sich eine Entspannung davon verspricht, wenn Herr von Schleicher die Bildung des Kabinetts übernimmt, wo bei er hoffte, daß man ohne Konflikt mit dem Reichstag auskommen könne. Der Reichspräsident hat erst nach langen Erwägungen und schweren Herzens sich dazu bereit erklärt, sich von Herrn von Papen zu trennen. Er hat ihn s e i n e s V e r - traue nsvcrsichert und ihm den wärmsten Dank für die von seinem Kabinett geleistete Arbeit ausgesprochen. Der Reichspräsident hat aber geglaubt, sich den ihm vor- gctragcncn Gründen nicht verschliessen und alle seine per sönlichen Wünsche hinter die sachlichen Notwendigkeiten zurttüstcllcn zu sollen. Oie Vorgeschichte der Beauftragung Schleichers. Die Betrauung Schleichers mit der Kabinettsbildung ist tatsächlich völlig überraschend gekommen. Auf Grund der am Donnerstag erfolgten Be sprechung zwischen dem Reichspräsidenten, von Schlei cher, Meißner und von Papen stand es so gut wie fest, daß der Reichspräsident Herrn von Papen mit der Neubildung des Kabinetts zu beauftragen gewillt sei. Die Besprechung hatte ergeben, daß das Programm der beiden Kanzlerkandidaten sich außerordentlich ähnlich war. Unter diesen Umständen glaubte der Reichspräsident um so weniger Anlaß zu haben, sich von Herrn von Papen zu trennen. Die Entwicklung nahm aber einen ganz über raschenden Verlauf. In einer Sitzung des geschäftsführen den Kabinetts, die in den frühen Vormittagsstunden des Freitags stattfand, wurden eingehend die außerordentlichen Gefahren besprochen, die eine Kanzlerschaft des Herrn von Papen mit sich gebracht hätten mit Rücksicht auf die allgemeine Volksstimmung. Nachdem dies in der Besprechung klar zum Ausdruck gekommen war, teilte Herr von Papen aus eigenem Entschluß mit, daß er es unter diesen Umständen für richtig halte, wenn er verzichte und Herrn vo-n Schlei cher die Führung des neuen Kabinetts überlasse. Er dürfte dies in der Überzeugung getan haben, daß sein Rücktritt die politische Entspannung mit sich bringt, die im Interesse des Ganzen zu wünschen ist. Uber die Sitzung des Kabinetts Papen wird noch »netter bekannt, Last sich die Reichsminister Dr. Bracht, Graf Schwerin-Krosigk, Professor Dr. Warmbold sowie Professor Dr. Popitz gegen eine Rückkehr des Kabinetts Papen ausgesprochen haben. Diese vier Minister haben auch betont, daß sie nicht dazu bereit wären, in einem Kabinett Papen wcitcrzuarbciten. Verständigungskabineit Schleicher. Wie in gutunterrichteten Kreisen verlautet, faßt Reichswehrminister von Schleicher seinen Auftrag zur Regierungsbildung dahin auf, ein Verständigungskabineit und nicht ein Kampskabinett zu bilden. Die Kabinetts bildung dürfte spätestens am kommenden Montag ab geschlossen sein, so daß sich Neichsanßenminister von Neurath zu diesem Zeitpunkt auch nach Genf begeben könnte. An zuständiger Stelle wird im Zusammenhang mit der Kabinettsbildung hervorgehoben, daß derDraht zu den Nationalsozialisten noch nicht abgerissen sei. Wie Herr von Schleicher allerdings die Fäden zu den Nationalsozialisten fester knüpfen will, ist noch sein Geheimnis. Von der Reichspressestelle der NSDAP, wird nämlich erneut erklärt, daß die Nationalsozialisten jegliche Tolerierung eines Kabinetts Schleicher klar und unzweideutig ablehnen. Die NSDAP, beziehe sich dabei auf ihren klar umrissenen Vorschlag zur Lösung der Re gierungskrise, den Hitler dem Reichspräsidenten unter breitet habe und der den einzig möglichen Weg darstelle, eine Regierung der nationalen Konzentration durch den Volkswirten zu fundieren. Herr von Schleicher soll übrigens besondere Vollmachten vom Reichspräsidenten weder ver langt noch angeboten bekommen haben. Er soll der Überzeugung sein, daß er einen Konflikt mit dem Reichstag vermeiden kann nnd daß er eine baldige Ver tagung des Reichstags erreichen wird, um die Zeit für die notwendigsten Arbeiten zu gewinnen. Oas Programm der neuen Regierung. Der neue Reichskanzler wird in einer Erklärung, die :r möglichst vor dem Reichstag abgebcn will, das politische Programm seiner Negierung dahin zusammenfassen, das? sie von dem Kabinett von Papen angeschnittenen Ver» fassungsfragen zurückgestcllt werden sollen, und daß nach Möglichkeit jeder Konflikt mit dem Reichstag vermieden werden und eine Zeit des politischen Waffenstillstandes erreicht werden soll. Er wird erklären, daß das Kabinett den größten Wert auf die Durchführung der inneren wirtschaftlichen und sozial politischen Maßnahmen legt. Weiter wird der neue Reichskanzler von Schleicher Mitteilen, daß das Kabinett von den wirtschaftspolitischen und sozialpolitischen Notverordnungen des Kabinetts von Papen denjenigen Teil, der sich auf S e n k u n g d e r Tariflöhne bei Neueinstellungen bezog, aufheben wird, und zwar durch eine neue Notverord nung des Reichspräsidenten. Es ist möglich, daß diese Abänderung der Wirtschaftsverordnnng des Reichs präsidenten bis zur Aufhebung aller lohn politischen Bestimmungen geht, denn es wird erklärt, daß der neue Reichskanzler zwar nicht mit den bekannten Forderungen der sozialdemokratischen Freien Gewerkschaften einverstanden sei, aber einen Teil dieser Forderungen auch als berechtigt anerkenne. Man behauptet, daß auch das alte Kabinett schon die Aufhebung eines Teils der lohnpolitischen Bestimmungen der großen Notverordnung beschlossen habe. AnderEinsetzungdesReichskommissarS in Preußen wird sich zunächst nichts ändern. Die Ver ordnung über die Einsetzung des Reichskommissars Hw ausdrücklich vorgesehen, daß der „Reichskanzler" Reichs- kommissar in Preußen ist. Diese Aufgabe geht automatisch von Papen an Schleicher über. Dr. Popitz bleibt Reichs minister ohne Portefeuille. * Die RSDAP. lehni Tolerierung Schleichers ab. Die parteioffiziöse Münchener Nationalsozialistische Korrespondenz schreibt zur Betrauung Schleichers u. a.: Obwohl die NSDAP, ihre Haltung zu einem Kabinett Schleicher in den letzten Lagen wiederholt zum Ausdruck gebracht und die Tolerierung eines solchen Kabinetts durch die nationalsozialistische, Bewegung als nicht gegenüber dem Volke vertretbar erklärt hat, nähren gewisse, an einem solchen Kabinett interessierte Kreise und Zirkel immer noch die Hoffnung, daß die NSDAP, nun in irgendeiner Form eine Unterstützung geben würde. Um von vornherein alle Unklarheiten aufzuräumen, wiederholen wir heute: Die NSDAP, lehnt jede Tolerierung eines Kabinetts Schleicher als mit dem Willen des Volkes nicht vereinbar klarund unzwei deutig ab. Die NSDAP., die als größte nationale Volks bewegung der deutschen Geschichte heute allein ein Drittel des ganzen deutschen Volkes vertritt, ist nicht nur jederzeit bereit, ditz Verantwortung zu übernehmen, sondern wird ihrerseits nichts unversucht lassen, damit die verantwortliche Staatsführung, die sie zur Rettung des Volkes unumgänglich braucht, in ihre Hand gelegt wird. Daher wird und muß die NSDAP, jedes Kabinett bekämpfen, das dieser einzig möglichen Entwicklung zu geordneten und gesunden Verhältnissen in Deutschland den Weg versperrt. * Oie OTP. zum Kabinett Schleicher. Die Nationalliberale Correspondenz schreibt u. Die Deutsche Volkspartei wird sich, getreu ihrer Über lieferung hinter das vsm Vertrauen des Reichspräsidenten — nicht von den Parteien — eingesetzte Kabinett stellen, im übrigen aber die Einzelheiten feines Programms ab warten. Dieses Programm wird als Kernsatz umfassen: Brot und Arbeit, Ruhe und Ordnung im Innern zu schaffen und die nationale Freiheit nach außen hin zu vertreten. Wenn die Mehrheit des Reichstages daran mitwirken will, so ist es gut und erfreulich — im «deren Falle schaltet sich das Parlament selbst aus.