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Wilsdruffer Tageblatt 2. Blatt Nr- 273 — Dienstag, den 22. Nov. 1932 Tagesspruch. Die Wege, die dein Kind soll schreiten, Geh' ihm voran; Sonst wandelt's der Gelegenheiten Unsichre Bahn. Leichte Erdstöße in Westdeutschland und in Holland. Viel Aufregung, wenig Schaden. Die Bevölkerung des rheinisch-westfälischen Industrie gebiets ist in der Nacht vom Sonntag zum Montag durch Erdstöße in Schrecken versetzt worden. Die Erdbewegung war an vielen Orten so stark, daß die Möbel in den Wohnungen wankten und kleinere Gegenstände umfielen. An ein Erdbeben dachten aber zunächst nur wenige Be wohner des Industriegebietes: in Aachen zum Beispiel glaubten Leute, die durch die Erschütterungen aus dem Schlafe geweckt worden waren, daß sich Einbrecher im Hause befänden, und alarmierten das Überfallkommando Auch auf einer deutschen Wetterwarte war man, als die Seismographen Erschütterungen verzeichneten, zuerst nicht ganz davon überzeugt, daß man es mit einer richtigen Erderschütterung zu tun hat: man dachte vielmehr an eine Explosionskatastrophe, ein Bergwerksunglüü oder einen ähnlichen Vorgang. Während die Dauer der Erdstöße verschiedentlich nur zwei Sekunden betrug, erreichte sie in einzelnen Gegenden bis zu dreißig Sekunden, so daß viele Leute angstvoll auf die Straße liefen. Besonders heftig scheinen die Erdstöße , in Koblenz, Eschweiler und Düsseldorf gewesen zu sein. Im Dortmunder Stadtteil Mengede war das Gerücht verbreitet, daß eine in der Nähe gelegene Zeche explodiert sei. Die aus Westdeutschland gemeldeten Erdstöße sind auch in Miinster und im Münsterland verspürt worden. Die Stöße machten sich in kurzen heftigen Er schütterungen mit wellenartigem Zittern bemerkbar. An einzelnen Stellen der Stadt Münster hat das Beben leichte Beschädigungen hervorgerufen. oomnu« «KU »S«Ülikl. VE« vouu Das Erdbebengcbiet. MtPLü. liieren» vüukum l.ÜMG Unwesen , rirvuab , i -- uernoup H j Auch in Holland und in Belgien ist das Erdbeben verspürt worden. Größerer Schaden scheint aber nirgends entstanden zu sein. Der Herd des Bebens lag wahrscheinlich in der Bruchzone des Rheintales, die schon häufig Ausgangspunkt tektonischer Bewegungen gewesen ist. Der Leiter der Erdbebenwarte bei der Bergschule in Bochum erklärte, daß durchaus mit der Möglichkeit neuer Beben ge rechnet werden müsse. Irgendwelche ernste Gefahren für die Bevölkerung des Rheintales seien aber wohl aus geschlossen. Oeuische.Erdbebengebieie. Während in der Norddeutschen Tiefebene und auf der Bayerischen Hochebene sowie in den meisten Mittelgebirgen nur noch schwache Bodenbewegungen zu beobachten sind, werden andere Gegenden Deutschlands häufiger erschüttert. Oktober 1930 waren starke Erdbeben in der Oberrheinischen Tiefebene zu verzeichnen, im August 1929 im Vogtland. Ein weiteres Erdbebenzentrum in Deutschland sind Rieder- schlesien, wo es zur Zeit aber völlig ruhig ist, und die Gegend des Rheinischen Schiefergebirges sowie das Niederländische Becken. Danzig bekommt recht. Aber Polen brüskiert weiter. Die Entscheidung des Danziger Völkerbundkom missars Rosting über die schwebenden Zoll- und Wirt schaftsfragen wurde der Öffentlichkeit bekanntgegeben. Der Kommissar hat in seiner Entscheidung in den für Danzig wichtigen Punkten der Danziger Auffas sung Rechnung getragen. Von größter Bedeu tung für die Danziger Wirtschaft ist insbesondere seine Entscheidung, daß die Danziger Wirtschaft das Recht auf den Weiter bezug ihrer eigenen Bedarfs kontingente behält, solange nicht eine andere Be darfsdeckung möglich und garantiert ist, und daß Polen die Danzig-polnische Grenze weder gegen die in Danzig nationalisierten Waren, die durch Verarbeitung oder Be arbeitung von Kontingentwaren geschaffen sind, noch gegen die in Danzig rechtmäßig veredelten Waren sperren darf. * Von polnischer Seite wird nunmehr amtlich die Ein richtung der Wcch selkassen in Danzig zur Ein führung der Zlotyzahlungen auf den Dan ziger Eisenbahnen ab 1. Dezember verkündet. Während in Genf die Vorbereitungen für die Entscheidung auf Zulässigkeit der polnischen Handlungen noch im Gange sind, führt Polen zielbewußt schrittweise die Vorbereitung zur Einführung der Zlotywährung bei den Danziger Eisenbahnen durch. Auf die Brüskierung des Kommissars des Völkerbundes in Danzig durch die Art der Ablehnung seiner Vermittlung folgt also die Brüskierung des Völkerbundes. Gens wird sich nun entscheiden müssen, ob es sich diese Schädigung seines Ansehens ge fallen lassen will. Kurze politische Nachrichten. Gegenüber irreführenden Meldungen läßt Reichs wehrminister v. Schleicher feststellen, daß er seit dem September Adolf Hitler nicht mehr gesehen hat. Es war behauptet worden, daß er Hitler vor dessen erstem Empfang durch den Reichspräsidenten gesprochen hätte. Weiter war die Behauptung aufgetaucht, der Reichswehr minister hätte den Rücktritt des Kabinetts dadurch er zwungen, daß er Bedenken wegen der Zuverlässigkeit der Reichswehr bei einem Fortbestand des Kabinetts Papen geäußert hätte. Hierzu wird erklärt, daß Herr v. Schleicher niemals im Sinne dieser Behauptung die Reichswehr erwähnt hätte. Die braunschweigische Regierung hat be schlossen, für das Gebiet des Freistaates Braunschweig die Schlachtsteuer einzuführen. Der Zeitpunkt ist noch nicht festgelegt, jedoch heißt es, daß die Inkraft setzung zum 1. Dezember beabsichtigt ist. Der Tarif der neuen Steuer wird wahrscheinlich nach preußischem Muster gestaltet werden. Deutschenhetze -er pariser presse Deuyches Befremden wegen Herriots Äußerungen. Die Erklärungen, die Ministerpräsident Herriot im Zusammenhang mit dem Eisenbahnanschlag bei Nantes abgegeben hat und in denen er in gewissem Sinne Deutschland für das Verbrechen verantwort lich macht, werden von der Pariser Presse mit einer ge wissen Genugtuung wiedergegeben, obgleich sie in direktem Widerspruch zu den Tatsachen stehen, da man selbst amt licherseits der Auffassung ist, daß es sich weniger um einen Anschlag auf das Leben Herriots als um eine, wenn auch geschmacklose und gefährliche Kundgebung autonomistischer oder kommunistischer Kreise handelt. Der deutsche Botschafter in Paris ist telegraphisch beauftragt worden, dem französischen Ministerpräsidenten zum Mißlingen des Anschlages die Glückwünsche der Reichsregierung zum Ausdruck zu bringen. Der Bot schafter wird bei dieser Gelegenheit ferner seinem Be fremden darüber Ausdrück geben, daß der Anschlag in der französischen Presse mit einem deutschen national sozialistischen Korrespondenten in Verbindung gebracht worden ist. Halb Amerika hungert. Forderungen der amerikanischen Gewerkschaften. Auf der Jahrestaguug der amerikanischen Gewerk schaften wurde zum ersten Mal die Forderung auf Ein führung der zwangsweisen Erwerbsloseuversicherung er hoben. Die Kosten sollen von den Arbeitgebern getragen werden. Weiter wurde die Einführung des Sechsstunden arbeitstages und der Fünftagearbeitswoche, eine Steuer für große Vermögen, die Einführung der Wohlfahrts- unterstütznng und die Abschaffung der Prohibition ver langt. Die Redner stellten fest, daß 40 Millionen der ame rikanischen Bevölkerung infolge der Krise verarmt seien. 60 Millionen lebten unter dem Existenzminimum, über elf Millionen seien erwerbslos. Die halbe Bevölkerung in den Vereinigten Staaten verhungere langsam. Jubiläum des Deutschen Tabaksrbeiierverbandes. Bremens Weltgeltung aus dem Tabakmarkt. In Bremen wurde der 21. Verbandstag des Deut schen Tabakarbeiterverbandes eröffnet. Gleichzeitig be geht der Verband sein 50. Jubiläum. Im Auftrage des Bremer Senats begrüßte Senator Sommer die aus allen Teilen Deutschlands und auch aus anderen Ländern entsandten Vertreter. In einem historischen Überblick entwickelte er die Weltbedeutung des Bremer Tabakmarktes. Im Jahre 1876 wurde das deutsche Zollgebiet zu 61,3 Prozent durch Bremen mit Tabak versorgt. Noch im Jahre 1927 wurden in Bremen 48 500 Tonnen Tabak im Werte von 52 Millionen Mark eingeführt. 0^0 vou W0t50L^c ovsc/z veer-o orx>or <26. Fortsetzung.) Am anderen Morgen wurde der Intendant zu einer Sitzung des Aufsichtsrats gebeten. Zwölf Mann stark fand er ihn versammelt. Der Vorsitzende des Aufsichtsrates, Konsul Kersten, nahm zum „Fall Markgraf" Stellung. In sachlicher Weise erkannte er Rainer Markgrafs große Rundfunkeignung an, er stimmte dem Intendanten zu, wenn er gesagt habe: er se! der Sprecher. Die Sympathien der Hörer gehörten ihm, und seine Persönlichkeit sei unbestreit bar groß und unumstritten. Für die Funkstunde sei ein solcher Mann, der es verstehe, das Publikum an sich zu binden, von größtem Werte Man fei sich daher darüber klar geworden, daß Herr von Schulenburg recht habe: Einen solchen Mann auch fernerhin zu halten Allerdings nur: Wenn seine Unschuld erwiesen sei Schulenburg fühlte eine gewisse Befriedigung. „Herr Intendant," fuhr Konsul Kersten fort, „Sie haben sich immer für eine erhöhte Aktivität des Rundfunks ein gesetzt Dem Reichstag lieg! fetzt Ihr Antrag auf Ueber- trag'ung der Parlamentsarbeiten vor Sie gingen sogar noch weiter: Sie verlangen die Uebertragungen von Gerichtsver handlungen, die für weite Kreise von allerstärkstem Inter esse sind und die nicht befürchten lassen, daß sie verrohend oder unsittlich auf das Publikum, auf die Hörerichaft wirken." „Das ist richtig!" „Sie kennen unsere Einstellung genau! Die Materie ist sehr schwierig denn da den Trennungsstrich zu ziehen, ist schwer Nun gut. Sie sollen erkennen, daß wir Ihre Arbeit zu werten wissen Wir wollen uns damit einverstanden er klären, daß zum ersten Male eine Gerichtsverhandlung über tragen wird, und zwar die Verhandlung gegen den Rund funksprecher Markgraf." Schulenburg zuckte zusammen „Gemeinheit!" dachte er. „Herr Intendant, wir haben bereits mit den Gerichts behörden, mit dem Herrn Reichskommissar für den Funk und mit der Regierung Fühlung genommen und wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, daß Ihnen keine Schwie rigkeiten erwachsen werden. Jetzt hab.en Sie das Wort. Herr Intendant!" Aller Augen ruhten auf Schulenburg, der blaß geworden war vor innerer Wut „Ich nehme anl" tagte er kalt. „Ich werde mit Herrn Markgraf Rücksprache nehmen, und wenn er einwilligt, dann steht dem nichts im Wege Ich würde dann sogar den Bild funk mit hinzuziehen " Die Herren hatten eigentlich eine Ablehnung erwartet und geglaubt, daß man den Intendanten jetzt einmal fassen könnte, um ihn endgültig von seinen Plänen zu kurieren. „Herr Intendant, ich glaube, daß Herr Markgraf auch in seinem Unglück ein Mann ist, der daran denkt, daß er einst mit Ihnen zusammen für die Verwirklichung des Planes gekämpft hat." „Ich glaube es auch!" Der Intendant erhob sich und verbeugte sich kurz. „Haben die Herren noch etwas?" „Nein, ich danke Ihnen, Herr Intendant!" Schulenburg verließ, äußerlich ruhig und beherrscht, inner lich ein Vulkan, das Zimmer. „Wir haben ihm eine harte Nuß aufgegeben!" sagte Kersten bedeutsam. »st Schulenburg glaubte, er müsse zerspringen „Die Bande!" fluchte er „Einen solchen Fallstrick zu legen . aber fangen tollt ihr mich nicht!" Er dachte daran, Rainer sofort aufzusuchen, aber er schämte sich plötzlich Er kam sich wie ein Verräter vor, da er das Innerste des Mannes, den er aufrichtig schätzte allen Menschen preisgeben sollte Aber seine Augen glitten über die Stöße von Briefen, die i.r seinem Zimmer lagen Warteten nicht die vielen Freunde Rainers darauf, daß sie teilnehmen konnten an der bitteren Stunde? Würde es nicht doppelter Trost für ihn sein? Er entschloß sich Rainer ins Untersuchungsgefängnis zu schreiben Zeile um Zeile rang er sich ab * * »st Schulenburgs Brief erreichte Rainer am nächsten Morgen, als er sich in einem Zustand dumpfer Verzweiflung befand. Sein Bries an Ingrid war zurückgekommen Sie hatte die Annahme verweigert. Und ein Briel ihres Rechts anwaltes war da Scheidung! Antrag, daß ihr beide Kinder zugesprochen werden! Rainer starrte auf den Brief und konnte es nicht begreifen. Eine grenzenlose Bitternis ergriff ihn, daß gerade sie in dieser Stunde ihn verließ Ingrid seine Ingrid, die er liebte, der alle seine Gedanken, Sehnsucht und L'ebe gehörte. Und als er den Brief Schulenburgs las, war ihm alles gleichgültig. Uebertragung! Bitter lachte er auf Gegen Schulenburg, der ihm alles genau schilderte, wie es zu gegangen war, empfand er keinen Groll. Der meinte es gut und ehrlich mit ihm Den hatten sie in eine Falle getrieben und ihn mit Er schrieb automatisch feine Zustimmung Es war ihm ja alles so gleich in diesem Augenblick. * -- * Schulenburg atmete auf. als er Rainers Zeilen erhalten hatte. Er begab sich zu Kriminalinspektor D: Becker, der die Untersuchung im Falle Zschinskn hatte Becker wär sehr zugeknöpft Die Untersuchung hatte kein anderes Resultat ergeben, als daß der Mord durch Rainer Markgraf ausgeführt lein mußte. Man hatte nach der Korrespondenz gesucht, aber die Zschinsky hatte alle Briefe stets nach Empfang verbrannt, und so konnte man nicht feststellen, mit wem sie in näheren Beziehungen gestanden hatte Mord aus Rache, von einem verschmähten Liebhaber oder einer Frau begangen, hatte man versucht anznnehmen und man hatte Recherchen an gestellt Aber sie waren negativ verlaufen. * * Layka starrte, als er vom Tod der Mutter erfuhr, einen Augenblick die Schwester, die es ihm schonend bsizubringen versuchte, mit weit offenen Augen an, blieb aber merk würdig ruhig „Tot!" sagte er. „Ermordet . meine Mutter! S^icksal!" (Fori'etzung folgt.)