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Wilsdruffer Tageblatt : 19.10.1932
- Erscheinungsdatum
- 1932-10-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-193210197
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19321019
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19321019
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1932
-
Monat
1932-10
- Tag 1932-10-19
-
Monat
1932-10
-
Jahr
1932
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 19.10.1932
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Unterhaltungs-Stunde herbeieilt. ist er tot. Herzschlag. — Da wurde es Plötzlich dem Karpfen, der Wohl Wassei witterte, zu dumm, er machte einen überraschenden Sprung und Platschte mitten in die schon reichlich besetzte Wann« hinein. Das Wasser spritzte nach allen Seiten. Da lacht« selbst der gestrenge Mann des Gesetzes so, daß er seine Anzeig« vergaß. Herr Hmzelmann aber lachte Tränen. „Das nenn« ich wahre Treue! Und Sie können mir glauben, er kennt mich erst seit gestern." Aber er räumte doch schleunigst dem treuer Karpfen das Feld, in diesem Fall die Wanne. — — Drei Tage später bezog schon „Heinrich der Treue" im Garten sein neues vornehmes Heim aus Beton und Tuffstein Oft beschattete nun die breite Riesengestalt Freund Hinzel- manns die spiegelnde Wasserfläche. Der glaubte steif und fest daß ihm der anhängliche Karpfen Glück bringe. Bis — nur bis eines Tages der Treue verschwunden war — und nn wieder kam. Nie bekam Hmzelmann heraus, wer den Fisch verspeist, und nie brachte er wieder einen Karpfen heim. Nur ein Gedanke tröstet? ihn: Was hätte er mit seinem Karpfeu im Winter getan? zu dem Grafen herabbeugt, um i einzuziehen; das Spiel mit solch einem —— fortgesetzt werden. Dabei berührt er ihm die S, dem sanften Drucke neigt sich der Graf zuerst ein wenig nach der Gegenseite, dann aber sinkt ihm die Stirn zwischen die Arme auf den grünen Tisch. Der Inspektor stützt ihn, Spieler bemühen sich um ihn. Eine Ohnmacht. Man trägt ihn aus dem Saale, besprengt ihn mit Essenzen. Er atmet, hebt und senkt die Lider noch einmal. Uno als der Arzt Der Spiegelkarpfen. Humoreske von Oskar Gluth-Prien. Konsul Hmzelmann, im neckischen Gegensatz zu seinem illamen ein wohlbeleibter Riese mit dem Gemüt eines harm losen Kindes und mit der Geschäftsschlauheit eines dicken Levantiners, fuhr an einem schonen, friedlichen Herbstnach mittag in seinem bequemen Wagen ein wenig über Land. Da kam er an einem Fischteich vorüber, den man eben abgelassen hatte, um ihn auszufischen. Herr Hmzelmann schaute eine Weile zu, dann kaufte er angereizten Appetits einen besonders schönen und schweren Karpfen, den die Leute eben aus Schilf und Schlamm buddelten. Das würde ein Götterschmaus wer den heute abend! Vielleicht konnte man ein paar Freunde zu dem Karpfenessen bitten. Eine halbe Stunde später — eben berichtete Herr Hinzel- mann seiner Frau, daß sie am Abend Gäste haben werde — schrillte aus der Küche ein markerschütternder Schrei der dicken Köchin: Gerade, als sie dem herrlichen Spiegelkarpfen zu Leibe rücken wollte, hatte der plötzlich wieder zu leben begonnen und erschreckend um sich geschlagen. „I ch kann ihn nicht töten", beteuerte die dicke Köchin. „In die Badewanne mit ihm!" befahl Hmzelmann, das Schlachtfeld beherrschend. Die Hinrichtung konnte abends der Chauffeur vollziehen. Bis dahin — Kaum fühlte sich der Karpfen von dem aufregend kalten Wasser aus der Leitung umspült, so kam er auch schon wieder ganz zu sich und durchmaß das beschränkte Gewässer in der Badewanne unter so leidenschaftlichen Kundgebungen un gebrochener Lebenslust, daß die zierliche Frau Konsul das Todesurteil als oberste Instanz kassierte: „Keinen Bissen könnte ich davon essen!" Hmzelmann dachte zwar anders, aber er sprach ähnlich. Begnadigt, beruhigte sich der edle Karpfen bald und döste, das Wasser nur leise mit der Schwanzflosse schlagend. Was wußte er, daß eine Badewanne kaum als gesicherter Dauer aufenthalt für einen Fisch gelten kann! Schon am selben Abend wurde die Wohnungsfrage für ihn brennend, als seine Er retterin aus Todesnot ihr gewohntes Bad zu nehmen wünschte. Auch wenn ihm die immer gereizter werdenden Verhandlungen zwischen seinen Hausleuten verständlich gewesen wären, es hätte ihn kaum in seinem philosophischen Gleichmut gestört. Er regte sich erst mit auf, als der Riese Hmzelmann unter wütenden Seufzern ehelicher Verzweiflung aus ihn Jagd z« machen begann und ihm einfach gemeiner Weise das Wasser aus der Wanne weglaufen ließ und ihn so trockenlegte, Weh er sich nicht gleich greifen lassen wollte. Der ungleiche Kampf zwischen David und Goliath endigte hier anders, als man ir der Schule lernte: Der Karpfen ward mit dem nächstbester Handtuch umwickelt und von dem Herrn Konsul Hinzelmanr eigenhändig aus dem Haus getragen, durch nächtliche Straßen ge b-ppl, nicht allzu weit, nur bis zum nahen Schloßplatz, und all dem armen Fisch eben wieder furchtbar flau zu werden begann, landete er mit einem höchst überraschenden Plumps in dem herrlichen großen Marmor-Wasserbecken, in das der aus Erz gegossene Herzog Heinrich der Finstere seinen mißgünstiger Schatten warf, obwohl oder gerade weil ihm der silbern« Herbstmond sanft zuredend auf den grünlich schimmernde« Patina-Rücken schien. / Herr Konsul Hmzelmann machte sich wie ein nächtliche: Dieb harmlos schlendernden Schritts davon. Der an diesen. Tag schon zum zweitenmal umquartierte Karpfen aber, den, das kalte, aus dem Munde marmorner Najaden reichlich zu strömende Wasser sastAsch weniger behagte als das nach grew lichen Essenzen uno Seifen schmeckende Wasser in der gekachel ten Badewanne, schwamm grimmig gereizten Gemüts uni hungrig und mit seinem Geschicke hadernd in seinem neuen Ge fängnis herum und wußte die Ehre gar nicht zu schätzen, das thm Heinrich der Finstere höchstselbst, wenn auch nur mv seinem Schatten, Gesellschaft leistete. Wenn Herr Hinzelmann meinte, daß er bei seiner schnöder nächtlichen Aussetzung eines armen heimatlosen Karpfen! keinen Zeugen gehabt habe, so irrte er leider. Ausgerechne Stefan, der Schlingel von Hausmeisterssohn, hatte von ems -schummerigen, in Büschen wohlverborgenen Bank aus und ü minniger Gesellschaft die heimliche Tat des Konsuls beobachtet Er bedauerte, daß die Tat zu einer kleinen Erpressung kaun hinreichte, jedenfalls aber dachte er gar nicht daran, diese« dicken, großen Karpfen im Brunnenbecken zu Füßen Heinrich! des Finsteren elend verhungern zu lassen. Das sollte ei« feiner Schmaus werden! Schon in aller Frühe begab sich also der Hausmeister- Stefan auf die Fischwaid. Er krempelte die Hosen auf, Stiefei -brauchte er nicht auszuzieh'n, er hatte keine an, und stie« kurzerhand in das Brunnenbecken. Es sah ihn ja niemani um diese Zeit. Hei, das gab eine aufregende, lustige Jagd Dabei glitschte der Stefan einmal gestreckterlängs ins Wasser aber endlich hatte er die schlüpfrige Beute doch mit hurtiger Händen gepackt. Tropfnaß wie eine getaufte Maus, abei triumphierend stieg er aus der kalten Flut. Doch da stürzte hinter dem deckenden Busch schon dei , Hüter des Gesetzes hervor. „Hab ich Dich, Bürscherl!" Natür lich gab es ein langes Verhör, wieso und warum, derweiler dem armen Karpfen wieder einmal Hören und Sehen verging Aber seiner leiblichen Not nahm sich der Schutzmann aucl nicht an, dem kam es auf die Klärung dieses in rechtlichen Sinne bedenklichen Vorgangs an. Der Fisch war natürlich ge stohlen, aber nicht aus dem Marmorbecken zu Füßen des fin steren Herzogs. Da hatte es noch nie Karpfen gegeben! Uni wenn nicht um Diebstahl, so handelte es sich um groben Un fug. Hier hatte niemand seine lebend gekauften Fische bis zun Gebrauchsfall zu wässern. „Was, der Herr Konsul Hiuzel mann soll selbst —? Na wart, Bursche, das werden wir gleicl hören!" Punkt sieben war der Konsul Hinzelmann wie immer in! Bad gestiegen. Fünf Minuten später wurde das Badezimmei zum Tribunal. Zum Kuckuck, wenn der Herr Schutzman« nichts dabei fand, ihn kümmerte es nicht. Deswegen stie« Hinzelmann nicht aus der Wanne — wegen dieses Unglück seligen Karpfens. „Ob der Herzogbrunnen vielleicht mei« Privataquarium..? Grober Unfug, so so! Warum nich gleich Denkmalschändung, Herr Wachtmeister? Da lacht j« selbst Heinrich der Finstere kurz, aber nachdrücklich. Zeiger Sie an, meinetwegen, seitenlang, aber ich werde Anzeige er- ! statten wegen unnötiger Tierquälerei, ja Wohl. Sehn Si« nicht, daß dem armen Biest schon die Puste ausgegangen ist-" Mit Herrschergeste, ein zweiter Neptun, deutete Hinzelmann auf den dicken, herrlichen Karpfen, der steif und scheinbar er ledigt in den Händen des Schlingels Stephan gefangen war „Weg damit, Stefan, ich will davon nichts mehr wissen. Lächer lich ist das ja. Vorwärts, laßt ihn Euch schmecken mittags! Und meine Frau hat ihn nachher noch füttern «eben wollen/ Hasard. Skizze von Max Geißler. „Niederträchtiges Gefühl: matt mit vierundfünfzig Jahren!" sagt der Graf bitter zu den beiden jüngeren Herreu im Gesellschaftsanzug, die sich um seine Gattin bemühen. Der eine ist seit ein paar Tagen Staatsanwalt. Der andere, der Rennstallbesitzer, hat gestern das Derby gewonnen. Di« Gräfin ist eine äußerst elegante schmiegsame Erscheinung, „Niederträchtiges Gefühl! Wenn man vor knapp zwei Jahren eine junge sehr schöne Frau geheiratet hat, mit der man sozu sagen noch in den Flitterwochen leben könnte!" Nun ja, wenn dieser verwünschte Herzmuskel nicht wäre, der bei jeder besseren Gelegenheit eigenwillig mahnt: Halt, mein Lieber! Wie oft soll ich dich erinnern. Genüsse, mit denen du dir drei Jahrzehnte das Dasein ausgiebig gewürzt hast, gehören für dich ein für alle mal der Vergangenheit an. Mokka? O nein! Eine Zigarette? Hin und wieder! Ei« Glas Sekt? Nun mal gar nicht! Ein bißchen Liebe? Abe« bitte mit Maßen! Gerade verlassen sie das Kaffeehaus und treten auf dir Kurpromenade, um in das Auto zu steigen. „Kasino!" befiehli der Graf. Man wünscht, dort zu essen. Die Herrschaften spielen nicht. Der Graf? O ja! Bis vor einem Jahre wai er sogar regelmäßiger Gast am grünen Tisch. Vorbei! An dem Essen liegt ihm nichts. „Ich finde mein« Gegenwart mit den tausend Rücksichten, die ich auf mein rebellisches Herz nehmen muß, in vergnügter Tafelrunde störend." Man widerspricht. Aber er besteht auf seiner Meinung: „Ich möchte einen Bummel in der balsamischen Abendluft machen, einen Rundgang um das Kasino meinet wegen, dessen Fenster schon erleuchtet sind." In der Halle des Restaurants verabschiedet er sich. Er Wird in etwa einer Stunde zurück sein. „Na, und wenn nicht, dann bin ich einfach einen Sprung in den Spielsaal gegangen. Guten Abend!" Eine prachtvolle Frische atmet von der See her. Je nun, die Hellen Fenster da oben will er sich nicht lange voll draußen betrachten, gelangt in die Garderobe, und ohne de« Vorsatz, zu spielen oder nicht zu spielen, durchschreitet er de« ersten Saal. Dort setzen die kleinen Leute ihre fünf oder zehn Frank und haben wegen dieser „Schokoladenplätzchen" ihre heißen Köpfe. Er tritt in den nächsten Saal und lehnt, scheinbar unberührt von allem, neben der Glastür zu einem der kleine Ballone, von denen man auf das Meer schaut, das eine breite Silbertafel ist. Aber diese Welt im Fieber, an deren Rand er steht, seit Monaten wieder zum ersten Male, — diese von unsagbaren Reizen geschwängerte Stille, die nur von den Aufforderungen des Croupiers und dem schicksalhaften Klappern der Kugel unterbrochen wird — ah, das ist für ihn ,a so über alles Erleben. Er fühlt eine Frische des Herzens — seit Jahren ist das nicht so gewesen. Und er weiß mit jener Sicherheit, die der Spieler nur an ganz seltenen Glückstagen hat: Heute Würde er einen Coup machen! In dieser Ueberzeugung kauft er für dreißigtausend Frank Spielmarken zu fünfhundert und zu tausend. Zu anderen Zeiten ist er durch seine gelassene Verwegenheit am grünen Tische berühmt gewesen. Man erzählt, daß er einst siebenmal hinter einander auf die 23 gewonnen hat, ohne den Betrag vor dem siebenten Male einzuziehen. Millionengewinn! Vielleicht ist das eine der Legenden, wie sie sich um glückhafte und kühne Spieler spinnen. Mit den Spielmarken in der Tasche nimmt er Platz, wirft tausend Frank auf Rot und verliert. Kein schlechtes Zeichen! Spieler sind abergläubisch, mit einem Verlust muß man an fangen. „Faites votre jeu!" Er fetzt fünfhundert Frank auf die Elf. Die Elf ge winnt! Es gibt den fünfunddreißigfachen Betrag und den Einsatz. Der Graf hat nun achtzehntausen Frank darauf, die er nicht einzieht. „Faites votre senk" Das Teufelsrad dreht sich, die Kugel springt. „Rien ne va Plus!" Die Elf noch einmal! Die Rechen scharren über das grüne Tuch, raffen die Verluste der Spieler ein; auf der Elf aber stehen nun die 648 000 Frank! Die Inspektoren schauen den Grafen an. Das Blut stürmt ihm in die Schläfen, das Herz schlägt ihm verrückt in oer Brust. Er aber legt den Ellbogen breit auf den Tisch, starrt auf die Elf und macht keine Bewegung, die Summe einzuziehen. Aller Augen richten sich auf ihn. Auf einen Wink des Inspektors geht das Spiel weiter... kein Zweifel: Der Satz ist angenommen. „Faites votre jeu!" Das Teufelsrad dreht sich, die Kugel springt. Das Un glaubliche geschieht, die Elf gewinnt zum dritten Male! Aus den 648 000 Frank sind in diesem Augenblicke 23 328 000 geworden. Die Gräfin, in Begleitung der beiden Herren, ist in den Saal getreten. Sie sieht gerade noch, daß sich der Inspektor ihn zu bitten, die Summe nein Millionensatz darf nicht chulter. Unter Das Spiel an allen Rosiletten ist für eine halbe Stunde unterbrochen. In dieser Pause muß auch die Frage über den Gewinn entschieden werden. Die Gräfin hat den Staats anwalt bevollmächtigt, die Angelegenheit für sie zu erledigen. Er geht mit den Inspektoren in ein Nebenzimmer. „BitO um Verzeihung", sagt dort einer dieser Herren zu ihm, „di« Auszahlung der 23 Millionen kann gar nicht in Frag« kommen." „Wieso?" fragt der Staatsanwalt. Seine Stimme hat einen Klang wie Stahl. „Einfach deshalb, weil ein Sterbender oder gar ein Tote« keinen Einsatz machen kann. Man darf annehmen, daß de« Graf nach dem zweiten Gewinn bereits ohne Besinnung war, andernfalls hätte er sein Geld eingezogen. Es ist ja ein unfaßbarer Gedanke . . ." „Unfaßbar für Sie erst jetzt! Und doch ist Ihnen be kannt, daß der Graf mit der gleichen Gelassenheit einst eine« noch kühneren Wurf gemacht hat, wenn auch mit viel geringerem Einsatz." „Damals im Vollbesitz seiner Gesundheit, heute da gegen . . ." „Machen Sie bitte keine Einwände, meine Herren! Sie haben den Satz nach dem zweiten Gewinn angenommen, folglich haben Sie den dritten Sieg zu bezahlen. Sind Si« bereit oder nicht?" Einen Augenblick sehen sich die Inspektoren betroffen an. „Bemühen Sie sich mit uns zur Kasse, mein Herr!" Brot. Eine Geschichte von Ludwig Bäte. Balthasar Meher zu Dielingdorf — der Name klang wie der eines alten Adelsgeschlechts — legte sich schwer in den rot- gewürfelten, derben Drellkissen zurecht. Es wollte schon seit Wochen nicht mehr so gut wie sonst. Kein Wunder. Er war achtzig, hatte sein Leben lang für drei gearbeitet und durfte nun Wohl ausruhen. Sie waren immer eine zähe Familie gewesen, die Meyers zu Dielingdorf, die bereits seit dem Jahre 1621 ununterbrochen auf demselben Hofe saßen, und die meisten hatten es auf wenigstens Siebzig gebracht. Zwei freilich ausgenommen. Einer lag bei Soissons, der andere war nicht wieder aus Sibirien zurückgekehrt. Doch blieb ihm wenigstens der Jüngste, ein Bauer, der im Hause und auf dem Felde zu wullacken verstand, wie man hierzulande auf gut Platt sagte. Schon als Junge hatte der seinen Mann gestanden, wenn es auch mit der Schule immer ein wenig haperte. Seit einiger Zeit war der mächtig hinter der Luise vom Deitershof her> und er hatte nichts dazu gesagt. Das Mädchen schaffte tüchtig wie Hermanns tote Mutter, und gegen die Aussteuer ließ sich gewiß auch nichs sagen. Die alten Deiters hatten immer das Ihre zusammengehalten. Durch das offene Fenster kam der Ruch des reifen Roggens. Sie schnitten schon am Fuhrenkamp. Ganz deut lich konnte er das Dengeln der Sensen hören. Es gab dieses Mal eine gute Ernte, der Roggen bollwerkte wie noch nie, und Regen und Hagel hatten ihm keinen Schaden getan. Nur noch wenige Tage, und alles war geborgen. Er sann vor sich hin. Wie oft hatte er das nun alles erlebt! Zuerst riß man die Erde auf, dann kam das Korn in die Furchen. Es wuchs, streckte und bestockte sich, der warme Wind ging darüber hin und die Hitze des Juli, der Regen und das Gewitter. Dann fuhr man ein, die Dreschmaschine summte, und die reife Frucht wartete, daß sie Brot wurde. Früher war das noch schöner gewesen, als man noch mit den langen Flegeln zu winterlicher Zeit drosch, wobei man denn tüchtig aufpassen mußte, daß einem das flinke Holz nicht auf die Finger schlug. Aber heute ging das alles mit Maschinen, man hatte elektrischen Strom, Buchführung und Steuer beratungsstelle, dicke landwirtschaftliche Zeitungen, Parteien und Ausstellungen in Berlin und war manchmal schon mehr Fabrikant als Bauer. Man verkaufte ja auch nicht mehr Roggen, Weizen und Gerste, Rüben und Kartoffeln, sonder« landwirtschaftliche Erzeugnisse, sterilisierte Milch, Tee- uni Tafelbutter. Er hatte Arbeit gehabt, sich diese neumodische« Wörter alle zu merken! Aber die Erde blieb doch, was sie. war, und roch nach Feuchtigkeit und Kraft wie immer. Das Gras schoß hoch ins Kraut, die Apfel- und Birnbäume trugen ihre Last, und die Waldstücke wuchsen kräftig heran. Das Leben war schön gewesen, weil es Arbeit war. Es grummelte in der Ferne. Ein Gewitter schien im Anzuge. Schwül strich der Wind durch den Blumengarten unter dem Fenster. Die Frau hatte sich dort redlich gemüht und manchen Groschen heimlich in ihre Stauden gesteckt. Er sah das anfangs nicht gern. Man war doch nicht in der Stadt, Wo man fowas nötig hatte. Es wuchs doch draußen genug Buntes auf der Wiese! Sogar Wein hatte sie angepslanzt, wenn die Spatzen und Drosseln auch fast immer die Trauben fraßen. Hermann freilich wußte sich auch hier zu helfen. Der stellte einfach seinen Rundfunkkasten ans Fenster. So ein neu modisches Ding hatten sie natürlich auch haben müssen. Aber man wußte doch wenigstens Bescheid, was man in Berlin machte, was die Futtermittel kosteten und wie das Wetter wurde, wenn sich da die gelehrten Leute in Hamburg oder Köln auch oft irrten. Das mußte man denn auch Wohl so in den Fingern haben und von Jugend auf kennen. Aus den Büchern lernte man das sicher nicht. Die Reben schlugen ans Fenster, es fing sachte zu regnen an. Der Rücken tat wieder Weh. Er hatte sich sicher durch gelegen. Rufen mochte der Alte nicht, die Jüngeren hatten heute alle Hände voll zu tun, und es war wichtiger, daß draußen alles ins Reine kam, als daß man sich um sein aus geleertes Leben kümmerte. i Die Hände falteten sich zusammen. Brot und Wein, das war Wohl ein schönes Bild, das da noch einmal vor seine alten Augen trat. Sonntags, wenn er zum Abendmahl ging, war es dasselbe. Denn die Frucht war Sein wie das Leben, das nun zu Ende ging. Er spürte es deutlich, wie ihn die Kräfte verließen. Und das war Wohl gut so, die jungen Leute mußten schließlich auch Platz haben. Der Regen wurde stärker, ein Blitz blendete blau auf. Die dünnen Lippen des Alten bewegten sich kaum noch. Die Augen wurden weit und sahen in das Land, das er nicht ge ackert und in dem doch sein Name geschrieben stand unter Senen, die da eingingen zu ihres Herrn Freude. Draußen klapperten die Knechte ins Haus, erhitzte Pferde chnaubten, man machte die breite Dielentür zu. Er hörte es sicht mehr. Doch schwoll der Ruch des reifen Brotes voller ins Zim- ner, und die Erde atmete wie an dem Tage, als hier der erste feines Namens den Pflug in den Boden stieß. Veftelea Sie dar Msdraiser Tageblatt
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