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Wilsdruffer Tageblatt : 28.09.1932
- Erscheinungsdatum
- 1932-09-28
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-193209288
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19320928
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19320928
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1932
-
Monat
1932-09
- Tag 1932-09-28
-
Monat
1932-09
-
Jahr
1932
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Auf M^Fräge Les Vorsitzenden, ob er sich nur aus drücklich zum Wort gemeldet habe oder nachher auch durch Aufstehcn oder Handaufheben, erwiderte der Kanzler, er sei nicht nur aufgestanden, sondern habe auch gesagt: „Ich bitte ums Wort." Ich nehme aber an, so fügte der Kanzler hinzu, daß das bei der Unruhe des Hauses am Stenographentisch nicht verstanden worden ist. Reichstagspräsident Göring betonte dazu, der Reichs kanzler sei erst aufgestanden, nachdem er, der Präsident, die Worte ausgesprochen hätte, „Wir stimmen ab". Die Äuße rung des Kanzlers „ich bitte ums Wort" habe er nicht ver standen. Der Präsident fragt dann de» Zeugen, ob er nicht als erstes „amtlich" gebraucht hätte. — Reichskanzler von Papen: „Ich habe das Wort ,amtlich' überhaupt nicht gebraucht." , Auf eine Frage des Abgeordneten Dr. Pfleger (Bayer. Volkspartei), ob er nicht während der Pause ver sucht habe, eine Wortmeldung einzureichcn, erwiderte der Reichskanzler, es sei dies aus dem einfachen Grunde nicht geschehen, weil er angenommen habe, daß der kom munistische Antrag abgclehnt werden würde. „Der Reichstagspräsident hatte mir zwei Tage vor der Sitzung gesagt, er würde dafür sorgen, daß die Regierungserklärung vom Hause entgegen genommen würde. Ich hatte keinen Zweifel, daß alles programmäßig ver laufen würde, und war selbst völlig überrascht." — Auf die Frage des Abg. Dr. Franck ll (Natsoz.) an den Kanz ler, ob er die Auffassung habe, daß die Abstimmung nicht rechtswirksam sei, erwiderte der Kanzler, sie sei nicht rechtsgültig, denn sie sei erfolgt nach Zustellung des Auf lösungsdekrets. Auf die weitere Frage, ob ihm bekannt sei, daß während einer Abstimmung Wortmeldungen nicht entgegengenommen würden, entgegnete der Kanzler, daß die Abstimmung seiner Auffassung nach noch nicht be gonnen hatte. Im Verlaufe eines längeren Frage- und Antwort- fpiels gab der Reichskanzler die Erklärung ab, daß er vor Lem Überwachungsausschuß nicht erschienen sei, weil nach Auffassung der Nationalsozialisten die Regierung nicht mehr zu Recht bestehe und er sich sonst der Tatsache aus gesetzt hätte, daß man ihn frage, „was wollen Sie denn -hier? Sie sind nicht mehr im Amt." Von vornherein habe übrigens nicht die Absicht der Auslösung bestanden. Der Kanzler bestätigte, daß er sich die Auflösungsurkunde erst während der Sitzungsunterdrechung verschafft habe. Die Absicht, den Reichstag bei Wiederbeginn der Sitzung auf jeden Fall aufzulösen, habe nicht bestanden. Oer Abschluß der Kanzlervernehmung. In Fortsetzung der Verhandlungen vor dem Unter suchungsausschuß des Reichstages über die Vorgänge in der letzten Neichstagssitzung hob Neichstagspräsident Göring hervor, daß er selbstverständlich dem Regie rungschef das Wort zur Regierungserklärung erteilen würde, wenn er das nach der Ge schäftsordnung und nach der Verfassung könne, cm die er gebunden sei. Bei einer Besprechung habe der Kanzler keinen Zweifel gelassen, daß er eine Abstimmung über das Mißtrauensvotum nicht zulassen, sondern vorher den Reichstag auflösen würde. — Reichskanzler von Papen be stätigte diese Mitteilung durch Kopfnicken. Aus die Frage, wann die Auflösungsorder unter zeichnet worden sei, in der Pause oder schon bei Beginn der Sitzung, erklärte der Reichskanzler, er müßte es be dauern, diese Neugierde nicht befriedigen zu können. Damit schloß die Vernehmung des Kanzlers. Der Zeuge Reichsinnenminister Freiherr von Gayk bestätigte im wesentlichen die Aussagen des Reichskanzlers. Staatssekretär Dr. Planck bestätigte, daß sich der Reichskanzler zweimal zum Wort gemeldet habe; er erinnere sich, daß der Reichstagsprä sident bei der ersten Wortmeldung des Reichskanzlers eine abwehrende Handbewegnng gemacht habe. Der Reichstagspräsident bestritt dies und empfahl die Anberaumung eines Lokaltermins im Sitzungssaal. Damit war die Vernehmung der Reichsminister und des Staatssekretärs erledigt. Es wurden dann noch einige Neichstagsabaeordnete und Personen, die auf der Publi- kumstribüne den Verhandlungen beigewohnt haben, ver nommen. Wesentlich Neues brachten diese Zeugenaus sagen nicht. Darauf wurde die öffentliche Sitzung ge schlossen. Vle FestMunaen des LlnkersmlmngsaaMM-. Der Neichstagsausschuß zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung nahm als Ergebnis der Beweisauf nahme über die Vorgänge in der letzten Neichstagssitzung mit den Stimmen der Nationalsozialisten, des Zentrums und des Vertreters der Bayrischen Volkspartet gegen die Stimmen der Deutschnationalen zunächst einen auf Wunsch des Zentrumsabgeordneten Wegmann erweiter ten nationalsozialistischen Antrag an, wonach der Aus schuß feststellt: „Reichskanzler von Papen hat sich erst zum Wort ge meldet, nachdem die Abstimmung vom ReichstagSprästden- ten bereits eröffnet war. DaS Verhalten deS Präsidenten entsprach sowohl der Reichsverfassung wie der Geschäfts ordnung des Reichstages. Der Reichskanzler hätte die Möglichkeit gehabt, sich rechtzeitig zum Wort zu melden. — Aus den Ausführungen des Reichskanzlers als Zeuge in Verbindung mit einer im Ausschuß abgegebenen Er klärung des Führers der deutschnationalen Fraktion er gibt sich für den Ausschuß die Feststellung, daß die Reichs regierung unter allen Umständen entschlossen war, den Reichstag noch vor der Abstimmung über die Aufhebung von Notverordnungen und über Mißtrauensanträge zur Auslösung zu bringen." Weiter wurde ein sozialdemokratischer Antrag an genommen, der zum Ausdruck bringt, daß es die Absicht des Kanzlers gewesen sei, seine Regierungserklärung ab zugeben und die Aussprache stattfinden zu lassen, aber vor einer Abstimmung die Auflösung herbeizuführen. Der Reichskanzler habe auch die Möglichkeit erkannt, daß sofort abgestimmt werden würde. Ferner nahm der Ausschuß mit den Stimmen der Nationalsozialisten und der Kommunisten einen kommu nistischen Antrag an, die Notverordnung vom 14. Juni dieses Jahres und die Notverordnung über die Ein setzung von Sondergerichten sowie die bisher von diesen verhängten Urteile sofort aufzuheben. c— MU d-n Stimmen der Nationalsozialisten, der Sozial demokraten und der Kommunisten wurde ferner ein'na- tionalsozialistischer Antrag angenommen, der Reichs präsident wolle die Notverordnungen vom 4. September aufheben. Es fand auch ein sozialdemokratischer Antrag Annahme, die Notverordnungen vom 4. und 5. September außer Kraft zu setzen und alle auf Grund dieser Not verordnungen bereits getroffenen Maßnahmen zurück zuziehen. Für einen kommunistMen Antrag, wonach der Aus schuß beschließen sollte, daß die NcichStagsbcschlüffe über die Annahme der kommunistischen Anträge auf Aus hebung der Notverordnung sowie auf Entziehung des Vertrauens rechtswirksam seien, stimmten nur die Antrag steiler. Gegen den Antrag sprachen sich Deutschnationalc, Zentrum, Bayrische Volkspartei und Sozialdemokraten aus, während sich die Nationalsozialisten der Stimme ent hielten. Dr. Franck ll (Natsoz.) gab dazu die Erklärung ab, daß der Ausschuß bereits früher durch Beschlußfassung festgestellt habe, daß die Abstimmungen in der Vollsitzung des Reichstages über die kommunistischen Anträge rechts- wirksam seien und es nach seiner Auffassung deshalb keinen Zweck habe, früher gefaßte Beschlüsse zu wieder holen. Damit war die Tagesordnung des Ausschusses erle digt. Über eine weitere Sitzung ist nicht bestimmt worden. Genfer Abrüstungsbesprechungen festgefahren. Ergebnislose Unterredung Neurath—Henderson. über eine neue Zusammenkunft zwischen Neurath und Henderson in Genf wird von deutscher Seite mitgeteilt, daß sich keine Änderung der Lage ergeben habe. Irgend welche Schritte in der Richtung einer Zusammenkunft zwischen Neurath und Herriot seien bisher noch auf keiner Seite eingeleitet worden. Aus den Mitteilungen, die Henderson dem deutschen Außenminister gemacht habe, gebe hervor, daß gegenwärtig weder auf englischer noch auf französischer Seite ein für Deutschland in irgendeiner Richtung annehmbarer Plan vorliege. Es besteht all gemein der Eindruck, daß die diplomatischen Besprechun gen nunmehr endgültig ins Stocken geraten sind. Sie Zinssenlung für die Landwirlschast in Kraft. Der Reichspräsident hat die in der Rede des Reichs- ernährungsministcrs Freiherrn von Braun am Montag in München angekündigten Notverordnungen über die Zins senkung für landwirtschaftliche Hypothekenzinsen und über das Vcrmittlungsversahren für die Landwirtschaft und den verstärkten Vollstreckungsschutz unterzeichnet. Damit ist der erste Teil des Agrarprogramms der Regierung in die Tat umgrsetzt. Die Kontingentierung wird auf dem Wege einer Verordnung erfolgen, die voraussichtlich erst in zehn bis vierzehn Tagen erlassen werden wird, nachdem die Verhandlungen des Ministerialrats Walter mit den ausländischen Regierungen abgeschlossen sind. Der Rettungsanker. Sachsen und die Wirtschaftsnotverordnnng der ReichSregierung Kein deutscher Bundesstaat hat unter den Auswirkungen der Wirtschaftskrise in solch hohem Matze zu leiden gehabt, Wie daS Land Sachsen. Fast ausschließlich auf Fertigindustrie eingestellt, und damit in großem Maße auf den Export an gewiesen, mußte die sinkende Kauskrast der ganzen Welt und die im Verlauf der Krise einsetzende Sperrung der Einfuhr in den hauptsächlichsten Abnehmerländern der Industrie unseres Landes geradezu den Todesstoß versetzen. Und in der Tat: die kalten Schornsteine in sonst blühenden Jndustrieorten, die unheimlich anmutende Stille in den früher so geräusch vollen Werkstätten des Handwerks, die unbeschreibliche Not in den Stuben der Heimarbeiter — bedarf es noch weiterer Beweise dafür, daß der Zenit der deutschen Wirtschaftskrise über Sachsen liegt? Es ist denn auch nur eine zwangsläufige Auswirkung dieser Tatsache, daß gerade von Sachsen aus immer wieder Vorstöße unternommen worden sind, die Neichsregierung dazu anzuspornen, für Sachsen einmal etwas besonderes zu tun, zum mindesten aber mit kräftigen Taten der deutschen Not überhaupt zu steuern. Wir sahen uns gleichsam auf einem ver sinkenden Boot, an dessen Bordwand die alles verschlingenden Wellen immer höher und höher heranschlugen. Wir sahen das Ende allen Wirtschaftslebens, das Ende aller ErwerbsmSglich- keit und damit zugleich das Ende aller gemeindlichen und staatlichen Finanzwirtfchaft bereits greifbar vor uns. So hat ja kürzlich erst der Oberbürgermeister der sächsischen Hauptstadt erklärt, daß der Tag mathematisch genau Vorauszubestimmen sei, von dem an entweder keine Unterstützungen oder kein Zinsen dienst seitens der Stadt erfüllt werden könnte. Und diese er schütternde Kvpfrechnung war jeder Fabrikant, jeder Hand werker und Gewerbetreibende, und jeder dörfische Bürger meister genau so auf Tag und Stunde auszuführen imstande. Und nun hat die Regierung von Papen — in zwölfter Stunde sozusagen — ihr Programm zur Belebung der Wirt schaft Präsentteri. Die letzten wirtschaftlich überlebenden auf dem sinkenden Boot Sachsen greifen danach mit der Lebens hoffnung des schon Verzweifelten. Es ist kein Zufall, sondern die bloße Auswirkung der unerträglich gewordenen Verhält nisse in unserem vom Berliner Zentralismus dauernd über- gangenenBundesstaat, daß das sächsischeHandwerk eine der ersten Organisationen im Reiche war, die sich hinter das Programm der Regierung Papen stellte, weil es darin den Anfang zur Tat sah, zu jener Tat, auf die wir nun schon so lange warten, und die wir von Sachsen aus so oft gefordert haben. Und nun hat auch die sächsische Industrie durch ihre berufene Standesvertremng ihre gewichtige Stimme zugunsten des Papenprogramms erhoben und ihre Mitglieder aufgefordert, mit allen Kräften an der Verwirklichung dieses Wirtschafts, planes zu arbeiten. Freilich steht auch — das weiß man hier ganz genau — am Ende dieses Planes vorerst noch nicht die absolute Zuversicht, sondern die gute Hoffnung, aber eins ist doch da, das das schwankende Boot Sachsen wieder in ruhigere Gewässer zu tragen imstande ist: das Vertrauen. Und daS ist ein gar bedeutsamer Faktor in der wirtschaft lichen Berechnung. DaS gibt die Überzeugung, daß unser wrack gewordenes Schifflein, wenn es erst einmal am Kap der guten Hoffnung Rettungsanker zu werfen vermocht hat, einst auch wieder als stolzes Schiff, mit Gütern und Produkten seines GewerbeflelßeS reich beladen, die großen'Häfen des Welt handels wird anlaufen können. Freilich darf andererseits auch nicht verschwiegen werden, daß die Zustimmung, die das Wirtschastsprogramm der Reichs- regterung in Sachsen gefunden ha«, nicht ohne Bedenken ge währt worden ist. Und diese Bedenken beziehen sich auf die KoMingentierungsabsichien. Die Landwirtschaft erhofft von der Beschneidung der Einfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse eine Besserung ihrer auch in Sachsen gar nicht rosigen Lage, die Industrie aber erinnert sich nur zu gut der verheerenden Wir kung, die der deutsch-dänische Butterkampf auf unsere Fertig industrie gehabt hat, und die Tatsache, daß die sächsische Textil industrie durch die englische Grenzsperre so gut wie völlig zum Erliegen gekommen ist, ist Anlaß genug, vor Experimenten auf diesem Gebiete nachdrücklichst zu warnen. Und dann ist noch ein anderes, das in Sachsen mit ge mischten Gefühlen ausgenommen wird, und das wohl Nit der Anlaß zu der Reise des sächsischen Ministerpräsidenten Schieck nach Berlin zum Reichskanzler gewesen sein dürfte: die nicht unberechtigt Befürchtung, daß der Berliner Zentra lismus, der unter der früheren Reichsregierung sich so un liebsam aufblähle, auch jetzt wieder bemerkbar und damit die Benachteiligung Sachsens bei der Verteilung der öffentlichen Arbeiten eine chronische Erscheinung wird. Denn was bis jetzt über die Berücksichtigung Sachsens und der sächsischen Industrie bei der Anwendung der öffentlichen Mittel für Bauten der Reichsbahn und an den Wasserstraßen bekannt wird, ist mehr als kläglich zu nennen. Zwei unbedeutende Re gulierungsarbeiten an der Elbe sind alles, was an Wasser- straßenregulierung bis dato im Arbeitsbeschaffungsprogramm der Reichsregierung verzeichnet ist, und dabei ist das durch Hochwasser so oft und schwer heimgesuchte Sachsen geradezu prüdisteniert dazu, mit Reichsgeldern für den Ausbau der Wasserstraßen unterstützt zu werden. Noch warten die beiden Talsperren im Müglitz- und Gottleubatal ihrer Herstellung, im oberen Erzgebirge und in der Lausitz gilt es, immer wied-r durch Hochwasser gefährdete Gebiete endlich einmal radikal zu schützen, und ein über das andere Mal erklärt die Landes regierung, daß sie bei ihren beschränkten finanziellen Mitteln zu durchgreifender Hilfe nicht in der Lage set. Hier also bieten sich unerschöpfliche Gelegenheiten, dem Stiefkind des Reiches endlich einmal Arbeit zu geben. Sachsen braucht Arbeit und will arbeiten. Es ist zu hoffen, daß Ministerpräsident Schieck auf die Notwendigkeit der Vermehrung der öffentlichen Ar beiten für Wasserbau, Bahn und Post bei seinem Berliner Besuche mit allem Nachdruck hingewiesen hat. Denn man ver- gißt am fernen Strand der grünen Spree zu oft und nur zu gern, daß Sachsen Grenzland ist! ldi. Hur unlerrr keimst Wilsdruff, am 28. September 1932, Merkblatt für den 29. September. Sonnenaufgang 5" I Mondausgang 4- Sonnenuntergang 17- I Monduntergang 17" 1815: Maler Andreas Achenbach geb. 1913: Ingenieur Rudolf Diesel gesi. Das MichaeNsfest. Zum 29. September. Das Volk sagt schlechthin „Michaelis" und meint da mit das Michaelisfest, das von der katholischen Kirche am 29. September als „Engelfest" gefeiert wird. Es handelt sich nämlich um den Erzengel Michael — der Name be deutet „Wer ist wie Gott?" —, der in alten Zeiten als Sieger über den Drachen oder über den Satan dargestellt wurde, und den die ersten Christen zum Schutzpatron über ihre Kirchen nahmen, namentlich in Deutschland. Die Anfänge dieses Engelsfestes hat man schon in sehr frühen Zeiten zu suchen; nach Deutschland aber scheint es als kirchlicher Festtag erst durch Karl den Großen gebracht worden zu sein. Die evangelische Kirche feiert es nicht als besonderes Fest, hat es aber vielfach zum Erntedank fe st, das am Sonntag nach Michaelis gefeiert wird, gemacht. Maler und Bildhauer zeigten den Erzengel Michael, wie er mit der Lanze den Teufel durchbohrt, ihn niedertritt und in den Abgrund stürzt. Früher wurde vielfach behauptet, daß der Name des Erzengels Michael, den man auch im Schlachtgesang anrief, auf den deutschen Kriegsmann und dann auf das ganze deutsche Volk über gegangen fei. Wer kennt ihn nicht, den „deutschen Michel"'? Aber es ist doch sehr zweifelhaft, ob dieser „deutsche Michel" wirklich mit dem heiligen Michael zu sammenhängt. Michel ist zwar eine Abkürzung von Michael, aber der „deutsche Michel", dem man eine gewisse Schwerfälligkeit und gutmütige Unklugheit nachsagt, ist doch wohl erst zur Zeit der Befreiungskriege entstanden. Mit dem althochdeutschen Worte „michel", das ist stark,, groß, hat er nichts zu tun. Früher hatte der Michaelistag in Deutschland in mannigfacher Hinsicht eine besondere Bedeutung, nicht nur auf dem Lande, sondern auch in der Stadt, vor allem in den kleineren Städien. Man mietete und vermietete, man kündigte und verabredete Zahlungen — Zinszahlungen zum Beispiel — nicht wie heute für ein Vierteljahr oder ein halbes Jahr oder ein Jahr, sondern setzte als Termine bestimmte Kirchenfeste an. Und ein solcher wichtiger Termin für Zahlungen und Kündigungen mit Mietverein barungen war in erster Linie Michaelis und ist es vieler orts bis zum heutigen Tage geblieben, insofern gesetzliche Bestimmungen es nicht anders wollen. Ein Dienstboten- Wechsel geschieht in kleineren Orten noch heute vielfach „zu Michaelis". Aber noch eine andere große Bedeutung hatte und hat zum Teil auch jetzt noch der Michaelistag. „Um Michaelis" — das ist die Zeit der großen Märkte, der Jahr märkte, die jetzt ja Wohl lange nicht mehr so wichtig, sind wie In der guten alten Zeit, aber für gewisse Gegenden doch immer noch als Merktage gelte«, weil sie die Be völkerung eines ganzen Bezirkes, eines vielleicht etwaH größeren Ortes und seiner ganzen ländlichen Umgebung* zu einer bestimmten Zeit sich zusammenfinden lassen zum Kauf und Verkauf. Aber auch im großen geschieht dasr man braucht da nur an die große Leipziger Michaelismesse zu denken, die allerdings nicht erst dicht vor Michaelis be ginnt, sondern schon lange vorher, so in den letzten August tagen, aber sich bis zur Michaeliszeit erstreckt. Aus all dem ist zu erkennen, daß Michaelis auch in unserer Zett noch ein Tag von besonderer Art ist, und daß man seiner auch dort, wo er längst nicht mehr als Feiertag aitt, M! gedenken hat.
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