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Nr. 215 — 91. Jahrgang Dienstag, den 13. September 1932 Wilsdruss-DreSden Telegr.-Adr.: „Amtsblatt* Postscheck: Dresden 2640 Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschast Meisten, des Amts gerichts und des Stadtrats zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte Blatt. für Äürgerlum, Äeamle, Angestellte u. Arbeiter Anjcig«npr-i-: die 8»rUoU'N« «aumjeile 20 Rpfg., die 4,etp«linie Zeile der amtlichen Bekanntmachungen 40 Reich» Pfennige, die »gespaltene Sieklamezeile im textlich-n Teil- 1 BMK. Nachweisung-,edühr ro Aeichrpjennige. Dar- Fernsprecher: Amt Wilsdruff Nr. 6 SchW"WA annahmebisvarm.iouhr. '——— " ' Für die Richtigkeit de» durch Fernruf übermittelten Anzeigen Ld-rn. wir keine Garantie. Jeder Radananfpruch erlifcht, wenn der Betrag durchs Klage -tagezogen werden muß oder der Auftraggeber in Konkurs gerat. NationaO^V^Kzeitung für die Landwirtschaft, Das .Wilsdruffer TageblatlHnfchein« an allen Werktagen nachmittags 5 Uhr. Bezugspreis monatlich 2,— AM Net Hau-, bei Postbestellung 1,80 RM. zuzüglich Bestellgeld. Einzelnummern 10 Rpsg. Alle Posianftalten, Post- Wochenblatt für Wilsdruff u. Umgegend L^kuM FaA« höherer Gewalt, —————————— Krieg oder sonstiger Be- Driedsstvrunaen besteht kein Anspruch aus Lieferung der Leitung oder Kürzung des Bezugspreises. — Rücksendung erngesandter Schriftstücke erfolgt nur, wenn Porto beiliegt. Der Reichstag aufgelöst. Sie Auflösung des Reichstages. Konflikt zwischen Regierung und Reichstag. Gewiß waren die Gänge, Säle und Tribünen des Reichs tages überfüllt, drängten sich unten im Sitzungssaal die Scharen der mehr als sechshundert erst vor kurzem gewählten Abgeordneten; gewiß saßen in der großen Diplomatenloge Mann an Mann die Mitglieder der Botschaften und Gesandt schaften, in der Mitte ganz vorn an der Brüstung Sir Rum- Kold und neben ihm der Franzose Francois Poncet, — aber les wehte doch eine gar nicht allzu erwartungsschwere Luft Lurch das gewaltige Viereck des Sitzungssaales. Denn im allgemeinen rechnete man ja lediglich mit einer Erklärung Les Reichskanzlers und — für heute — durchaus noch micht etwa mit der Austragung des Konflikts Zwischen Reichsregierung und Reichstag. Man rechnete — und hat sich ganz gründlich verrechnet! Der Konflikt, der ja „latent" vorhanden war, kam vor diesem großen Publikum zum offenen und dramatisch außerordentlich Lewegten Ausbruch. Gewiß hatte es auch einigermaßen ruhig angcfangen, nachdem Präsident Göring die Glocke zur Eröffnung dieser zweiten und — letzten Sitzung des Reichstages hatte er klingen lassen. Aber sehr rasch kam die entscheidende Über raschung: als erst von kommunistischer, dann auch von sozial demokratischer Seite beantragt wurde, noch jetzt gewisse, die Notverordnung betreffende Anträge auf die Tagesordnung zu setzen, darunter sogar einen kommunistischen Mißtrauens antrag gegen den Reichskanzler und alle Reichsminister, — da erfolgte ein Widerspruch nicht, auch nicht von deutschnationalcr Seite, von wo aus er an gekündigt war. Damit wär aber geschäftsordnnngsmäßig gerade dasherbei- geführt worden, was die Mehrheit der Nationalsozialisten und des Zentrums für diese Sitzung hatte ausschalten wollen: Notverordnungen und Mißtraucnsanträge zur Ver handlung zu stellen. Hier aber liegt der Drehpunkt der folgenden Vorgänge, die durch ein Dazwischcnspringen des Nationalsozialisten Dr. Frick und eine halbstündige Aus setzung der Sitzung aufgcschoben, aber nicht mehr aufgehoben werden konnten. Wieder rufen die Klingeln — was ziemlich überflüssig war, denn die meisten Abgeordneten hatten den Sitzungssaal gar nicht verlassen — und nach eiriigem Warten sieht man den Rcichstagspräsidenten unten im Saal mit den andern Führern seiner Partei sprechen. „Jnstruktionsstunde!" wird von links gerufen, und man beginnt zu ahnen, daß — die Ent scheidung da ist. Wieder erscheint das Kabinett, an seiner Spitze der Reichskanzler. Unter dem Arm trägt er neben dem Manuskript seiner — im Reichstag nicht mehr gehaltenen — Rede auch das, was man früher als „die rote Mappe" be zeichnete. Sie ist heute dunkelbraun! In ihr — das wußte jeder der 600 — stak die Auflösungsorder des Reichspräsidenten, und laut, immer lauter schwollen die „entsprechenden" Zurufe an, als der Reichstagspräsideni mitteilte, daß die sozialdemo kratisch-kommunistischen Anträge widerspruchslos auf die Tagesordnung gesetzt worden und . . . Nun spielte sich alles fast blitzschnell ab. Obwohl, wie behauptet wird, der zwischen dem Reichskanzler und vor dem Rcichstagspräsidenten sich aufhaltcnde Staatssekretär der Reichskanzlei wiederholt dem Reichstagspräsidcnien Zeichen gegeben hatte, daß Herr von Papen das Wort er greifen wolle, fuhr Herr Göring unbeirrt fort und erklärte Plötzlich: „Wir treten in die Abstimmung ein." Ein un beschreiblicher Tumult erhob sich, als nun Herr von Papen persönlich vor den Sitz des Reichstagsprästdcntcn hincilt und die Auflösungsorder übergibt. Ein kurzes Hin und Her; Herr Göring legt die Order auf den Tisch, erklärt, in ver Abstimmung fortzufahren, Herr von Papen Wendel sich ab, — ein kurzer Wink zur Regierungstribüne hinüber und die Mitglieder dieses sich in offenem Konflikt mit dem Reichstag befindlichen Kabinetts verlassen unter lösenden Zurufen der Abgeordnetenmassen den Saal. Was dann kam, war keine Überraschung mehr: den, Reichskanzler und allen Reichsministern wird mit 513 von fast 600 Stimmen das Mißtrauen ausgesprochen, was natürlich wieder allcrstärksten Beifall auslöst. Göring hält eme Rede, in der er sein Verhalten darlcgt und verteidigt. Wehrend die Teutschnationalcn den Sitzungssaal verlassen, erUi.n er die Auflösungsorder als gcgcngezeichnet von einer Re chsrcgierung, der vom Reichstag das Mißtrauen aus gesprochen sei und die damit nicht mehr die verfassungsmäßige Voraussetzung für ihre Amtsführung besäße. Noch beraumt der Präsident die Sitzung des Reichstages für den nächsten Tag an, noch branden die Wogen der Erregung hoch empor zu den Zuhörertribünen, zu der Loge der fremden Diplomaten, zu dem Engländer, dem Franzosen, aber schon erörtert man allein mehr die Frage: Was nun? Die Auslösung ist ausgesprochen worden, weil der Reichstag zweifellos - er hat es ja auch getan — die Aus hebung der Notverordnung zu verlangen beschließen würde. Das Mißtrauen ist gegen den Reichskanzler und sein Kabinett votiert worden, ohne daß Herr von Papen zu Wort kam, — was nun? Ar. Pr. Sitzungsbericht. (2. Sitzung.) 68. Berlin, 12. September. Unter großer Spannung des übervollen Hauses eröffnet Präsident Göring um 3 Uhr die Sitzung. Vor Eintritt in die Tagesordnung beantragt Abg. Torgler (Komm.), die Anträge seiner Fraktion auf Aufhebung der Notverordnung sofort aus die Tagesordnung zu setzen und ohne Aussprache darüber abzustimmcn. Der Redner ergeht sich in scharfen Ausfällen gegen die Regierung und beantragt weiter, die Mißtrauens anträge gegen die Regierung ebenfalls sofort auf die Tages ordnung zu setzen und zur Abstimmung zu bringen. Abg. Löbe (Soz.) beantragt Anträge seiner Fraktion eben falls sofort auf die Tagesordnung zu setzen, wonach die noch nicht in Kraft gesetzten Teile der Notverordnung nicht eher in Kraft gesetzt werden solle», als bis der Reichstag über die An träge auf Aufhebung der Notverordnung entschieden hat. —. Der Redner fügt hinzu, auch er sei mit der beschleunigten Er ledigung der kommunistischen Anträge einverstanden, aber der Abg. Dr. Obersohrcn (Din.) werde gewiß gegen die sofortige Behandlung Widerspruch erheben. Als Präsident Göring darauf die Frage an das Haus stellt, ob gegen den kommunistischen Antrag, die Anträge und Ab stimmungen jetzt schon als ersten Punkt aus die Tagesordnung zu setzen. Widerspruch erhoben wird, geschieht dies nicht. Unter großer Bewegung beantragt Abg. Dr. Frick (Nat.-Soz.) dann sofortige Unterbrechung der Sitzung um eine halbe Stunde. Der Antrag wird von der Mehrheit der Nationalsozialisten, dem Zentrum und der Bayerischen Volkspariei angenommen. Gegen 4 Uhr wird die Sitzung wieder eröffnet. Präsident Göring erscheint im Saal zunächst auf seinem Abgeordneten sitz und begibt sich dann erst auf den Präsidentcustuhl. Nachdem er die Sitzung wicdercröffnel hatte, erschien auch Reichskanzler von Papen mit den Mitgliedern seiner Regierung wieder im Saale. Er hatte eine rote Aktenmappe unter dem Arm, die offenbar die Anflösnngsvcrordnnng enthielt. Präsident Göring erklärte dann: Nachdem sich vorhin kein Widerspruch gegen die neue Tagesordnung geltend gemacht hat, kommen wir zur Abstimmung über die Anträge des Abg. Torgler. (Reichskanzler von Papen erhebt sich.) Wer für den Antrag ist, den bitte ich, eine Karte mit „Ja", wer dagegen ist, eine Karte mit „Nein" abzugeben. Unter großer Erregung im ganzen Hause begibt sich alsdann Reichskanzler von Papen zum Präsidcntcnstuhl und legt dem Präsidenten ein Blatt Papier, Vie Auflösungsorder des Reichspräsidenten, vor. Präsident Göring legt die Verordnung aber zur Seite und bleibt bei der eingeleitetcn Abstimmung. Daraufhin begibt sich der Reichskanzler mit den Kabinetts mitgliedern auS dem Saal. Es wird gemeinsam abgestimmt über die kommunistischen Anträge auf Aufhebung der Not verordnung und über die Mitztrauensanträge gegen die Reichs regierung. Unter großer Unruhe wird die Abstimmung durchgcführt. Nein-Karten werden, soweit inan beobachten kann, nur von den Deutschnationalen abgegeben. Während der Abstimmung unterbreitet der Abg. Dr. Bell (Ztr.) dem Präsidenten Göring offenbar irgendeinen Vorschlag. Der Präsident wiegt jedoch zweifelnd den Kopf und winkt ab. Die letzte Sitzung des Reichstages. Abgestimmt worden ist über die verbundenen beiden An träge, die Notverordnung auszuheben sowie dem gesamten Kabinett Papen das Mißtrauen auszusprechen. Abgegeben wurden 550 Karten. Davon haben sich fünfzig der Stimme enthalten, 32 Abgeordnete mit Nein gestimmt, 513 mit Ja. tLebhastcr Beifall im ganzen Hause, Händeklatschen bei den Nationalsozialisten und Kommunisten.) Präsident Göring: Die Abgg. Dr. Oberfohren und Torgler haben sich zur Geschäftsordnung gemeldet. Ich erteile jetzt das Wort zur Geschäftsordnung nicht. Nachdem bereits die Abstimmung begonnen hatte, hat der Reichskanzler um das Wort ersucht. Nach der Abstimmung hätte ich, gemäß der Verfassung, dem Herrn Reichskanzler das Wort erteilen müssen. (Rufe bei den Deutschnationalen: Jederzeit müssen Sie ihm das Wort erteilen!) Während der Abstimmung hat mir der Herr Reichskanzler ein Schreiben überreicht, das nun mehr, da es gegcngezeichnet ist von dem Herrn Reichskanzler und dem Reichsinncnminister, die durch das soeben an genommene Mißtrauensvotum als gestürzt zu gelten hahen, hinfällig geworden ist. (Stürmischer Beifall bei der Mehrheit.) Das Schreiben lautet: Die Auflösungsorder. „Verordnung des Reichspräsident«»' über die Auflösung des Reichstage» 12. September 1932. Auf Grund des Artikels 25 der Reichsverfafsung löse ich den Reichstag aus weil die Gefahr besteht, daß der Ncuhstag die Aufhebung meiner Notverordnung be- gez. Reichspräsident v. Hindenburg gez. Reichskanzler von Papen. gez. Reichsinnenminister von Gayl, Göring protestiert. Präsident Göring: Meine Damen und Herren, ich nehme hier den Standpunkt ein, daß vorläufig dieses Schreiben keine Gültigkeit hat (Rufe bet den Komm.: Papierkorb!), da die Gegenzeichnung von einem Ministerium erfolgt ist, das durch die Volksvertretung soeben mit überwältigender Mehrheit gestürzt worden ist. (Die Dentschnationawn verlassen ge schlossen den Saal.) Der Sturz des Kabinetts war ebensowenig überraschend wie die beabsichtigt gewesene Auflösung des Reichstages. Die Absicht einer Rcichsiagsauflösung wurde bereits unterstrichen, wie ich zu meinem Bedauern fcststcllen muß, durch das Verhalten des Reichstagsvtzepräsidentcn Graes anläßlich der Vorstellung des Reichstagspräsidiums beim Herrn Reichspräsidenten. Als das Reichstagspräsidium die Auffassung der Volksvertretung über die politische Lage dem Reichspräsidenten vortragen wollte, sagte der Herr Vize präsident Graef, daß er nach der formellen Vorstellung des Präsidiums sich nicht weiter an einem Vortrage beteiligen wolle. (Anhaltende Unruhe bei den Kommunisten, die vom Präsidenten Göring wiederholt zur Ruhe ermahnt werden.) Der Reichstagsvizepräsident hat sich dagegen ausgesprochen, daß der Reichspräsident zu dem parlamentarischen Brauch zurückkehrt, und begrüßte vielmehr, daß nunmehr eine der artige Regierung, wie das Kabinett von Papen, ins Amt be rufen worden sei. Es war dies bereits der erste Versuch, das Ansehen des Deutschen Reichstages herabzusetzen. Ich bin fest entschlossen, sowohl das Ansehen des Reichstages aufrechtzu erbalten, wie vor allem das Recht der deutschen Volksver tretung, gemäß der Verfassung weiierznarbeiten. (Andauernder Lärm bei den Kommunisten. Präsident Göring droht mit Aus weisungen aus dem Sitzungssaal.) Wir werden alle Schritte und Maßnahmen treffen, um ein Auflllslingsdekrct, daS von einer gestürzten Negierung gegengczcichnet wurde, die sich lediglich ans die verschwindende Anzahl von 32 Stimmen im gesamten Reichstag stützen kann, wirkungslos gemacht wird, indem es vom Herrn Reichs präsidenten zurückgenommen wird. Dieses Dekret hat durch die Gegenzeichnung der gestürzten Regierung ja seine Gültig keit verloren. (Händeklatschen b. d. Nat.-Soz.). Präsident Göring schlägt dann vor, die Sitzung für Heine zu vertagen und das Reichstagsplenum morgen, Dienstag, wieder zusammentreten zu lassen mit einer Tagesordnung, die der Ältestenrat noch am Montag in einer besonderen Sitzung bald nach Schluß des Plenums festsetzen soll. Mißtrauensvoinm S^2:42. Wie stimmten die einzelnen Parteien? Nach der endgültigen amtlichen Feststellung über das Ergebnis der namentlichen Abstimmung des Reichstages sind für den kommunistischen Antrag auf Aufhebung der Verordnung vom 4. September und gleichzeitig für das von den Kommunisten beantragte Mißtrauensvotum gegen das Kabinett Papen 512 Stimmen abgegeben wor den. Gegen die Anträge stimmten 42 Abgeordnete, näm lich 35 Deutschnationale und sieben Mitglieder der Deut schen Polkspartei. Von den Deutschnationalen Hai sich jedoch der Abgeordnete Dr. Spachn der Stimme enthalten, ebenso handelten die drei Abgeordneten des Christlich- Sozialen Volksdienstes sowie der Abgeordnete des Volks rechtpartei. Überhaupt nicht an der Abstimmung teil genommen haben die vier Mitglieder der Staatspartei, die zwei Abgeordneten der Deutschen Bauernpartei und die zwei Wirtschaftsparteiler.