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Wilsdruffer Tageblatt : 19.07.1932
- Erscheinungsdatum
- 1932-07-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-193207196
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19320719
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19320719
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1932
-
Monat
1932-07
- Tag 1932-07-19
-
Monat
1932-07
-
Jahr
1932
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 19.07.1932
- Autor
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Kameraden. Tiernovelle von Martha Roegncr. Ein Goldadler war zur Nacht aufgebaumt auf einer ur alten Pappel, die oben am Rande einer abgrundtiefen Schlucht hing. Als die Sterne erblaßten, war seine Gestalt schwarz wie ein Schattenriß im kahlen Gezweig, aber als das Licht im Osten hcraufflutete, leuchtete er kupferfarben. Er lat die scharfen Augen auf und begann sein Gefieder zu putzen, äugte zwischendurch zu den rosenrot glühenden Schnee häuptern im Westen empor und dann lange über die östlichen hänge hinab. Da drunten schimmerte der Frühling. Totenstille. Kein Vogelruf, kein Menschenlaut, leer schien die ungeheure Einöde. Aber jetzt bekam sie eine Stimme. Ein scharfes Kläffen, das in ein langgezogenes, schneidendes Heulen überging: drunten auf einem Erdhügel saß ein Präriewolf und sang sein Morgenlied. Er war nur Haut und Knochen, und bei jeinem Anblick schüttelte der Goldadler sein lockeres Gefieder: sa, er war auch nicht fett. Er ließ sich in die Schwingen sollen nnd segelte der Sonne entgegen. Stunde um Stunde ruderte er, und immer umgab ihn dieselbe ungeheure Weite ohne Grenzen. Tief unter ihm war herrliche, üppige Prärie im vollsten Frühlingsschmuck. Die ernsten scharfen Augen hoch droben im Blau spähten weit aach Norden und Süden: leere Einöde. Nur dann und wann Loyotengeheul. Die gelben, zierlichen Präriewölfe und die zroßen Grauwölfe, sie waren alle nahe am Verhungern ge- Desen, und die Adler und Geier und Raben mit ihnen — die letzten Winter waren grausig gewesen, denn die großen schwarzbraunen Ungeheuer, die Bisons, waren plötzlich ver schwunden aus ihrer weiten Welt. Wo waren die Millionen heere geblieben? Die Gefiederten in den Lüften wußten es vohl, und dennoch war's ihnen ein erschreckendes Rätsel. Nicht länger als vier Jahre war es her, da waren ihre Herden um diese Zeit gen Norden gewandert zu Tausenden and aber Tausenden, eine Flut von Leben, die ewig uner schöpflich schien; die endlosen Prärien waren schwarz von ihnen. Der Mensch war schuld, dieser Schrecken der Erde. Die Roten hatten begonnen, aber sie waren nicht viel schlimmer für die großen Zottigen gewese« als die Moski- ios in ihrem Pelz — sie wichen kaum zur Seite, wenn die raschen roten Reiter mitten unter sie fuhren, und stürzte üner der Ihren, so gingen die nächsten zu ihm hin und be schnüffelten ihn, verständnislos glotzend, bis mehr fielen — >is ein Schrecken sie faßte und sie stampfend davonfuhren in üe Weite. Sie spürten die Lücke kaum, denn es waren ihrer v viele. Ungezählte Tausende wurden alle Jahre abge schossen, und die Völker der Roten lebten davon und freuten ich ihrer herrlichen Freiheit in ewiger Sorgeülosigkeit, denn hunderttausende von Kälbern wuchsen alle Jahre neu heran. Aber dann kamen die Weißen und legten Schienen quer Urch die Reiche der wilden Herden, und binnen vier Jahren Daren die Millionen verschwunden bis auf ein Paar hundert versprengte kleine Herden, die fick ängstlich versteckten in -en tiefsten Einöden. Sie hatten den Tod nicht lauern sehen im stillen Busch. Der Goldadler schwamm langsam in immer engeren Kreisen, zog plötzlich die Schwingen ein und stürzte wie ein Stein herab. Aber als er den Hasen im blumigen Grase »reifen wollte, zischte ihm ein Schlag durchs Halsgefieder; er Dich Wie ein Blitz zur Seite und fuhr reißenden Fluges auf und davon. Der Hase sauste hinaus in die Weite. An einem Waldessaum saßen zwei rote Männer, ein Füngling und ein Uralter. Der Alte war gut gekleidet in Ser Tracht seines Volkes, der Junge war fast nackt, und sie jvaren so mager wie Coyoten und Grauwölfe. Der Alte sichelte höhnisch: „Mein Sohn hat zu schießen verlernt", sagte er leise in singendem Tone, „vielleicht hat das Feuer- vasser der Weißen seine Hand zittern gemacht. Und nuv hat er nicht einmal einen Hund, den Hasen zu holen. Ihr Miet nicht alle Hunde aufessen sollen im lebten Winter." In dem harten Broncegesicht des Jungen verzog sich keine Linie, als er mit der gleichen singenden Stimme anhob: „Mein Vater mag ruhig heimgehen — morgen wird der schwarze Büffel über unsern Feuern hängen." Ein Seufzer antwortete ihm. „Es sind die Letzten, llnd dann? Die blinkenden Ketten und die bunten Zeuge »er Weißen haben die Augen meiner Kinder verblendet, und Sas Feuerwasser hat ihren Sinn in Schlaf gewiegt. Sie hätten besser getan, die Weißen Jäger abzuschießen, als den wilden Büffel auszurotten, der unsere Nahrung war, so lange unseren Vätern dieses Land gehörte." Er stand mit einem lautlosen Ruck aufrecht, steil und schmal, und warf »ie Büchse über die Schulter. „Morgen oder übermorgen Dird der Weiße Mann verbieten, noch einen Büffel zu töten. Lr hat Zeit, zu warten, ob die Herden wieder wachsen meiden. Vielleicht! Aber bis dahin sind unsere Völker längst ausgestorben — sind alle unsere Kinder verhungert. Fhr habt uns selber den Tod verhängt." Er wandte sich und verschwand zwischen den Stämmen. — — Es war nur eine kleine Herde, die im Sumpfdickicht steckte, kaum dreißig Stück, ein Dutzend Kühe mit ihren Kälbern, ein paar junge Bullen und der Leitstier; der war auch noch nicht alt, aber er hatte noch die Zeiten erlebt, da sie zu Millionen über dies grüne,herrliche Land wanderten. 'Es war seinem dicken Schädel nur schwer eingegangen, daß es nun anders war — aber jetzt wußte er's. Er hatte noch die Stimmen der vielen Tausende im Ohr, deren dumpfes Brüllen wie ferner Donner unaufhörlich über die weiten Ebenen rollte und grollte; nun hatten die letzten Schweigen gelernt wie das Grab. Sie lagen im unweg samsten Dickicht, in dem kein Auge auch nur ein Horn von ihnen zu sehen bekam, und kein Knacken und kein Plätschern verriet sie. Nachmittags wurden die Kälber sehr übermütig; sie tollten und spielten auf tiefumschlossener Lichtung, daß ihre Mütter fast ihre Sorge vergaßen und ganz heiter wurden. Aber Jack der Alte trabte rings durchs Dickicht und windete and horchte — ach nein, er war noch nicht alt, denn die Alten hatten die verborgenen Schlächter immer zuerst abge tan, immer das Leittier, und danach immer die, die sich in Bewegung setzen wollten, denn sie wußten, daß die Herde in jedem Falle dem blindlings folgte, der sich zuerst zur Flucht wandte. Sie hatten Hunger. Als die Sonne sank und die weite Prärie in märchenhaft rotem Licht flammte, stand Jack lange hinter den Mauern von knospendem Grün und lauschte mit collenden Augen. Draußen war herrlichster Weidegrund, meterhoch stand das saftige Gras im üppigsten Flor. Aber »er Wind kam vom Flusse her. Als die Sonne weg war and das Land grau wurde, wandte er sich und glitt lautlos in den Fluß. Und lautlos folgte ihm die ganze Herde; einzeln. Stück hinter Stück, schnitten sie durchs Wasser und ver- jchwanden schweigend im jenseitigen Dickicht. Zwei funkelnde Augen folgten ihnen. Aber erst lange, nachdem sie verschwunden waren, glitt ebenso lautlos ein -Boot übers Wasser. Sterne begannen zu blinken, die Erde war schwarz, in »er Ferne sangen die Coyoten, da stand der rote Mann jen seits am Buschrand. Nicht weit von ihm zog äsend die ganze Herde, säst unsichtbar in der Dunkelheit. Er glitt weder auf sein Knie, so daß er die Rückenlinie eines großen Lieres ins Auge bekam, ging mit der Büchse vom Widerrist mfs Geratewohl etwas tiefer, bis wo das Blatt zu vermuten war, und drückte ab. Im Augenblick sah er eine Wirrnis »on wild aufgeworfenen Köpfen und Schwänzen vor sich, lind brüllend und stampfend verschwand die Herde wie ein Sturmwind. Sie hielten nicht so bald inne. Und Jack, der schwer ge troffen war, kam tapfer mit, aber nun als einer der Letzten. Kur zwei waren noch hinter ihm, zwei jüngere Stiere, und »as war kein Zufall, denn mit diesen beiden hatte er, seit sie lls Kälber neben ihm aufwuchsen, immer aufs engste zu- ammengehalten. Nach einer Stunde begann er zu taumeln und zurückzu- tleiben. Die Herde brauste noch weiter, seine Begleiter über- solten ihn, aber als er niederstürzte, schauten sie sich um — md da sahen sie vier glühende Augen, die ihren Spuren ölgten und nun den Gefallenen umkreisten. Im gleichen Augenblick hatten sie kehrtgemacht und fuhren in rasender Vut gegen die mageren Raubgesellen los. Grauwölfe — die jaßten sie wie nichts auf der Welt, tausendmal mehr als den Nenschen, den sie nie begrisfen und kaum jemals sahen — wer was die geifernden Rachen da wollten, das wußten sie ,ut ; sie waren sie im ganzen letzten Winter nicht los- ,eworden. Brüllend und stampfend mit rollenden roten Augen auerten sie gesenkten Hauptes und fuhren immer wieder blitzschnell gegen die Angreifer los; es dauerte nicht lange, so waren ihrer schon zehn oder zwölf, und sie waren alle toll vor Hunger. Manchmal bekamen die Stiere einen allzu Frechen auf die Hörner, dann gab es ein schneidendes Ge heul, und die anderen wichen zurück, aber nur für wenige Augenblicke — die beiden tapferen Kameraden hatten heiße Arbeit die ganze Nacht hindurch. Und in ihren dunklen Hirnen wurden die schauerlichen Nächte des letzten Winters wieder lebendig, da sie, bis an den Bauch im Schnee, sich mühselig ihren Weg durch die Prärie wühlten, fast ver hungert, fast erfroren in rasendem Sturm und schneidender Kälte, und immer hatten sie diese Schleppe der verhungerten Teufel hinter sich, denn immer wieder blieb ein Kalb hinter der Herde liegen, und die Mutter mit ihm. Keine ließ ihr Kind im Stich, sie verteidigte es, bis sie selber fiel — bis die Meute über sie herfiel und sie noch lebendig in Stücke riß. Jack stöhnte und röchelte, dann wurde er still. Und seine Gefährten jagten und stampften rings ums Wundbett, bis der Morgen tagte. Da lag Jack steif nnd tot mit lang heraushängender Zunge, und seine Brüder tobten und stampften und stießen noch immer — sie hatten gar keine Zeit, zu überlegen,, ob es noch Zweck hatte, denn die Räu ber knurrten auf allen Seiten mit blanken Zähnen und fuhren immer frecher zu. Als die Sonne aufging, knallte ein Schuß aus nächster Nähe, und der eine der beiden Stiere tat sich langsam nieder. Und es knallte wieder, und sein Gefährte stürzte zusammen. Und zum dritten Male — da schlug ein großer Grauwolf einen Purzelbaum in der Luft, und die anderen wichen zu rück. Und jetzt tauchten rote Männer auf und begaben sich ans blutige Werk. Sie waren nicht so heiter dabei wie in früheren Jahren beim edlen Weidwerk. Denn sie wußten es Wohl: es waren die letzten der schwarzbraunen Riesen, und mit deren Schick sal war ihr eigenes besiegelt. Lin Uaufinann reist inr Vad. Skizze von Grete Masse. Ein deutscher Kaufmann, länger als zwanzig Jahre in Voston ansässig, erkrankte in seinem dreiundfünfzigsten Lebens wahre an einem vorher sich mäßig äußernden Herzleiden so schwer, daß er, um Heilung, oder doch Linderung zu sinden, »ie Fahrt nach einem bekannten deutschen Badeort nicht scheute. Obwohl es ihm keine Mühe verursacht hätte, auf der Fahrt von Hamburg nach dem südlichen Deutschland in seiner yeimatstadt Halt zu machen, verließ er den Zug nicht. Er »ertiefte sich sogar mit geheucheltem Eifer in seine Zeitungen md bebilderten Magazine, als er an der Stadt vorüberfuhr, in der er seine Kindheit und Jünglingsjahre verbracht. Er gab sich den Anschein, als wären jene Türme in der violett sich färbenden Abendluft, jene Mauern, jene Brücken, jener Fluß nie mit täglich sich wiederholender Gleichmäßigkeit vährend der ersten Hälfte seiner Lebenszeit in sein Bewußt sein gedrungen. Ja, wer ihn genau ansah, hätte be- chachten können, daß sich seine Züge so dunkel beschatteten, wie mr ein innerer Hatz plötzlich ein Gesicht verfinstern kann. And wirklich wuchs der Groll — drüben in den zwanzig Bostoner Jahren zur Ruhe gekommen — in seiner Brust nieder mächtig empor, als er die Augen abwandte, die Stadt seiner Kindheit nicht zu sehen. Er war der Stadt, dem Vaterhaus, den zu ihm gehörenden Menschen einst entflohen, soweit er nur fliehen konnte. Fremden hatte er sich ver- »undener gefühlt als den Angehörigen seiner Familie. Fremde varen seine Arbeitsgenossen, die Gefährten seiner Feier stunden, die Vertrauten seiner Erlebnisse gewesen. Keinen Brief sandte er in mehr als zwanzig Jahren von Boston ms an die Menschen gleichen Namens in seine Heimat. Und setzt, als der Alternde, Kranke, Sterbende vielleicht, an ihr wrüberfuhr, sprang all der Groll, alle empörte Wut, die er linst gegen sie alle, alle, gehegt, die ihm zugehörig gewesen, nit unverminderter Kraft in ihm empor. Seine Vernunft ägte ihm nicht, datz vielleicht dort unten in der Stadt, von wr er sich abkehrte, keiner seines Namens mehr unter der vonne atmete. Die Aelteren konnten — sie alle waren in der Familie nur von schwächlicher körperlicher Beschaffenheit — angegangen sein wie Bäume, die Nahrung nicht mehr aus krdreich und Luft zu ziehen wissen. Ob ein junges Ge^ schlecht erblüht, war ihm nicht bekannt. Der Kurort leuchtete in der herrlich grünen Frische ds- nsten Sommers, als der Kaufmann in einer Waldpension weinen Aufenthalt nahm. Zuerst füllten dis wechselnden Eindrücke seiner neuen Umgebung, die Besuche beim Arzt, die Kuren und die Bäder »ie Stunden seines Tages vollkommen aus. Doch als bei ihm rll dies Neue Gewohnheit zu werden begann, empfand er Verlangen nach Anschluß und geselligen Umgang mit anderen., ks ereignete sich, daß er bald in eine Art Freundschaft mit linem jungen Studenten geriet, dessen Bekanntschaft er am Vrunnen gesucht, nachdem der schmächtige, blasse Mensch mit einen verträumten, kurzsichtigen Augen schon in den Warte- räumen ihres gemeinsamen Arztes seine Aufmerksamkeit und» -ine ungewöhnliche Zuneigung bei ihm ausgeiöst. Dieser junge Freund — früh gereiften und gütigen Wesens — ward dem Kaufmann bald unentbehrlich. Sie trafen sich täglich in den Wandelhallen, sie ver- »rachten die Abendstunden beim Schachspiel. Auch die Spazier ränge machten sie gemeinsam. Langsam, sehr langsam — ihre Herzen erlaubten ihnen kein rasches Ausschreiten — ringen sie verborgene Wege, die sie von den anderen Men schen absonderten. Es war der Student, der führte. Und der keltere, der zuerst seine Neigung für Kurkapelle und llestaurationsbetrieb nicht ganz unterdrücken konnte, erlag dem erzieherischen Einfluß des Jüngeren. Der Bostoner Kauf mann —oder soll man der oeutsche Kaufmann sagen — er lebte im Umgang mit diesem idealistischen Menschen etwas Die eine innere Wandlung und zwar in der Art, daß die Vegcisterungssähigkeit des Studenten, seine grenzenlose Hin- zabe an Großes und Edles einen Widerhall erweckten, wie »er Aeltere ihn so wärmend und beglückend in seiner Brust mährend seiner ganzen Lebenszeit noch nicht empfunden. Schließlich wurde in dem Kaufmann der Wunsch nach der immerwährenden Nähe seines Freundes so stark, daß er ihn ! nnlud, auf seine Kosten in der Waldpension, in der er sich einquartiert, ein Balkonzimmer neben seinem eigenen zu beziehen, denn es war ihm bekannt, daß der junge Mensch in großer Armut lebte und seinen Aufenthalt in diesem Kur ort nur den Zahlungen einer Krankenkasse verdankte. Der Student lehnte zuerst mit einem edlen Stolze, der ihn dem Kaufmann nur noch lieber machte, das Anerbieten »b, sein bescheidenes Quartier mit dem luxuriösen zu ver- lauschen und den Aelteren für sich zahlen zu lassen. Erst als Ser Kaufmann ihn zu überzeugen vermochte, daß er, mit seinen immer sich erneuernden Angst- und Herzbeklemmungen »ringend der ständigen Nähe eines ihm sympathischen Wesens bedürfe, ja, daß der junge Mensch ihm mit seiner Ueber- stedlung geradezu einen Dienst erweise, ließ der Student sich bereden, das Anerbieten anzunehmen. Bald zeigte es sich, daß der Kaufmann mit der Ein mietung des Freundes in seiner Nachbarschaft wirklich sich selbst den größten Dienst erwiesen. Eine schwere Depression Lberfiel ihn so stark, daß er außer dem Studenten und oem Ärzte keinem Menschen Zutritt in seine Räume gestattete. Außerdem verschlimmerten sich seine Herzkrämpfe, beson- »ers zur Nachtzeit. Kaum vernahm der Jüngling — die Berbindungstüre zwischen den Zimmern ließ er offen — einen Laut des Stöhnens, -so war er schon neben dem Leiden- Sen. Der Alternde klammerte sich hilfesuchend wie ein Er trinkender an den Arm des Freundes. Alle Liebe, der seine Leele noch fähig war, ließ er verströmen über diesen Füngling. Ein eigener Sohn hätte seinem Herzen nicht teurer sein können. Er dankte dem Schicksal, datz es ihm in diesem sremden jungen Menschen einen Kameraden in den Weg ge führt, dessen Opfermut und Selbstlosigkeit ohne Grenzen war. Nach einer schlimmen Nacht, die er nicht zu überleben glaubte, verfaßte er sein Testament und setzte den Studenten zum alleinigen Erben aller seiner Reichtümer ein. — Aber das Geschick warf die Lose anders. Der Aeltere ging, wenn auch nicht völliger Genesung, so doch einer Zeit entgegen, in der er von Schmerzen und Anfällen fast frei Dar. Aber ein jäher tätlicher Herzschlag ereilte den Füngeren. Dem Kaufmann schien die Sonne am Himmel ausge löscht und die Welt von einer trostlosen Leere erfüllt. Was nützte ihn nun das eigene Leben, da der nicht mehr da war, »er es ihm lebenswert gemacht? Was nützte ihn das viele Geld, da der nicht wiederkam, dem er es geben wollte? Er packte die wenigen Habseligkeiten des Verstorbenen zusammen, um sie einem in Bremen ansässigen Lehrer mit Namen Gardener zu senden, dem Adoptivvater des Studenten. Als er das Schreibtischfach öffnete, fiel ihm eine Photographie entgegen. Es war ein Bild jener Stadt, von der er, als er in ihr vorüberfuhr, zornig die Augen abgewandt. Er erkannte noch die Baumgruppen, die Häuser. Auch die anderen Photo graphien zeigten Straßen und Gassen jener Stadt. Kirche, iNarktplatz, Schulhaus, Wirtshaus, Fluß und Mühle kamen hervor. Es schien, als steige alles, was er nicht sehen ge wollt, triumphierend aus dem Schreibtischkasten empor. Mit einer merkwürdigen Beklommenheit griff der Kauf mann nach den Briefen und Papieren. Er las, verglich die Adressen, studierte die Namen und konnte schließlich nicht mehr zweifeln. Dieser Pflegesohn des norddeutschen Lehrers Gar- Sener war der einzige Sohn seiner jüngsten Schwester Beate, die einst nach vierjähriger Ehe ihrem Manne, der bei einer Bergbesteigung verunglückte, in den Tod gefolgt. So hatte sich ihm — in der Maske eines Fremden — anerkannt der letzte seines Stammes genaht zu kurzer, gemein samer Wanderung. Der Kaufmann verließ den Kurort, um nach Boston zu- cückzukehren. Als er seine Heimatstadt erreichte, stieg er aus Sem Zug, suchte den Friedhof auf und verweilte lange an den Gräbern jener Toten, die ihm und dem Studenten durch das verwandte Blut zugehörig gewesen. Jie.Hochzeit der GewM. Die nordamerikanische, am Hudson gelegene Stadt Albany hatte kürzlich ihren großen Tag. In Anwesenheit des Präsi denten Hoover wurde die neue Fahrrinne, die es auch großen Seeschiffen ermöglichen soll, den fast 300 Kilometer vom Meere gelegenen Hafen zu erreichen, feierlich eröffnet. Eine besondere Anziehungskraft in dem sehr umfangreichen Fest programm bildete dabei eine eigentümliche Zeremonie, die such Wohl nur in einem amerikanischen Kopfe erdacht werden konnte, die sogenannte „Hochzeit der Gewässer". Schon seit Monaten hatten Schisse unter dem Sternenbanner aus allen bedeutenderen Seehäfen der Welt Wasserproben nach New- Nork gebracht, die bei der Erhebung Albanys zum See- und — nach amerikanischer Auffassung — natürlich auch Welt hafen feierlich miteinander gemischt und dann in den Hudson gegossen wurden, um so die enge Verbindung der Stadt mit Ser übrigen Welt sinnbildlich zu veranschaulichen. Eine ge wisse Bedeutung wird Albany sicher bekommen, dank der günstigen Lage einerseits zu den Großen Seen, andererseits zu der Metropole New-Jork. Bereits vor der feierlichen Er öffnung sind 700 Schiffe aus aller Herren Länder den Hudson Ns Albany hinaufgefahren, was keinerlei Schwierigkeiten be- - reitet, da die Fahrrinne mehr als zehn Meter tief ist.
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