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1. 9.6-10.0 1L,6—11Ä 13,5-45,5 38,0-40,0 13,0—21,5 11,5-43,5 Wilsdruffer Tageblatt I 2. Blatt — Nr. 155 — Dienstag, den 5. Juli 1932 TageSspruch. Don tausend Blüten leuchtet unter mir Der Wiesengrund und hüllt in Düst mich ein; Die weiße Wolke strahlt im Aetherblau, Es blitzt die Weste, bunte Falter gaukeln, m Und auf der Erde junger Schönheit ruht, Wie einer goldnen Weltallsmutter Auge, Der Sonne Glanz. 19,5-30,5 ester Hal er Basis, almangel .lauf war 14,99 bis !8; franz. ,8,56 bis 2-76,98; j. 12,46 ,93—0,94; >der über re etwas erste und ölge der st Per 2. 7. 10,0-10,5 10,0-10,5 17,0-23,0 21,0-24,0 15,0-19,0 16,0-18,0 15,0-17,0 16,0-18,0 10,0-11,0 14,5-16,0 10,3-10,6 10,2-10,8 Deutsche frische üer 4,50. Ue) 4,50 tel- und ggonfrej nie 1,70 to neuer ke, ssig, Wilsdruff. ter- ölt ein erne, A wir seit ; dager. fps» 19036. > ltause Nun faßt mich tiefer Drang, An frost'gem Winternachmittag zu sitzen, Don grauem Wvlkennebel trüb umhüllt, Den Regen an die Scheibe klirren hörend, Und bangend mich nach solchem Sommertag Zu sehnen. Denn die Sehnsucht ist das Glück. Wilh. Jensen. Ltmzug in -er Wilhelmstraße. Der Reichspräsident wechselt vorübergehend seine Wohnung, über der alten Reichskanzlei in der Wilhelm- stratze weht dieStandartedesReichspräsiden- t e n von Hindenburg. Im eigentlichen Reichspräsidentcn- palais sollen jetzt nämlich die schon lange dringend not wendigen Ausbesserungsarbeiten vorgenommen werden. Aus diesem Grunde hat Reichspräsident von Hindenburg vorübergehend seine Wohnung mit der alten Reichskanzlei getauscht. Hier wohnte bis zu seinem Sturz Reichskanzler Brüning. Der neue Reichskanzler von Papen hat noch keine Wohnräume in der Wilhelmstraße bezogen. Der Zeitpunkt für die Abreise des Reichspräsidenten von Hindenburg nach Neudeck ist nunmehr aus Dienstag abend festgesetzt worden. Die Beireuung -er Schulentlassenen. Bei Minister Hirtsiefer in seiner Eigenschaft als stellvertretender Ministerpräsident sprachen die Ver treter der drei S p i tz e n g e w e r k s ch a ft e n, des All gemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes, des Gesamtver bandes der Christlichen Gewerkschaften und des Verbandes der Deutschen Gewerkvereine vor, um ihre Wünsche für eine schulische Betreuung der Schulent lassenen, die keine Arbeitsstelle finden können, und der beschäftigungslosen Lehrlinge wie der arbeitslosen an- und ungelernten Jugendlichen vorzutragen. Diese Wünsche gingen dahin, für die Schulentlassenen an den Volks- und Berufsschulen besondere Klassen oder Kurse derart einzurichten, daß den verschiedenen Interessen und Veranlagungen der Jugendlichen entsprochen werden kann. Der Minister erwiderte darauf, daß iu den preußischen Ressorts bereits zu gleicher Zeit Erwägungen nach dieser Richtung hin angestellt seien, und daß er die Wünsche der Gewerkschaften mit Nachdruck fördern wolle. Die Not lage der Jugendlichen, die bei den heutigen Ver hältnissen nach der Entlassung aus der Schule kein Unter kommen finden oder in einer Lehrstelle nicht mehr weiter beschäftigt werden können, erfordere gebieterisch schulische Maßnahmen, denen sich das Staatsministerium im Rah men der gegebenen finanziellen Möglichkeiten nicht um schließen werde. ^weimu! 5 M 9. Fortsetzung Mit überschwenglichen Worten lobte sie das Schloß und hatte ihren Heidenspaß an den Wildschweinen, die sich hinter den Gattern tummelten. Und als gar ein Reh leichtfüßig über den Weg sprang, kannte ihre Freude keine Grenzen. Wie ein Kind schlug sie in die Hände und jubelte laut auf. Dann sah sie auf dem Teiche zwei Enten, die in einem wilden Streit begriffen waren. Oder ein kleiner Vogel hüpfte zutraulich vor der Bank herum, aus der sie sich niedergelassen hatten und pickte die Brosamen aus, die Marianne ihm zuwarf. Immer war ihre Freude gleich laut und übermütig. Friedrich August kannte dieses Wesen an ihr, manchmal hatte er sogar seine Freude an ihrer Munterkeit gehabt und sich von ihr mit fortreißen lassen. Heute aber störte ihn ihre Maßlosigkeit. Er hätte so gern an ihrer Seite von Hoffnungen und Wünschen geträumt, von dem, was war und von dem, was werden sollte, aber sie ließ ihn nicht zur Besinnung kommen. Schließlich erhob er sich, beinahe ein wenig miß gelaunt. „Du hast recht", rief sie, sein Erheben mißdeutend, aus, „ich habe auch Appetit bekommen von der frischen Lust. Gehen wir in ein Gasthaus." Er führte sie zum Parke hinaus, warf noch einen letz ten Blick auf das Schloß zurück und ging dann mit Mari anne dem allen Gasthofe zu, in dessen Garten es sich so schön sitzen ließ, zur Seite des grünen Teiches, den schlanke Birken umrahmten. Marianne ließ sich Kaffee und Kuchen gut schmecken, sie entwickelte einen prächtigen Appetit und beachtete es kaum, daß ihr Mann nur zögernd zulangte. Ihm hatte dieser Tag den erhofften Eindruck nicht gebracht. Eher größer noch war seine Sehnsucht geworden, als sie vordem schon war. Spät traten sie den Heimweg an. Die Sonne war bereits im Begriffe, hinter den Bäumen zu verschwinden, als ste aus dem Tor des Gasthofes heraus auf die Dorf- straße traten. Kurze politische Nachrichten. Reichspräsident von Hindenburg hat an den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika zum Unabhängigkeitstag ein Telegramm ge richtet, in dem er sagt, er hoffe zuversichtlich, daß der durch die großzügige Botschaft an die Abrüstungs konferenz eingeleiteten Aktion im Sinne einer wahren Befriedung der Völker voller Erfolg beschiedeA sein möchte. * Reichsernährungsminister FreiherrvonBraun spricht über „Die Maßnahmen zur Sicherung einer ange messenen Verwertung der Getreideernte" am Mittwoch, dem 6. Juli, abends von 7.30—7.45 Uhr füralledeut- schen Sender. * Der Reichskommissar für Preisüber wach u n g, Dr. Goerdeler, hat, wie erst jetzt bekannt wird, unter dem 27. Juni an den geschäftsführenden preußischen Ministerpräsidenten Dr. Braun ein Schreiben gerichtet, in dem er aus die großen Gefahren hinweist, die durch Ein führung der Schlacht st euer gerade im jetzigen Augenblick heraufbeschworen würden. Diese Gefahren er blickt Goerdeler nicht allein in der Steigerung der Klein verkaufspreise und der zu erwartenden Abwälzung der Steuer auf die Verbraucher, sondern auch in den politischen Auswirkungen dieser Steigerung, zumal wenn der Termin der Steigerung annähernd mit dem Erlöschen des Reichs kommissariats für Preisüberwachung zusammenfalle. * In der Öffentlichkeit ist hier und da die Befürchtung geäußert worden, daß Reisen nach dem deutschen Osten angesichts zu erwartender Verwicklungen gefähr lich seien. Diese Befürchtungen sind völlig unbegründet, da von irgendwelchen kommenden Verwicklungen nicht dis Rede sein kann. Reisen nach dem deutschen Osten sind ebenso gefahrlos wie nach irgendeinem anderen Teile Deutschlands. * Das Protektorat über den Nationalen Deut- schenAutomobilklubhat Kaiser Wilhelm in Doorn übernommen. Vom 4. Ncichskriegertag, der in Dortmund unter Beteiligung von 100 000 Mit gliedern des Kyfshäuserbundes aus allen Teilen des Reiches veranstaltet wurde: Reichswehr, die auch am Krtegertag teilnahm, beim Feldgottesdienst. Schräg gegenüber stand das Haus, in dem sich der Laden des Krämers Liebig befand. Friedrich August mußte einmal hinüberschauen, und im Stillen, sich selbst nicht einmal recht bewußt, hoffte er, einen blonden Mädchen kopf am Fenster zu erblicken. Aber das war ja kaum möglich, denn Dorle war doch mit ihren Eltern nach Dres den verzogen und wohnte längst nicht mehr bei dem Onkel Liebig in Moritzburg. Magnetisch fast zog es seinen Blick noch einmal nach dem Krämerhause, und — da war sie wirklich — da stand sie an einem Fenster des Erdgeschosses und schaute mit großen, erstaunten Augen gerade zu ihm herüber. Auch Marianne war aufmerksam geworden. „Du, wer ist das?" fragte sie in ihrer ungenierten Art. Friedrich August Bergmüller aber lüftete säst mecha nisch den Hut und grüßte die Freundin seiner Jugend, die er nur einen Tag lang gesehen und dann enttäuscht hatte, mit einem versonnenen Lächeln auf dem Gesicht. Das Dorle uickte leicht mit dem Kopfe und trat daun schnell zurück. Auch sie wußte jetzt, wen sie vor sich hatte. „Du, sag', wer war das?" fragte Marianne dringen der. „Eine Nichte des Krämers Liebig. Der Mann war Kunde von uns, als ich noch bei Schuppang lernte." Fried rich August bemühte sich, einen leichten Ton anzuschlagen, was ihm aber nur schlecht gelang. Im Verstellen war er nie ein Meister gewesen. „Ach gar", antwortete Marianne, und schon klang Hohn in ihrer Stimme auf, „und die blonde Schönheit — war sie auch deine Kundin?" „Sprich nicht so ..., so ...!" Bergmüller biß sich auf die Lippen. Dieser Ton halte ihn verraten. „Warum verteidigst du sie? Und wie du rot gewor den bist, als du sie grüßtest. Ein paar Augen hast du ge macht, als seiest du ganz wo anders." Mariannes Eifersucht war erwacht und verleitete sie zu den tollsten Uebertreibungen. Der Heimweg bestand aus harter Rede und Gegen rede. Seine Beschwichtigungen ließ sie nicht gelten, seinen Erklärungen glaubte sie nicht. So endete auch der zweite Besuch Friedrich August Bergmüllers in Moritzburg mit einem Mißklang. Und auch an diesem Abend drückte einer, und ob er auch schon vierundzwanzig Jahre alt war, den Kopf in die Kissen seines Bettes und weinte. * Er tat in dieser Nacht kein Auge zu. Sein aanzes bisheriges Leben zoa an ibm vorüber. Oer Wahlkampf hat begonnen. Der Wahlkampf hat mit dem ersten Julisonntag ein gesetzt. Am letzten Julisonntag wollen die Parteien ernten, was sie in den nächsten Wochen säen. Vier Wochen lang wird nun Deutschland wieder im Zeichen des Wahlkampfes stehen; alle Anzeichen deuten darauf hin, daß er diesmal mit größter Schärfe geführt wird. Von Ferienstimmung wird in diesem Wahlkampf nichts zu merken sein; die Parteien werden ihre allerletzten Reserven mobilisieren und werden versuchen, auch den widerspenstigen Wähler in den Bannkreis der Politik zu ziehen. Zu einem großen Teil wird sich diesmal der Kämpf unter freiem Himmel abspielen, dazu reizen nicht nur die warmen Sommerabende, sondern auch die Milderung der Bestim mungen über Versammlungen unter freiem Himmel und über Aufmärsche. Der erste Wahlkampfsonntag gab schon ein Bild der kommenden Wochen: Große Aufmärsche der Parteiorganisationen in München, in Dessau und in Ber lin von der Rechten und von der Linken. Die Aufmärsche sind überall — das stellt man gern fest — ohne die be fürchteten blutigen Zwischenfälle verlaufen. Hoffentlich ist dieser Anfang ein gutes Vorzeichen. Allmählich läßt sich auch erkennen, wie die einzelnen Parteien im Wahlkampf zueinander stehen werden. Die Deutsche Volkspartei wird mit der Deutschnationalen Partei eine gemeinsame Reichsliste aufstellen, wobei sich die Volks partei bereit erklärt hat, keine Negierungskoalition zu unterstützen, deren Bildung und Bestand vom Zentrum und von der Sozialdemokratie abhängig ist. Die Land volkpartei ist mit den Nationalsozialisten eine Listenver bindung eingegangcn, die Christlichsozialen gehen mit den Hannoveranern, die Wirtschaftspartei wird ihre Rest stimmen mit der Bayerischen Polkspartei verrechnen. Die Staatspartei wollte mit dem Zentrum sich verbinden, es kam aber nicht soweit; auch die Bemühungen um eine Listenverbindung zwischen Sozialdemokratie und Kom munisten dürften ohne Erfolg sein. Im Rheinland hat das Zentrum am Sonntag durch große Reden Brü nings in Siegburg, in Bonn und in Köln den Feld zug eröffnet. Die Arbeitsgemeinschaft katholischer Deutscher hat an die Bischöfe ein Schreiben gerichtet mit der Bitte, im Interesse der Kirche diesmal zu den Wahlen keine Kundgebungen zu erlassen, da diese regelmäßig als eine Unterstützung des Zentrums aufgefaßt würden und auf die rechts eingestellten Katholiken verstimmend wirkten. * Die Spitzenkandidaten der DVP. Im Wahlkreis Dresden-Bautzen. Der Wahlkreisverband Ostsachsen der Deutschen Volks partei wählte einstimmig den bisherigen Vertreter des Wahlkreises im Reichstage Dr. Rudolph Schneider (Dresden) zum Spitzenkandidaten. Für die weiteren ersten Plätze der Liste nominierte der Vertretertag Rechtsanwalt Höhne (Dresden), Frau Grötzschel (Bautzen) und Bank beamten Stadtverordneten Elschner (Dresden). Im Wahlkreis Chemnitz-Zwickau. Tie Deutsche Polkspartei hat im Wahlkreis Chemnitz- Zwickau Kommerzienrat Uebel (Plauen) als Spitzen kandidaten für die Reichstagswahl aufgestellt. * Die sozialdemokratischen Spitzenkandidaten in Ost- und Westsachscn. Auf dem Bezirksparteitag der Sozialdemokratischen Wartet wurden kür den Waklkreis Dresden-Bautzen und schien ihm in hartem Wüten gegen sich selbst verfehlt und zwecklos geworden. Neben ihm schlief Marianne fest wie ein Murmeltier, und wieder wunderte sich Friedrich August über dieses robuste Gemüt, das soeben noch zetern und leiden und eine Stunde später schon >>" '-Ugsten Schlafe liegen konnte. Nun würde es wieder ein paar schlimme Tage gebens ein Nebeneinander, das in die Seele schnitt, und dem alles „Mach dir nichts daraus!" nichts von seiner Bitter-i keit nehmen konnte. In dieser Nacht empfand es Friedrich August, daß' diese Ehe doch nur ein Leiden ohne Ende für ihn werden würde, denn daß Mariannes Art nicht mehr zu ändern War, das lag bei ihrem hochfahrenden Sinn für ihn klar. War das Leben unter diesen Umständen überhaupt noch wert, gelebt zu werden? Oder war ein kräftiger, schmerzhafter, aber doch ein mal heilbarer Schnitt nicht besser, als dieses lieblose Nebeneinander? Dabei war lieblos noch nicht einmal das rechte Wort. Gewiß liebte ihn Marianne, aber auf ihre fordernde, be- sitzenwollende Art. Und das konnte er nicht als die richtige Liebe anerkennen. Liebe war für ihn das Aufgehen in dem Wesen des anderen, war Opferbereitschaft und Schenkenwollen. Liebe war... Schluchzende Laute, die aus der offenen Türe des Nebengelasses zu ihm herüberdrangen, ließen ihn aufhor chen und seinen Gedankengang unterbrechen. Das war Fritz, der Dreijährige, der aus seinem Bett- chen heraus nach dem Vater rief. Friedrich August öffnete die Augen, die er bei seinem Grübeln geschlossen gehalten hatte und sprang aus dem Bett. Drüben lag der Kleine in bösen Träumen, warf sich unruhig hin und her und schluchzte ein über das andere Mal auf. „Fritzchen!" rief der Vater leise und streichelte dem Kinde die Wangen, bis es die Augen öffnete. „Hast du schlecht geträumt, mein Junge?" Statt einer Antwort schlang der Kleine seine Aerm- chen um den Vater und sagte nur immer wieder mit lallender Stimme: „Vati da! Vati da!" „Hast du geträumt, daß ich nicht mehr da sei?" „Vati da", wiederholte das aus dem Traum erwachte Kind nur immer wieder glückselig. Eng umschlungen saßen Vater und Sohn beisammen auf dem Rand des Bettes. Gegenüber schlief das kleine Mädel mit sanften, ruhigen Atemzügen. Friede herrschte im Raum, seliger Friede.