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Wilsdruffer Tageblatt : 18.06.1932
- Erscheinungsdatum
- 1932-06-18
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-193206183
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19320618
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19320618
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1932
-
Monat
1932-06
- Tag 1932-06-18
-
Monat
1932-06
-
Jahr
1932
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 18.06.1932
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Wilsdruffer Tageblatt I 3. Blatt Nr. 141 — Sonnabend, den 18. Juni 1932 D Tagesspruch. Windsgleich kommt der wilde Krieg geritten. Durch das Grün der Tod ihm nachgeschritten. Manch Gespenst steht sinnend auf dem Feld, Und der Sommer schüttelt sich vor Grausen, Läßt die Blätter, schließt die grünen Klausen, Ab sich wendend von der blut'gen Welt. Prächtig war die Nacht nun aufgegangen, Hatte alle mütterlich umfangen, Freund und Feind mit leisem Friedenskuß, Und, als wollt der Herr vom Himmel steigen, Hört ich wieder durch das tiefe Schweigen Mings der Wälder feierlichen Gruß. Eichendorff. Hinab oder hinauf? Röm. 8, 19: Das ängstliche Harren der Kreatur wartet aus die Offenbarung der Kinder Gottes. In der wunderbaren Epistel von heute, Römer 8, IS—24, faßt Paulus den Menschen und die ganze Kreatur in eins. Der Mensch gehört mit allen Kreaturen zusammen: das predigt uns seit hundert Jahren auch unsere moderne Naturlehre. Aber es ist da ein großer Unterschied. Heute meint man es so: der Mensch mutz hinabsteigen von seiner Höhe, er gehört zu den Tieren. Mit geradezu krankhafter Freude hat unsere Zeit, indem sie schwelgte von der Herr lichkeit der Natur, dem Menschen seine Herrlichkeit ab gesprochen, und sie tut sich gar noch was zugute auf diese „tiefe" Erkenntnis. Dec Erfolg ist nicht ausgeblieben. Immer seelenloser ist sie in ihrem Streben, immer roher, bis zum Tierischen in ihrer Lebensauffassung, ihrem Ge nießen bergab gesunken und: immer unfreier, hilfloser, un glücklicher ist sie geworden durch diese frevlerische Selbst herabsetzung. Diesem furchtbaren Hinabziehen der Menschenwelt steht hier bei Paulus etwas ganz anderes gegenüber. Auch er faßt die Kreatur mit dem Menschen zusammen, aber so, daß er die Kreatur emporhebt. Wie tief erkennt er die Kreatur, wie schmerzlich hört er sie seufzen, wie er greifend weiß er ihr Seufzen zu deuten! Weil er nicht den Menschen nach der niederen Kreatur deutet, sondern die ganze Kreatur nach dem Menschen. Ein gleiches Sehnen quält sie beide: die Sehnsucht nach Erlösung von Nichtigkeit und Vergänglichkeit, die Sehnsucht über sich selbst hinaus, die Sebnsucht nach der Freiheit der Kinder Gottes, die da wissen: zu was Besserem sind wir geboren; die da wissen, und das ist eins der tiefsten Worte, wie er im Vers 22 sagt: Alle Kreatur liegt „noch immer in Wehen der Geburt" (so heißt es wörtlich übersetzt). So faßt er Natur und Menschen, so faßt er das viele Leiden aller Kreatur mit all dem Leid der Menschen zusammen: Geburtsleiden einer besseren Zu kunft sind es. So wird ihm die Leidensnacht zur Morgen dämmerung, und hoffnungsfroh harrt er hier dem neuen Lag entgegen. Woher er diese siegesgewtsse Hoffnung hat? Weil er den Gottesgeist in sich reden ließ und auf ihn hörte. Chemnitzer Brief. Sterbende Ziaeunerromantik. Selbst vor den Freiesten der Freien, den braunen Söhnen -er endlosen Pußta. macht der Wandel der Zeit nicht Halt. Auch sie, die ewig ruhelos, ewig heimwehsüchlig ungebunden durch Gottes weite Welt zogen, müssen der Zivilisation ihren Tribut zollen und beginnen, sich einzureihen in die zivilisierte Welt. Es geht ihnen wie einstmals den Indianern: auf ihrem braunen Antlitz lebt noch die Tradition einer fast sagenhaften Vergangenheit, aber sie selbst fangen an zu verbürgern, und schon kann man stundenlang in ihrer Gesellschaft verbringen, ohne daß einem naturnotwendig die goldene Khr und die heute ja meist nicht mehr gefüllte Brieftasche verschwunden sind. Dieser Tage hat man in Chemnitz auf dem Zentralfried hof einen alten 81jährigen Zigeuner zu Grabe getragen, und es war kein Wunder, daß Hunderte Sensationslüsterner gekommen waren, dem für eine Großstadt seltenen Erlebnis beizuwohnen, so daß sogar die Polizei ein Absperrkommando auf den Fried hof entsenden mußte. Er hat es sich wohl in seiner Jugend nicht träumen lasten, der 81jährige Pferdehändler, der da droben im Erzgebirge von einem Herzschlag überrascht wurde, daß er nicht nach Väter Art irgendwo in Gottes weiter Welt unter einer Buche am Wegerand ein Grab finden, sondern ganz bürgerlich, ganz re- putierlich einmal schlummern würde im großen Reigen der ande ren. Er war noch einer von denen, die in der Jugend jauchzend auf schaumbedecktem Gaule über die Pußta gehetzt, denen die Natur Heimat und die Fiedel Geliebte war. Er hatte noch die uralte, die ewig ruhelose Wandersehnsucht in der Brust getragen. Aber auch er hatte seiner Zeit sein Opfer bringen, hatte als Pferdehändler ansässig werden müssen im hohen Alter in den dumpfen Mauern großstädtischer Mietskasernen. Auch für ihn wäre die Romantik des freien Zigeunerlebens dahingewesen, die nun nur noch einmal aufleuchtete, als man den Greis zur letzten Ruhe brachte. Ein seltsames Zusammen gehörigkeitsgefühl erfüllt diese Menschen: aus ganz Deutsch land waren die Vertreter seiner Raste gekommen, aus Ober- fchlesien, aus Hamburg, aus Hannover, Berlin. Köln und aus Oesterreich, dem, der bei Lebzeiten höchste Stammeswürde be sessen, das letzte Geleit zu geben. Ein langer, seltsamer Zug schritt hinter dem prunkvollen Sarge her, in dem mancher einen Kommerzienrat als einen Zigeuner vermutet hätte: braune ver wegene Gesellen, schwarzhaarige Frauen, Kinder mit eigenartig stechenden Augen, in denen noch das lodernde Feuer ihrer Ras se flammt. Sie schreiten hinter dem Sarge her, wie sie nach Chemnitz gereist sind. Der Brauch ihres Volkes kennt keine schwarzen Trauergewänder. Nur vereinzelt sieht man buntfar bige Trachten. Die meisten sind im grauen Straßenanzug, im großen Schlapphut gekommen, die Frauen in langhaarigen, struppigen Pelzen, ohne Hut stehen sie, das schwarzglänzende Haar ungeordnet über die Schulter fallend, an der offenen Gruft, über der der katholische Geistliche Gebet und Segen spricht. Dumpf klingen ihre Klagen auf. Die Nalurkinder haben «s nie gelernt, ihren Seelenschmerz zu bezwingen, und selbst Rand des Himmels, wo der Berggrat auf umschlug, ein drittes, Liggeringen. Nun st anderen zu die verwilderten Burschen, die hvhnlachend jeden körperlichen Schmerz, jede Folter ertragen würden, fallen in die Klage nut ein. Es ist nichts Gezwungenes, nichts Gemachtes dabei. Sie sind Kinder geblieben in ihrem sonst reichlich schuldbeladenen Herzen und lasten ihrer Trauer freien Lauf. Nicht lange indessen. In die offene Gruft wirft man ein schweres Päckchen, das mit hartem metallenen Klange auf den Sarg auftrifft. Es enthält Heimaterde und alle die Dinge, an denen des Toten ganzes Herz gehangen. Er soll wiederfindcn, wenn er einst aufersteht zu den Vätern seines Stammes. Ganz bürgerlich wirft man Blumen in die Tiefe hinab. Aber dann klingen fremde Laute auf. Laut und ungeniert unterhalten sich . , Mud ich schon am Wasser, und sah, wie zwei Männer, Fischer, in einem Bow vom Ufer abstießen, aus gelben Schilfrohren entsteigend. Kotterfrieden. Von Ludwig Finckh. In einem. Winkel von Deutschland gibt es noch Gottes frieden, an einem großen, grünen See, den kein Mensch kennt, und der in alten und neuen Büchern vergessen ist. Auch ein Dorf liegt an ihm, und ich würde es Gottesfrieden taufen, Wenn es nicht Möggingen hieße. Der Titisee im Schwarzwald, obwohl er 1000 Meter kürzer ist, hat seine Ruhe verloren, weil eine Eisenbahn zu ihm führt. Der Mindelsee auf dem Bodanrück über dem Bodensee kann sie nie verlieren, denn er muß errungen werden; um ihn lebt eine Märchenwelt. die braunen Menschenkinder m ihrer Sprache über den Token.' Ihre Mienen werden lebhaft. Ihre Augen gehen unruhig hin und her, aber ob man sie mich nicht verstehen kann — man sieht es an den Gesichtern, daß sie nichts Schlechtes sprechen von dem Heimgegangenen. Immer lebhafter wird das Gespräch. Immer lauter hallen die Stimmen durcheinander. Lachen klingt auf. Die Natur kinder sind fertig mit ihrem Schmerze, und wie sie dann in ge schlossenem Zuge hinaus durch das Friedhofstor schreiten, weiß man, daß sie das Leben wieder hat, das Leben, das auch für sie viel an Romantik verloren hat und ganz allmählich ein mündet in kleinbürgerliche Enge. Lohengrin. Bor mir lag der ganze Mindelsee, von einem Ende zum ren zu übersehen, 2200 Meter lang, und nun flogen vo, dem Boote Wildenten auf und ein Haubentaucher schoß übe« die Fläche. Kiebitze trieben um mich ihr Spiel, wiegend und lockend, um mich von ihrem Nest abzuführen. Auf dem nörd lichen Ufer, 700 Meter drüben, breiteten sich Wiesen und sanft« Aecker, und, einen Katzensprung voneinander, erhoben sich zwei Höfe aus den Feldern. Ich hielt mich am südlichen Ufer, in hellgrünem Buchenwald, um den See nach Osten zu umgehen. Ich mochte eine Viertelstunde gegangen sein, als ich unter mir im See plantschen hörte, dann ein Rascheln, und hinter mir erschien laufend ein brauner Wachtelhund, tropfnaß uni mit der Nase auf dem Boden schnüffelnd. Er stutzte vor mir, sah mich mit unergründlichen Augen an, und lief weiter. Ei» herrenloser Hund, ein Wilderer, ein Strauchritter auf eigen« Faust? Aber nein; stumm, mit verhaltenem Schmerz hob er die Schnauze in die Luft. Er suchte. Ich verstand; es war ein Drama, dem ich anwohnte. Und nun sprach ich mit ihm Er gab kein Zeichen der Freude, hielt sich aber um mich, uni sprang nur einmal wieder zum See, wie horchend. Nu» waren wir am Ende, und, unter Bäumen hervortretend, sah ich das Boot schon wieder wenden, um den See der Läng« nach zu durchschneiden. „Hoho!" rief ich hinüber. Die Männer ließen die Ruder sinken und horchten. Del , Hund war auf den Stamm eines überhängenden Weiden baumes vorgelaukeu. Einmal habe ich zwei Menschen auf ihm getroffen. — Ich wollte den Bodanrück überqueren, jenen Bergrücken zwischen dem Untersee und Ueberlingersee, der seine Zunge bis Konstanz vorstößt. Ich lief an seiner Wurzel von Markel fingen, einem Dorf vor Radolfzell, eine Viertelstunde auf wärts; die Windröschen und Maiblumen blühten, und über einem silber-glänzenden Spiegel stand ein dunkles Schloß. Es schien herrisch sein Dorf zu behüten, Möggingen; aber in seinem Nacken lachte in blustbedeckten Birnbäumen ein zweites, wie ein vorwitziges Vogelnest, Güttingen, und hoch oben, am Rand des Himmels, wo der Berggrat auf die andere Seit« „Gehört der Hund bei mir Ihnen?" rief ich durch di« hohle Hand. „Wenn er braun ist, Wohl!" schallte es zurück. Und sb wendeten auf uns zu. Der Hund verwandte keinen Blick voi chnen. Langsam kamen sie nahe. Jetzt sahen sie ihn auf seinen Stamm. „So", sagte der eine und drohte, „heißt das: warten wo ich dich's geheißen habe?" „Er ist Ihnen nachgeschwommen, und kam, nach langet Strecke, zu mir aufs Land." „Wart' Bürschle!" sagte sein Herr; aber nun sprang d« Hund vom Baume aus m das anfahrende Boot und tobte vo( Freude. — „Wir haben Hechte eingesetzt", sagte der Fischep „und wollten eben heimfahren." Und ich erfuhr nun, daß der Mindelsee Schleien, Hechts und Brachsen berge und die großen Weller mit den Bärten die wohl zurückgeblieben sein müßten, vom Hochsee her, all der Bodensee noch alles Land bedeckte. 120 Pfund habe eine« gewogen, vor zwei Jahren. Wie tief der Mindelsee sei? 30 Meter, aber es liege Hols im Grund und Moor. Ein versunkener Wald solle er sein. Auch ein Strudel, ein Quell springe in ihm. Er sei kalt zurr Baden, die Abhänge steil. 300 Morgen bedecke er. Unterdes fuhr das Boot mit dem Wachtelhund in der See hinaus. — Im Bogen umlief ich das See-Ende. Enzian blühte, die lila Orchis, und Akelei schob sein dunlles Kram vor. Ich stieg zum Nordufer auf, und vom Hirtenhof lag nur ein Alpstock vor mir, Glärnisch und Säntis, und im Wester ein Stück Schienerberg und Hegau. Drei Rehe weideten im Riedgras. Der Dürrenhof leitete abwärts. Und da taucht« wieder Schloß Gottesfrieden auf, Möggingen, mit seiner« Turm und Graben, einst Wasserschloß, das den See beherrschtes es gehört dem Grafen von Bodman. Und ich stieg nach Liggeringen hinauf. — Wie ist es möglich, daß ein See mit tausend Wunder« noch ein verborgenes Dasein lebt? Abseits der Straße, schimi mernd, ruhig, fast schwermütig, gehört er nur seinen Welser» Hechten, Rehen und Vögeln. Schleiereulen wohnen im Schloßt Nicht einmal sein Name ist zu deuten. Ein rätselvolles An« litz, eine Auge voll Frieden. s Uebcr Liggeringen steigt ein Fußpfad steil in die Höhs zum Wald. Und man darf nicht zurücksehen. Denn im Rücke» entwickelt sich eine Landschaft, die mit jedem Schritt auf4 geschlossen wird. In kurzem stehe ich im Lusthäuschen. Auf vier hohen, runden Backsteinsäulen, auf denen Wohl einst ei» zierlicher Barockbau ruhte, ist ein Holzgerüst mit Treppe und Bank gelehnt. Und so liegt sie unten, die noch nie gemalt« Insel, Hagnau im Gnadensee mit den Böcklinschen Bäumern die Vogelinsel Mettnau mit dem Kirchturm von Radolfzelh der Untersee, die Halbinsel Höri und der Schienerberg, uni Horn herum der Rheinsee, und wie zur Rechten im Hega» der Hohenstoffeln und Hohentwiel, so zur Linken über denk Thurgauer Seerucken die Alven. Aarum noch Ausgrabungen in Troja? Auf den Spuren Schliemanns und Dörpfelds. Von Hans Felix Rocholl. Die Ausgrabungen in Troja, die zuerst 1871 von un serem Landsmann Schliemann begonnen, später von Dörp feld fortgesetzt wurden, werden stets ein Ruhmesblatt in der Geschichte der deutschen Archäologie bilden; vermittelten sie uns doch eine außerordentlich eingehende Vorstellung dieser berühmten Stadt. Trotz der glänzenden Erfolge der beiden deutschen Forscher sind aber immer noch nicht alle Rätsel gelöst, die Troja — oder eigentlich die verschiedenen Städte dieses Namens — umgeben, denn Schliemann stellte bereits neun verschiedene Schichten fest, die ebenso viel Siedelungen entsprechen. Leider ist es der deutschen Wissenschaft in ihrer derzeitigen Notlage nicht möglich, das Werk Schliemanns und Dörpfelds weiter zu führen. Daher darf man es im Interesse der Archäologie begrüßen, daß im Laufe des Sommers eine Gruppe amerikanischer Archä ologen sich dieser interessanten Aufgabe widmen wird. Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man glauben, daß mit der Entdeckung des „Schatzes des Priamus" und der Freilegung des größten Teils des frühen Troja, in wissen schaftlichen Kreisen als Troja II bezeichnet, sowie der Mauern der homerischen Stadt nicht mehr viel Neues zu erwarten sei. Immerhin bleibt zu bedenken, daß Schliemann sich bei den Ausgrabungen in Kleinasien erst seine archäologischen Sporen verdiente, noch über keine tiefgründigen Erfahrun gen verfügte und auch die einschlägige Technik nicht so wie später beherrschte. Es konnte somit nicht ausbleiben, daß manches seinem Scharfblick entging, daß auch vieles aus Zeitmangel nicht zu Ende geführt werden konnte. Die Wahr scheinlichkeit, daß der Schutthügel nahe dem Hellespont noch interessante Aufschlüsse für uns bereit hält, ist groß. Dann hat aber auch die Archäologie seit den Tagen, da Schliemann und Dörpfeld wirkten, riesige Fortschritte ge macht, sowohl was die wissenschaftlichen Methoden als auch die technische Ausführung betrifft. Wir wissen heute, daß Troja, entgegen der früheren. Annahme, viel mehr eine europäische als eine asiatische Stadt war. Daneben darf mau nicht vergessen, daß die neuesten Ausgrabungen in Meso potamien, die uns mit den sumerischen Siedelungen bekannt gemacht haben, gebieterisch auf die Notwendigkeit Hinweisen, in jeder frühzeitigen Siedelung an den Küsten Klein-Asiens nach Spuren dieses sumerischen Einflusses, um nicht zu sagen dieser sumerischen Kultur, zu forschen. Gesichtspunkte, die vor mehreren Jahrzehnten den deutschen Forschern natur gemäß vollkommen fern lagen. Man darf ferner nicht aus dem Ange verlieren, daß die Ausgrabungen. Schliemanns in Troja nicht die ganze Stadt erfaßten, sondern im wesentlichen nur die Burg. Die erste bedeutende Anlage dieser Art, das schon erwähnte Troja H, das um 1900 vor Christus zerstört wurde, bildet! eine außerordentlich starke, aber auch ebenso kleine Ring mauer von höchstens 120 Metern im Durchmesser. Voi dieser Burg legte Schliemann etwa vier Fünftel frei, wöbe er in der massiven Mauer nicht weniaer als Dier beiestiob Tore nachwies. Die Burg des homerischen Troja isk hem gegenüber bedeutend umfangreicher, behält aber die kreis förmige Form bei. Dörpfeld förderte dann große Strecke« der Mauern zu Tage, die auf etwa 250 Meter Länge noä heute stehen. Aber das von ihm und Schliemann bearbeitest Gebiet umfaßte keineswegs alles, was für den Spaten de! Archäologen in Betracht kommen könnte. Noch liegt etw« ein Drittel des ursprünglichen Umfangs des homerische» Troja unter Schult begraben. In seinen Mauern müsse, auch noch Tore, die nach der Seeseite führen, zu finde» sein, denn bislang kennen wir ihrer nur drei, die alle land einwärts schauen. Diese vermuteten Tore dürften unter den großen Schutthügel an der Nordseite zu suchen sein. Die Hauptaufgabe weiterer Ausgrabungen wird darin bestehen, die Zugehörigkeit der bisher bekannten Teile bei Bnrq zu den einzelnen Schichten zweifelsfrei darzutun unk damit eine zeitliche Einordnung der so wichtigen Geräte aus Ton und Metall zu ermöglichen. Troja nimmt nämlich in sofern eine Sonderstellung ein, als es eine fortlaufende Ent wicklung der Töpferkunst aufweist, ohne viele plötzliche uni einschneidende Aenderungen in Form oder Stil, und zwar von den frühesten Schichten der ältesten Siedelung aus dem dritten Jahrtausend vor Christus bis zur mykenischen Zeib Obgleich die Stadt in engen Beziehungen zu den mykenischen Hauptplätzen stand, bildete sie keineswegs eine mykenisch« Kolonie, sondern bewahrte in Kunst und Architektur ihr« Selbständigkeit. Aber gerade in dieser Hinsicht ist noch vielej ungeklärt, über das die bevorstehenden Arbeiten uns hoffenb lich Gewißheit geben werden. Schließlich sind da noch gewisse Fragen, an die Schlis mann auch nicht einmal denken konnte. Wo liegen du Gräber der trojanischen Könige? Wo die Häuser^ jene» Trojaner, die nicht auf der Burg wohnten? Jede ägäisch« Stadt bestand ans der Zitadelle als Zufluchtsort »nd de« sich außerhalb ausbreitenden Siedelung. Es besteht kein Grund zu der Annahme, daß es in Troja anders gewesen sein könnte. Ein Eindringen in die niedrigeren Schichten, die sich um den die Burg bergenden Schutthügel erstrecken^ dürfte mit größter Wahrscheinlichkeit die Wohnplätze der alten Trojaner ans Licht bringen. Vielleicht waten auch sie noch von Mauern umgeben. Am dringendsten ist Wohl die Klärung der Troja II be^ treffenden Fragen. Heute bildet dieses für die Archäologen noch eine Sondererscheinung insofern, als wir von seinen Beziehungen zur Außenwelt wissen, aber Ursprung und späteres Schicksal noch in tiefstes Dunkel gehüllt sind. Wi« kam es, daß die Stadt in kurzer Zeit so außerordentlichen Wohlstand gewann, der sich bei anderen Siedelungen der gleichen Epoche, wie bei denen auf Lesbos und bei Kap Helles, nicht findet? Man sieht, die neuen Ausgrabungen der amerikanischen Forscher, die demnächst die Arbeiten in Troja wieder aufnehmen, haben nicht nur sehr umfangreiche, sondern auch höchst bedeutungsvolle Fragen zu lösen.
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