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MsdmfferTageblatt Nr. 120 91. Jahrgang Mittwoch, den 25. Mai 1932 Wilsdruff-Dresden Postscheck: Dresden 2640 Ernsteste Lage -er Ws.Meitsmktes Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschast Meißen, des Amts gerichts und des Stadtrats zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte Blatt. Telegr.-Adr.: „Amtsblatt" tander, der Devisennot, des Rüä«,i ganges der Inlands aufträge, die besonders die Textilindustrie beeinträchtigen, noch im^ vermindert stark wirksam sind. Die Verminderung der Zahb der Hauptunterstiitzungsempfänger in der Arbeitslosen versicherung und Krisenfürsorge ist ebenfalls geringer als in den Vorwochen. Sie vollzog sich in der Zeit vom< 30. April bis 15. Mai 1933 in der Arbeitslosenversicherung von 147144 auf 144 404 Hauptunterstützungsempfänger und in der Krisenfürsorge von 176 321 auf 174 359. Die Abnahme betrug also nur 1,9 Prozent bzw. 1,1 Prozent. Der sächsische Arbeitsmarkt liegt so stark da nieder und ist durch verschiedene umfangreiche Stille gungen in der Metall- und Textilindustrie auch in Zukunft so schwer bedroht, datz von allen Seiten auf eine großzügige Reich shilfe, sei es durch Arbeits beschaffung, sei es durch finanzielle Zuschüsse, hingewirkt werden muß. für Äürgertum, Beamte, Angestellte u. Arbeiter Anzeigenpreis: die 8 gespaltene Baumzeile ro Bpfg., die ^gespaltene Zeile der amtlichen Bekanntmachungen 4V Beich« Pfennige, die Sgespaltene Reklamezeile im textlichen Teile 1 RWK. Nachweisungrgedühr LV Reichspsennige. Vor» Fernsprecher- Amt Wilsdruff Nr. 6 LLW'W annahmebirvorm.ioUhr. — »— —- Mr die Richtigkeit der dnrch Fernruf übermittelten Anzeigen übern, wir keine Garantie. Jeder Radaitanlpruü erlifcht, wenn der Betrag Lurch Klage eingezogen werden muß oder der Auftraggeber in Konkurs gerät. Die erschütternde Sprache der Zahlen und der Hinweis auf den Ernst der Lage in diesem Bericht des Landes- arbeitsamtes dürften, vorausgesetzt, datz er in Berlin über haupt beachtet wird, ihren Eindruck auf die Reichsregierung nicht verfehlen können. Wie stark die Erregung in Sachsen über das mangelnde Interesse des Reiches sür die säch sische Katastrophe ist, ersieht man daraus, daß selbst ein linksbürgcrlichcs Blatt wie die „Dresdner Neuesten Nach richten", das bisher rückhaltlos hinter der Regierung Brüning stand, angesichts des vorstehenden Berichtes eine überaus scharfe Sprache findet, indem es schreibt: „Es ist angesichts dieser Situation völlig unverständ lich, wie man in Berlin an eine neue steuerliche Belastung denken kann, die sich lediglich in einer abermaligen Ver ringerung der Kaufkraft und damit in einer Verschärfung der Krise auswirken mutz. Die Ideenlosigkeit der Berliner Finanz- und Wirtschafts politik ist erschreckend. Seit zwei Jahren stopft man immer wieder nur entstehende Löcher mit neuen Ab gaben zu und wartet aus das Wunder eines baldigen Endes der Weltwirtschaftskrise. .Die Reichsregie rung hat mehrfach darauf hingewiesen, datz eine Erhöhung der Steuerlasten überhaupt nicht denkbar sei. Statt der Entlastung kamen immer nur neue Belastungen. Unter diesen Umständen mutz das Vertrauen zu Regierungs worten und Regierungsversprechungen völlig dahin schwinden." „Daily Mail" gegenüber dahin, daß die' National sozialisten möglicherweise alles tun würden, eine Auf lösung des Preußischen Landtags Herbeizuführen, in der Hoffnung, bei Neuwahlen die Mehrheit zu erhalten. Moskau erlaube zur Zeit den Kommunisten nicht, den Nationalsozialisten zu helfen, aber Moskau könne seins Ansichten ändern, wenn es denke, daß ein günstiger Augen blick für die deutschen Kommunisten gekommen sei, ihre Zahl im Parlament zu vergrößern. „Daily Mail" meint hierzu, daß unter solchen Umständen eine Koalition zwischen den Nationalsozialisten und dem Zentrum natürlich schwer durchzuführen wäre. Die Lösung der gegenwärtigen Krise werde möglicherweise eine Dikta tur oder ein Dreimännerrat sein. Dann können der neue Preußische Landtag und der Reichstag über Bord! gehen. Brüning selbst habe durch seine Notverordnungs-i Politik den Weg zu einer Diktatur vorbereitet.! Schleicher und Hitler würden den Apparat für eine dikta torische Negierung bereit und in bester Ordnung vor-! finden. Die liberale „News Chronicle" betrachtet dem-! gegenüber die politische Lage in Deutschland als ruhig! und spricht von einem innenpolitischen W aff en sti l l-! stand bis nach der Lausanner Konferenz. Hitler habe! seine Hoffnung, Kanzler zu werden, scheinbar zurückgestcllt und wolle Brünstig noch eine Galgenfrist bis Ende. Juni gewähren. * Der ReWaußenmimster berichtet. Brüning vor dem Auswärtigen Ausschuß des Reichstages. Der Auswärtige Ausschuß des Reichs tages trat unter Vorsitz des Abgeordneten Dr. Frick (Nat.-Soz.) zu der schon seit längerer Zeit geplanten Sitzung zusammen, an der auch Staatssekretär von Bülow, Neichsverkehrsminister Treviranu s, sowie zahlreiche Mitglieder des Reichsrats teilnahmen. Neichsaußenministcr Dr. Brüning nahm gleich nach Eröffnung der Sitzung das Wort zu einem eingehenden Bericht über alle schwebenden außenpolitischen Fragen, so besonders über die Genfer Verhandlungen, Tribute und Schulden, Abrüstung, die Donaufrage, Memel und Danzig. Die Beratungen wann ver-, traulich. Die deutsche Verfassung in schwerer Gefahr? Rätselraten des Auslandes über Deutschlands Zukunft. Wer mitten im Gefecht steht, hat keinen Überblick über die allgemeine Gefechtslage. Der Außenstehende und Unbeteiligte kann sie klarer sehen und, wenn er wirklich nicht persönlich interessiert ist, auch richtiger beurteilen. Deshalb ist ein Blick in ausländische Zeitungen interessant und ihre Beurteilung der innenpolitischen Lage oft aufschlußreich. Nur darf man dabei nicht vergessen, daß die Interessen des Auslandes heute so eng mit der deutschen innenpolitischen Entwicklung verknüpft sind, daß der Blick auch des außenstehenden Beobachters nicht ganz ungetrübt ist. Mit dieser Einschränkung mutz man an die Beurteilung ausländischer Stimmen über Deutschland gehen. Nicht was das Ausland im einzelnen für Deutsch lands politische Zukunft voraussagt, ist hierbei das beacht liche, sondern in welcher Richtung es das deutsche Staatsschiff gesteuert, oder vielleicht treiben steht. In England, für dessen parlamentarische Eigen heit die deutschen parteipolitischen Zwistigkeiten völlig unverständlich find, zeigt sich für die innenpolitische Ent wicklung Deutschlands ein besonders reges Interesse. So beschäftigt sich die „Daily Mail" unter der fetten Über schrift „Die deutsche Verfassung in schwerer Gefahr" in großer Aufmachung mit der. preu ßischen Kabinettskrise. Das Unvermögen des Preußischen Landtags, einen neuen Ministerpräsidenten zu wählen, sei ein Wahrzeichen der Krankheit, die das Leben von Deutschland vergifte: der Mangel an Einig keit. Die Dinge seien so weit gediehen, daß man sich fragen müsse, ob in Deutschland eine Revolution oder Diktatur bevorstehe. Die Frage sei nicht mehr die, ob Dr. Brüning in Gefahr sei, sondern ob die gegenwärtige Negierungsform überhaupt noch aufrechterhalten werden könne. Es sei außerordentlich, daß eine Zusammenarbeit der politischen Parteien nicht zustandegebracht werden könne in einem Augenblick, wo die ganze deutsche Nation voller Hoffnung für den Triumph ihrer Außen politik sei. — Ein Mitglied der Zeutrums- par.tei äußerte sich dem Berliner Berichterstatter der Der Abgrund. ^luch in Frankreich knarrt und stockt das parla mentarische Räderwerk zur Zoit in bedenklichster, politisch geradezu gefährlichster Weise. Das „Interregnum" zwischen den Neuwahlen und dem Zusammentritt oer Deputiertenkammer wird ausgefüllt mit dem Rätselraten um die zukünftige Regierungsbildung und durch ein paar Äußerungen Herriots, des Wahlfiegers, über die »Prinzipien" seiner Außen- und Innenpolitik von morgen. Dieses „Morgen" aber heißt nicht anders als: die Konferenz von Lausanne. Und da scheint Herriot viel mehr Gewicht darauf zu legen, die parlamentarischen Brücken nach der Mitte der Deputiertenkammer und nach der Partei — und den außenpolitischen Tendenzen — Tardieus nicht zer stören oder gefährden zu lassen als die zu seinem linken Nachbarn hinüber, der Partei PainlevSs und den So zialisten. Obwohl man ihm von dorther die Hand zu gemeinsamem Arbeiten in fast ostentativer Weise entgegen gestreckt hat, ohne irgendwie übertriebene innenpolitische Forderungen zu stellen! Allerdings hat diese radikale Linke v-rlangt, daß mit der Abrüstung und mit der Anbahnung eines besseren Verhältnisses zu Deutsch land endlich Ernst gemacht werde. Aber beides scheint dem künftigen Leiter der französischen Außenpolitik ein unbilliges Verlangen zu sein. Und ob seine sozusagen offizielle Einführung in die außenpolitischen Geschäfte, die ihn beim neuen Staatspräsidenten Lebrun mit Tardieu und dem bisherigen, besonders intransigenten Finanz minister Flandin zusammengebracht hat, dem neuen Manne Nicht noch festere Bindungen nach rechts hinüber bringen wird, ist eine Frage, die man zum mindesten bestimmt nicht unbedingt verneinen kann. Man mag Herriot für das „Hell-Dunkel" seiner bisherigen außenpolitischen Zeitungsartikel und Interviews zugute halten, daß er erst bei der Konstituierung der Deputierten- kammer in der nächsten Woche genau übersehen kann, wie groß dort seine unmittelbare Gefolgschaft, also die radikal- sozialistische Partei ist. Aber selbst wenn sich bei ihr noch einiges parlamentarisches „Schwemmholz" anfindet, so Wird tm wesentlichen kaum noch etwas an der allgemeinen Konstellation geändert. Und ebenso wäre es, vom deutschen Standpunkt aus gesehen, eine Vogel-Strauß- Politik, wenn wir nicht erkennen und bekennen wollen, daß in jenem „Hell-Dunkel" der seitherigen Erklärungen Herriots über das Verhältnis zu Deutschland, die Re visionsfrage usw. das „Dunkel" ständig zuge nommen hat. In der Abrüstungsfrage sieht es damit nicht viel anders aus. Denn in seinem jüngsten Interview hat er über diesen zweiten Punkt erklärt, er werde die französischen Rüstun gen vervollkommnen und modernisieren, bis „solide inter nationale Garantien gegeben" seien. Und in seinen Aus führungen über das Reparationsproblem ist immer nur die Rede von den „unveräußerlichen Rechten Frankreichs aus den Verträgen". Dieses Wort ist uns nicht ganz unbekannt; es stammt von — Poincarö! Wenn Herriot dann weiter sagt, er „betrachte somit die Anerkennung der Ansprüche und Forderungen Frankreichs als eine absolute Notwendigkeit", dann klafft damit ein Abgrund auf, — oder vielmehr: er wird unverhüllt sichtbar —, über den eine Konferenzbrücke zu schlagen un möglich zu sein scheint. Gleich dreimal unterstreicht er die „Notwendigkeit", erst einmal diese Ansprüche an erkannt zu sehen, ehe man überhaupt an eine Diskussion herantreten könne. Und lehnt dann noch mit besonders scharfem Wort jede Möglichkeit ab, etwa umgekehrt zu verfahren; diese Schärfe richtet sich übrigens ausdrück lich gegen Deutschland. Herriot hat damit die Ablehnung des Revi sionsgedankens ausgesprochen, und wir Deutsche sollten uns nicht darüber hinwegzutäuschen versuchen, daß diese scharfen, präzisen Worte nur eine „taktische" Haltung drei Wochen vor der Lausanner Konferenz darstellen sollten. Selbst ein halbes Entgegenkommen Herriots, Deutschland solle für seine ständige Behauptung, viel mehr an „Reparationen" bezahlt zu haben, als es fchnlde, die betreffenden Zahlen als Beweise doch den Sachver ständigen vorlegen, wird fo stark wieder aufgehoben durch ein Achselzucken Herriots: Wieso habe denn Deutschland den Young-Plan „aus freien Stücken unter schriebest", wenn es nicht selbst an die Wahrheit der noch ausstehenden und der festgelegten Zahlungsverpflich tungen glaube? über diese „Freiheit" der deutschen Unterschrift ließe sich ungefähr ebensoviel sagen wie über jene andere .„Freiheit", in der Deutschland den Dawes-Plan unter zeichnete. Damals stand Herriot als Ministerpräsident an Frankrerchs Spitze u^d seine Truppen standen — im Ruhr gebiet. Es hat es trotz des Dawes-Vertrages er zwungen, daß sie dort noch ein Jahr länger stehenblieben! Hindenburgs Wiehr nach Verlin. Staatssekretär Meißner begab sich nach Neudeck, «m dem Reichspräsidenten einen Vorbericht über den Zland der Arbeiten des Neichskabinetts zu erstatten. Reichspräsident v. Hindenburg wiro am Sonnabend SläM. S »uutao wieder nach Berlin rurückkebren. Unverständliche Haltung der Reichsregierung. Vor zwei Jahren wurden auf der großen Chemnitzer Kundgebung der sächsischen Industrie dem Reichskanzler Brüning, der persönlich anwesend war, die wirtschaftlichen Nöte Sachsens geschildert. Seitdem sind immer und immer wieder sächsische Hilferufe nach Berlin gelangt, Abordnun gen der sächsischen Wirtschaft bei der Reichsregierung vor stellig geworden. In voriger Woche erst weilte Minister präsident Schieck in Berlin, um dem Reichskanzler zum soundsovielten Male die die Not aller deutschen Länder weit übertreffende sächsische Wirtschaftskatastrophe klar zn machen. Trotz alledem bat die Reichsregierung bis jetzt nicht das geringste unternommen, um dem Daniederliegen der sächsischen Wirtschaft auch nur um ein Weniges zu steuern. Wie eine furchtbare Quittung auf diese geflissentliche Unterlassung wirkt der Bericht des sächsischen Landesarbeitsamtes über die Entwicklung der sächsischen Erwerbslosenkurve, der in außerordentlich ernsten Worten — wenn auch wabrscheinlich wieder vergeblich — an eine Reichshilfe für Sachsen appelliert. Der Bericht lautet: Seit dem Höhepunkt der winterlichen Arbeitslosigkeit in Sachsen, der mit 725 396 Arbeitsuchenden auf den 15. März fiel, ist die Arbeitsuchendenkurve bis zum 15. Mai d. I. nur um 14 670 oder 2 Prozent zurückgegau gen. Dies ist eine Tatsache, die in Anbetracht der für den Arbeits markt sonst günstigsten Jahreszeitnichternstgenuggenommen werden kann. besonders wenn man bedenkt, daß lediglich durch die Be lebung der Außenberuse eine Abnahme der Arbeits losigkeit erfolgt ist, und daß aus der anderen Seite die Konjunktur- und strukturbedingte Arbeitslosigkeit, die sich vorwiegend auf dem weiblichen Arbeitsmarkte äußert, un vermindert anwächst. Während die männliche Arbeitsuchendenkurve seit dem Höhenpunlte von 533179 bis zum 15. Mai auf 513 667, also um 19 512» zurückgiug, stieg die Zahl der weiblichen Arbeitsuchenden im gleichen Zeiträume von 192 217 auf 197 059, Auch während der Berichtszeit vom 1. bis zum 15. Mai 1932 zeigt sich das gleiche Bild der fallenden männlichen und der steigenden weiblichen Arbettsuchenden- kurvc, ein Zeichen, datz die konjunkturell ungünstigen Ein flüsse der Zollvolitik der Abfall- Nationale Tageszeitung für die Dandwirtschast, N'Vsh!«." Wochenblatt fgx Wilsdruff u. 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