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Wilsdruffer Tageblatt 2 Blatt — Nr m — Freitag, den 13 Mai 1932 Tagesspruch. Mußt stets an deiner Mutter Art, Du Kind der Erde, dich erinnern: Je mehr die Schale dir erstarrt, Wahr dir den fliisigen Kern im Innern! P. Heyse. Devisensrleichielungen für den "Meverkc"- Nähere AusführungSbestuu In dem Bestreben, den Reiseverkehr nach Deutschland zu fördern, hat das R e i ch s w i r t s ch a ft s ui i n i st e - rium Altguthabcn bzw. Sperrkonten von Ausländern, die nach Deutschland reisen wollen (Sperrkonten nur, so weit sic nicht durch Verkäufe von Wertpapieren entstanden sind), für diese und ihre Begleitung freigegeben, wenn die Reise durch em Relsebureau als Pauschalrcise (Vorausbezahlung der .Hotelgutscheine, Fahrtausweise usw.) vcrmitte.t wird. Tie Reiseburcans werden in der Lage sein, nähere Auskunft demnächst zu erteilen. Des weiteren rst zur teilweisen Flüssigmachung der in Öster reich festliegenden deutschen Schillingguthaben eine Ver- cinbarung getroffen worden, nach der deutsche Reisende nach Österreich außer dem Betrag von 200 Reichsmark noch den Gegenwert von 500 Reichsmark in einem Kalendermonat mitnehmen dürfen. Dieser Mehrbetrag kann aber nur durch die deutschen Post - an st alten und Nersebureaus erworben wer den. Daneben dürfen auch die deutschen Kredit institute ihren Kunden bis zu dieser Höhe ohne be sondere Genehmigung Akkreditive ausstellen. Reisende er halten nähere Auskunft bei allen deutschen Postanstalten, den Vertretungen des Mitteleuropäischen Reisebureaus und bei inländischen Kreditinstituten. Die Eigentümer von gesperrten Schillingguthabcn können diese für den Reiseverkehr bis zum Höch st betrage von 5000 österreichischen Schillingen zur Verfügung stellen. Die hierzu nach den deutschen Devisenbestimmun gen erforderliche Genehmigung der Devisenbcwirt- schastungsstelle wird auf Antrag erteilt werden. Ueber die Einzelheiten des Verfahrens werden die Jnduftrie- und Handelskammern Auskunft erteilen. Eine polnische Reservearmee im Weichselkorridor-. Tanks. Maschinengewehre und Geschütze für die militärischen Vereinigungen. Wie die Grcnzzeitungen in Schneidemühl be richten, sind im Wcichscllorridor bedeutsame militärische Vorbereitungen im Gange, die zu außerordent lich c n B es o r g n i s s e n unter der Bevölkerung in den deutschen Grenzgebieten Anlaß geben. Die polnischen mili tärischen Bcrbändc waren bisher nur mit Handfeuer waffen älterer Systeme ausgerüstet. Jetzt ist man dazu übcrgegangcn, die Bewaffnung dieser Bcrbändc durch neueste Modelle aus Hcercsbeständen zu ergänzen und sie mit den modernsten Kampf Waffen aus zurüsten. So sind ihnen Tanks, schwere Maschinen- gewehre, Minenwerfer, Flammenwerfer und Geschütze überwiesen worden. In Thorn, Grau- dcnz und Kulm ist die Bewaffnung des Zivils besonders auffallend. Wie dazu bekannt wird, ist im Korridor die Aufstellung einer Reservearmee in vollem Gange. Die Vorgänge im Reichstag Die Schlägerei im Reichstag. Der Vc-rlauf der Schlägerei im Reichstagsrestaurant ist noch nicht offiziell genau festgestellt. Nach den Mit teilungen von verschiedenen Seiten ergibt sich etwa folgen der Tatbestand: Der Oberleutnant z. S. a. D. Helmut Klotz, ein früherer Nationalsozialist, der sich jetzt als Redner be sonders in Kreisen des Reichsbanners betätigt, war zu einer Besprechung mit sozialdemAkratischen Abgeordneten in de Reichstag gekommen. Er saß mit ihnen an einem Tisch der Sozialdemokraten im Abgcordnctenrestaurant. Als die namentliche Abstimmung begann, blieb Klotz allein am Tisch sitzen. Plötzlich kamen — nach einer sozial demokratischen Darstellung — mehrere Nationalsozialisten vorbei. Sie riefen: „Ach, das ist ja der Hund, der die Röhmbricfe gefälscht hat." Tann schlugen sie auf ihn ein. Andere Abgeordnete und Kellner drängten die National sozialisten aus dem Restaurant heraus. Inzwischen waren auch die Hausinspektorcn des Reichstages erschienen, um sich nach dem Zwischenfall zu erkundigen. Klotz infor mierte sic und ging mit ihnen durch den Wandelgang, um die Leute zu identifizieren, die ihn geschlagen hätten. Nach der sozialdemokratischen Darstellung sind auf der rechten Seite des Hauses, wo sich die Nationalsozia listen aufhalten, zahlreiche Personen über Klotz und die beiden Hausbeamten hergefallen, wobei Klotz mit Faust schlägen zu Boden geworfen worden sein soll. Klotz hat nach der sozialdemokratischen Darstellung gemeinsam mit den Beamten im Sitzungssaal den ReichsiagsabgeorÄ- neten Heines als den Hauptangreifer bezeichnet. Diese Darstellung wird im wesentlichen auch von anderen Augenzeugen bestätigt. Klotz ist in politischen Kreisen bekannt als der Herausgeber faksimilierter Briefe, die in den Vorwürfen gegen den Nationalsozialisten Hauptmann a. D. Röhm eine große Rolle spielen. Dr. Klotz. Strenge polizeiliche Absperrungen. Polizeimannschaften hatten zur Zeit der erregten Zwischen falle, die sich im Sitzungssaal nach Aufhebung Ler Sitzung zu trugen, eine sehr strenge Absperrung in der Umgebung ves Neichstagsgcbändes vorgenommcn, so daß von außen her nie mand ohne besondere Befugnis in das Gebäude gelangen kann. Die Eingänge des Reichstages mit Ausnahme des Portals wurden polizeilich gesperrt. Andererseits konnte auch niemand ohne besondere Kontrolle das Haus verlassen, in dem übrigens auch Kriminalbeamte in größerer Zahl an wesend sind. Kraktionssitzung der NSDAP im Reichstag. Die nationalsozialistische Reichstagssraktion hielt nach Beendigung der Vollsitzung eine Fraktionssitzung ab, in der der Vorsitzende Dr. Frick einen kurzen überblick über die Ent wicklung der Ereignisse des heutigen Tages gab. Die Frak tion beabsichtigt, mit einer Kundgebung an die Öffentlichkeit zu treten. Nach polizeilicher Mitteilung soll Abg. Heines zugegeben haben, Dr. Klotz geschlagen zu haben. Die vier seslgenommenen Neichstagsabgeordneten werden am Freitag vom Schnellrichter abgeurteilt werden. Heines. Die nationalsozialistischen Reichstags' abgesrdneten ins Polizeipräsidium gebracht. Die vier aus dem Reichstag ausgewiesenen national sozialistischen Abgeordneten wurden nach ihrer Festnahme in das Bcrakungszimmcr des Ältestenrats geführt und dort einer vorläufigen Vernehmung unterzogen. Gegen 16 Uhr wurden die Abgeordneten in einem Kraftwagen eines Ucberfalllommandos nach der» Polizeipräsidium gebracht. Auswärtiger Ausschuß des Reichstages aufgeflogen. Ter Auswärtige Ausschuß des Reichstages ist Wider Erwarten doch noch am Donnerstag nach Schluß dvr Neichstagssitzung znsammengetreten, um Mitteilungen des Reichskanzlers über die außenpolitische Lage ent gegenzunehmen. Da jedoch in der Sitzung nur die Nationalsozialisten, die Deutschnationalen und die Kom munisten erschienen, konnte der Vorsitzende, Abgeordneter Dr. Frick (Rat.-Soz.) lediglich die Bcschlußunfühigkeit des Ausschusses feststellcn und die Sitzung aufheben. * Erklärungen des Polizeipräsidiums und der NS GAP. Der Berliner Polizeipräsident veröffentlicht zu den Vorgängen im Reichstag eine Darstellung, in der es u. a. heißt: Als wiederholte Versuche der Polizei, die (nationalsozialistischen) Abgeordneten zur Vernehmung heranzuziehen, mißlangen, begab sich der stellvertretende Polizeipräsident in den Sitzungssaal, in dem sich die Ver dächtigen im Kreise ihrer Fraktionskollegen aushielten. Sein Bemühen, die tatverdächtigen Abgeordneten zum freiwilligen Erscheinen vor den vernehmenden Kriminal beamten zu veranlassen, scheiterte, da sich asif den Bänken der Nationalsozialisten ein ohrenbetäubender Lärm er hob, der jede Verständigung unmöglich machte. Unter Liesen Umständen wäre letzten Endes nichts anderes als die Sistierung der gesamten nationalsozialistischen Rcichs- tagssraktion — zwecks Gegenüberstellung mit den Zeugen und dem Geschlagenen — übriggeblieben. Ein Schntz- polizeikommando war zu diesem Zwecke bereits von dem stellvertretenden Polizeipräsidenten in den Sitzungssaal gezogen worden. Ursishsr-liscbtsseüutr üurok VsrlLA Ostcur Lloistsr, Werd an 8». (25. Fortsetzung.) Der Forstmeister blickte nach seiner Frau, deren Hände beim Füllen der Tassen merklich zitterten. Er sah rasch nach An stetten hinüber, dessen Augen an einem Photo hingen, das in Kreide gezeichnet, an der Schmalwand des Zimmers plaziert war. Der Freiherr wandte sich ab und richtete eine Frage an den Beamten: „Ist das nicht mein Vetter Günther, den Sie dort an die Wand genagelt haben?" Bogner verneinte. „Sie sind es eben selbst, Herr Baron. Vielleicht können Sie sich noch erinnern, daß Sie mir das Bild geschenkt haben, kurz ehe Sie nach Indien gingen." Anstetten nickte und war dankbar, daß die junge Frau ihn einer Antwort enthob, indem sie ihn fragte, ob man nach dem Schlosse telephonieren solle, daß er hier sei. „Es ist nicht nötig, Gnädigste! Mein Junge ist bei Freunden, meine Frau irgendwo zum Tee geladen. Ich werde also keineswegs vermißt." Er horchte nach der großen Standuhr, welche die achte Stunde in den Raum warf. Zehn Minuten später trat er, sich verabschiedend, auf die Veranda und führte noch einmal die schmale weiche Hand an seins Lippen. „Seien Sie recht sehr bedankt, gnädige Frau! — Auf Wiedersehen." Bogner gab ihm noch eine Strecke das Geleit und empfahl sich erst, als er Würz zwischen den Stämmen warten sah. Anstetten machte keinerlei Umschweife und griff, sobald der Forstmeister außer Sichtweite war, nach Stephans Ober arm „Du willst heiraten? — Stimmt das?" Ein verlegenes Achselzucken „Kann ich unter diesen Umständen das Geheimnis des c auch das meine ist, gewahrt wissen?" Ein Ausatmen des Gefragten: „Darum müssen s Ihnen net wrg n, Herr Baron! G'wiß net' Ein Grab kann nek verschwiegener sein. Das geht kein Mensch'n was an! — — Ein Weib ichon gar net! Streng g'nommen, net amal mich. — Wanns sie s befehln. Herr Baron, nachher hab ich's ver gessen. Anstetten schritt nachdenklich neben ihm her. „Kommen ab und zu Besuche ins Forsthaus?" „Selt'n! — Ein paar Offiziere! Hin und wieder em Kolleg vom Herrn Forstmeister. — Sonst gar niemand. Es ist ein ganz geruhliches Sein da ob'n." „Meine Frau kommt wohl nie herauf?" „Gar nie! Der Gnädig'n is der Weg zu steinig und geht auch allaweil bergaus. Eine Frag, wann ich hab'n dürft, Herr Baron?" » Anstetten unterdrückte ein Lächeln. Das war das zweite- mal, daß er das heute von Würz hörte. „Und? " Er blieb stehen und hielt ihm sein Zigarettenetui entgegen. Stefan griff etwas zaghaft hinein. „Is zum Auskommen mit ihr?" „Mit meiner Frau?" „Jesfas!" Würz schlug sich auf den Mund „Allemal ver giß ich s wieder, daß jetzt eine Frau hab'n, Herr Baron! — Ich kann mir das gar net vorstell'n. Die Leut red'n so viel dumm's Zeug, daß einem manchmal ganz übel wird " „Was reden Sie denn, Würz?" Stephan drehte die Zigarette unschlüssig zwischen den Fingern. „Mein Gott — nix Gescheits net! — Wanns wieder nach Indien reis'n, Herr Baron, nachher geh ich mit. Ich glaub, daß ich's bis dahin auch schon satt hab, das Ver heiratsein." Anstetten lachte belustigt auf. „Du bist mir aber noch einen Großteil der Antwort schuldig geblieben," mahnte er, als der funge Mensch jetzt schweigend neben ihm herging. „Sag'n tuns " Würz hielt verlegen inne und setzte wieder zum Sprechen an, „der Herr Baron is ungeschickt wann er's so genau nimmt und koa Schritterl auf die Seit'n geht, wos doch die gnädige Frau auch net grad streng halt mit dem Verheiratsein." Anstetten schlug das Blut ins Gesicht „Das ist alles Ver leumdung, Stefan. Ich habe doch auch meine Augen offen. — Und zudem — wenn du gerecht denkst — ist sie ja eigent lich Witwe." „Nach meiner Ueberzeugung net," erregte sich Würz. „Ich glaub, wann ich an dem Herrn Baron seiner Stelle wär, ich " Er mußte den Satz unterbrechen, denn Bernd kam den Hang heraufgclaufen und schwenkte schon von weitem den Hut. „Vater, wo bleibst du denn! — Ich habe mir schon die Lunge heiser gerannt und geschrien, weil Friedrich sagte, du wärest nach dem Wald gegangen. Guten Abend, Stefan." Er reichte dem jungen Menschen die Hand und schob dann seinen Arm in den des Vaters, wartend, bis dieser das „Gute Nacht" des Jägers erwidert hatte. Neben ihm herschreitend, sagte er knabenhaft naw: „Ich hätte gar nicht geglaubt, daß sich die Mama so fürchterlich um dich sorgen könnte!" „Um mich?" Anstetten sah ihn ungläubig an. Bernd nickte ernsthaft. „Deswegen bin ich ja auch sort- gelaufen, dich zu suchen. — Sie war ganz außer sich, als du zum Abendtisch nicht kamst und meinte, es müßte dir etwas passiert sein, denn das hättest du noch nie getan, daß du weg bleibst, ohne ihr Bescheid zu geben." Der Baron setzte langsam Schritt für Schritt und fühlte das Pulsen seines Blutes. Am Eingänge des Hochwaldes tauchte Friedrich aus, wartete aber gar nicht auf das Näherkommen der beiden Herren, sondern machte rasch wieder kehrt. In Anstettens Ohren brauste und dröhnte es. — Hans Peter, begehe ich einen R.aub an dir? Er wollte nach seinem Zimmer gehen, sich umzukleiden, da Bogners Gewand ihm etwas weit am Körper hing, aber Bernds Stimme flehte so dringend: „Komm erst zur Mutter!" Und als er trotzdem den Weg nach seinen Räumen einschlagen wollte, stieß der Knabe erregt hervor: „Vater! — ich ertrage das einfach nicht mehr, wenn das io weitergeht." Anstetten zuckte zusammen. „Dann komm!" Die Baronin stand weiß, wie der Tod, in ihrem kleinen Salon, als Sohn und Gatte bei ihr eintraten. „Das war rücksichtslos!" warf sie ihm zornig hin „Mutter!" Bernd lief auf sie zu und schloß ihr den Mund mit dem leinen „Was war rücksichtslos?" In Hans Peters Augen flammte es auf Jedes Wort, das er heute gehört hatte, erwachte in seinem Erinnern „Daß du wegbleibst, als ob du keine Verpflichtungen hättest! — Daß du deine Wege gehst, als wären Bernd und ich Luft! Daß du es gar nicht der Mühe wert findest, Bescheid zu sagen, wenn du einmal nicht am Tisch erscheinst" „Ist das so fürchterlich?" — Er konnte den Spott in seiner Stimme nicht mehr dämmen. „Gibst du mir Bescheid, wohin du gehst? Weiß ich, wo du dich aufhältst, wenn du ganze Nachmittage wegbleibst? — — Bernd, laß mich ein paar Minuten mit der Mutter allein." Er zeigte bittend nach der Türe. Den Rücken nach vorne geneigt, verließ der Knabe den Raum. Anstetten hatte inzwischen leine Fassung wieder gefunden Er stand hochaufgerichtet und schob den Stuhl, den Brun hilde ihm zugeschoben hatte von sich. „Ich habe auf einen anderen Empfang gerechnet — Bernd sagte mir, du hättest dich gesorgt." Aus seinen Worten sprach offener Hohn (Fortsetzung kolat >