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Wilsdruffer Tageblatt 2. Blatt. Nr. 104 — Mittwoch, den 4. Mai 1932 Himmelfahrt. Lichtwärts strebt das Menschenherz Aus der Nacht von Not und Tränen. Suchend schwingt sich himmelwärts Ewig unser Menschheitssehnen, llnersaßbar dem Verstand, Fühlt das Herz zu allen Zeiten, Daß der Seele Heimatland Droben in den Sternenweiten. In den ew'gen Himmelshöh'n, Wo auf nie erforschten Bahnen Tausend Sonnen ewig geh'n, Wurzelt unser Gottesahnen. Wenn in Not dem Herz nicht mehr Unsre schwachen Kräfte frommen. Fühlt es hoch vom Himmel her Gottes Hilfe zu ihm kommen. Lichtwärts weist uns, himmelan Heute auch die Frühlingssonne, Da des Winters dunkler Bann Nun zerbrach in Maiensonne, Da vom blauen Himmel her Sonnengüte strahlt hernieder Und ein einzig Blütenmeer Unsre arme Erde wieder. Mach' dich frei aus Trdenquas, Armes Herz, aus Nacht und Leiden, Schwing dich aus dem dunklen Tal Auf zu goldnen Sonnenweiten! Kraft, die aus der Wintermacht Frühling weckt und Glanz auf Erden, Wird auch deiner Leidensnacht Aus den Himmelshöhen werden! Was bas Herz auch duldend trug — Aus der Höh' kommt neues Hoffen! Immer steht zum Himmelsflug Dir der ew'ge Himmel offen, Und Lem Herz, das himmelan Sehnend strebt in frohem Glauben, Kann der Erde kurzer Bann Nie die Himmelsheimat rauben! Felix Leo Göckeritz« Himmelfahrtswahrheii. Don Himmelfahrt zu den Menschen unserer Tage zu reden hat eine eigentümliche Schwierigkeit. Das kommt daher, daß sich das Bild der sichtbaren Welt für uns um- gcwaudelt hat. Einst sahen die Menschen es so: die Erde ist ein Raum für sich. Darüber wölbt sich auch ein Raum, fest abgegrenzt, der Himmel, den man als ein festes Ge wölbe ansah/ Und unter der Erde, auch wieder ein fest umgrenzter Raum, ist die Hölle. Unser Bild von der Welt heute ist anders. Der Menschengeist, von Gott ausgestattet mit dem Drang zu forschen und so von Gott bestimmt zu weiterem Suchen nach der Wahrheit, hat geforscht und hat gefunden, daß dies alte Bild nicht richtig war, daß der scheinbar so klar geteilte Raum unendlich ist. Was man einst noch ganz schlicht hinnahm, das „Hinauffahren" als einem Aufsteigen von einem sichtbaren Raum in einen anderen Raum, ist für uns so nicht mehr selbstverständlich. Die Sache bleibt dieselbe, aber unsere Vorstellung von der Sache,hat sich geändert. _. Wir müssen uns das, was Himmelfahrt uns sagen will, an anderen Bildern deutlich zu machen suchen. Und solche Vorstellungen sind da. Wir sprechen nämlich, wenn wir von unten und oben, von hinab und hinauf reden, nicht bloß so davon, daß wir es auf räumliches Oben und Unten anwenden, sondern wir gebrauchen diese Vorstellun gen auch von einem geistigen Oben und Unten. Wir sprechen von „Abstufung" in der Welt, von „niederen" Geschöpfen und „höheren" Geschöpfen; unten stehen die Ge schöpfe, in denen von Seele, von Geist kaum etwas vor handen ist; und je mehr von Seele in Geschöpfen ist, auf desto höherer Stufe stehen sie, am höchsten der Mensch. Und bei den Menschen.selbst sagen wir ebenso: tiesstehende Menschen sind die, in denen der Geist wenig wirkt, die höchsten die, die am meisten vom Geist erfüllt sind und die sich von diesem Geistigen am reinsten leiten lassen, in denen der Geist das Irdische, Erdige am meisten überwindet, die so vom Irdischen am freisten sind. Je mehr einer vsn Wahrheit, Reinheit, Liebe erfüllt ist, um so „höher", sagen wir, ist er emporgestiegen. Diese Gedanken führen uns geradeswegs in die Himmelfahrtswahrheit hinein: daß es einst eine völlige Loslösung auch von den letzten Resten irdischen Stoffes, daß es ein Hinaufsteigen in die ganz reine Welt des Geistes gibt. Und der Himmelfahrtstag erinnert uns daran, daß dieses Emporsteigen auf der Erde von Jesus Christus bis „zur höchsten Stufe" vollbracht, daß Jesus Christus dann aus diesem Erdenbereich völlig in das un sichtbare Zkeich eingegangen ist, in das Reich, für das und in dem es keine Schranke d»s Raumes m-br aibt. Die Himmelfahrt Christi. Nach einem Gemälde von Andrea Mantegna (1431—1506) im Uffizien, Florenz. Wäre der Himmel bloß ein höherer Raum, hoch über der Erde, dann Hütte Jesus beim Scheiden sagen müssen: Von nun ab werde ich ferne von euch sein. Er aber sagt: Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende d?.r Welt. So macht er uns gerade frei von der äußer lichen Vorstellung eines äußerlichen Emporsteigens. So führt er uns gerade tief in die Wahrheit hinein: wenn du ganz mit Gott eins bist, wenn du ganz in Gott ein gegangen bist, dann bist du im Himmel: er ist nicht fern über dir, er ist ganz, ganz nah bei dir. Auch hiervon gilt das Wort Jesu vom Reich Gottes: ihr sollt nicht sagen: hier ist es, da ist es, sondern es ist mitten unter euch, oder, wie man auch übersetzen kann, inwendig in euch. So konnte Paulus schreiben: Unser Wandel i st im Himmel: nicht zum Himmel. Wer nun nicht bequem ist, sondern große Wahrheiten ernst nimmt, der mag nachsinnen über das echte Himmel fahrtswort Jesu: Ich bin vom Vater ausgegangen und gekommen in die Welt. Wiederum verlasse ich dich, Welt, und gehe zum Vater. Icr VierererstMene Mens. Die wunderbare Geschichte der „Himmelfahrt"^ erzählt von Rudolf Predeek. Als Peter Paul der Große von dem Gerüst steigt, das mit' Brettern und Balken vor seiner „Himmelfahrt" steht, da tut es ihm fast leich daß er dieses Werk seiner schönsten Mannes jahre nach Brüssel abgeben foll. Denn das ist nun ein wahres Meisterwerk geworden, und — beim heiligen Lukas! — was für Aufhebens haben die Herren schon davon gemacht und artige Komplimente, als die Jungfrau noch nicht gar so leicht im Raume schwebte und als auch bei den Jüngern das rechte Staunen und die verwunderte Bewegung noch nicht die Spur zu sehen war! Die alte Frau da unten links, der er das Gesicht seiner Nachbarin Hille gab, an der hat er seinen be sonderen Spaß, wie sie in das leere Grab neugiert und noch immer nicht verstehen will, daß darin nichts mehr ist als nur die Weißen Tücher, in die sie doch selbst die heilige Frau ge legt! Jetzt wird der Name Rubens in Brüssel Heller erklingen als der des von Joos de Momper, oder des Joost van Winghe oder gar des Cornelis de Vos, die den Deutschen aus Siegen im Kölnischen sowieso schon scheel genug ansahen. Und erst an die vierzig ist er jetzt. Da wird noch manch« Holztafel und manches gute Stück Leinwand seinen Ruhm weiter tragen können, denn er fühlt sich kräftig und schaffens froh wie nie. - Auf dem Hochaltar von Notre Dame in Brüssel wird di« Himmelfahrt zum lebendigen Wunder. In inbrünstigem Staunen kniet das Volk, in alle Lande geht die Mär von diese« mirakulösen Himmelfahrt. So erfährt's auch Johann Wilhelm,' der sich kürzlich noch von Meister Grupello ein Reiterstand bild auf dem Markt seiner Residenzstadt Düsseldorf hat auf setzen lassen. Für 400 gute Brabanter Taler geben di« Brüsseler die „Himmelfahrt" ab, und im Triumphzug hole« kurfürstliche Soldaten aus ihren Schultern das holzgemalt« Wunder nach Düsseldorf. Fünf Jahrzehnte später tummel« sich Hispanier, Franzosen und Preußen im Lande. Stadt, brennen, Kunstwerke werden vernichtet. Der Kurfürst schickt seine ganze Bildergalerie nach Mannheim. Dm Himmelfahrt steht schon auf dem Marktplatz neben Jan Wellems Standbild; Aber kein Mensch weiß Rat, wie man solch hölzernes Ungetüm sortschaffeu kann. So bleibt es eben in der Stadt und bleibt auch ohne Schaden. Nicht schlimmer geht es anno 1794. Bo« Westen her flackern welsche Wirren ins deutsche Land. Fran zösische Kanonen schießen das Residenzschloß in Schutt unl Asche. Nur das kleine Galeriegebäude mit dem Rubens bleibt Verschont. Und noch ein paar Jahre später, als die Preuße» kommen, meint man, nun sei die letzte Stunde des Bildet gekommen. Aber unversehrt kehrt es aus der altei Lambertuskirche zurück und hängt von nun an in längs Ruhe. Dann greift die größte Gefahr nach dem nunmehr 251 Jahre alten Kunstwerk. Ein Jahr nach dem Franzosenkriej -EUL"* WtttM v. SO« /UrLsböi-Lsebtssobutr ümob Vsrlsx- Osk^r LIsistor, IVsräaa 8a. > (11. Fortsetzung.) Ihre Miene hellte sich auf. „Ich muß ihr Angebot dankend 'ablehnen, auch im Namen Bernds, er würde es nicht akzep tieren. Aber ihre Bemerkung, daß das Tier keine Untugen den hat, läßt Mich erkennen, daß es gut gemeint war." Sie hielt ihren Schal mit der Rechten fest und sprang, ohne Ms seine dargereichte Hand zu achten, über den Graben, der iden Wiesenpfad von der Chaussee trennte. Ein Reitknecht führte dort den Braunen auf und ab, der Oertzen von der benachbarten Stadt herübergebracht hatte. Die Gegenwart dieses Dritten brachte es mit sich, daß der Abschied der beiden sehr kühl und förmlich vor sich ging. Noch ehe der Graf sich in den Sattel geschwungen hatte, flatterte der Seidenschal der blonden Frau bereits wieder über die Wiesen, wie ein zitronenfarbener Schmetterling, der lleichtflügelig dahinschwebte. Die Varönin war erschöpft und wußte eigentlich nicht wo von und weshalb. Wahrscheinlich trug die Ungeduld, das fortwährend« Drängen des Grafen, ihm ihr „Ja" zu geben, dazu bei, daß sie leit Tagen so nervös und zerfahren war. Dazu die Ungewißheit, ob ihr Mann den Brief bekommen hatte und ihrer Aufforderung Folge leisten würde. Sie hoffte nicht! — Aber menul Was dann? — Je mehr die Zeit forlschkitt, desto größer wurde der Zwie spalt fn ihr Es war der sehnlichste Wunsch ihres Lebens, von Anstettrn frei zu werden. Aber zwischen ihr und diesem Manne, dem sie sich als kaum Neunzehnjährige zu eigen gegeben harte, stand Bernd. . Bernd! ' Ihr Schritt wurde plötzlich rasch und elastisch. Wie kühl und formuch -x sich aorhin verneigt hatte! Als ob sie ihm fremd wäre, wie Graf Oertzen! Dummer, kleiner Bernd! — Er konnte so kindhaft anfchmiegend und zärtlich sein und dann wieder so a'^weiwnd verschlossen, daß sie. die Mutter, zu- weil'n ratlos zwr sc,nein Herzen stand und nicht wußte, welches Wort sie f-nden wllte, Einlaß zu bekommen Lieber, lieber Bernd! Wie kannst du manchmal wehe tun! Sie dachte an den Abend, da Oertzen das erstemal Gast aut Anstetten gewesen war Der Junge Halls mit einem Scharf blick ahn-gleiches losvrl das Spiel durchschaut, das sich da >anzul,at)ncn deya»«.. Vor dem Schlafengehen war er noch an ihr Zimmer gekommen und hatte geklopft: „Darf ich, Mutter?" Sie war schon am Entkleiden gewesen, hatte noch rasch einen Pyjama übergeworfen und die Zofe hinausgeschickt. Förmlich erschrocken war sie, als er mit kalkweißem Gesichte plötzlich vor ihr stand „In der Schule heißen sie ihn den Weiber-Fritze! Gute Nacht, Mutter!" Ohne daß sie Zeit gehabt hatte, auch nur ein Wort zu er widern, war er aus dem Zimmer gegangen. Dummer, kleiner Bernd! Sie ließ in der geweihgeschmückten Halle den Schal achtlos zu Boden gleiten und hörte auf dem Rand der Marmor- flielen, wohin der große Teppich nicht mehr reichte, den Schritt des Dieners, der das Tuch aufnahm und sich damit entfernen wollte. Ihr Blick hielt den Alten fest. „Ist der junge Herr auf seinem Zimmer?" „Ich werde nachsehen, Frau Baronin." „Olein, bleiben Sie. Karl, ich gehe ohnedies nach oben." Der Diener sah der graziösen Gestalt nach, bis sie oben von den Blattpflanzen verdeckt wurde, welche die Säulen der Treppenabsätze schmückten. Er blieb noch eine Weile stehen, schüttelte den Kopf und verschwand in einer Türe. „Haben Sie Bernd, gesehen?" Der junge Hauslehrer, welcher eben den Korridor über queren wollte, verneinte. „Baronin, wenn ich Sie für einen Augenblick sprechen könnte?" „Ich habe jetzt keine Zeit," unterbrach sie ihn. Ach Gott, sie wußte ohnedies, was nun wieder kommen würde: Bernd, der früher so fleißige, pflichtgetreue, unheim lich strebsame Junge, war seit Wochen wie ausgewechselt, machte den Professoren Verdruß, brachte schlechte Zensuren nach Hause und wollte sich nicht unter das Regiment des jungen Instruktors ducken, den sie für ihn engagiert hatte. Es würde hoffentlich nur vorübergehend sein. Sie seufzte, öffnete die Türe zu seinem Zimmer und warf einen un zufriedenen Blick in dasselbe. Auf dem Tische lagen ein paar Zeichnungen, auf dem Divan, unordentlich hingeworfen, ein Stapel Bücher, von denen welche auf den Boden herab geglitten und nun zur Hälfte aufgeschlagen waren. „Berndl" Nichts regte sich. Vielleicht war er drüben im Westbau. Es war voreilig von ihr gewesen, die Räume von Hans Peter instandsetzen zu lassen. Aber wenn er auch nicht kam, die Auffrischung konnte nicht schaden. Mit raschen Schritten nahm sie eine Wendeltreppe und ging einen schmalen Korridor zurück Es roch hier nach Tünche und frischen Farben, nach Lack und Kleister und Holz und Oel. Nur wenn sie an einem Fenster vorüberkam, drang die harzige Luft der Tannen aus dem Park herüber. s In Hans Peters Schlafzimmer mußte das Parkett aus« gebessert und die Bespannung erneuert werden. Man hörte Klopfen und vernahm das Rascheln von Spähnen. „Bernd!" Sie steckte den Kopf durch die Türe, sah ihn nichts und ließ sie wieder einschnappen. Auch in den Räumen? nebenan war nichts von ihm zu finden. „So ein dummer, überempfindlicher Junge!" Dis Hand auf die Klinke zu Hans Peters Arbeitszimmers legend, stutzte sie. Diese gab nicht nach. Eine ungewisse Angst trat in ihre Stimme, als sie jetzt seinen Namen rief. Irgend etwas fiel drinnen zu Boden — dann wieder Ruhs»' „Bernd!" Eine hämmernde Welle Blutes schnürte ihr dip Kehle ab. Das rechte Knie gegen die Füllung, beide Fäuste! gegen das Schloß drückend, suchte sie Einlaß'zu bekommen.! Ihre Kraft reichte nicht aus. Dann ein Erinnern! Sie lief nach dem Schlafzimmer und von dort nach dem! Toilettenraum, von wo aus eine Türe nach dem Arbeits zimmer führte. s „Bernd!" Mit zwei Sätzen stand sie vor ihm und ritz ihm das entsicherte Gewehr aus der Hand. „Junge!" — „Was ist, Mama?" Kalkweiß im Gesicht aber sonst voll kommen gefaßt, blickte er sie an. „Ich wollte nur — Forst meister Bogner hat mir's angeboten, mit ihm auf einen Sechzehnender zu pirschen — ich dachte, du würdest esj erlauben." „Du lügst!" „Mama!" Eine brennende Röte stand plötzlich auf seinen Wangen. „Bernd! Junge! Mein lieber, lieber dummer Iunge!"j Sie sank auf das Ruhebett, welches an die Wand geschoben' war. und zog den Widerstandslosen zu sich nieder „Sei jetzt? ganz stille, mein Bub! — Ganz stille!" Sie bog leinen Kopf? gegen ihre Brust und drückte das Gesicht in seinen Schettelft „Mutter!" „Ganz stille sein!" Der Knabe fühlte, wls der schlanke Leib an seiner Ssiks bebte und die Frauenhände ihn immer fester an sich preßrem Erst nach langem, wortlosen Schweigen gab sie ihn frei. Erschrocken iah er ihr entfärbtes Antlitz: „Mutter, dass konnte ich doch nicht wissen!" — „Was, Bernd?" Ihre Augen hefteten sich zwingend iiH die seinen. „Daß du — daß ich — dir mehr gelte als —" „Die ganze Wahrheit, Kind!" —' „Als — Oertzen!" (Fortsetzung juiM