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Wilsdruffer Tageblatt I 2. Blatt. Nr 81 - Donnerstag, den 7. April 1932 I Tagesspruch. , Dies ist die beste Lebensweise: In flebung der Gerechtig- Mt und jeder .anderen Tugend zu leben und zu sterben. Sokrates. Gras Waldersee, der „Weltmarschall" Zur 10g. Wiederkehr seines Geburtstages. Am 8. April jährt sich zum hundertsten Male der Geburtstag des am 5. März 1904 in Hannover ver storbenen Grafen Alfred von Waldersee, der in der Regierungszeit Wilhelms ll. in der deutschen Politik eine bedeutende Rolle spielte. Als Sohn eines Generals in Potsdam geboren (das Adelsgeschlecht der Waldersee stammte aus dem Dessauischen), stieg Alfred von Waldersee in der miliEAschen Laufbahn bis zu den höchsten Stufen empor. Im Jahre 1871 war er, während deutsche Truppen in Paris standen, Stabschef des Gouverneurs von Paris und dann kurze Zeit Geschäftsträger der deutschen Regie rung bei der Französischen Republik. Im Jahre 1882 wurde er Generaladjutant Wilhelms l. Wilhelm II. er nannte ihn bald nach seiner Thronbesteigung als Nach folger Moltkes zum Ches des Generalstabes der Armee und berief ihn in das Herrenhaus und in den Staatsrat. Im Mai 1900 erfolgte seine Beförderung zum General- feldmarickall. Und dann kam die Zeil, in der Waldersees Name in aller Munde war. In China war der sogenannte „Boxer aufstand" (die „Boxer" selbst nannten sich „Fäuste dei friedlichen Eintracht") ausgebrochen, eine fremdenfeind liche Bewegung, die von oben her Unterstützung fand. Es kam zu blutigen Ausschreitungen gegen die chinesischen Christen, gegen die Missionare und schließlich gegen alle Fremden, die in China lebten. Am 20. Juni 1900 wurde der deutsche Gesandte Freiherr von Ketteler auf dem Wege zum Tsungli-Namen (Ministerium des Auswärtigen) in Peking auf offener Straße durch einen kaiserlichen Banner soldaten erschossen. Die übrigen Gesandten flüchteten mit Frauen und Kindern in die englische Botschaft. Alle europäischen Großmächte im Verein mit Japan und Amerika bemühten sich, den Brand, der die europäischen Errungenschaften in China bedrohte, zu löschen, und ent sandten Truppen nach China, voran das am schwersten be leidigte Deutsche Reich. Zum Oberbefehlshaber über alle fremden Truppen in der Provinz Petschili aber wurde der Feldmarschall Graf Waldersee ernannt, auf Wunsch Wilhelms ll., aber durchaus nicht unter voller Zustimmung aller beteiligten Mächte. Als Waldersee, den man damals „Weltmarschall" nannte, nach China kam, waren die „Boxer" bereits geschlagen. Trotzdem blieb ihm noch genug zu tun übrig. Er übernahm den Oberbefehl über die etwa 70 000 Mann starke Armee (darunter 25 000 Deutsche), säuberte die ganze Provinz Petschili von den Aufständischen und sicherte die Stellung der Europäer in Peking. Am 3. August 1901 landete er wieder wohl behalten in Hamburg, nachdem er ein paar Monate vorher im Kaiserpalast in Peking bei einer Feuersbrunst mit knapper Not dem Tode entronnen war. Ltm Heimat und Scholle. Bauernunruhcn im entrissenen Nordschleswig. Wirtschaftsnot und die Unzufriedenheit der unterdrückten deutschen Minderheit in Dänemark führen immer wieder zu stürmischen Demonstrationen nordschleswigscher Bauern auf dänischem Gebiet. Als vor einigen Tagen der alte Gutsbesitz der Familie Nissen im Kreise Sonderburg versteigert werden sollte, konnte dieses erst geschehen, nachdem die dänische Polizei den Widerstand zusammengeströmter Bauern gebrochen hatte. Jetzt sammelten sich wieder nach Beendigung einer Protestkundgebung etwa 600 bis 700 Bauern um das ehemalige Gehöft Nissens, der in einem in der Nähe liegenden Hause mit feiner Familie Unter kunft bekommen hatte. Dort huldigte ihm die Bauern schaft, während der neue Besitz-er verhöhnt wurde. Ein paar Bauern hatten bereits den Gartenzaun des Gehöftes überschritten, als plötzlich Schutzleute, die im Gehöft stationiert waren, auf sie losqingen und sie mit ihren Gummiknüppeln bearbeiteten. Die Bauern leisteten Widerstand, und es kam zu einem wüsten Hand gemenge, das erst durch das Eingreifen der Kopen hagener Schutzleute nach anderthalb Stunden beendigt werden konnte. Es gab einige Schwerverletzte. Auf der Versammlung wurden geharnischte Reden gegenDäne- mark gehalten. Es wurde mit Jubel ausgenommen, als < ein Bauernführer erklärte, Nordschleswig habe tausend ) Jahre lang für seine Freiheit gekämpft. ! Jetzt müsse es sich vielleicht auf eigene Füße stellen. * Der Reichspräsident empfängt eine Abordnung der Volks rechtspartei. Berlin. Reichspräsident von Hindenburg empfing eine Abordnung der Volksrechtspartei (Reichspartei für Volksrechi und Aufwertung), die die Wünsche der in dieser Partei ver einigten deutschen Sparer und Rentner nach unbedingter Ab wehr aller irgendwie gestalteter inflatorischer Vorschläge, nach Besserung des Loses der Kleinrentner, nach Neubildung in ländischen Kapitals durch Wiederherstellung alten Volks vermögens und nach Förderung der Kapitalsbildung vortrug. Die Abordnung bat den Reichspräsidenten, alle diese Fragen sowie auch ihre Zusammenhänge mit Arbeitslosigkeit und Kreditkrise durch einen besonderen Sachverständigenausschuß prüfen und beraten zu lassen. LwugHe r.'anowlrlMMIlsvenrelcr vc, Hinvenburg. Reichspräsident von Hindenburg „empfing eine größere Abordnung von Landwirten und ländlichen Gemeindevorstehern unter Führung von Landrat a. D. Gereke vom Hindenburg-Ausschutz (rechts von Hinden- burq), die ihm die Wünsche der deutschen Landwirtschaft überbrachte. Kein Frühling in der Wirtschaft. Die Absperrung der Länder. Von einer Frühjahrsbelebung war im Monat März im allgemeinen noch nichts zu spüren; ins besondere trat im Bergbau und in der eisenschassenden Industrie noch keine Belebung ein. Der Eisenverbrauch zu Investitionen ist immer noch ganz gering und dürste hinter dem lausenden Verschleiß in den in der gesamten Wirtschaft vorhandenen Anlagen zurückbleiben. Die Lagerbestände nahmen ebenso wie der Exportüber schuß ab. Bei Weizen und B a u m w o l l e hat sich die Besserung der Vorratsgestattung bereits auf die Preis tendenz übertragen. Die Weltmarktpreise von Weizen liegen um fcht 20 Prozent, von Baumwolle um mehr als 20 Prozent über ihrem letzten Tiefstand. Ähnlich lag die Entwicklung der Preise bei Roggen, Gerste, Hafer und Kaffee, während am Zuckermarkl eine neue Zuspitzung der Lage droht. Die Preise für v i c h w i r t f ch a f 1 l i ch c Erzeugnisse unterliegen nach wie vor einem starken Druck Eine Besserung der Lage wird durch die immer mehr zunehmende Absperrung der einzelnen Länder ver hindert. Saatenstand im Freistaat Sachsen. Anfang April 1932. Der Winter 1931/32 war bemerkenswert durch seine lange Dauer. Der am 10. Februar auftretende Einbruch von arktischer Kaltluft, der in Sachsen Temperaturen von 18 Grad und im Gebirge teilweise mehr als 20 Grad Kälte verursaHse, traf auf Wintersaaten, die in den niederen und mittleren Lagen des Landes nur unzu reichend durch Schnee geschützt waren. Erst im weiteren Verlause der nun anhaltenden Winterwitterung, gegen Ende Februar und mit Beginn des zweiten Monats drittels des März, traten ausgiebige Schneefälle ein, die den Saaten Schutz gewährten. Die Dauer dieses Winter wetters erstreckte sich bis in die letzten Tage des März, so daß Ende März der Boden allgemein erst oberflächlich aufgetaut war und weite Flächen der Gebirgslagen noch unter Schnee lagen. Unter diesen Witterungsverhältnissen hat das Pflanzenwachstum noch nirgends eingesetzt. Eine Beurteilung des Umsanges der Auswinterungsschäden ist daher noch nicht möglich. Infolge der anhaltenden Bar fröste sind die grünen Teile der Saaten stark abgefroren, so daß vor allem Weizen und Gerste noch grau aussehen. Immerhin ist es wahrscheinlich, daß die Auswinterungs schäden in der Hauptsache nur bei den spät bestellten Saaten einen größeren Umfang annehmen werden, und daß eine Erholung der Saaten erfolgen wird, wenn bald warme und feuchte Witterung einsetzt. An Schädlingen werden vereinzelt Mäuse, Saatkrähen und Maulwürfe fcstgcstellt. Mnisterialdirekior Meydenbauer 1". Im Alter von 59 Jahren ist der frühere Ministerial direktor im Reichswirtschaftsministerium Dr. Meyden- bauer plötzlich gestorben. In den letzten Jahren vor dem Kriege hat er im preußischen Finanzministerium Sied- lungs- und Genossenschastssragen bearbeitet, während des Krieges wurde er als Direktor der Kriegsgetreidegesell- schaft weilen Kreisen bekannt. Nach seinem Ausscheiden aus dem Staatsdienst übernahm er auf Grund seiner großen Erfahrungen im Siedlungswesen die Leitung der Siedlungsgesellschaft „Neuland A.-G.". Meydenbauer war geborener Koblenzer. Aus -em Wahlkampf. Brüning in Erfurt und in Weimar. Reichskanzler Dr. Brüning hat feine Wahlrede für Hindenburg fortgesetzt und zusammen mit dem Land rat Gereke in Erfurt und in Weimar gesprochen. Landrat a. D. Gereke erklärte in feiner Ansprache u. a., das Deutschland eines Dritten Reiches würde mit feinen unerfüllbares Versprechungen Chaos und Bürger krieg bedeuten. Reichskanzler Brüning führte u. a. aus, ein Sieg Hindenburgs im ersten Wahlgang hätte dem Volke viel ersparen können. Anscheinend wisse man noch nicht, daß von politischer Festigkeit die gesamte Kreditwirtschaft und damit das Leben von Industrie, Wirtschaft und Arbeitcr- fchaft abhängig sei. Das Evangelium vom Dritten Reich würde nicht lange bestehen können, denn wer die Macht mit solchen Versprechungen erringen würde, müßte schon nach 14 Tagen ein Fiasko erleben. Die Reichsregierung habe kein Interesse an Beamtengehaltskürzungen und werde alles daransetzen, neue schwere Opfer zu vermeiden. Ein Zusammenbrechen der Landwirtschaft sei durch die Zollmaßnahmen der Rcichsregicrung verhindert worden. Von einer sachlichen Regierung hänge auch der Glaube der Welt an unsere Währung ab. Ein Volk, das so tief Oes' X'ZZQkE Homun von 6sni k?otkdsng voovr'iykt bv ^suelttnang»«', Kalls (Lssls) ,52 Ettinor hob vas Gesichl nichl, als sie sagte: „Die Große, Schlanke im Hellen Kostüm. Sie darf mich nicht erkennen, sie würde es dockt verbreiten. Und vu — du darfst mich nicht heiraten, darfst die Schmach nicht noch an deinen geachteten Namen knüpfen." Die Gesellschaft war ganz nahe gekommen. Vayburg setzte die Brille wieder auf. Dann faltete er eine Zeitung auseinander und zeigte seiner Begleiterin anscheinend etwas, in das sie sich vertiefte. Das sah alles sehr harm los aus. Ein hochmütig-erstaunter Blick aus Lore von Uningens Augen traf den Mann auf der Bank. Von seiner Be gleiterin sah sie nur ein Stück von dem weißen Leinen kleid und ein paar schlanke Beine. Dann war die Gesellschaft vorüber. Das laute Lachen scholl noch eine ganze Weile zu ihnen herauf, als die Ge sellschaft bereits unten um die Ecke bog. Ellinor ließ die Zeitung sinken. Mit einem herz zerreißenden Blick sah sie zu Vayburg auf. Er küßte sie wild. „Deine Augen lügen nicht. Du bist schuldlos. Schuldig ist nur diese Frau, die dich verdächtigen konnte! Du wirst vieine Frau. Ellinor. Es hilft dir nichts, du bist mir ver fallen." Müde lehnte sie den Kops an seine Brust. „ „Es ist um deinetwillen. Ich bin ja so wenig — was Zählt es, wenn ich in das alte Elend zurück muß? Doch ^u, du! An dich darf dieser Schmutz, dieser Verdacht nicht heran." „Nore! Ich liebe dich! Du wirst nicht wieder solche ^orte sagen. Aber mir ist ein Gedanke gekommen. Ich werde mich noch ein Weilchen verstellen, und du wirst die nächsten Lage krank sein, wirst dein Zimmer nicht ver lassen Das heißt, ich will dich sehen. Du wirst dich also, wie sonst, auf neutralem Boden einfinden. Dieser neutrale Boden ist der Salon, wo du mir bisher vorgelesen hast. Im übrigen werde ich demnächst sehr unsolid sein. Ich vermute nämlich, daß die ganze Gesellschaft die Gäste sind, über deren Kommen sich der Hotelbesitzer so freute. Ich werde also in diesem Falle soviel als möglich in Gesell schaft dieser Dame sein, Nore." Fassungslos sah sie ihn an. „Ich — verstehe dich nicht." „Du erfährst alles bald genug. Ich möchte noch nicht darüber sprechen, ich muß noch einmal mein Vorhaben reiflich durchdenken. Außerdem muß ich genau wissen, in was für finanziellen Verhältnisfen diese Dame zur Zeit lebt; danach kann ich mich dann richten." Ellinor schwieg. Sie vertraute ihm ja grenzenlos. Mochte er beschließen, was er wollte, es war alles recht, was er tat. Vielleicht kam ihr jetzt erst so recht das ganze große Wunder seiner Wiederherstellung. „Ernst — ich möchte deine Augen noch einmal sehen." Er lachte auf sie nieder, nahm die Brille ab. Voll tiefer Liebe sah sie in die Hellen, blauen Männer augen, die froh und heiß in die ihren fahen. Sie zog seinen Kopf zu sich herab, küßte ihn auf diese Augen. „Nore!" Sie küßten sich. Hatten ringsum alles vergessen, bis ein lautes Räuspern sie aufschreckte. Eine ältere Dame mit zwei Backfischen ging mit einem niederschmetternden Blick an ihnen vorüber, während die Backfische sich lüstern umblickten. Vayburg stand Mts. „Komm. Wir wollen wieder langsam zurückgehen. Aber an diesen Tag werde ich immer denken." Ellinor nickte. „Es wird stets ein Feiertag in unserem Leben bleiben", sagte sie innig. „Aber nun noch ein bißchen Verstellung vor den anderen, mein Liebes. Es geht nicht gut anders. Mir fällt es schwer genug." „Alles, wie du es willst, Ernst!" Es lag so viel Liebe, so viel Hingebung in diesen Worten, daß er an sich halten mutzte, um sie nicht von neuem in seine Arme zu nehmen. Sie trafen weiter unten Bekannte, die Vayburg jedoch mit ein paar freundlichen Worten von sich abwehrte. Es war da neuerdings eine Dame aufgetaucht, die sich viel in seine Nähe drängte. Sie war aus dem Rheinland und hatte ihm bei einer Abendgesellschaft im Hotel mit- geteilt, daß sie gar nicht aus Vergnügen eingestellt sei. Sie würde viel lieber einen guten Mann pflegen und mit ihm auf irgendeinem einsamen Gute leben. Dabei hatte sie kokett zu Erich Flastedt hinübergeblickt. Der hatte den Blick erwidert. In diesem Blick war Einverständnis ge wesen. Vayburg, der vermeintlich Blinde, hatte diesen Blick nur zu gui bemerkt. Ebensogut wußte er, daß Flastedt arm war und sich in den bekanntesten Orten Herumtrieb, um eine reiche Partie zu machen. Von dem gleichen Wunsche schien die Dame beseelt zu sein. Und ihr war er, Vayburg, wahrscheinlich als sehr passendes Objekt erschienen. Diese Dame war eben jetzt mit hier dabei gewesen und selbstverständlich mit ihr auch Flastedt. Vayburg hatte keine Veranlassung, gerade jetzt eine ihm in höchstem Grade unsympathische Gesellschaft um sich zu dulden. So schützte er dringende Briefe vor, die er jetzt gleich diktieren mußte. Ein gehässiger Blick der Rheinländerin traf das schöne Mädchen an Vayburgs Seite. Wenn ihre Pläne sich verwirklichten, dann war es das erste, daß diese Person dort entfernt würde. Das könnte der so passen. Einer der Herren meinte: „Eine recht merkwürdige Sache ist das doch — meinen Sie nicht?" (Fortsetzung folgt.)