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Wilsdruffer Tageblatt : 27.02.1932
- Erscheinungsdatum
- 1932-02-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-193202279
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19320227
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19320227
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1932
-
Monat
1932-02
- Tag 1932-02-27
-
Monat
1932-02
-
Jahr
1932
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 27.02.1932
- Autor
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KMrmim grhtn j«m Koßümfcst. Humoreske^on G."W. Beyer. Cs wäre falsch, wollte man behaupten, Battermanns leg ten viel Wert darauf, in der Gesellschaft zu glänzen. Aber wenn man eine heiratsfähige, noch dazu recht hübsche Tochter besitzt — der Kuckuck mag wissen, von wem sie die Schönheit geerbt hat —, so fühlt man sich in der heutigen schweren Zeit doppelt verpflichtet, dafür zu sorgen, daß ihre Reize nicht im Verborgenen verblühen. Also überraschte Frau Battermann eines Tages ihren Gatten mit der Mitteilung, die ganze Familie werde an dem Kostümfest teilnehmen, das Frau Kommerzienrat Piepenbrink ihren Freunden und Bekannten gebe. „Ich Hosse", sagte sie mit Würde, „Ihr beide werdet die Ehre zu schätzen wissen, an einer so vornehmen Veranstaltung teilnehmcn zu dürfen." Leider muß hier festgestellt werden, daß Herr Battermann — seinem Gesicht nach zu schließen — wenig Verständnis für die gepriesene Ehre aufzubringen wußte, während Fräulein Dag- mckr die höchst unpassende Frage beantwortet wissen wollte: „Amüsiert man sich bei den Leuten auch wirklich? Sind die nicht zu steif?" Deshalb sah sich Frau Battermann auch veranlaßt, nach Schluß der allgemeinen Familiensitzung noch eine kleine Kon ferenz mit ihrer Tochter anzuberaumen: „Dagmar, für Dich wird der Tag von besonderer Bedeutung sein. Frau Piepen brink hat Dich ja verschiedentlich gesehen und — nun ja, sie sieht sich nach einer Frau für ihren Sohn um. Ruhe! Laß mich ausreden! Er ist ein sehr wohlerzogener junger Mann, hat ein Bild von Dir als reizend bezeichnet und seiner Mutter gesagt, er möchte Deine Bekanntschaf machen. Vor allen Din gen aber ist er der einzige Erbe der Piepenbrinkschen Million! Ich erwarte also von Dir, daß Du — wenn er Dir vorgestellt wird — sehr nett zu ihm bist. Du kannst ihm ruhig ein Paar kleine Schmeicheleien sagen. Dagmar", Frau Battermann wur de Plötzlich weich, „ich wäre ja glücklich, wenn ich Dich so gut untergebracht wüßte." — Der Wahrheit die Ehre! Frau Battermann verstand es, für sich, Mann und Tochter Kostüme zu wählen, die alle drei im vorteilhaftesten Lichte erscheinen ließen. Sie sah im schwe ren Reifrock einer imponierenden Maria Theresia täuschend ähnlich. Herr Battermann fühlte sich als Franz von Lothringen nicht allzu sehr beengt und ungemütlich in der Nolle des Prinz gemahls, und die Tochter war ein reizender Abruzzenrauber. Und dann kam der wichtige Augenblick, da die Königin Kleopatra, die im täglichen Leben Frau Kommerzienrat Piepen- brinr hieß, dem kleinen Abruzzenräuber eilten großen Lands mann und Kumpan vorstellen konnte: „Mein Sohn". Wozu Maria Theresia aufmunternd lächelte, was ungefähr heißen sollte: „Sieh zu, daß Du sein Herz raubst!" Und weil die Toch ter aus den Abruzzen die Augen verständnisvoll niederschlug, so widmete sich Maria Theresia beruhigt ihrem eigenen Ver gnügen. Doch um Mitternacht herum hielt sie es für angebracht, sich einmal danach umzusehen, ob Franz von Lothringen auch keinerlei Anlaß zur Klage gab. Sie gönnte ihm gern ein wenig Vergnügen, hatte ihn ein paarmal mit einer Florentinerin und zuletzt mit einer Türkin durch den Saal tanzen sehen, aber seit einer halben Stunde vermißte sie ihn. Also begab sie sich auf die Suche nach ihrem Prinzgemahl. Dag sie ihn lange nicht entdecken konnte, kränkte sie ein Wenig. Doch nach einer Viertelstunde stieß sie auf einen roten Vorhang, der eine Nische zu verdecken schien, und darauf war ein Zettel angeheftet: „Suleika kündet die Zukunft". Darunter hing ein Papier: „Augenblicklich besetzt." „Aha, die Türkin!" schoß es Maria Theresia durch den Kopf. Dann suchte sie nach einer kleinen Spalte zwischen den Vorhängen. Horchen war eigentlich einer Kaiserin nicht würdig, aber Frau Batterinann hatte sich genügend auf ihre Rolle vor bereitet, um zu wissen, daß Maria Theresia — wenn sie es für nötig hielt — auch einmal ein wenig spionierte. Es war nötig! Dort drinnen saß ihr Prinzgemahl neben der Türkin auf dem Diwan und ließ sich aus der Hand die Zu kunft sagen. Er drehte seiner Kaiserin den Rücken zu, und in seiner ahnungslosen Verworfenheit beugte er sich mehr zur Wahrsagerin hinüber, als eigentlich erforderlich war. Doch Frau Battermann bändigte ihren gerechten Zorn und lauschte. „Ich sehe Dich im Schatten einer großen, schönen Frau", sagte Suleika träumerisch. Franz von Lothringen nickte be- getstert. Und dann flüsterte der Treulose: „Groß und schön bist Tüt selbst, Suleika!" „Sie neigt sich zu Dir herab". Suleika sprach so leise, daß Maria Theresia noch etwas näher an den Vorhang heran tre ten mußte. „Ihr Auge ruht auf Dir." Sie sah den armen Lothringer in die Augen und lächelte ihn an. Verführerisch und spitzbübisch zugleich, und der Kaiserin hinter dem Vor hang zuckte es in der starken Faust. Doch sie beherrschte sich. Freilich gehörte die heroische Selbstüberwindung eines liebenden Weibes dazu. Denn Franz rückte noch enger an die Verführerin aus dem feindlichen Türkenlager heran. „Sie liebt Dich", sagte Suleika. Franz von Lothringen sank langsam vom Diwan hinunter auf ein Knie. „Sie streckt beide Arme aus, um Dich liebend zu umfassen, Dich an ihr Herz zu pressen." Herr Battermann war ganz vom Diwan gerutscht. Er wackelte selig mit dem Kopf. . Ta teilte sich der Vorhang, und die Kaiserin Maria The resia riß ihren treulosen und der Geschichte Hohn sprechenden Prinzgemahl vom Boden hoch: „Steh auf! Und Sie..." sie wollte der Türkin ein ganz besonderes kaiserliches Wort ins Ge sicht schleudern. Toch sie sand es vor Erstaunen nicht, denn Suleika fiel auf ihren Diwan zurück und lachte hell und per lend. Sie schien sich köstlich zu amüsieren. „Komödiantin!" zischle Frau Battermann und verschwand mit ihrem Opfer. In einer Ecke sollte Herr Battermann seine Gardinen predigt anhören: „Schämst Tu Dich nicht? Dich vor so einer lächerlich zu machen! Tu..." Weiter kam sie nicht, denn Kö nigin Kleopatra trat erregten Schrittes auf sie zu, die Brust, an der noch keine Natter gesessen hatte, obwohl sie über das Alter ihres ägyptischen Vorbilds längst hinaus war, von Em pörung geschwellt: „Frau Battermann, ich muß Ihnen leider sagen: Ihre Tochter hat sich meinem Sohn gegenüber skan dalös benommen!" Ein niederschmetternder Blick traf die Kaiserin. Dann rauschte Kleopatra von dannen. Frau Battermann stand sprachlos. „Komm!" herrschte sie dann ihren Prinzgemahl an und fegte durch den Saal, um ihre mißratene Tochter zu suchen. In einer Ecke fand sie den kleinen Abruzzenräuber völlig geknickt. „Was hast Du mit Herrn Piepenbrink gehabt?" Die Tochter fuhr zusammen: „Ach, Mutter, ich meinte es ja so gut. Ich wollte ihm eine kleine Freude machen. ,Nein!' habe ich gesagt. .Wie sind Sie nur auf den großartigen Einfall gekommen, sich eine so wundervolle Wasscrkopfmaske machen zu lassen? Sie sehen ja blendend aus, geradezu zum Piepen!' Da sprang er auf: ,Sie sollten sich schämen, Fräulein Battermann!' Dann ist er davon gelaufen und seine Maske war auf einmal so komisch rot anaelaufen." Da fiel Frau Battermann entsetzt auf einen Stuhl: „Seine Wasserkopfmaske! Dagmar, das ist doch alles Natur bei ihm!" Das Geständnis. - Skizze von P. Wild. Im Putzatelier des Konfekttonsgeschästes erregt die „Neue" Aufsehen, weil sie sich von den andern absondert. In der Arbeit ist sie geschickt und besitzt solch seinen Geschmack, daß die Direktrice sie bei Geschmacksfragen bald zu Rate zieht. Bevorzugung und Aufstieg erwecken Neid, überall im Leben, auch im Arbeitsatelier der Schneiderinnen. In den Pausen gibt es Sticheleien, welche die „Neue" überhört, eine Art Abwehr, die man ihr wiederum verübelt. Auch hier kreist das Zeitgespcnst: Kündigung. Im Atelier ist es von jeher üblich, die Zuletztangestellten im Not fall zuerst zu entlassen. Eins stellen alle mit einer gewissen Genugtuung fest, die Erste wird also die „Neue" sein. Lohntag. -Bei der Zahlung erhalten vier Arbeiterinnen ihre Kündigung, aber die „Neue" ist nicht unter ihnen. Im Gegenteil. Die Direktrice hat ihr eine besonders schwierige Arbeit anvertraut. Ein elegantes Abendkleid, das sie mit kostbaren, echten alten Spitzen garniert. Ruhig tut sie ihre ! Arbeit, während sich die verzweifelte Wut der Abgebauten ! lärmend gegen sie wendet. Unbemerkt ist die Direktrice eingetreten. Jäh verebbt der Lärm. „Fräulein Heller, kommen Sie mit zum Chef!" winkt sie ihr. Behutsam legt die „Neue" das kostbare Kleid aus das Seitenbrett der Maschine, ehe sie der andern folgt. Hinter scharfen Augengläsern betrachtet der Abteilungs chef die vor ihm Stehende, weist mit kurzer Bewegung auf ein Paar Modezeichnungen auf dem Schreibtisch. „Also die haben Sie gemacht, Fräulein?" Sie nickt. „Hm, ja", streicht er über das glattrasierte Kinn, „sind ganz nett, brauchbar. Wo haben Sie das gelernt?" Langsam hebt sie den feinen Kopf, sieht ihn ruhig an: „Aus der Kunstakademie." Ueberrascht sieht er auf. „So, so. Hm, ja. Kunstakademie. Dann sind Sie wohl unter falscher Maske ins Atelier gekommen? Sie sind keine Arbeiterin? Was wollen Sie hier?" Ein Wehes Lächeln bebt um ihre Lippen. „Ich muß Geld verdienen." Dabei denkt sie an ihre längere Schwester, der sie das Studium bezahlt. „Habe ich meine Pflicht nicht erfüllt?" fragt sie bestimmt. Gereimte Zeitbilder. Von Gottyils. Man lauscht dem Krieg schon eine Weile, Und plötzlich heißt es: „Zahn um Zahn!", Denn plötzlich kriegi auch Japan Keile Troy seinem Siegeslkianglwahn. Ob jetzt der JapS wohl traurig sitzet Und sich nach der vermurksten Schlacht Den Bauch mit „Kille, kille!" schlitzet, Soll heißen: Harakiri macht? Wie das auch sei: in dieser bunten Und ganz verrückten Zeiten Lauf Liegt der Ehinesier einmal unten Und kommt dann wieder einen rauf. Und ganz so wie im Fernen Osten Ist's oft im Westen auch der Fall: Steht da nicht wieder aus dem Posten Der umgefall'ne Herr Laval? Man hat ihn hin und her geschoben Und dacht'-. „Der liegt jetzt tängelangl" Und plötzlich ist er wieder oben, Wenn auch jetzt bloß im zweiten Rang. Und darf man seinen Augen trauen? Potz Blitz: wer kommt dort in die Höh'? Das ist ja — Kinnings, ihr werd't schauen — Ja, ist das nicht Monsieur Tardieu? „Bon jour, monsieur, nach kurzem Schlummer!" Jedoch, was ist denn da schon los! Laval, Tardieu ... dieselbe Nummer, So Jack' wie Hof' und „touw mkme ekose"!! Na, möglich wendet sich's zum Guten, Denn schließlich renkt sich alles ein, Nur Kowno möcht' noch etwas tuten: Sein Vaterland muß größer sein! In Genf ein liiauscher Minister Bläst Bombardon und redet Schnack Und seine schnurr'ge Fahne hißt er Als Dä-, pardon, als Memelack. Ich finde die Figuren drollig In dieses Lebens Kontertanz, Und meine Anerkennung zoll' ich Den Tänzerpaaren voll und ganz. Wie geschickt sie seinen Fragen wehrt. So umgeht er eine direkte Antwort, streicht in gewohnter Bewegung über das Kinn: „Tie Skizzen zeigen Geschmack, mehr, ausge- Iprochenes Fingerspitzengefühl für das Kleidsame der Modernen." Er verstummt, in stillem Abwarten bleibt sie stehen, ver rät keine Neugier, nichts. „Schön. Also die Sache ist die, habe mir überlegt, wollen einen Versuch machen. In nächster Zeit muß ich nach Berlin und Wien, zur Saisonvorsührung der Modelle. Sie werden mich begleiten. Wollen Sie?" „Ja. Ich will." Unterdrückter Jubel >auchzt. — Im Atelier findet sie das Arbeitskleid auf dem Boden, es ist von der Maschine hinab geglitten. Sonderbar, denkt sie und nimmt die Arbeit auf, ohne die Fragen nach dem Zweck ihres Gesprächs mit dem Ches zu beanworten. Bei der Pause aber geht es wie ein Laufseuer durch die Ateliers: die „Neue" wird den Ches als Geschmacksdame bei der Einkaufsreise begleiten. — Arbeitsschluß. Mit aufsallender Hast setzt die „Neue" den Hut auf, eilt, entgegen der Gewohnheit, mit kurzem Nicken am Pförtner vorbei. „He, Fräulein, öffnen Sie doch Ihr Täschchen!" ruft der sie an. Erschrocken gehorcht sie. Das hatte sie heute in der Freude vergessen. Mißtrauisch sehen die scharfen Augen des Pförtners in das offene Täschchen. Ein Griff. Zwischen dem Taschentuch zieht er ein Stück der kostbaren Spitze hervor. „Aha", grinst er, „endlich haben wir die Diebin!" — * Tas gegitterte Gefängnistor schließt sich hinter ihr. Scheu wie ein gehetztes Wild geht sie vorwärts, sieht mißtrauisch rückwärts, als fürchte sie einen Verfolger. Als sie die Tür ihres möblierten Zimmers öffnet, kommt die dicke Wirtin ans der nebenan liegenden Küche, stemmt die Fäuste in die breiten Hüften, sieht sie mit unverschämten Blicken an, nickt nachlässig: „War et scyön in die Sommerfrische, be? Na. en vitzken Landpuder kann daber nich Schaden, wat? Und hier is Schluß. Nadierlich. Dat hab ich immer getan. Auf Repu- taischon gehalten, am Ersten suchen Sie Ihnen eine andere Wohnnng. Ich danke für sowät. Verstehn Sie?" Knallend schlägt die Tür hinter der Dicken ins Schloß. Todmüde ist die Gehetzte, sinkt auf einen Stuhl, grübelt, wartet. Zeit hat kein Ende. Endlich kommt die Schwester heim. Welch trauriges Wiedersehen. Beide weinen, und keiner weiß Trost. „Ich schäme mich so", jammert die Jüngere. Lauerndes Mißtrauen wacht jäh auf. „Warum schämst Du Dich?" „Weil Du im Gefängnis gewesen bist," klingt es grausam. Ausdruckslos hebt die Aeltere langsam die schlanken, edel geformten Hände hoch: „Glaubst Du, daß sich diese Hände an fremdem Eigentum vergriffen haben?" Die Augen der Schwester weichen aus. Ein Schauder überläuft sie: „Was tut's, die Schande bleibt." „Du schämst Dich wegen der Strafe, nicht wegen der Schuld?" „Tun wir das nicht alle?" Leise nickt die Aeltere und empfindet die Last einer neuen Einsamkeit. Am anderen Morgen. Aus dem Arbeitsamt gibt man ihr Anschriften. Wohin sie kommt, wiederholt sich dieselbe Frage nach Durchsicht der Papiere: „Wo waren Sie zuletzt?" Dann ein Achselzucken. Sie ist verfemt. Vorbestraft — ist der Schatten, der für immer zwischen ihr und dem Leben steht. In der neuen Wohnung kennt man ihr Unglück nicht. Dennoch quält sie eine innere Unruhe, die stärker und stärker wird und sie ruhelos durch die Straßen hetzt. Sehnsucht nach Frieden, Ruhe überkommt sie. Dumpfe Gedanken locken. Kein Wunder. Bald ist das letzte Ersparte verzehrt und dann? Vor dem Arbeitsamt wartet sie in der Morgenfrühe. Ein Herr kommt eiligen Schrittes vorbei, sieht sie an, stutzt, bleibt stehen. Der Chef der Konfektionsabteilung, höflich lüftet er den Hut. „Welch sonderbarer Zusall. Schon zwei mal hatten wir nach Ihnen geschickt." „Nach mir?" Bitter klingt es. „Wirklich, ich habe die Spitzen nicht genommen." In heißer Scham birgt sie das Gesicht in den Händen. „Ich weiß es. Fräulein Amberg war die Diebin. Gestern wurde sie aus frischer Tat abgesaßt. Sie brach zu sammen und machte ein Geständnis. Weil ihr gekündigt war und Ihnen nicht, wollte sie sich an Ihnen rächen und Ihre Stellung einnehmen. So ist es geschehen." „Darum?" Erloschenen Auges sieht sie abwesend zurück, eine Flut Dunkelheit und Leid. In jäher Bewegung streckt sie die Hände gegen ihn. „Ist es wirklich wahr?" „Ja. Fräulein Heller, hm", streicht er das Kinn, „ich denke, Sie gehen jetzt mit mir ins Atelier. Oder haben Sic schon eine Stellung?" Leise schüttelt sie den Kopf. Tränen rollen über ihre Wangen. „Fräulein Amberg hat das Geständnis ihrer Schuld gemacht?" wiederholt sie wie abwesend. „So ist es, Fräulein Heller. Also Kops hoch! Und über morgen treten wir die Einkaufsreise an. Neue Eindrücke werden ihnen gut tun." „Und Fräulein Amberg?" beschäftigt sie sich ungehemml mit dem Schicksal der andern. „Sie wird ihre verdiente Strase erhalten." „Die Aermste", schluchzt Fräulein Heller kurz auf, „sie hätte es nie getan, wenn sie wußte, was hernach kommt." Ein gutes Lächeln steht um die Lippen des Mannes, als er sie ansieht: „Sie Idealistin." Der Turm der Schwiegermutter. Von Grete Masse. Im Sommer des Jahres 1884 machte sich ein junger Musiker, mit Namen Eugen d'Albert, der sich erst kürzlich mit Louise Salingre, einer Schauspielerin des weimarischen The aters, vermählt, in dem schönen Städtchen Eisenach ansässig. Es War ihm vor allem wichtig, sich vor Störungen jeder Art zu sichern. Er grübelte lange, um etwas ausfindig zu machen, und er kam schließlich auf den absonderlichen Ge danken, sich im Garten seines Grundstückes einen Turm er bauen zu lassen, dessen oberster Raum dazu bestimm: sein sollte, sein Klavier aufzunehmen. Dem Gedanken ließ der Musiker ohne Zögern die Tat folgen. Die Handwerker begannen im Garten des d'Albert- schen Hauses ihr Werk, und die Stimmung des Komponisten war im Vorgefühl der Freuden, daß er sehr bald nahezu auf Turmesspitze, fern von der Welt und allen ihren Störungen, seiner Kunst sich widmen könnte, die denkbar beste. Der Turm ging seiner Vollendung entgegen, und der Tag kam, an dem stämmige Männer erschienen, um das Kla vier in das oberste Turmgemach hinauf zu befördern. Aber alle Anstrengungen, es über die engen Treppen nach oben zu bringen, blieben erfolglos. Das Klavierspiel in „Himmels höhen" blieb d'Albert versagt. Der Turm aber, der entsetz liche Turm war damit nicht aus der Welt geschafft. Dem Musiker wurde es klar, daß der Bau irgend einer Bestimmung entgegen geführt werden müsse. Zu jener Zeit erhielt d'Albert sehr oft den Besuch seiner Schwiegermutter. Kurz entschlossen bestimmte er, daß jenes Turmzimmer, das sich so energisch der Aufnahme seines kost baren Klaviers widersetzt halte, als Gastzimmer für seine Schwiegermutter dienen sollte. Die alte Dame wußte sich mit Humor in diese luftige Situation zu schicken. So gab es zwar in Eisenach keinen Turm mit Musik, dafür aber einen Turm mit einer Schwiegermutter. Uebl?r Einfluß der Sonnenflecken. Die Sonnenflecken, über deren wahre Natur sich die Ge lehrten immer noch nicht einig sind, werden schon seit langem mit Vorliebe zu Sündenböcken für alle möglichen Unglücks- sälle und Katastrophen hier auf Erden gemacht. An Erdbeben, Vulkanausbrüchen, Kriegen und wer weiß woran sonst noch sollen sie die Schuld tragen. Neuerdings hat der französische Gelehrte vr. Maurice Faure die Entdeckung gemacht, daß die erwähnten Schönheitsfehler im Antlitz unseres Zentralgestirns auch noch zahlreiche Krankheitserscheinungen, Bewußtseins störungen und Unfälle bei den Menschen Hervorrufen- vr. Faures Theorie geht dahiu, daß durch das Auftreten ocl Sonnenflecken Störungen im Erdmagnetismus hervorgerufen werden, die das Widerstandsvermögen und die Geistesgegen wart empfindlicher Menschen herabmindern und dadurch Krankheiten verursachen oder Nnglücksfälle infolge Fahrlässig keit erleichtern. Nach vr. Faure hat die Erfahrung bewiesen- daß Kraftwagen-, Eisenbahn- und Flugzeugunfälle besonder zu Zeiten gesteigerter Sonnenfleckentätcgkeit zu verzeichnen sind. Durch eine sich auf möglichst viele Länder erstreckende statistische Feststellung der hier in Frage kommenoen Z"" sammenhänge hofft der französische Gelehrte die Wahrhen seiner Theorie schon in nicht allzu ferner Zeit überzeuget nachweisen zu können.
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