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Wilsdruffer Tageblatt I 2-Blatt. Nr 41 — Donnerstag, 18 Febr«ar1932 Z MichsLarröbLmH UNö Aeichspräfidenienwahl. Vom Reichslandbund wird mitgeteilt: „Es ist der Öffentlichkeit bereits bekannt, datz der geschäfts- führendc Präsident des NcichSlandbuudes, Gras von Kalüreuth, sowohl für seine Person wie auch für den Neichslandbund es abgelehnt halte, dem sogenannten Sahm-AuSschutz beizutreten. Hieraus wurde schon mit Recht geschlossen, datz der Reichslandbund einer Wahl Hindenburgs, die von der Linken und der Mitte propa giert und gestützt würde, ablehnend gegenübersteht. Die Stellungnahme des Landbundpräsidiums zur Kandi datur Hindenburgs, die auch der des Bundesvorstandes des Reichslandbündes entsprach, hatte Graf von Kalck- reuth in einem bisher unveröffentlichten Schreiben an die Führer der Nationalen Opposition wie folgt Mm Ausdruck gebracht: „Den Gedanken, bei einer Polkswahl die Wiederwahl Hindenburgs durch die nationale Opposition zu unter stützen, halte ich nur dann für möglich, wenn Hindenburg durch entscheidende Schritte eine Trennung von der Linken und ein Bekenntnis zur nationalen Seite voll zogen hat. Solche Schritte könnten in der Berufung eines nationalen Reichskabinetts oder in der Auflösung des jetzigen Reichstages liegen. Rücksichten auf Hindenburg, etwa aus seiner E h r e n m i t g l i e d s ch a f t im Reichs landbunde oder seinen früheren historischen Lei stungen als Führer im Weltkriege, können mich nicht von der Feststellung entbinden, datz die Wahl Hindenburgs im Jahre 1925 nicht die von seinen damaligen Wählern erstrebte Wendung in der Führung des Deutschen Staates gebracht hat, sondern im Gegenteil sich als Stütze des von uns als schädlich festzustellenden gesamtstaatlichen und gesamtwirtschaftlichen Zustandes in Deutschland aus gewirkt hat. Die Beflissenheit, mit der jetzt Mitte und Linke für die Kandidatur Hindenburgs eintreten, erweist die Richtigkeit meiner Auffdssung. Der Reichslandbund mutz daher, infolge der durch den Entschluß des Feld- Marfchalls geschaffenen Lage, seine Wiederwahl ab lehnen, unabhängig von der noch zu erwartenden Lösung der Kandidatenfrage durch die nationale Oppo sition? Ds; IirlchvprÄldeiä Ssiain, ss» rs;s "IotLsrkIs.ro Ick <irr tu/NLkms , lisssns In Sen ^»Mvor-eolss' MnSsr.Imrx^ kSr S1« Urslstis- Ein historisches Dokument: das Schreiben, mit dem Reichspräsident von Hindenburg die Annahme der ihm angetragenen Reichspräsidenten kandidatnr erklärt. Schlägerei im Badischen Landtag. Im Badischen Landtag bekam der Zentrums- Mgeordnete Hilbert das Wort zu einer persönlichen Er klärung weil'er in der Dienstagsitzung den Führer der Nationalsozialisten, Hitler, einen österreichischen Deser- >eur genannt hatte. Hilbert sagte, die ihm wegen dieser Bemerkung von dem nationalsozialistischen Abgeordneten Kraft zugerufenen Worte „Schwein, Lump" könne er nicht ernst nehmen, da für den Abgeordneten Kraft der Paragraph 5l in Frage komme. Es entstand eine unge heure Unruhe und der Präsident rügte diese Bemerkung. Die Nationalsozialisten riefen zum Zentrum hinüber: „Warum schütteln Sie denn diesen Menschen nicht ab?" Als der nationalsozialistische Abgeordnete Köhler dem Abgeordneten Hilbert antworten wollte, entstand ein der artiger Lärm im Saal, datz der Präsident die Sitzung schloß. Hieraus ging der Abgeordnete Kraft zu Hilbert und gab ihm eine Ohrfeige. Hilbert stürzte sich auf Kraft und warf ihn zu Boden. Im Augenblick war eine allgemeine Schlägerei im Gange. Nur der Be sonnenheit einiger Abgeordneter gelang es, die Streiten den zu trennen. q- Stürmische Austritte knSesfiWruLandtag Im Hessischen Landtag kam es zu stürmischen Auftritten. Der nationalsozialistische Abgeordnete Lenz teilte mit, datz am Dienstag 30 Nationalsozialisten in Bretzenheim bei Mainz von mehreren hundert Kommu nisten überfallen und beschossen worden seien und erklärte dazu, Hessen treibe unter der noch tm Amt befindlichen Regierung in den Bürgerkrieg. Angesichts des Ver sagens der verantwortlichen Organe des Staates halte die NSDAP, das schleunige Eingreifen der Reichs auf sicht in Hessen für geboten. Bis zur Sicherstellung des öffentlichen Schutzes fordere er die Anhänger seiner Bewegung auf, in jeder Weise von den der Notwehr dienenden gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze des Lebens Gebrauch zu machen. Die Erklärung löste Beifall bei den Nationalsozialisten und L ä r m im übrigen Hause aus. Als dann der parteilose frühere kommunistische Ab geordnete Galm äußerte, man müsse sich bald schämen, hessischer Abgeordneter zu sein, erhob sich ungeheurer Tumult auf der Rechten des Hauses. Eine Anzahl Nationalsozialisten drang gegen die Rednertribüne vor. Die sozialdemokratischen und kommunistischen Abgeord neten stellten sich geschlossen vor Galm. Plötzlich erschien Polizei im Hause, was bei den Nationalsozialisten erneut große Erregung hervorrief. Als schließlich die Polizei, ohne irgendwie eingegriffen zu haben, zurück gezogen wurde, verließen die Nationalfozialisten unter Protest den Saal. Der gedrosselte Verkehr. Die Wirtschaftskrise und die Reichspost. In dem foeben erschienenen Zahlenbericht der Deutschen Reichsp 0 st für das Jahr 1931 zeigt sich mit erschreckender Deutlichkeit die katastrophale Lage der deutschen Wirtschaft. Der Briefverkehr verringerte sich gegen 1930 um rund 1,350 Millionen Stück auf 32,647 Millionen Stück. Bei Zahlkarten, Post- und Zahlungsan weisungen zeig! sich ein Rückgang von 17,060 Mil lionen Stück' mit einem Betrage von 3 498 886 000 Mark. Im Postkraftfahrwesen steigerte sich die Zahl der Kraftfahrzeuge für den Kraftfahrdienst von 12 159 auf 13 415, also um 1256 Fahrzeuge. Das Kraftpostnetz um faßte 2441 Krastpostlinien (mehr gegen 1930 91) mit 48 135 Kilometern Streckenlänge (mehr gegen 1930 1476 Kilo meter). Beim Postscheckwesen ist ein Zugang von 20 605 Konten gegenüber einem Zugang von 17 435 Konten 1930 festzustellen. Das Guthaben der Postscheckkunden betrug im Jahresdurchschnitt 523,3 Millionen Mark gegen über 582,6 Millionen Mark 1930. Der Telegramm verkehr verringerte sich um 6,161 Millionen Stück. Beim Fernsprechwesen ging die Zahl der Haupt anschlüsse um 63 209 zurück, während 1930 noch ein Zu gang von 34 397 zu verzeichnen war. An öffentlichen Sprechstellen wurden 5637 eingerichtet gegenüber 7336 193«. Der Rückgang an Gesprächen beträgt im gesamten Sprechverkehr 109,463 Millionen Gespräche. Der Rund funk hatte einen Zugang von 471 343 Teilnehmern. Die Gesamtzahl betrug Ende Dezember 1931 3 980 852. Sie Sicherstellung -er -euifchen Ernie. Ein Ausruf Adolf Hitlers. Adolf Hitler erläßt einen Aufruf an alle Deutschen, die Sicherstellung der deutschen Ernte 1932 als eine ihrer vornehmsten Aufgaben zu betrachten. Wer jetzt die Durchführung der sachgemäßen Frühjahrs bestellung gefährde, begehe Verrat am deutschen Volke. sk NM»! «MM von Iklsrlinö Loimsv»!'» l n l X L k- 0 n 8 I) dv Ballin »alle (Laste) 1931 j4 „Mein Gott, was für eine übermoderne Handschrift!" sagte Frau Major und drehte den großen Brief in der Hand herum, den ihr die Post soeben gebrach! hatte. „Woher kommt er denn?" fragte Nora, die Staub wischte — eine Beschäftigung, die sie Hatzte und bei der sie üch sonst immer geweigert hatte, sie zu übernehmen. Jetzt erledigte sie sie gern, um sich nur irgendwie nützlich zu machen. „Komisch", sagte Frau Major, die den Umschlag in zwischen geöffnet und ihre Brille aufgesetzt hatte, „aus Barmen! Ich wüßte nicht, daß wir dort Beziehungen hauen und — nein, da mutz ein Irrtum vorliegen. Frau Barbara Vollwank! Ich habe den Namen nie gehört." „Latz mal sehen, Mutter!" Nora schaute der Mutter über die Schulter, und sie lasen gemeinsam. Verehrte Frau Kusine! Es ist nicht unmöglich, datz Sie von meiner Eristenz keine blasse Ahnung haben - und doch bin ich eine richtige Kusine, allerdings zweiten Grades, Ihres ge fallenen Gemahls. Leine Großmutter und mein Groß vater waren Geschwister. Sie heiratete einen Herrn von Lenthe tm Hannoverschen. E r blieb im Lande und nährte sich redlich — nnd reichlich mit der hier in der Gegend gedeihlichen Textilindustrie, die sein Vater und stlbst sein Großvater bereits betrieben. Es ging der Familie Vollwank, wie Schiller es so hübsch beschrieben Mi. Räume wuchsen, es dehnte sich das Haus! — niere ^irma ist groß und. ich darf wohl sagen, an- geiehen Der Krieg und die Inflation haben auch uns schwere Zetten gebracht. Aber das Haus war zu fest und solid begründet, um auch nur zu wanken. Heute, sechs Jahre nach der Inflation, hat es längst und unbestritten den alten Glanz wiedererlangt und durch Aufnahme einiger neuer Industriezweige — zum Beispiel der Kunst seidenherstellung — überstrahlt es ihn fast. Mein lieber Manu — ein Vetter übrigens — hat mich allerdings früh allein gelassen. Aber ich war nicht verlassen — treue Angestellte, ehrliche und geniale Mitarbeiter und Teil haber standen mir zur Seite. Auch bin ich ja selbst eine Vollwank und habe Unternehmerblut in den Adern. Seit mehr als zwanzig Jahren bin ich Witwe und Mitchef der Firma. Drei Söhne standen mir zur Seite. Die beiden älteren hat mir der Krieg entrissen. Mein jüngster Sohn, der nun bald sechsundzwanzig Jahre alt wird, ist mir geblieben. Was ich aber bei meinem zunehmenden Alter entbehre, ist eine Tochter. Zufällig höre ich, daß mein Vetter Ewald — Ihr Gatte — zwei Mädchen hinterlassen hat. Und so wende ich mich vertrauensvoll an die unbekannte Kusine mit der Anfrage, der Bitte: Könnten wir die seit langem unterbrochenen Familien beziehungen nicht neu aufnehmen? Vielleicht hätte eine Ihrer Töchter Zeit und Lust, auf kürzere oder längere Zeit zu mir zu Besuch zu kommen — ohne eine feste Bindung oder Abmachung, nur zum Kennenlernen. Mein Sohn geht in allernächster Zett auf Reisen und bleibt vielleicht monatelang im Ausland. Ich sehne mich danach, einen jungen Menschen um mich zu haben, der, wenn unsere Sympathien sich finden, ein bißchen Haus töchterchen bei mir spielt, ja, auch mal einen Brief für mich schreibt, einen Gang für mich erledigt. Alles ganz ohne feste Bindung, wenigstens fürs erste. Ihre Tochter würde als Tochter ausgenommen werden -- und ich würde mich freuen, wenn sie mir wie einer Verwandten cntgegenkäme. Ich sehe Ihrer Rückäußerung entgegen und verbleibe mit den verbindlichsten Grüßen Ihre Kusine Barbara Vollwank. Eine kommende nationalsozialistische Regierung werde alle Maßnahmen ganz besonders schützen, die von Land wirten und anderen Stellen jetzt getroffen würden, um die Frühjahrsbestellung in uneingeschränkter Form durch zuführen. Eine nationalsozialistische Regierung werde außerdem eine Prüfung aller Zwangsversteige rungen landwirtschaftlicher Grundstücke durchführen, die nach dem Tage der Bankenkatastrophe vom 13. Juli 1934 vorgenommen worden seien. Zapsmsches WiMaium. Neue japanische Truppen kür Schanghai. Der japanische Kriegsminister erklärte, datz der japa nische Armeeoberbefehlshaber in Schanghai beauftragt worden sei, die Chinesen in einem Ultimatum zum Rückzug innerhalb von 24 Stunden auf eine Entfernung von 20 Kilometer von Schanghai aufzufordern. Die japa nischen Truppen würden in der Zwischenzeit die Stadt umzingeln und die Chinesen nötigenfalls zum Rückzug zwingen. 45 000 Mann weitere japanische Trup pen stünden in Bereitschaft, um innerhalb 24 Stunden nach Schanghai in Marsch gesetzt werden zu können. Sicherheitsmaßnahmen in Nanking. In Nanking werden umfassende Sicherheitsmaß nahmen für die Bevölkerung für den Fall getroffen, daß die Stadt in das chinesisch-japanische Kampfgebiet ein geschlossen werden sollte, überall werden Sicherheits unterstände gebaut. Die Ausländer haben die Stadt mit wenigen Ausnahmen fast vollkommen geräumt. Die noch zurückgebliebenen Ausländer sind in einem Gebiet in der Gegend des Flußufers untergebracht worden, wr sie durch ein englisches Kanonenboot beschützt werden. Amerikanische Ausstände. Wie aus Lima, der Hauptstadt von Peru, gemeldet wird, hat die peruanische Regierung einen groß angelegten Aufstandsversuch durch energisches Eingreifen unter drückt. Zwei Personen wurden dabei getötet. Dreizehn Mitglieder der Oppositionsparteien, darunter mehrere hohe Beamte und Offiziere, wurden in die Verbannung geschickt. Blutige Kämpfe in Kostarika. Wie aus der Hauptstadt von K 0 starika , San Jose, gemeldet wird, ist es den Anhängern des geschlagenen Präsidentschaftskandidaten, Quesada, gelungen, sich nach mehrtägigen Kämpfen des größten Teiles der Stadt zu bemächtigen. Die Aufständischen haben zahlreiche Läden geplündert. Präsident Gonzales Viquez ist in die Artillerie kaserne im südlichen Teil der Stadt geflüchtet, wo sich die Negierungstruppen zusammengezogen haben. Die Zahl der Toten beträgt sechs. IE t ' Kurze politische Nachrichten. Nach dem Ausweis derReichsbank hat sich in der zweiten Februarwoche die gesamte Kapitalanlage der Bank in Wechseln und Schecks, Lombards und Effekten um 171,3 Millionen aus 3602,1 Millionen Mark ver ringert. Der Umlauf an R e i ch s b a n k n 0 t e n hat sich um 120,9 Millionen auf 4155,2 Millionen Marl, derjenige an Rentenbankscheinen um 3,5 Millionen aus 408,5 Millionen Mark verringert. Die Bestände anG 0 ld und deckungsfähigen Devisen haben sich nm 2,2 Millionen auf l <172,9 Millionen Mark vermindert. Die Deckung der Noten durch Gold und dcckungsfähige Devisen beträgt 25,8 Prozent gegen 25,1 Prozent in der Vorwoche. Der Reichskommifsar für Preisüberwachung hat fest- gestellt, datz die Senkung der Bierpreise von den Brauereien allgemein, von den Gastwirten nur teilweise ausgeführt worden ist. Der Reichskommissar hat daher die Zuständigen Stellen gebeten, die Betreffenden zu ver warnen und ihm darüber zu berichten. „Nora", sagte Frau Major überwältigt, „oas ist etwas» für dich!" Das junge Mädchen überflog den Brief noch ein mal. Es bleibt mir ja wohl nichts anderes übrig, dachte sie resigniert. „Ja, Mutter, das ist ein wahres Glück!" sagte sie laut, aber ohne rechten Glauben. „Ich werde umgehend antworten und dich ihr an bieten", fuhr Frau Major fort. „So bekommst du doch auch etwas von der Welt zu sehen." „Ja, Mutter!" erwiderte Nora. Wie froh sie ist, mich loszuwerden!, dachte sie traurig und sogar ein wenig ver letzt. „Hoffentlich ist diese Frau Vollwank, keine — Frau Piefke!" konnte sie nicht unterlassen hinzuzufügen. Frau Major lachte laut und herzlich. „Nora, sie ist eine Verwandte deines Vaters..." „Sehr entfernt!" „Diese großindustriellen Firmen sind alt und vor nehm!" „Was heißt vornehm?" Nora zuckte mit den Achseln. „Reich? — Dann wären wir sehr unvornehm — und Piefkes —" „Nun vergiß doch endlich mal deinen Freund Piefke, Kind!" fuhr die Mutter das junge Mädchen in aller Liebe energisch an. „Du leidest tatsächlich an ,Pief- komanie'!" „Das gebrannte Kind ... !" „Ja, ja! Aber nur Mut und frisch von neuem an gefangen! Diese Frau Vollwank hat eine Art zu schreiben, die mir gefällt." „Wahrscheinlich hat sie uns nötig, sonst würde sie sich unserer so plötzlich nicht erinnern." Frau Major schüttelte mit dem Kopfe. „Wennschon — besser sie uns, als wir sie!" Allerdings enthielt der Brief der Frau Vollwank einige zarte Retuschierungen der tatsächlichen Verhältnisse, die weder die vertrauensselige Frau Major, noch deren mißtrauische Tochter ahnen tonnten. (Fortsetzung folgt.)