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Wilsdruffer Tageblatt : 30.01.1932
- Erscheinungsdatum
- 1932-01-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-193201305
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19320130
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19320130
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1932
-
Monat
1932-01
- Tag 1932-01-30
-
Monat
1932-01
-
Jahr
1932
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 30.01.1932
- Autor
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Willen an . . WolHemar. nun, was heute tun auch Eprphaniaszeit ist die Zeit des zunehmenden Lichts Be» uns zu Hause sagte man früher: Epiphanien wird jeder Tag um einen Hahnenschrei länger. Epiphaniaszeit ist aber noch in einem tieferen Sinne die Zeit des wachsen den Lichts, soll sie uns doch daran erinnern, wie Jesus ge kommen ist, um das Licht in der Welt zu mehren. Wie wahr das ist, das wurde mir neulich wieder recht deutlich in einem Gespräch: Da beries sich jemand darauf, dah er nach dem Grundsatz handele: Was du nicht willst, daß man dir tu, das füg" auch keinem andern zu. Und triumphierend fügte er hinzu: „Das steht ja schon in der Bibel!" Aber sein Triumph dauerte nicht lange, ich mutzte ihm sagen, datz gerade dieser Grundsatz in der Bibel als unvollkommen ausgehoben wird, und zwar durch Jesus, der dem alttestamentlichen Worte seinen Satz entgegen stellt: „Alles nun, was ihr wollt, datz euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch!" Es ist sofort zu erkennen, wie damit etwas ganz Neues und viel besseres von uns Menschen gefordert wird. Tas Wort: „Was du nicht willst . . ." ist doch ein gefähr lich? Wort. Es kann dazu dienen, Bosheit gegen Men schen zu unterlassen, und das ist immerhin etwas, aber es kann auch dazu bringen, dem anderen nun gar nichts an zutun, ihm gegenüber gleichgültig zu werden und sich dann sogar noch darin zu sonnen, wie edel man ist, wenn man ihm nichts Böses zufügt. Auf jeden Fall ist es ein sehr ""stuchtbares Wort; fruchtbar wird es mit einem Male, als Fesus das „nicht" herausstreichl. Da geht's einem wie ein Helles Licht auf. Vorwärts geht es mit dir und um der Welt nicht, wenn du Mißliebiges unterlätzt, son- dern vorwärts in fruchtbarem Schaffen geht's erst dann, wenn du G u t e s t u n als deine selbstverständ liche Pflicht anstehst. Eine Welt, in der man sich nach Möglichkeit vor dem BöseStun hütet, wäre ja immerhin besser, als die Welt jetzt ist, ober sie würde recht öde und trostlos in ihrer gegen- festigen Gleichgültigkeit und Lieblosigkeit sein können. Unsere Welt dagegen würde, wenn wir damit Ernst mach ten, was Jesus fördert, mit einem Male licht und warm werden, denn das, was Jesus fordert, ist ja nichts anderes als die Liebe, die den anderen „alles" Liebe aniun, die da froh und glücklich machen will. Wenn doch 'hr Licht schneller wüchse! Zu Scheiterhausen haben Menschen immer gern Holz getragen — ach. datz wir doch zu diesem Herd- stwer der Liebe eifriger unser Holz zusammentrugen! Licht u«d Wärme müssen wachsen in uns und durch uns! Tagesspruch. Fehler bestreiten, heißt sie verdoppeln. Wachsendes Llcht. Ev. Matth. 7. 12: Mes ihr wollet, datz euch die sollen, das tut ihr ihnen Wilsdruffer Tageblatt I ö.Vlalt—Nr 25—Sonnabend, den 30 Jarmar 1932 I Straße warten, Hand in Hand arbeiten und dadurch die Wa ren rasch aus der Hand bekommen, um letztere gleich erneut füllen zu können. Aber bei solchen Dunkelmännern wollen wir uns nicht lan ge aufhalten. Viel netter sind ja jene weißgekleideten Gestal ten, die jetzt im Hygienemuseum das Kochen lernen. Nicht etwa Frauen und Mädchen, obwohl es nörgelnde Ehemänner geben soll, die der Meinung sind, daß das auch manchen Frauen nichts schaden würde. Nein, diesmal lernen Männer das Ko chen, nicht, um den Berufsköchen Konkurrenz machen zu können, sondern um ihren eigenen Hausbedarf an Kochkenntnissen zu decken. Nicht nur der Junggeselle und der im Freien abkochende Wandersmann, auch der Familienvater kann heutzutage solches Esten praktisch verwerten. Denn in ungezählten Fällen sind ge rade in Dresden mit seiner besonders auf Frauenarbeit zuge schnittenen Industrie die Frauen die Ernährer der Familie in finanzieller Hinsicht, wahrend der Mann erwerbslos daheim sitzt und das Hauswesen, Kinder und Küche betreut und der heimkehrenden Gattin das Esten auf den Tisch fielst, so, wie sie es früher mit ihm getan hat. Seltsame Zeiten! Gar seltsam hat die Dresdner — soweit sie Freunde der edlen Musika in Gestalt von Klavieren oder Sprechapparaten sind — die Entscheidung des Oberverwältungsgerichtes berührt, daß die durch die Gemeindekammer ausgesprochene Musikinstru mentensteuer rechtsgültig sei. Man weiß, daß im Landtage diese Art, durch Diktate der Gemeindekammer sich über Stadtver ordnetenbeschlüste hinwegzusetzen, sehr stark angefochten worden ist, man weiß auch, dah das Ergebnis dieser Steuer mit 800 000 Mark in keinem Verhältnis zu der Erbitterung steht, die sie hervorgerufen hat und noch hervorruft. Man versteht auch nicht, daß ein Schallplattenkonzert durch Nundfunk sich steuer frei anhören läßt, während man die selbstgekauften Platten nur gegen Erlegung einer Steuer anhören darf. Das Oberlandes gericht ist dem Beschluß nun aus formellen Gründen nicht ent- gegengetreten. Er stammt bekanntlich noch aus der Epoche Blü her, die eine Menge Einverleibungen und zweckloser, aber um so kostspieliger Bauten, dafür aber auch ein fabelhaft schönes und reiches Steuerbukett den Dresdnern gebracht hat, zu dem auch Lie nun glücklich erledigte Katzensteuer gehörte. Der er baute große Speicher steht so gut wie leer, das teure Pump werk in Niederwartha wirkt mehr durch den Pump, den wir seinetwegen aufnehmen muhten, als durch das Werk, das da mit geleistet worden ist, denn es war ein Fehlbau, die Köditzer Brücke, die nie und nimmer nach Kaditz führt, wird zwar dauernd wieder aufgerissen und wieder zugemacht, aber benutzt wird sie fast garnicht. Nur eins ist geblieben aus der schönen Zeit des großen Portemonnais: Die Steuern! Zu den seltsamen Steuern — da wir doch einmal von Seltsamkeiten sprechen — gehört auch die Besteuerung der Lust. Haben Sie davon schon einmal etwas gehört. Nun, eigentlich ist es keine Steuer im offiziellen Sinne, denn man nennt es behördlicherseits schamhaft Bezeigungsgeld. Aber das ist ein häßliches Wort, und eine Summe, die Jahr für Jahr zahlbar ist, ist eben eine Steuer. Diese Belastung des Gewer bes, das auf Reklame angewiesen ist, — und welcher Geschäfts mann müßte heute nicht Reklame machen —, besteht darin, daß der Raum, den eine Lichtreklame beispielsweise in die Lust über der Straße hineinragt (und wenn sie das nicht tut, hat sie ja ihren Zweck, gesehen zu werden, verfehlt) versteuert werden muß. Für Preußen hat das Reichsgericht diese Steuer als un zulässig erklärt. Der Dresdner SLadtrat erklärt, daß ihn diese Entscheidung des obersten Gerichtshofes des Reiches nichts an ginge. Nun hat sich der Kleinhandel an Len Preiskommistar gewandt in der sehr richtigen Meinung, daß eine solche Gon- derbesteuerung preisverteuernd wirke und verschwinden müsse. Wird der sächsische Preiskommistar stärker sein, als Las Reichsgericht? Wir bezweifeln es bald, denn die Städte haben sich noch immer als die Mächtigeren erwiesen, wenn es galt, Steuern durchzufechten. Mr Hinweis auf ihre chronische Finanznot wirst da meistens Wunder. Obgleich die Dresdner Finanzen auch seinerzeit nicht rosig zu nennen war, als man die Riesenbauprojekte munter verwirklichte. Am Ende kommt es, wie in allen Dingen, auch hier ein klein wenig auf den guten Dresdner Bilderbogen. Die gesunde Stadt. — Zu arm, um krank zu sein. — Inventur ausverkäufe und ungebetene Kunden. — Vater lernt kochen. — UlMechte Steuerdiktate. — Ein Pump und kein Werk. — Die Besteuerung der Lust ist auch schon da. — Wenn selbst das Reichsgericht sein Recht verliert. Wir leben in einer gesunden Stadt. Unsere Krankenhäuser sind nur zu 60 Prozent belegt und wir können es uns leisten, das -um Teil erst in jüngster Zeit erweiterte große Kranken- ^aus Iohannstadt ganz einfach zu schließen. Die Stadt muß und will sparen. Das ist die Tatsache. Die Frage aber, die da ngen aufzuwerfen wäre, ist die, ob wir wirklich so gesund sind. Denn man durch die Straßen der Stadt geht und die bleichen Dichter schiechterirährter Kinder sieht, wenn man Lie jungen Mädchen beobachtet, die in ihrem letzten brauchbaren Winter- 7°"iel, oft beinahe sonntagsmäßig aussieht, weil der an- °erc wirklich nicht mehr zu tragen ist, auf das Arbeitsamt lau- stä und denen Lie Blutarmut aus den Augen blickt, wenn man bie hageren Männergesichter schaut und weiß, das ihnen und Not um die Ihren den frohen Blick der Augen ge- stübt h^, dann kann man in der Tat nicht behaupten, eine ge- lundheitzstrotzende Bevölkerung vor sich zu haben. Aber diese Unterernährung und dieses Leid der Seele sind ja schließlich te>'ne Krankheiten, die man in den Krankenhäusern heilen könn te. Und Lie vielen Ausgesteuerten, die nicht die Mittel haben, von sich aus ihre Krankenkastenbeiträge freiwillig aufzubringcn, scheuen den Arzt und die Medizinkosten, weil sie eben selbst zum Kranksein zu arm sind. Ja, und das ist der richtige Grund: Wir sind zu arm, um krank sein zu können. Die aber, Lie noch in Lohn und Brot stehen, können es sich erst recht nicht leisten, auszuspannen, denn sofort würde ein anderer an ihre Stelle im Betrieb treten und die Tore der Fabrik wären ihnen für immer verschlossen. Vom Krankenhaus würde ihr Weg direkt zum Ar beitsamt führen müssen. Wehe aber den Armen, wenn einmal enre Epidemie über unsere Stadt herfallen würde. Wie nach dem Kriege die schlecht ernährten Menschen in Massen der zum Opfer fielen, so würde auch diese neue Seuche un- ^gehungerten Menschen wüten, daß die Kranken- bald nicht mehr zulangen würden. Doch das wolle verhüten alle würden ja so viel lieber arbeiten und Geld verdienen und sich richtig nähren und kleiden. Denn auch Kleider tun not. Trotz der mit Riesenreklamen m Szene gesetzten Inventurausverkäufen in den Warenhäusern und trotz der Preissenkungen, die auch Lie kleineren Spezial geschäfte vornehmen, um konkurrenzfähig zu bleiben, kann nie mand kaufen. Die großen Ansammlungen vor den Schau fenstern und die wogenden Mengen in den Warenhäusern täu schen. Sie alle wollen zum größten Teile nur sehen und wohl auch staunen, Und eine kleine Hoffnung blinkt dabei auf: Näch stes Jahr — vielleicht — kann ich auch wieder kaufen. Ach, wie mancher hofft nun schon von Jahr zu Jahr vergebens! Andere wieder gibt es, die durchaus nicht auf das Warten und Hoffen eingestellt sind. Das sind die ungern in Len Kaufhäusern ge sehenen Gaste: Die Ausverkaufsmarder! Erst dieser Tage ge lang der Dresdner Polizei ein guter Griff, oder bester gesagt eine Rewe von guten Griffen. Ueber zwanzig Mal wurden Ladendiebe, teilweise sogar internationale Größen ihres Faches, dabei gesteppt, wie sie das Gewühle des Inventurausverkaufes benutzten, um e al recht gründlich im Trüben zu fischen. Die Beute soll Mitunter recht ansehnlich gewesen sein, zumal diese , Leute ,a meistens mit Hehlern, die vor dem Geschäft auf der I Sie DerleidiWWrede Skizze von A. Diez-Langhammer. Die Studenten lauschten der Vorlesung des berühmten Psychiaters Professor Greiffenberg mit gespannter Aufmerk samkeit: „In vielen Fällen kann die moderne Rechtsprechung auf unser Urteil nicht verzichten. Immer wieder wird das Gericht Verbrechen gegenüber stehen, für die es einfach keine Beweggründe finden kann. Dann ist es die Aufgabe des Psy chiaters, darzulegen, daß jedem Menschen aus Urzeiten her ein tierischer Trieb zum Morden innewohut. Dieser Raubtier instinkt wird von Zeit zu Zeit in jedem von uns wach. Er äußert sich vielleicht in dem Plötzlichen unsinnigen Verlangen, einem anderen, der uns irgendwie maßlos geärgert hat, den Mund für immer zu schließen. Ich bin überzeugt, daß jeder unter uns diesen Trieb schon einmat verspürt hat, weil er irgendwie ungerecht be handelt oder immer wieder gereizt wurde. Moderne Menschen besitzen gewöhnlich Kultur genug, um diesem Trieb zu wider stehen, oder sie haben nicht den Mut zum Verbrechen. Bei letzteren kommt der Mordinstinkt auf andere Weise zum Aus bruch. Sie ersinnen ost Verbrechen, in denen sie eine Haupt rolle spielen. Sie leben sich nicht selten in die erdachten Szenen so sehr hinein, daß sie Phantasie von Wirklichkeit nicht mehr zu unterscheiden wissen. Darauf ist das nicht selten zu beobachtende Phänomen zurückzuführen, daß Menschen sich eines Verbrechens bezichtigen, ohne es begangen zu haben. Andere wieder geben ihrem Trieb nach, indem sie das, was der Laie ihre LLut nennt, an leblosen Gegenständen, an Bildern oder Statuen austoben. Der Richter muß also in der Beurteilung aller solcher Fälle äußerste Vorsicht walten lassen, wenn er nicht dem einen oder anderen Beschuldigten unrecht tun will. Denn viele von ihnen gehören in einem mo dernen Kulturstaat, der im Interesse seiner Bürger die un gehemmte Entfaltung tierischer, angeborener Instinkte nicht dulden darf, nicht auf die Anklagebank sondern in eine Anstalt." Bleistifte huschten eifrig über das Papier und schrieben die Gedanken der Vorlesung nieder. Die Erfahrung hatte nämlich gelehrt, daß es durchaus nichts schade, wenn man bei der Prüfung durch den bekannten Psychiater ihn selbst als Autorität zitieren konnte. Ein paar Jahre später besuchte Professor Greiffenberg die Kunstausstellung der Sezession. Interessiert streifte er durch die Säle, um plötzlich wie gebannt vor einer Granitgruppe stehen zu bleiben. Dem Künstler war es gelungen, ein Wesen darzustellen, das seinen Glauben an die tierische Abstammung des Menschen deutlich widerspiegelte. Dieses Ungeheuer ver zog die wulstigen Lippen zur schmerzlichen Grimasse und preßte mit spinnenartigen Fingern ein schwer erkenntliches Etwas an seine Platte Brust. Darunter stand: „Mutterglück." s Professor Greifsenberg betrachtete die Gruppe eingehend und mit hochrotem Gesicht. Dann wandte er sich unvermittelt und fegte zum Saal hinaus. Am nächsten Tage stand in einer der ersten Zeitungen der Stadt eine vernichtende Kritik über das Machwerk, das sich „Mutterglück" nannte. Dem größten Teil der Einwohner schaft waren die ungewöhnlich scharfen Worte, die Professor Greifsenberg zur Verurteilung einer derartigen Geschmacks verirrung gefunden hatte, aus dem Herzen gesprochen. Der Kunstausschuß der Stadtverwaltung dachte anders. Er kaufte das „Mutterglück" an und ließ es in den Anlagen vor der Hochschule aufstellen. Angeblich bestand zwischen einem Mitglied des Ausschusses und dem Psychiater seit Jahren eine tiefe Feindschaft. Professor Greifsenberg mußte täglich am „Mutterglück" vorbei gehen, wenn er zu seinen Vorlesungen wollte. Zweifel los ärgerte er sich jedes Mal darüber. Aber er blieb äußerlich beherrscht und sprach fast nie über das Machwerk. Eines Morgens lief das Gerücht durch die Stadt, dem „Mutterglück" sei der Kopf abgeschlagen und in viele kleine Trümmer zerhauen worden. Hunderte von Menschen über zeugten sich an Ort und Stelle von der Wahrheit dieser Nachricht und gaben ihrer Genugtuung über das Ende einer Geschmacklosigkeit unverhohlen Ausdruck. Man vermutete den Täter unter der Studentenschaft. Um so erstaunter horchte man auf, als bald darauf be kannt wurde, daß Professor Greifsenberg zum Vollstrecker des Volksurteils geworden war. Er gestand offen ein, den Kopf des Machwerks eines Nachts mit einem Hammer zertrümmert zu haben, weil er den Anblick nicht länger ertragen wollte und alle Eingabungen um Entfernung der Granitgruppe nutzlos gewesen wären. Fast jeder hatte Verständnis für seine Tat, und am Berhandlungstage mußten Hunderte mnkehren, weil der Gerichtssaal sie nicht mehr faßte. Unter atemloser Stille sprach der bekannte Psychiater nur wenige Worte in seiner eigenen Sache: „Ich habe das Machwerk mit Absicht Und in vollem Bewußtsein beschädigt. Verurteilen Sie mich, wenn Sie nicht anders können. Seien Sie aber gewiß, daß die Stimme des Volkes mir recht gibt und mir mehr gilt als Ihre Entscheidung." Der Staatsanwalt erhielt das Wort. Er war noch jung, und man erwartete von ihm eine schneidige Anklage. Statt dessen sagte er: „Um diesen eigenartigen Fall, der einen an gesehenen Gelehrten auf die Anklagebank führt, richtig beur teilen zu können, muß ich an eine Vorlesung erinnern, die Professor Greifsenberg vor Jahren über den tierischen Trieb des Menschen zum Morden hielt." Und Wort für Wort las der Staatsanwalt vor, was er sich damals im Kolleg des Psy chiaters ausgeschrieben hatte. Er hob die Stimme, als er zitierte: „... an leblosen Gegenständen, an Bildern oder Statuen austoben. Der Richter muß also in der Beurteilung aller solcher Fälle äußerste Vorsicht walten lassen, wenn er nicht dem einen oder anderen Beschuldigten unrecht tun will, i Denn viele gehören nicht auf die Anklagebank sondern in eine Anstalt. Ich beantrage die Freisprechung des Angeklagten!" - Das Gericht gab dem Anträge statt. Professor Greiffen berg versuchte zu widersprechen. Doch er konnte nur schwer atmen und ging gebeugt aus dem Saal. Anscheinend lastete der ihm „aus Urzeiten her innewohnende tierische Trieb zum Morden" schwer auf seinen Schultern. Später hörte man, der Psychiater Professor Greifsenberg habe einst den Bruder des jungen Staatsanwalts durchs . Examen fallen lassen. Zer bittere Trank Humoreske von Kathe Donny. Eine Tur trachte, daß die Wände zitterten. Laute Schritte hallten im stetnernen Hausflur, und eine zweite Lür flog : knallend zu. Die alle Linie fetzte sich aur einen KüchenstuD und rang die Hanse. Es war also genau w gekommen, wie sie voransgesehen, sie halte es ja dem ,ungen Herrn gleich gejagt: „Magda Lenzner'? Da wirb ber Herr Rat schon wild, wenn er nur den Namen hort." Aber natürlich, ber junge Herr wollte es besser wissen: „Meine Magda'? Froh und dankbar wird der Onkel sein, wen« diejer Engel in unfer finsteres Haus kommt." Du lieber Himmel, und wenn die Magda nicht nur ein Engel, sondern die ganze himmlische Heerschar in einer Person wäre — der Name Lenzner genügte, um bei dem Herrn Rat die Hölle loszulassen. Die gute" alte Luise horchte hinauf. Da ging es oben schon los mit dem wütenden Hinundererlaufen, morgen lag der alte Herr sicher an einem Gallenansall. Sie seufzte noch einmal und machte sich wieder an ihre Preitzelbeeren. Ter junge Herr, Fritz Emmerich, Doktor der Rechte, Assessor am Amtsgericht, stürmte durch die Straßen der kleinen Stadt. Weil der Onkel vor zwanzig Jahren einen Prozeß gegen ibren Großvater verloren hatte, sollte er die Magda nicht heiraten. Und dabei kannte er das geliebte Mädchen nicht einmal. Es war lächerlich, es war verrückt — es war grausam von öem Onkel. — Tie alte Luise hatte recht gehabt, am nächsten Tag log Rat Emmerich mit einem heißen Umschlag im Bett. Diesmal war ver Antall besonders schmerzhaft, und die gute Luise, die beim Einkochen war, meinte, es wäre wohl das beste, für eine Woche eine Pflegeschwester zu nehmen. Der Rat wollte auf- tahren. aber da kamen schon wieder diese gräßlichen Schmerzen, und er schrie: „Meinetwegen, wenn mir das Frauenzimmer nur helfen kann." Schwester Agathe kam. Sie hatte sanfte geschickte Hände und hantierte so geräuschlos, datz Rat Emmerich ein paarmal neugierig den Kops drehte, ob sie auch noch im Zimmer war. „Eine hübjche Person", dachte er, „und so jung. Das ist nun Schwester anstatt zu heiraten. Verrückte Welt!" Schwester Agaihe erneuerte den Umschlag, stützte dem Kranken den Kopf und ließ ihn einen heißen bitteren Tee trinken. „Ein Teufelszeug", schimpfte er, „aber es hilft." Die Schwester lächelte sanft. „Tas Bittere im Leben schluckt sich immer am schwersten, aber dafür hilft es meistens am besten." Der Rat blinzelte mißtrauisch in das schöne Gesicht unter der Weißen Haube. Aber nein, von Bosheit lag keine Spur darin. „Eine verteufelte Person", dachte er und schluckte gehorsam den bitteren Trank. Als Fritz später als sonst nach Haufe kam. da er mit Magda noch einen Gang durch den Stadt park gemacht hatte, erstaunte er aufs höchste. Der gallige Onkel war merkwürdig sanft und freundlich. Er fing sogar eine aus gedehnte Unterhaltung an und fragte so ganz nebenbei. „Sao mal, dürfen Krankenschwestern so ohne weiteres heiraten, oder brauchen Sie irgendeine Erlaubnis?" — „Nicht, daß ich wüßte, Onkel. Wieso übrigens?" — „Ach, nur so." Und der Onkel pfiff. Tas war seit Jahren nicht vorgekommcn. Am nächsten Abend begann der Onkel wieder von Krankenjchwcstern im allgemeinen und Schwester Agathe im besonderen zu sprechen. „Du müßtest sie nur einmal sehen, Fritz. Sie ist ein Engel." — „Danke, ich möchte wegen Deiner himmlischen Lichtgestalt nicht in höchst irdische Konflikte kommen Meine Dienststunden enden zur Zeit erst, wenn Dein Engel schon heimwärts geflogen ist."
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