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WsdrufferTageblatt Nationale Tageszeitung für die Landwirtschaft, für Äürgertum, Beamte, Angestellte u. Arbeiter I Nr. 147 — 91. Jahrgang Postscheck: Dresden 2640 Sonnabend, den 25. Juni 1932. Telegr.-Adr.-. .Amtsblatt" Wilsdrufs-DreSden K°rnk»r-«-r: Am, Wi,-dr»S Nr. « durch Frrurul üb-rmiml,«» Anz-'g-n übrru. wir drin. G°r°nnc. Jede. wnw.ua «UI^w-n» d«D«-°s"l?,Z «läge -in,-zogen werden mutz oder der «ustrag,rder in Konkurs «erai. ° Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauvtmannschaft Meiken des Amt*, gerichts und des Stadtrats zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte Blatt' Vas »Wilsdruffer Tageblatt" erscheint an allen Werktage» nachmittags S Uhr. Bezugspreis monatlich 2,— RM. frei Hans, bet Postdestellung 1,80 «M. zuzüglich Bestellgeld. Einzelnummern 10 Rpsg. rille Postanstalten, Post, nehme/w seÄ/Ieii^ Wochenblatt für Wilsdruff u. Umgegend Falle höherer Gewalt, ' Krieg oder sonstiger Be- triebsstdrungen besteht kein Anlpruch aus Li-serun- de, Zeitung oder Kürzung des Bezugspreises. — Rücksendung eingesandter Schriftstücke erfolgt nur, wenn Porto beUirgi. Zit dcutslh-sranzliWn VeWAWN Im Wirbel der Zeit. i Der große Gegensatz — Frankreichs Starrsinn — Alte Bekannte. Wenn einmal spätere Generationen die Geschichte unserer Tage studieren, werden sie am meisten darüber staunen, wie in wenigen Jahren sich alle Anschauungen ge wandelt haben, wie nicht nur in Politik und in Wirtschaft, sondern auch im Leben der Menschen untereinander „das Unterste zu oberst gekehrt" wurde, um mit dem Volksmund zu reden. Welch ein Wandel der Dinge in den letzten Jahren! Wir selbst, die Zeitgenossen, die wir uns mitten in den Wirbeln der Ereignisse drehen, versuchen mühevoll, hinter den wahren Sinn dieses Geschehens zu kommen. Die einen sagen: wir leben in einer Weltenwende, das Alte müsse stürzen und neuen Formen des menschlichen Dc.^Vns Platz machen; die anderen sagen: was wir er leben, ist keine Weltenwende, sondern nur ein unge- heurerKrankheitsprozeß.bei dem Giftiges und Ungesundes, das Krieg und Nachkriegszeit in die Blut bahn des Volkskörpers hineingelrieben haben, wieder aus geschieden werden. Das ist der große Gegensatz der Mei nungen, der aus uns allen lastet, viel stärker lastet, als wir alle ahnen. Weltenwende oder Krankheitsprozetz? Wo ist die Wahrheit? Eine Schicksalsfrage für die Völker, ins besondere für das deutsche. Das ist die große Frage, die, vielen vielleicht unbewußt, bei den kommenden Reichs- tagswahlen zur Beantwortung steht. Das Volk soll ent scheiden, es soll seinen Weg wählen. Das mögen wohl auch die tieferen Gedanken gewesen sein, die den Reichspräsidenten dazu bewogen, den alten Reichstag auf zulösen und den deutschen Wähler vor die große Ent- scheidung zu stellen. Damit sein Wille frei und ungehemmt zum Ausdruck komme, hat der Reichspräsident eine neue Regierung beauftragt, allen, die sich als deutsche Staatsbürger fühlen, die Freiheit ihres politi schen Willensausdrnckes wiederzugcben und zu sichern. Auch da kann man sagen, welch ein Wandel! Denen, die sich als die Verteidiger der demokratischen Verfassung be zeichnen, muß diese Freiheit der politischen Betätigung für alle Staatsbürger abgerungen werden. Ein Stück Geschichte zum Lachen und zum Weinen zugleich. Während Millionen Volksgenossen immer tiefer ins Elend sinken, während draußen um Deutschlands Zukunft gerungen wird, balgen wir uns im eigenen Haus. Vieles hat sich gewandelt, aber die deutsche Eigenbrötelei, die wandelt sich nicht. Was sich ebensowenig gewandelt hat, ist Frank reichs Starrsinn, der wie ein furchtbarer Alpdruck auf der Welt lastet. Alle Völker haben aus dem Wandel der letzten Jahre die Lehre gezogen, daß der Weg von Versailles die Welt mit Sicherheit ins Verderben führt. Nur Paris klammert sich mit aller Kraft an dieses Buch, das man den Friedensvertrag von Versailles nennt, und will es der Welt und den Völkern als ewiges Gesetz auf zwingen. Heilig, unantastbar und unberührt vom Wandel der Zeit soll es bestehenbleiben. Diesem Schand verlrag, dem wie einem Moloch Frankreich schon das Glück von Millionen Menschen geopfert hat, sollen ganze Generationen in Knechtschaft dienen, wenn es nach dem Willen Frankreichs ginge. Nur fo erklärt sich der Widerstand der französischen Politi ker in Lausanne, unter die unglückselige Politik der letzten Jahre einen Strich zu machen. Was wir in Lausanne erleben, ist der letzte Versuch der französischen Politik, die Tatsachen, die der Wandel der Jahre in der Lage der Welt geschaffen hat, mit Gewalt zu meistern. Man will vor der Welt nicht eingestehen, daß alles ganz anders gekommen ist, als man in Versailles den Völkern versprochen hat. Es waren goldene Berge, die man ihnen vorqaukelte. Aber wenige Jahre haben genügt, um der Wahrheit Bahn zu brechen. Wer hätte je daran gedacht, daß das reiche Amerika, das kluge, weltbeherr- schcnde England vor einem Millionen-Arbeitslosenheer zittern würden? Wer hätte geglaubt daß der Traum von Glück und Reichtum in allen Ländern, die von den giftigen Früchten des Sieges genossen, so schnell verfliegen würde? Welch ein Wandel der Zeiten! Aber die Ver antwortlichen von Versailles klammern sich noch an letzte Hoffnungen. Auch sie werden zerstört werden. Und so wie jetzt die Welt zur Einsicht gekommen ist, daß die Repara tionspolitik die Welt ins Elend geführt hat. so werden die harten Tatsachen eines Tages beweisen, daß der ganze Versailler Vertrag der Welt nur Unglück bringt und verschwinden muß. " In die Berichte aus Lausanne mischen sich die ersten Wahlkampftöne. So bemühen sich die Sozial demokraten, durch eine rührige und durch keine Ne- gicrungsrücksichten mehr gehemmte Agitation den Boden für ihre Saat zu bereiten. Vor allem sind die Propagan- disten der SPD- darauf bedacht, in den Massen die Er innerung daran zu verwischen, daß die sozialdemokratischen Führer bis vor kurzem sowohl im Reich wie in Preußen Mitverantwortuna für all das batten, was unter der Politik der Notverordnungen geschehen ist. Diese Er innerung auszulöschen ist keine leichte Aufgabe, denn die Gegner der SPD. werden diese Erinnerung immer wieder Wunder und Tat. Unverbesserliche Optimisten glaubten vor Beginn der Lausanner Konferenz an einen schnellen und erfolg reichen Vc»lauf. Man meinte anscheinend, daß ein „Wunde r" geschehen würde. Ein Wunder hat aber zur notwendigen Begleitung die Schnelligkeit. Es muß über raschend kommen, sonst verliert es den Charakter als Wunder. Das Wunder ist also ausgeblieben, denn die Verhandlungen in Lausanne ziehen sich schon allzu lange hin, als daß man noch darauf hoffen dürfte, daß diese Konferenz andere Wege gehen könnte, als ihre fünfund dreißig Vorgängerinnen. So sehr besonders Macdonald bemüht war, durch direkte Aussprache zwischen den leiten den Staatsmännern selbst schon eine Entscheidung herbei zuführen, scheint Lausanne das nun schon zum Konferenz schicksal gewordene Los zu teilen, im Sumpf der Kommifsionsberatungen langsam aber sicher zu versichern. Einen letzten Versuch, die Konferenz vor diesem Geschick zu bewahren, bildete die persönliche Aus- spräche zwischen dem Reichskanzler und Herriot. Die kurze amtliche Mitteilung der englischen Ab ordnung über die Unterbrechung der englisch-fran zösischen Besprechungen und der Beginn der direkten deutsch-französischen Verhandlungen wird in unterrichteten Kreisen dahin ausgelegt, daß die Versuche Macdonalds, die französische Regierung zu einer endgültigen Regelung der Tributfrage im Sinne der englischen Regierung zu bewegen, gescheitert sind. Macdonald soll Herriot erklärt haben, daß als letzter Ausweg direkte Verhand lungen zwischen den deutschen und französischen Ministern beginnen müßten, um vielleicht auf diesem Wege zu einer Regelung zu gelangen. Die englische Vermitt- lungstätigkeit sei nunmehr erschöpft. Die krisenhafte Lage der Konferenz, die praktisch vom ersten Tage an bestand, hat sich somit weiter verschärft. Die verschiedensten Pläne tauchen jetzt auf, auf welche Weise ein „offizieller" Zusammenbruch der Konfe renz vermieden werden kann. Auf englischer Seite wird stark dafür Stimmung gemacht, daß im Herbst zunächst eine europäische W i r tsch.aftsk o ns e renz in Lausanne und sodann anschließend in London eine Welt- wirtschastskonserenz abgehalten werden soll, jedoch nur unter der Voraussetzung einer vorherigen Re gelung der Tributsrage. Irgendein Ausweg aus der immer verworrener und aussichtsloser werdenden Lage der Konferenz zeichnet sich jedoch bisher nirgends ab. Der Gedanke einer Vertagung durch „Permanenzerklä rung" der Konferenz und Einsetzung von Sach verständigenausschüssen gewinnt an Boden. Man steht, der Leidensweg aller Konferenzen taucht schon wieder als letzter Plan und Strohhalm auf, an den sich die Ertrinkenden klammern. Von der Reparations konferenz über Kommifsionsberatungen zur europäischen und dann zur Weltwirtschaftskonferenz. „Das eben ist der Fluch der Konferenz, daß sie fortzeugend Konferenzen muß gebären!" Die wirtschaftliche Entwicklung schreitet aber in zwischen in unheimlicher Beschleunigung ihren ehernen Gang zur Katastrophe hin. Sie läßt sich nicht aufhalten durch endlose Konferenzbeschlüsse und Sachverständigen gutachten. Es ist genug des Wägens, es muß gewagt werden! Nicht nur am Anfang steht die Tat, sondern sie ist auch die einzige, die ein Ende machen kann. Wo bleibt sie, die entschlußfreudige, verantwortunasbereite Tat? Die Zeit drängt und auf das Wunder wird man vergeblich warten! „Oie Lust ist kühl." Die erste Besprechung zwischen dem Reichs kanzler und Herriot. Die erste große gemeinsame Besprechung zwischen der deutschen und der französischen Reaieruna auf der Tribut auffrischen. Die Auffrischung des Gedächtnisses ist auch sehr nützlich, wenn man sich das besteht, was die sozialistischen Angestellten- und Arbeitergewerk schaften ihren Anhängern jetzt als Rettungs programm der Gewerkschaften vorlegen. „Umbau der Wirtschaft" ist das Programm überschrieben, das dieser Tage herausgekommen ist. Das sind lauter bekannte Dinge, die man da entdeckt: Verstaatlichung von Banken, Bergwerken und der Großindustrie, Demokratisierung der Wirtschaft, Planwirtschaft auf allen Wirtschaftsgebieten, natürlich auch Beseitigung aller Zölle. Das alles sind ja alte Punkte des sozialistischen Programms, wie es schon 1918 den Massen als Rettungsprogramm an gepriesen wurde. Nur stand damals die 48-Stunoen-Woche, jetzt die 40?Stunde«-Woche im Programm. Das ist neu. Aber sonst ist alles sehr vertraut. Als die Sozialdemokratie konferenz begann mit einem Besuch des Reichskanzler» von Papen bei dem französischen Ministerpräsidenten Herriot. Anschließend fand die nach Abschluß der englisch, französischen Verhandlungen beschlossene gemeinsame Sitzung der deutschen und der französischen Abordnung statt, an der von deutscher Seite der Reichskanzler. Reichsaußenminister von Neurath, Reichs- sinanzmi nister Schwerin-Krosigk, Reichs Wirt- schaftsminister Warmbold sowie Staatssekretär von Bülow teilnahmen. Die Sitzung war ausschließlich mit dem großen Bericht des Reichsfinanzministers Graf Schwerin-Krosigk über die Finanz, und Wirtschaftslage Deutsch, lands angefüllt gewesen. Keiner von den übrigen deut. sehen oder französischen Ministern hat das Wort ergriffen, da der Bericht des Grafen Schwerin die gesamte Sitzung ausfüllte. Nach Beendigung der Besprechung verließen der Reichskanzler und der f r a n z ö s i s ch e M i n i st e i> Präsident als erste den Sitzungssaal und wurden von allen Seiten von den Pressevertretern bestürmt, weigerten sich jedoch, irgendwelche positiven Mitteilungen zu machen. Herriot erklärte nur, der Bericht des deutschen Finanz. Ministers sei durchaus objektiv und außerordentlich ein. gehend gewesen. In seiner gewohnten Weise fügte er in Anspielung auf ein Heine Zitat hinzu: „DieLust ist kühl, aber cs dunkelt nicht!" über die Sitzung wurde folgende amtliche Ver. lautbarung veröffentlicht: „Die deutsche und die französische Abordnung sind zu einer ersten Arbeits. sitzung zusammengetreten, in der der deutsche Reichs- finanzminister Graf Schwerin-Krosigk einen eingehenden Bericht über die gesamte wirtschaftliche und finanzielle Lage Deutschlands erstattete. Eine zweite Sitzung findet noch heute statt." * Oer Reichskanzler berichtet« Wochenende in Berlin. Reichskanzler von Papen trifft am Sonn- abend in Berlin ein, um dem Reichspräsidenten und dem Kabinett Bericht zu erstatten. Er wird voraussichtlich am Sonntagabend oder Montag früh wieder nach Lausanne zurückkehren. Bei der deutschen Delegation wird aus- drücklich betont, daß man auf Grund der bisherigen Fühlungnahme zwischen dem Reichskanzler und Herriot eine „positive Lösung für möglich" halte. * Von Papen nach Berlin abgereifl. Frankreich gänzlich unnachgiebig. Die zweite gemeinsame Sitzung der deutschen und französischen Minister, die am Freitag >L6 Uhr begonnen hatte, wurde um ZL8 Uhr abgeschlossen. Der Reichskanzler von Papen, der im Anfang an der Sitzung teilnahm, verließ die Besprechung gegen 18,30 Uhr und begab sich zum Bahnhof, um mit dem Baseler Schnellzug um 18.40 Uhr nach Berlin zu reisen, wo er am Sonnabendnachmittag eintrifft. Der Reichskanzler wird im Laufe des Sonnabend noch dem Reichspräsidenten über die Lausanner Verhandlungen Bericht erstatten und Sonnabend abend wieder nach Lausanne abreisen. Die Lage auf der Tributkonferenz spitzt sich immer mehr zu der Frage zu, in welcher Weise wenigstens nach außen hin eine formale Weiterführung der gesamten Ver- Handlungen möglich ist. Jedoch wird schon übereinstim. mend festgestellt, daß die Verantwortung für einen A b - bruch der gegenwärtigen Verhandlungen ausdrücklich der französischen Regierung zur Last gelegt werden müßte, die also auch für die gesamten dadurch un. vermeidlich eintretenden wirtschaftlichen Folgen verant. wörtlich ist. nach dem Umsturz ihre Macht antrat und ihre Ver. sprechungen erfüllen sollte, wurden eine Anzahl Kom. Missionen eingesetzt, die sich mit der Durchführung des Sozialismus befassen sollten. Sie tagten hinter ver. schlossenen Türen monate- und jahrelang, und als sie end- lich fertig waren und dicke Bücher veröffentlichten, da hat kein Mensch mehr von den Dingen etwas wissen wollen, am allerwenigsten die Politiker der SPD. Man hatte sich mit dem Kapitalismus ganz schön eingelebt, und verwies die ganze Planwirtschaft — auf deutsch Sozialismus oder umgekehrt — in das Reich der Theorie. Jetzt werden die etwas angestaubten Grundsätze als neuester Rettungsplan aus der Schreibtischschublade geholt. Jetzt auf einmal, wo man keine Verantwortung mehr hat, wo niemand sagen kann: „Bitte, probiert's", jetzt wird wieder in Sozialismus gemacht. Da kann man auch sagen: Welch ein Wandel!