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Um das Schicksal des Reichstages. In der parlamentarischen Geschichte Deutschlands fehlt es auch an der entferntesten Ähnlichkeit mit der innen politischen Lage, in der sich Reichspräsident, Reichs regierung und Reichstag heute befinden. Und man muß auch noch einen vierten Drehpunkt in diesem politisch-par lamentarischen Bcwegungskreisen nennen: Preußen. Hin zu kommt aber noch ein Fünftes: der große Papen-Plan. Die ganze Situation, die mit diesen fünf Worten ange deutet ist, kann aber nicht bloß als geradezu einzigartig bezeichnet werden, sondern sic ist auch ungeheuer kompli ziert. Wie die fünf Ringe, die das Symbol der Olym pischen Spiele sind, greifen sic ineinander Abhängigkeiten sind vorhanden oder zu verspüren, die heute noch geleugnet werden, morgen aber vor aller Augen daliegen, um vielleicht übermorgen schon wieder zu verschwinden und durch andere abgelöst zu werden. Vieles davon spielt sich in festverschlosscncn Verhandlungszimmern ab, so daß Überraschungen in den letzten 11 Tagen nicht gerade selten waren, fast so häufig wie die Täuschung und Irreführung einer Öffentlichkeit, die diesen „Manövern" nur mit sehr gemischten oder vielmehr mit recht eindeutigen Empfin dungen zuschaut. Mit Überraschungen muß man aber auch noch für einige Zeit rechnen, da sich mit dem Zu sammentritt des Reichstages die Situation noch viel schneller nach der einen oder anderen Richtung verschieben kann. Die Regierung selbst muß damit rechnen — und hat Lies auch Wohl schon durch den Ministerbesnch beim Reichs präsidenten getan —, daß der Reichstag in seiner Mehr heit sowohl „persönlich" gegen das Kabinett Papen ein gestellt ist wie auch „sachlich" insofern, als zum mindesten Teile des großen Programms, das Papcn am Sonntag skizzierte, auf die Mißbilligung der Ncichstagsmehrheit stoßen. Z as gleiche gilt aber von den Notverordnungen nach dem Ltcaierungsantritt Papens. Falls nun in Preußen wirklich durch eine Vereinbarung zwischen Nationalsozia listen und Zentrum die Möglichkeit geschaffen würde, verfassungsgemäß eine Regierung zu bilden, so würden heute bestehende enge Zusammenhänge zwischen dem Reich und Preußen dann besonders stark aufgelockert und im Sinne der Regierung Papen gefährdet werden, wenn im Reich ein Kabinett regiert, das etwa gegen eine Reichs tagsmehrheit von Nationalsozialisten und Zentrum die Volksvertretung sehr bald wieder nach Hause schicken würde. Eine verfassungsmäßige Regierung in Preußen — obendrein eine solche mit politisch ausgeprägter Rechts- cinstellung — würde aber die rechtliche Ursache zum Ver schwinden bringen, deretwegen die Einsetzung des Reichs kommissariats erfolgt ist. Wenn also der Reichstag auf gelöst wird, dann ist mit einer „Verlagerung" des politischen Schwergewichts nach Preußen, d. h. in den Landtag, zu rechnen, der ja jetzt auch wieder zu sammengetreten ist, aber mit der Wahl des Ministerpräsi denten so lange warten zu wollen scheint, bis im Reich und im Reichstag die — erste — Entscheidung gefallen ist. Nachdem der 13. August gezeigt hatte, daß eine „parla mentarische" Ausmünznng des Wahlergebnisses auf un überwindliche Hindernisse stieß und namentlich die Gegner schaft zwischen der Präsidialregierung Papen und den nationalsozialistischen Siegern im Wahlkampf noch ge wachsen ist, setzte ja das eifrige Bemühen ein, im Reich zunächst einmal die parlamentarische Machtposition vor Ler Zerstörung durch die Neichstagsauflösung zu retten. Die Vorbereitung zu diesem Versuch — dessen Erfolg oder Mißerfolg ja letzten Endes vom Reichspräsidenten abhängt, vielleicht heute schon entschieden ist — hat zu Verhandlungen zwischen den Nationalsozialisten und dem Zentrum geführt, über deren Einzelheiten und — Standfestigkeit sich jetzt noch nichts Genaueres sagen läßt; da sie sich gegen das Kabinett Papen richtet, ist zu verstehen, daß der Kanzler selbst sie in seiner Sonntagsrede sehr abfällig beurteilte und von dem — Willen zu gegen seitiger Vernichtung sprach, von dem die beiden Parteien erfüllt seien. Aber zunächst wollen jene beiden Parteien den Beweis liefern, daß die Argumentation des Kabinetts Papen für die Auflösung des Reichstages unrichtig sei: er sei nicht arbeitsunfähig und der Beweis für das Gegenteil müsse erst tatsächlich vorliegen. Ein solcher Beweis sei es aber nicht, wenn die Regierung Papen gestürzt würde, — unter der Voraussetzung, daß dann ein anderes Kabinett, das der Reichspräsident zu ernennen habe, von einer ausreichend großen und sachlich-program matisch zusammenhaltenden Reichstagsmehrheit gestürzt werden würde. Der Konflikt zwischen der Regierung Papen und dem Reichstag ist offenkundig und voraussichtlich nicht zu lösen, wenn nicht eben eine der beiden Seiten zum Nach geben, also in diesem Falle zum Abtreten gezwungen wird. Nach dem amtlichen Bericht über den Besuch des Kanzlers von Papen, des Reichswehrministers von Schleicher und des Reichsinnenministers von Gayl in Neudeck beim Reichspräsidenten hat der Reichspräsi dent die Pläne und Vorschläge des Reichskanzlers ge billigt. Die Besprechung der innenpolitischen Lage ergab völlige Übereinstimmung zwischen dem Reichspräsi denten und der Reichsreaieruna. beißt es in der amtlichen Eröffnung der nenen MstUS. Die erste Reichstagssihung. Göring Reichslagspräsident. Berlin, 30. August. ^in halbes Dutzend Eröffnungen hat der Reichstag nach der Revolution erlebt; aber eine derartige, wie sie ihm durch das Auftreten der kommunistischen Alterspräsidentin beschiedcn ist, Hal wohl weder /in deutsches noch ein auswärtiges Paria- ment jemals gesehen. Dabei war es wie ein Auftakt zu einer großen Tagung. Die Absperrungen draußen, überfüllte Tri bünen drinnen, ein Sitzungssaal, der bis fast auf den letzten Platz gefüllt war. Wenn der Blick des Zuschauers in den Sitzungssaal hin- untergeht, so sieht er die geschlossene Masse der in ihren gelb braunen SA.-Hemden erschienenen Nationalsozialisten. Sie geben damit dem Reichstag ein ganz eigentümliches Bild, und die zahlreich anwesenden Mitglieder des Diplomatischen Korps äugen von ihrer Tribüne herunter aus die gelbbraunen Massen der 230 Mann. Fast die Hälfte des Sitzungssaales nehmen sie ein; nur 70 Mann fehlen ja daran, daß sie die Mehrheit in diesem Reichstag besitzen. Auf den Sessel des Reichstagspräsidenten hat nian ein dickes Kissen gelegt, und nun wird das Erscheinen der Alters- Präsidentin Klara Zetkin von ihren kommunistischen Frakiions- genossen mit lautem Zurus begrüßt. Nun aber kommt etwas, lvas dieser Reichstagssitzung aus eine Stunde hinaus das Gesicht gibt: alle übrigen Parteien des Reichstages, von den Nationalsozialisten bis zum letzten Sozialdemokraten, hören mit geradezu eherner Ruhe die lange und ausreizende kommck- nistischc Programmrede an, die Klara Zetkin vom Stapel laufen läßt. Eifrig Hilst ihr dabei als Souffleur ihr Fraktions- genosse Torgler, den sie zum Schriftführer bestimmt hat. Ge brochen, greisenhaft quillt Wort für Wort aus dem Munde Vieser alten Frau, die sich kaum ausrechthalten kann, die aber durch ihre Partei gezwungen ist, ein Ami wahrzunehmcn, dem sie körperlich gar nicht gewachsen ist und dem sie geistig jede Objektivität nimmt. Das Alterspräsidium soll nur eine Funktion erfüllen, die ihm nicht durch Auftrag oder Wahl bestimmt ist, sondern die ihm eben einfach vermöge seines Lebensalters zufällt. Daß die kommunistischen Reden der Frau Zetkin lediglich eine Verherrlichung des Programmes ihrer Partei sind, daß sie auch ihren zweiten Auftrag, die Sowjetrepublik zu verherr lichen, treu und folgsam erfüllt, versteht sich von selbst. Aber alle Angriffe, denen selbst die eigene Fraktion nur hier und da Beifall spendet, prallen ab an der ehernen Ruhe des Hauses. Nachdem Frau Zetkin unter dem Beifall ihrer Gesinnungs genossen ihre Rolle zu Ende gespielt hat, ersolgt die gcschäfts- ordnungsmäßige Abwicklung der weiteren Maßnahmen zur Konstituierung des Hauses, und zwar auch jetzt mit einer Ruhe, die in einem fast prickelnden Gegensatz steht zu den politische: Spannungen außerhalb des Hauses. Sogar die Präsidentenwahl kommt gleich in der ersten Sitzung zustande, ohne daß es zu irgendwelchen lebhafteren Auseinandersetzungen dabei kommt. * Rcichstagspräsident Göring. Esser (Ztr.) Erster Vizepräsident * Sitzungsbericht. 1. Sitzung. 66. Berlin, 30. August. Die Eröffnungssitzung des Reichstages vollzog sich in völliger Ruhe. Die nationalsozialistischen Abgeordneten waren sämtlich in Uniform erschienen. Die deutschnationalen Mit glieder waren zunächst nicht im Saale anwesend. Die Tri bünen waren überfüllt. Auf dem Präsidentenstubl nahm die Mitteilung. Da der Kanzler in Münster es ausdrücklich abgelehnt hat, die Wiederaufbauarbeit dem parlamentari schen Wechselspiel zu überlassen, so muß man erwarten, daß selbst ein Zusammengehen von Zentrum und Na tionalsozialisten im Reichstag an den Entschließungen des Reichspräsidenten nichts mehr ändern kann. kommunistische Abgeordnete Frau Klara Zetkin als Mterspr§7 sldentin Platz. Die alte kränkliche Frau wurde von Fraktions- Mitgliedern zu ihrem Sitz geleitet und mit einem dreifachen „Rot-Front!" begrüßt. Sie vermochte nur mit Mühe die schwere Glocke in Bewegung zu setzen. Zu irgendwelchen Gegendemonstrationen kam es im Saale nickt. Frau Zetkin berief zunächst Vertreter der Kommunisten, der Sozialdemokraten, des Zcmrnms und der Bayerischen Volkspartei in das vorläufige Büro und hielt eine Ansprache, in der sic von der Arbeitslosigkeit, von der aus dem Fernen Osten drohenden Kriegsgefahr und vom Kampf gegen den Faschismus sprach. Ihre Ansprache wurde ohne jede Gegen- kundgebung angehört. Daraus ersolgt der Namensaufruf durch die Schriftführer, der längere Zeit in Anspruch nimmt. Nach Verlesung von vier zehn dem Reichstag in der Zwischenzeit zugegangenen Vorlagen der Reichsregicrung über Notverordnungen usw beschließt das Haus die Freilassung zweier in Haft genommener Abgeordneter der KPD. und der NSDAP, zu beantragen. Dann erklärt die Attcrspräsidenün Frau Zetkin die Beschlußfähigkeit des Hauses und es wird sofort zur Wahl des Präsidenten und seiner drei Stellvertreter geschritten. Zum Präsidenten schlägt Abg. Frick (Nat.-Soz.) den Abg. Göring (Nat.-Soz.), während Abg. Rädel (Kom.) den Abg. Torgler (Kom.) in Vorschlag bringt. Aba. Dittmann (Soz.) teilt mit, daß seine Fraktion fiir den bisherigen Prä sidenten, den Abg. Loebe, stimmen werde. Göring Reichstagspräsident. Mit 367 Stimmen wird Abg. Göring zum Präsidenten des deutschen Reichstages gewählt. Abg. Löbe (Soz.) erhielt 153 Stimmen, Abg. Torgler (Kom.) acht Stimmen, Abg. Stöhr (Nat. Soz.) eine Stimme. Abg. Göring, der den Orden pour le msrite, das Eiserne Krenz erster Klasse und andere Orden angelegt hatte, begibt sich unter den Hritruscn seiner Fraktions- freunde zum Präsidentenplatz. Er übernimmt das Amt deS Reichstagspräsidenten mit einer kurzen Rede, in der er erklärt, oaß er das Ami stets gerecht führen würde. Es folgt die Wahl des ersten stellvertretenden Reichstagspräsidenten. Der erste Wahlgang blieb ohne Entscheidung, da dem Abg. Esser (Zentr.) acht Stimmen an der notwendigen Mehrheit fehlten. Es kommt daher zu einer Stichwahl zwischen Abg. Esser (Zentr.) und Abg. Löbe (Soz.). In der Stichwahl wurde der Zentrumsabgeordnete Esser mit 387 gegen 135 Stimmen, die für den Abgeordneten Löbe iSoz.) abgegeben wurden, zum Ersten Stellvertretenden Prä sidenten gewählt. 87 Stimmen waren ungültig. Die Wahl der Vizepräsidenten im Reichstag. Nach der Wahl des Abg. Esser (Zentr.) zum 1. Vizepräsi denten schlägt sür die Wahl des 2. Vizepräsidenten Abg. Steinhofs (Dtn.) den Abg. G r a e f - Thüringen (Dtn.) vor, der Abg. Dittmann (Soz.) seinen Fraktionsgenossen Abg. Löbe. Von kommunistischer Seite wird der Abg. Torgler in Vorschlag gebracht. Zum Zweiten Vizepräsidenten wurde der Abg. Graes- Thüringen (Dtn.) gewählt. Die Wahl erfolgte mit 335 von 552 gültigen Stimmen. 135 Stimmen werden für den Abg. Löbe (Soz.) und 78 Stimmen sür den Abgeordneten Torgler (Komm.) abgegeben. Die Wahl des Dritten Vizepräsidenten ergibt für den Abg. Rauch (Bayer. Vp.) 350 Stimmen, für den Äbg. Löbe 124 Stimmen. Der Rest entfällt auf den Äbg. Torgler «Komm.). Sowohl der Abg. Graes wie auch der Abg. Rauch- München nehmen die Wahl zum Vizepräsidenten an. Es folgen die Wahlen der Schriftführer. Vertagung des Reichstags. Das Parlament gegen seine Ausschaltung. Der Präsident gibt dann die Mitglieder des Ausschußes zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung und des Aus wärtigen Ausschusses bekannt. Präsident Göring fährt dann fort: Ferner bitte ich das Haus um die Ermächtigung, daß ich dem Herrn Reichs präsidenten in einem Telegramm die Bitte ausspreche, daS Präsidium des Reichstages nicht, wie eS die Form vorschreibt, gelegentlich, sondern unverzüglich zum Vortrag zu empfangen. (Gegen diesen Vorschlag des Präsidenten er hebt sich kein Widerspruch.) In den letzten Tagen häufen sich, so fährt der Präsident fort, in der Presse aller Richtungen die Nachrichten über eine beabsichtigte Ausschaltung deS Reichstages. Der Reichstag soll nämlich über keine arbeits- sähige Mehrheit verfügen. Das deutsche Volk und daS Aus land werden durch solche Nachrichten mehr und mehr beun ruhigt. Als Präsident des Deutschen Reichstages weise ich der artig unverantwortliche Gerüchte zurück. Ich bin fest davon überzeugt, daß der Herr Reichspräsident nur gemäß der von ihm an dieser Stelle beschworenen Verfassung . .. (Zwischen rufe aus der Linken führen zu einer kurzen Auseinander setzung mit dem Präsidenten). Ich stelle fest vor den Augen des deutschen Volkes, daß die heutige Sitzung und vor allem die Wahl des Reichstags- Präsidiums eindeutig erwiesen hat, daß er über eine große arbeitsfähige nationale Mehrheit verfügt und somit in keiner Weise der Tatbestand eines staatsrechtlichen Notstandes ge- geben ist. (Beifall.) Ich bin überzeugt, daß ^r Reichstag die schweren Aufgaben erfüllen wird, die feiner harren. Zum erstenmal besitzt der Reickstag wieder elne natto- nale Mehrheit, die ibn bekäbiaen wird. daL Volk aus MMufferTageblatt Nr. 204 — 91. Jahrgang Wilsdrusf-DreSden Telegr.-Adr.: „Amtsblatt" Postscheck: Dresden 2640 Mittwoch, den 31. August 1932 Rationale Tageszeitung für die Landwirtschaft, Da, »Wilsdruffer Tageblatt- erscheint an allen Werktagen nachmittags s Uhr. Bezugspreis monatlick 2,— RM. ziel Haus, vri Poftbeftellung 1,80 RM. zuzüglich Bestellgeld. Einzelnummern 10 Rpsg. Alle Postonstallen, Post dolen und unsere Aus- ,, lrögerundGeschästsstellen nedmen zu iedei steil Br. 26ochenhla11 für WtlsdrUff u. Hingkgend steliungen enlgegen. 5m stalle höhere, Dcwalt, - Krieg oder sonstiger Bc- trirdsstkrungen deslehl dein Anspruch aus Rescrnng der Zeilung oder Kürzung drs Bezugspreises. — Rücksendung eingesandter Schriftstücke ersolgt nur, wenn Porto dlUilzl. für Bürgertum, Beamte, Angestellte u. 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