Volltext Seite (XML)
MlsdnifferTageblatt Nationale Tageszeitung für die Landwirtschaft, Das »Wilsdruffer Tageblatt» erschein I an allen Werktagen nachmittags 5 Uhr. Bezugspreis monatlich 2,— AM. rei Hau», bei Pofibestellung 1,80 RM. zuzüglich Bestellgeld. Einzelnummern l<> Rpig. Alle Postanstallen, Post» n7r°n7^.°^ Wochenblatt für Wilsdruff u. Umgegend Lg°.7?n.'gM Falle höherer «ewalt, " " Krieg oder sonstiger Be- riebsstörungen besteht kein Anspruch aus Licsernng der Leitung oder Kürzung des Bezugspreises.-- Rücksendung eingefandter Schriftstücke erfolgt nur, wenn Porto beiliegt. für Bürgertum, Beamte, Angestellte u. Arbeiter AnzrigenpreiS! di« rgripalttn« S aumzcilr 2V Bpsg-, di« 4gespaIten«8rUe der amtlicheu Bedanntmochungrn 4V S «>»»» ps-nnig«, dir Sgrspaltcne Sieklamczeil« im tertlichen Tril« 1 RMK. o achweisungsgrbühr ro Beichspsrnnige. Bor. Fernsprecher: Amt Wilsdruff Nr. 6 annahmebisoorm.IOUHr. Für die Richtigkeit der durch Fernruf übermittelten Anzeigen übern, wir keine Garantie. Jeder Aabattansprnch erlischt, wenn der Betrag durch Klage eingczogen werden must oder der Auftraggeber in Konkurs gerät. Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschaft Meißen, des Amts gerichts und des Stadtrats zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte Blatt Nr. 259 — 91. Jahrgang Telegr.-Adr.: .Amtsblatt' Wilsdruss-DreSden Postscheck: Dresden 2640 Freitag, den 4. November 1932 Zaleskis Sturz. Immer mehr lichtet sich der Kreis jener Staats männer, die in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahr zehnts in Genf vor oder hinter den Kulissen eine politisch bedeutsame Rolle spielten. Stresemann ist tot und sein Gegenspieler Briand folgte ihm nicht allzu lange Zeit später ins Grab. Austen Chamberlain, der vielgewandte und sich oft wendende Vertreter des konservativen Eng lands, ist sozusagen politisch verschollen — und nun hat auch Herr Zaleski, Polens langjähriger Außenminister, recht plötzlich ins politische Gras beißen müssen. Das geschah außerdem in einem Augenblick, da der Motor außen-, man darf vielleicht sagen: weltpolitischen Ge schehens mit höchster Tourenzahl arbeitet und gerade Zaleski an der Einschaltung dieses Tempos eifrig mit gewirkt hat. Die durchaus nicht verhüllte Diktatur Pilsud - skis in Polen läßt natürlich die Vermutung zu, daß bei der überraschenden Absägung des bisherigen Außen ministers und bei seiner Ersetzung durch einen der in timsten Vertrauten des Diktators allerhand persön liche Gründe mitgesprochen haben. Sein Nachfolger, der jugendliche Oberst Beck, war früher Pilsudskis Adju stant und sprang von hier aus empor auf den Posten des Staatssekretärs im Warschauer Auswärtigen Amt, nach dem er vorher ein kurzes Gastspiel in Paris als polnischer Militärattache gegeben hatte, um sich auf diese Weise in die Diplomatie 'hineinzusuhlen. Da aber für Zaleski selbst die französische Hauptstadt, genauer gesagt: der Quai d'Orsay, also das dortige Auswärtige Amt, den Dreh punkt der polnischen Außenpolitik darstellte, stand der bis cherige Außenminister Polens mit einem Fuß immer in Paris und zog sehr oft und stets dann auch den anderen Fuß nach, ehe wieder einmal in Genf der Vorhang vor der dortigen politischen Bühne hochging. Das Zusa'mmen- spiel mit dem großen französischen Partner klappte denn auch meist ganz ausgezeichnet. Alis dieser seiner sechsjährigen Tätigkeit kennen Wir ^Deutschen Herrn Zaleski ja bester als uns lieb ist! Und -so schmerzlich es für uns ist, dies feststellen zu müssen, — Zaleski hat cs in den schier unzähligen Fällen, in denen «nicht bloß von amtlicher deutscher Seite, sondern auch durch die deutschen Vertretungen und Organisationen in jPolen Angriffe auf ihn wegen der schandbaren Deutsch- Lumsverfolgung von Ostoberschlesien bis hinauf zum Kor ridor unternommen wurden, mit Geschick verstanden, diese Beschwerden in Genf versacken zu lassen, selbst dann, wenn Las schreiendste Unrecht seines Staates offen "bor aller Welt vorhanden war. .Spätere Niederlagen Polens vor dem Haager Staatsgerichtshof nahm man in Warschau weiter nicht tragisch, weil den Herren Richtern jede Mög lichkeit dafür fehlte, ihre Entscheidung durchzusetzen oder durchführen zu lassen. Derartige Hindernisse umging Zaleski dann auf krummen Wegen oder ließ sie gerades wegs mit Gewalt beseitigen. Ihm haben sie niemals er- chebliche Sorgen gemacht; rnn so flüssiger entquollen seinem Munde die üblichen Genfer Phrasen von „Völkerver- söhnung" und dem „Geist der internationalen Verständi gung". Mit dem Sl dieser Nethorik versuchte und ver stand er es, die etwaigen Stürmchenwogen im Genfer Wasserglase schnell zu beruhigen. Stand doch hinter ihm als starker Helfer die französische Freund schaft. Da war es leicht, den Kampf gegen Deutschland Zu führen und für Frankreich die Wacht im Osten zu Halten. Sprach doch auch Briand einmal von dem „lästigen Treiben" der Minderheitenvertreter in Genf! Gewiß hat Zaleski in seiner Politik strategisch und taktisch dem leisesten Winke gehorcht, der von Pilsudskis Kand kam. Aber es scheint fast, als ob er dem Diktator zu eng nnd zu tief in die Maschen der größeren, der kon tinental-europäischen Politik Europas verstrickt sei und darüber näherliegende Probleme der polnischen Außen politik mit lässigerer, wenig erfolgreicher Hand bearbeitete. Zwar hat er den Nichtangriffspakt mit Rußland unter zeichnet, aber die Vorbedingung für besten Inkrafttreten — Rumäniens gleichartiger Abschluß mit der Moskauer Regierung — wurde wegen des Streits um Bessarabien muht erfüllt. Auch die Beziehungen zu Frankreich be gannen etwas kühler zu werden; die französische Militär- ^niffion verließ Warschau und kurz darauf erhielt man Hort die schmerzliche Mitteilung, daß die Pariser Re gierung bzw. die dortigen Großbanken sich vorläufig nicht Ln der Lage sähen, die zweite Teilzahlung für den Bau Ler Bahn von Ostobcrschlesien nach Gdingen zu leisten. Zaleski scheiterte mit seinem Vorschlag an Herriot, der -Betrag solle doch einfach im französischen — Staatshaus halt als Ausgabe eingesetzt werden; denn dafür zeigte Herriot ,eine bemerkenswert kalte Schulter. Alarmnachrichten kommen in jüngster Zeit auch über eine erhöhte polnische Aktivität gegen Danzig. Warschau wendet also seinen Blick außen politisch mehr auf seine „nähere Umgebung". Und eine solche Konzentration auf die unmittelbarste, rein macht- politische Expansion ist möglicherweise auch der Grund idasür gewesen, dem „Zivilisten" Zaleski das Amt zu Entziehen und es einem Militär zu übertragen. Der dürfte mit größerer Unbedenklichkeit das schwelende Feuer an der Weichsel zur Flamme cmporlodern lastens Berlin ohne Verkehrsmittel. Verkehrsflreik in Berlin. Unter Führung von Nationalsozialisten und Kommunisten. Rund zwei Millionen Berliner müssen alltäg lich die Straßenbahn, die Autobusse oder die Untergrund bahn benutzen, um zur Arbeitsstelle zu kommen. Man kann sich die Überraschung vorstellen, als diese Millionen am Donnerstagmorgen an den verschiedenen Haltestellen vergeblich auf ihre Verkehrsmittel warteten, die U-Bahn- höfe verschlossen fanden, und dann in strömendem Regen in oft stundenlangem Marsch den Weg zu Fuß machen mußten. In den Betrieben gab es viel Ärger und Ver zögerungen, und gar mancher hat sich bei dem eiligen Lauf ins Geschäft im Regen eine Krankheit geholt, denn bei den meisten Menschen ist heute das Schuhwerk für solche Überraschungen im Herbstregen nicht eingerichtet. Seit Tagen schon hatte man davon gelesen, daß bei der öerliner Verkehrsgesell schäft Lohnstreitig- kciten bestehen; es handelte sich um eine Stundenlohn- kiirznng von zwei Pfennigen. Man hatte auch von Streik- zefahr gesprochen, aber niemand glaubte ernstlich daran, zumal noch am Abend vorher bekannt wurde, daß eine Urabstimmung der Belegschaft gegen den Streik aus gefallen sei. Seit 1923 hat Berlin keinen solchen Streik mehr erlebt. In der Nacht zum Mittwoch ist es der national sozialistischen Betriebszellenorganisatkon in der Berliner Verkehrsgesellschaft zusammen mit den lommunistischen Organisationen gelungen, den wilden Stxeik durchzudrücken. Die Gewerkschaften sind gegen den Streik. Als die Massen am Morgen zu den Bahnhöfen kamen, fanden sie vor den geschlossenen Toren nationalsozialistische und kommunistische Streikposten vor. Es ist natürlich auch bald zu Zusammenstößen zwischen Arbeitswilligen und Streikenden kommen. Unter dem Schutz von Polizetantos konnten einige Straßen bahnlinien in Betrieb genommen werden. In der Öffentlichkeit hat der Streik natürlich gar keine Sympathien, besonders in dieser Jahreszeit richt. Die wenigsten können sich ein Auto leisten, viele holen ihre Fahrräder hervor, wobei natürlich bei dem starken Autoverkehr große Unfallgefahr besteht. Afte Bferdedroschken kommen wieder zu Ehren, ja man sah sogar Leute, die sich mit dem Roller fortbewegtH. Die ganze arbeitende Bevölkerung wird durch den Streik auf das empfindlichste getroffen, und das Publikum auf der Straße macht seinem Ärger über die Streikurheber auch recht kräftig Luft. In politischen Kreisen weist man besonders auf die Tatsache hin, daß die Nationalsozialisten mit den Kommunisten gemeinsam gehen, und erinnert daran, daß die nationalsozialistische Presse gerade dieser Tage kom munistische Geheimdokumente veröffentlicht hat, in denen Streikplänezur Herbeiführung eines Umsturzes enthüllt wurden. Mel vermerkt wird auch, daß im Aufruf der nationalsozialistischen Streikleitung angekündigt wird, daß dieser Streik nur der Anfang zu größeren Aktionen der nächsten Zeit sei, woraus man schließt, daß der Streik mehr politische als wirtschaftliche Absichten verfolgt. Me es zum Streit kam. In der Nacht zum Mittwoch sollte die Belegschaft der Gesellschaft in einer Urabstimmung über eine von der Direktion geplante Kürzung der Stundenlöhne um zwei Pfennige entscheiden. Dabei wurde von vorn herein erklärt, daß sich nach dem Statut der Gewerkschaft zwei Drittel der Belegschaft für den Streik aus- sprechcn müßten, wenn er von der Organisation sanktio niert werden solle. Von den etwa 22 000 Beschäftigten hatten sich nun bei der Urabstimmung 14 500 für den Streik und gegen die Lohnkürzung erklärt. Eine Zweidrittelmehrheit war also nicht erreicht worden. Nachdem man zunächst angenommen hatte, daß auf Grund dieses Streikbeschlusses der hauptsächlich von Kommu nisten, Nationalsozialisten und Nichtorga nisierten beschickten Delegiertenkonferenz es nur zu einigen wilden Teilstreiks kommen würde, ruhte am Donnerstagmorgen allgemein auf allen Betriebsbahn höfen die Arbeit. Arbeitswillige, die zu ihrer Arbeits stätte kamen, mußten wieder uinkeh-ren, da die zahlreich aufgestellten Streikposten ihnen den Zugang verwehrten. Die Polizei hatte auf Anforderung seitens der BVG. die Betriebsbahnhöfe besetzt. Die Mannschaftswagen, die, wie üblich, die Belegschaft zu ihrer Arbeitsstätte fahren wollten, wurden trotz polizeilicher Bedeckung mit Steinen beworfen und zum Teil demoliert, so daß sie wieder zurückgezogen werden mußten. Der Betrieb bei der Straßenbahn wurde zunächst teilweise ausgenommen. Das Publikum wurde aber gczwnnge», die Wagen zu verlassen. Man hatte entweder dem Weichensteller die Stange weg genommen oder die Leine der Stromabnehmerstange durchschnitten, so daß die Wagen nicht fahren konnten. Die Wagen wurden teilweise mit Steinen be worfen, so daß Scheiben zertrümmert wurden. Auch hatte man die Weichen mit Sand und Steinen gesperrt. Straßenbahnwagen sind auf verschiedenen Bahnhöfen be schädigt worden. Nationalsozialistischer Aufruf für den Streik. Die nationalsozialistische Betrkebs- zellenabteilung, Gau Groß-Berlin, hat einen Aufruf erlassen, in dem es u. a. heißt: Die Urabstimmung des Personals der Berliner Ver kehrsgesellschaft hat in einer überwältigenden Mehrheit den Streik gegen den neuen Lohnabbau beschlossen. Dar über hinaus wird der Streik der BVG.-Bediensteten von der nationalsozialistischen Betricbszellenorganisation als wirtschaftlich berechtigt anerkannt. Es muß endlich ein mal Schluß gemacht werden mit der ewige« Lohn kür z e r e i. Dieser VerkehrsstretL m Berlin oürfte nicht der Schluß, soudern wahrscheinlich die Auflassung zu größeren Streikaktionen für die nächste Zeit sein. Nene Erklärung der NSDAP. Die Reichspressestelle der NSDAP, teilt zu dem Streik bei der Berliner Verkehrsgesellschaft mit: Die Nationalsozialisten lassen es nicht zu, daß unter der Ne gierung von Papen die Lebenshaltung deutscher Arbeiter auf ein noch tieferes Niveau heruntergedrückt wird als auf Grund einer Notverordnung, die sich anerkannter maßen lediglich zugunsten der Großbanken auswirkt, ohne daß im übrigen die geringste Aussicht für eine wirkliche Ankurbelung der Wirtschaft besteht. Die Nationalsozialisten vertreten im Gegenteil den Standpunkt, daß alle weiteren Lohnkürzungen infolge der dadurch bedingten Minderung der Kaufkraft vor allem neue Schädigungen der gesamten Wirtschaft im Gefolge haben müssen. Demgemäß nehmen die Nationalsozialisten das Interesse der Gesamtheit wahr, indem sie sich direkt an dem Streik der BVG. zur Verhinderung dieser wirtschaftsschädigenden Lohnkürzun gen beteiligen. * In einer Unterredung zwischen dem Berl in ei Polizeipräsidenten Melcher, Polizeikommandeur Oberf Polen, Regierungsdirektor Kretzschmar und den zuständi gen Regierungsstellen wurde von Rcgierungsseite di, Ansicht vertreten, daß es sich bei dem Berliner Verkehrs streik »meinen ungesetzlichen Streik handele gegen den ein energisches Vorgehen gerechtfertigt sei. Gewerkschaften lehnen den Schiedsspruch ab. In der BVG.-Streiksachc in Berlin wurde folgen der Schiedsspruch gefällt: Die Löhne werden für all, Kategorien, mit Ausnahme der Fahrkartcnausgeberinncn, nm 2 Pfennige gekürzt. Das Lohnabkommen gilt bis 31. Dezember 1932 mit vierwöchentlicher Kündigung. Der Manteltarif wird bs 31. März 1933 verlängert. Er ist sechs Wochen vorher kündbar und gilt im übrigen, falls keine Kündigung eintritt, für ein weiteres Jahr. Die Ge- werkschaften lehnten diesen Schedsspruch ab. Die BVG hat ihn angenommen. Der Schiedsspruch för die Berliner Verkehrsgeseüfchaft verbindlich. Der Schlichtungsausschuß für Groß-Berlin hat den BVG.-Schiedsspruch, der von der BVG. angenommen und von den Gewerkschaften abgclehnt worden war, für ver bindlich erklärt. Die BVG. wendet sich nunmehr in einem plakatierten Aufruf an sämtliche Arbeitnehmer mit der Aufforderung, die Arbeit bis spätestens Freitag, den 4. November, mittags 2 Uhr wieder aufzunchmen, widrigenfalls die fristlose Entlassung erfolgt. * Vor dem Ende des Streikes? Wie von nationalsozialistischer Seite verlautet, werden die nationalsozialistischen Mitglieder der BVG. nach der Verbindlichkeitserklärung des Schiedsspruches den Streik nicht weiter führen. ,Aote Fahne" und ,Welt am Abend" aus acht Tage verboten. Die „Note Fahne" teilt mit, daß der Verlag des Blattes vom Polizeipräsidenten ein Schreiben erhalten habe, in dem die „Rote Fahne" auf acht Tage bis zum 12. November (einschließlich) verboten wird. Die kommu nistische „Welt am Abend" ist ebenfalls vom Berliner Polizeipräsidenten bis zum 12. dieses Monats verboten worden.