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für Bürgertum, Beamte, Angestellte u. Arbeiter Nationale Tageszeitung für die Landwirtschaft, Das „Wilsdruffer Tageblatt" erscheint an allen Werktagen nachmittags 5 Uhr. Bezugspreis monatlich 2,— RM. Kei Harrs, bei Pofibestellung 1,80 RM. zuzüglich Bestellgeld. Einzelnummern 1V Rpsg. Alle Postanstalten, Post boten und unsere Aus- träger und Geschäftsstellen Uehmen zu jeder Zeit Be- sUT U. ÜMZLgbNÄ stellungen entgegen. Im Falle höherer Gewalt, Krieg oder sonstiger Be ¬ triebsstörungen besteht kein Anspruch aus Lieferung der Zeitung oder Kürzung des Bezugspreises. — Rücksendung eingesandter Schriftstücke erfolgt nur, wenn Porto beiliegt. Fernsprecher- Amt Wilsdruff Nr. 6 durch F-rnru! üb°rmi.,°I.-n Anisen üd-ru. wir d«ur GaranM. Jede. B°d°„°u1uruü rr,iiZ7w-nü d^BräuÜ'durch Klage eingezvgeu werden mutz oder der Auftraggeber in Konkurr gcrai. ° Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschast Meiken des Amts- gerickts und des Stadtrats zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte Blatt. Nr. 117 — 91. Jahrgang Telegr.-Adr.- „Amtsblatt" Wilsdruss-Dresden Postscheck: Dresden 2640 Sonnabend, den 21. Mai 1932 Neue Steuern für Erwerbslssensürsorge Zwischen Krieg und Frieden. Gelächter des Kriegsgottes — Der Sprung über den Sicher heitsgraben — Wirtschaftskrieg oder Wirtschaftsfrieden. Man hat seit dem Ende des Weltkrieges Friedens verträge, Nichtangriffspakte usw. zu Dutzenden ab geschlossen, hat de^ Krieg außerdem in Paris noch extra mit besonderer Feierlichkeit und allgemeiner Unterschrift „geächtet" und eine ganze Rieseneinrichtung — den Völkerbund — geschaffen, die vor allem darauf aufzupassen hat, daß der Kriegsgott Mars auf dem vom vierjährigen Weltkrieg zermürbten Erdball keinen neuen, blutigen Unfug anrichtet. Und der Erfolg? Jener Kriegsgotl kann sich über Mangel an Inanspruchnahme nach wie vor nicht beklagen und sieht mit grimmigem Lächeln zu, wi« man sich in Genf darüber herumstrettet, ob überhaupt und welche Waffen ihm abgenommen werden sollen. Er hat noch einen Bundesgenossen. Ein einfaches Wort ist es, aber in diesem steckt ein ebenso unklarer wie mörderische- Begriff: „Sicherheit". Der mordet die Abrüstungs wünsche oder wird als Mörder dieser Wünsche vorgeschickt Was dieses kleine Wort an großen, stets verhängnisvoller Wirkungen auf die politischen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich ausübte und noch ausübt, wissen wir Deutschen nur allzu genau, und es bedurft« nicht erst weiterer Beweise dafür, wie etwa ein Massen wahlplakat an allen Mauern und Häusern in Frankreich, das den dortigen Sieg der Linken gleichsetzen wollte mit dem Aufgeben der militärisch garantierten „Sicherheit" Frankreichs, und zu diesem Zweck — den Einmarsch der deutschen Heere in das in Flammen ausgehende Frankreich darstellte. Und aus „Sicherheitsgründen setzt Japan seine kriegerische Expansionspolitik in der Nord-Man dschurei jetzt, nach der Regierungsumwälzung, vielleicht mit noch schärferen Mitteln und rücksichtsloserer Energie jL"' "B leine „Einflußsphäre" nach dieser „bedrohten* «eite hm zu „schützen". Was beileibe kein Krieg sei unk Vertragsverpflichtungen — siehe oben — verstoße! Man hört ordentlich des Kriegsgottes dröhnen- des, Waffenklirrcndes Gelächter darüber, — aber wenn ei lacht, dann weinen die Völker. Und welch« „Sicherheit" ist gefährdet, wenn die Genfer Abrüstungs konferenz die Abschaffung der schweren Angriffswaffen tatsächlich und jeder Art beschließen, durchsetzen und kon trollieren würde? -i- Entsprechende Anträge liegen ja in Genf vor. Mau müßte dort aber nicht bloß einen sehr großen Schritt, sondern geradezu einen Sprung tun, — über der Graben „Sicherheit" bzw. „Sicherung" hinweg. Aber zu diesem Sprung reichen in Genf bei den entscheidender „Volksvertretungen" weder die Kräfte des Geistes aus, noch auch nur die des Wollens. Es ist bequemer, diesseits des Grabens zu bleiben, alles oder möglichst alles so zu lassen, wie es ist, — und darum lehnte man den deut - sehen Antrag auf Abschaffung der aller schlimmsten Angriffswaffe, nämlich der Mil i- tärflugzeuge, rundweg ab. Dieser Antrag bezog sich ausdrücklich auf das VersaillerVerbot jegliche, Luftbewaffnung für Deutschland und war somit auch de, erste Vorstoß der deutschen Vertretung, zunächst auf diesem Gebiet des militärischen Flugwesens mindestens grund sätzlich die Gleichberechtigung Deutschlands mit den anderen Nationen herbeizuführen. Und zwar in Richtung auf die allgemeine Abrüstung oder eine stark« Rüstungsverminderüng. In dem zuständigen Ausschuß der Konferenz ist dieser deutsche Antrag aber gerade mit oder wegen seiner „politischen", weil sich auf das Versailler Entwaffnungsdiktat beziehenden Begründung abgelehnt worden. Und zwar auch von Mächten, die in Genf das Verbot der Angriffswaffen beantragt haben! Ist nach diesem Scheitern eines ersten ernsthaften Ab rüstungsvorschlags überhaupt noch zu hoffen, daß man später doch einmal einen Sprung über jenen Graben, von der ständigen Kriegsdrohung zu einer wirklich den Frieden sichernden Abrüstung hinüber tut? Was der künftige Ministerpräsident Frankreichs, Herriot, darüber sagt, dürfte allerdings die letzten Illusionen über ihn in Deutsch land zerstören. In einem ihm nahestehenden Blatt billigt er ausdrücklich die Absichten Paul Boncours — der doch von Tardieu als französischer Vertreter nach Genf ent sandt worden ist! —, daß Frankreich „auf den grund sätzlichen Positionen verharren müsse, die die letzte Regierung (also: Tardieu) in Genf eingenommen habe". Und das heißt mit anderen, in dem gleichen Herriot-Blatt gesagten Worten, daß Frankreich Rüstungs beschränkungen — nicht aber eine Abrüstung — nur in dem Maße vornehmen werde, als „die Sicherheit zwischen den Staaten durch Sanktionsrechte und internationale Streitkräfte garantiert fei." Von hier aus ist also nur noch ein kleiner Schritt bis zu Tardieus Vorschlag der „Völkerbundarmee". * Als Herriot jenen Artikel schrieb, schielte er mit einem Auge hinüber zu den gegenwärtigen überaus ge spannten innenpolitischen Verhältnissen Deutschlands. Daß auf diese eine schwere Ent täuschung in Genf, also eine allzu kümmerliche Ab- Vor den neuen MöSMimngen. Das Finanz- und Wirtschaftsprogramm der Reichsregierung. Die Beratungen der Reichsregierung über dasFinanz- und Wirtschaftsprogramm, das demnächst durch Notver ordnungen in die Tat umgesetzt werden soll, gehen jetzt dem Ende entgegen. Im Reichsfinanzministerium und im Neichsarbeitsministerium hat bereits die Ausarbei tung der Vorlagen begonnen, deren Grundzüge das Reichskabinett in seinen Beschlüssen über das Finanz- und Sozialprogramm gebilligt hat. Die Verlängerung der Krisen st euer, die bis zum 31. Dezember befristet war und bis 31. März 1933 verlängert wird, soll einen Mehrertrag von 45 Millionen Mark erbringen. Da dieser Betrag zur Deckung der Kosten der Arbeitslosenfürforge nicht ausreicht, kommt die Be- schSstigungssteuer,die sämtliche beschäftigten Per sonen, also auch dieBeamten umfassen soll, die bisher von der Krisensteuer befreit waren. Die Beschäftigungs steuer wird im Durchschnitt 1>L Prozent des Einkommens betragen. Um ihren besonderen Charakter als einer Ein nahme für soziale Unterstützungszwecke deutlich zu kenn zeichnen, wird die Erhebung eventuell über die Kranken kassen vorgenommen werden. Der Ertrag der Bcschäfti- gungssteuer für Zwecke der Arbeitslosenunterstützung wird auf 300 Millionen Mark geschätzt« Oie Änderung der ArbsiisissLnversicherung. Die Auswirkungen der von der Reichsregierung beab- sichtigten Verkürzung der Arbeitslosenversicherungsdauer werden voraussichtlich darin liegen, daß die Erwerbslosen m Zukunft statt nach 20 Wochen bereits nach 13 oder 16 Wochen der Krise nfürsorge zn- gewiesen werden, was dann für sie eine Verkürzung der Leistungen, nämlich den Bezug der Krisenunterstützungs sätze bedeutet. Für die daraus entspringende höhere Be lastung der Gemeinden sind Sonderzuweisungen an die Gemeinden beabsichtigt. In welcher Form das geschehen wird, steht noch nicht fest. Es besteht die Möglichkeit, daß die Beiträge des Reichs und der Gemeinden zur Krisen- fürforge, die jetzt vier Fünftel bzw. ein Fünftel betragen, anders aufgeteilt werden, oder daß man den Gemeinden eine bestimmte Zuweisung aus Reichsmitteln gibt. Die rüstungs„etappe", nicht ohne Rückwirkungen bleiben kann, ist auch Herriots Überzeugung, und veranlaßt ihn zu der Empfehlung, in Genf zu einer solchen „Etappe" zu kommen, mit der sich die Regierung Brüning jener Ent täuschung politisch entgegenwerfen könne. Seltsam malt sich in Herriots Kopf die deutsche Welt, obwohl er uns doch schon mehrfach „die Ehre gab"t Und er fügt hin sichtlich der Revisionsfrage der deutschen Tribute als Auftakt für Lausanne auch wieder hinzu, daß Frankreich sein „unbestreitbares Recht auf die Reparationen nicht preisgeben werde" und diese Ansprüche mit den französischen Schuldverpflich tungen „ins Gleichgewicht gebracht werden müssen", die französischen Steuerzahler nicht die Kosten einer Revision tragen dürften. Nun aber wird die Art, ob und wie diese Revisionsfrage in Lausanne behandelt werden wird, von noch viel, viel größerer Rückwirkung auf die innenpolitischen und auf die wirtschaftlichen Ver hältnisse Deutschlands sein. Aber auch auf die vom Wirt schaftskrieg durchraste Welt! Wird man es in Lausanne Nun wieder nicht wagen, den Sprung hinüber zu tun zum Weltwirtschaftssrieden? Dr. Pr. Schlechte Aussichten sm Lausanne. Trotz seines Entschlusses, bis zur Negierungsncu- bildung nur laufende Angelegenheiten zu erledigen, führt Tardieu diplomatische Besprechungen zur Vorbe reitung der Lausanner Konferenz. Er ver sucht eine'Annäherung zwischen der französischen und eng lischen Auffassung über die Tribute herbeizuführen. Auf welcher Grundlage diese Annäherungsversuche geführt werden^ kann man aus einer halbamtlichen französischen Meldung über die Lösungsmöglichkeiten auf der kommen den Lausanner Konferenz ersehen. Diefe werden folgender maßen umrissen: E i n M o r a t o r i u m sämtlicher politischer Schulden, d. h. Reparationen und interalliierte Schulden. Entgegen den mutmaßlichen deutschen Forderungen werde man auf einem Moratorium und nicht auf der Annul lierung bestehen, um für die Zukunft eine Neuregelung vorzubehalten und gleichzeitig die Vorschläge des Baseler Sachverständigen-Ausschusses zu berücksichtigen. Ein Teil der amerikanischen Einwände könnte zerstreut und gleich zeitig eine Atmosphäre des Vertrauens geschaffen werden. Unterstützungssätze der Krisensürsorge werden aller Wahr scheinlichkeit nach nicht weiter abgebaut. Bei der Heranziehung der Beamten zur Krisen st euer handelt es sich um eine neue Belastung der Beamtenschaft, da die bisher vorgenommenen Gehalts kürzungen in vollem Umfange aufrechterhalten werden. Mit den Fragen der Invaliden-, Unfall- und Knappschafts versicherung wird sich das Neichskabinett erst am Sonn abend befassen. Die Frage der Prämienanleihe hat bei den letzten Beratungen im Kabinett noch keine Nolle ge spielt. Es ist noch vollkommen offen, ob das Kabinett die Vorschläge des Reichsfinanzministers wegen der Finan zierung der Arbeitsbeschaffungsplänc annehmen wird. Notverordnung erst Ende MsterWoche Schwierige Kabinettsberatungen. Das Kabinett trat zu der vorgesehenen Sitzung zu sammen, in der u. a. das Arbeitsbeschaffungsprogramn der Regierung besprochen wurde. Über die Aussprach« wurde strenge Vertraulichkeit vereinbart. Angesichts dei sachlichen Schwierigkeiten der Materie ist damit zu rech nen, daß die Beratungen des Kabinetts noch mehrere Tag« inAnspruch nehmen werden und sich bis in die Mitte näch ster Woche ausdehnen. Auch der Reichspräsident wird, wi« jetzt feststeht, erst Ende nächster Woche nach Berlin zurück kehren, so daß die neue große Notverordnung ihm erst dann zur Unterschrift vorgelegt werden dürfte. Die neue Steuernoiverordnuug. Berlin, 21. Mai. Lieber -den Inhalt der neuen Steuer- notverordnung, die in ihren -Grundzügen bereits feststeht, be richten Berliner Blätter folgende Einzelheiten: Die neue Be schäftigungssteuer wird -auch von den Beamten erhoben, nicht nur von den übrigen Beschäftigten aller Berufe, die sie neben -der Krisenst-euer zahlen müssen. Das Reichssmanzministerium rechnet, daß die neue Beschäftigungssteuer 325 Millionen Mk. bringt, davon sollen allein etwa 120 Millionen von den Be amten aufgebracht werden. Die Krisensteuer stellt insofern eine neue Einnahmequelle dar, als sie ursprünglich nur bis zum Ende dieses Jahres vorgesehen war und nun bis zum Ende des Etatjahres 1932/33 eingesetzt ist. Das ergibt eine Mehrein nahme von rund 45 Millionen Mark. Wesentlich ist, daß die neue Beschäftigungssteuer nur von Jahreseinkommen über wenn die an der Lausanner Konferenz beteiligten Mächte von sich aus und phne das Ende der Abrüstungskonferenz abzuwarten beschließen würden, freiwillig ihre Rüstungsausgaben einzuschränken. Um eine Besserung der wirtschaftlichen Lage in Europa durch zuführen und insbesondere die Donaustaaten vor dem Zusammenbruch zu retten, solle versucht werden, den französischen Vorschlag für den wirtschaftlichen Zu sammenschluß der Donaustaaten wieder aufzunehmen. Der Plan solle besonders durch eine Reihe von Vorzugsrechten erweitert werden, aus denen Frankreich, Polen, Deutsch land und Italien Nutzen zögen. Die strikte Ablehnung der deutschen Forderung auf Streichung der Reparationen, die erneut aus dieser halbamtlichen französischen Verlaut barung spricht, lassen die Aussichten der Lausanner Kon ferenz wenig hoffnungsvoll erscheinen, denn nach den letzten Äußerungen Herriots dürfte kein Zweifel mehr darüber bestehen, daß er die Reparationspolitik Tardieus fortsetzen wird. Für Reichskanzler Brüning aber ist es heute mehr als je unmöglich, eine Verlänge rung des Moratoriums und eine spätere Wiederaufnahme der Zahlungen selbst in geringer Höhe anzunehmen. Auch in London ist man sich darüber klar, daß die Fort setzung der späteren Wiederaufnahme der Tributzahlungen eine Bereinigung der Kriegsschuldenfrage verhindern würde. Es ist aber sehr fraglich, ob es England gelingen wird, in Lausanne seinen Standpunkt durchzusetzen und damit im eigenen Interesse Deutschland Seknndanten- dienste zu leisten. In amerikanischen Regle rn n g s k r e i s e n steht man gleichfalls einem Erfolg m Lausanne sehr skeptisch gegenüber. Die vorherrschende Ansicht in Washington ist, daß die Lausanner Konferenz die Unmöglichkeit, die Schuldenzahlungen fortzusetzen, feststellen, aber doch keinerlei Neuregelung für die Zahlungen finden wird. Man hält es für wahr scheinlich, daß die am 15. Juli fälligen Zahlungen irgend wie umgangen werden und die endgültige Zahlungs- rcgelung einer Konferenzmitden Vereinigten Staaten Vorbehalten wird. Es hat also den Anschein, als ob die Lausanner Konferenz das Schicksal ihrer zahlreichen Vorgängerinnen teilen und resultatlos verlaufen wird. Die wirt schaftlichen und innenpolitischen Auswirkungen einer ge scheiterten Konferenz für Deutschland sind allerdings nicht abzusehen.