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Ottendorfer Zeitung : 25.12.1914
- Erscheinungsdatum
- 1914-12-25
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-191412253
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19141225
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19141225
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-12
- Tag 1914-12-25
-
Monat
1914-12
-
Jahr
1914
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 25.12.1914
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Italien und der Vreibundvertrag. Das.Neue Budapester Abendblatt' erhält von seinem ständigen Mitarbeiter in Rom eine Mitteilung, die aus amtlichen italienischen Kreisen stammt und allgemeines Aufsehen machen dürfte. Sie lautet: .Italien hält sich streng an den Dreibund vertrag. Nicht nur an die Buchstaben, sondern auch an den Geist dieses im Jahre 1912 un verändert erneuerten Bündnisvertrages. Da die öffentliche Meinung in den verbündeten Staaten die Haltung Italiens mißdeutet, hat sich die italienische Regierung entschlossen, falls Deutschland und Österreich-Ungarn ihre Einwilligung geben, den Dreibundver tragzuveröffentlichen. Der Drei bund ist, wie dies von Ttttoni schon im Parlament öffentlich erklärt wurde, ein Defensivoertrag zur Wahrung des Gebiets besitzes der verbündeten Länder. Sollte dieser in Frage stehen, so wird Italien seine Pflicht erfüllen. Italien hat auch in den jüngsten Tagen so wohl in Berlin als auch in Wien durch den Herzog von Avarna die unzweideutige Er klärung abgegeben, daß es unentwegt an dem Ttttoni - Goluchowskischen Balkan - Überein kommen festhält. Die Lösung der serbischen Frage steht, wie immer sie auch ausfallen möge, in keinem Zusammenhang mit diesem Übereinkommen. Wenn einzelne Zeitungen, besonders in Norditalien, in Verkennung der Interessen des Königreichs eine Deutschland und Öster reich-Ungarn nicht freundliche Sprache führen, so kann und wird dies das über allen Zweifel feste und aufrichtig herzliche Einver nehmen der maßgebenden Faktoren der drei verbündeten Staaten nicht berühren. Die italienische Regierung besitzt auch aus den allerletzten Tagen Beweise aus Berlin und Wien, daß man dort die Haltung Italiens vollauf würdigt und überzeugt ist, daß Italien, wenn der im Bündnis vorgesehene Fall eintritt, voll und ganz die ihm im Drei bundoertrag auferlegten Pflichten erfüllen wird, vor denen in diesem Fall alle anderen Verabredungen, auch die mit England, zurück treten werden." Falls diese Mitteilung tatsächlich auf Grund von Unterredungen mit amtlichen Personen in Rom erfolgt ist, so ist sie an sich sehr erfreulich. Freilich, es bleibt auch dann noch ein Einwand: Ganz ohne Zweifel ist der Besitzstand des Deutschen Reiches durch seine Gegner nicht nur gefährdet, sondern bereits geschmälert worden. Ein Teil der deutschen Kolonien ist von den Engländern und Japanern geraubt worden. Nach der Aus legung, die man in Italien dem Dreibund vertrag gibt, wäre also Italien schon zum tätigen Eingreifen in den Krieg verpflichtet gewesen. Ist der Krieg beendet, und Hai er zu einer Niederlage Deutschlands und Öster reichs geführt, so wird Italien schwerlich seinen Verbündeten ihren Besitzstand garan tieren tonnen: denn die Mächte, die Deutsch land und Österreich niederwarfen, würden mit Italien ebenfalls fertig werden. Trotz dieses Einwandes ist die Erklärung, wenn sie aus amtlicher italienischer Quelle stammt, zu begrüßen. Italien kann, es muß immer wieder betont werden, auf eine Weiter entwicklung wie bisher an der Seite des Drei verbandes nicht rechnen. Zeigt doch allein die Errichtung der englischen Schutzherrschaft über Ägypten, wie Italien im Mittelmeer immer weiter eingeschnürt wird. Nicht ohne Grund schreibt der (sonst so dreiverband- freundliche) Mailänder .Secolo': Italien könne das Protektorat Englands über Ägyp ten nicht amtlich anerkennen, weil die Aner kennung des von England geschaffenen Zu standes ein Verletzung der Neutralität und eine amtliche Anerkennung der englischen Poli- »tik wäre. - - .... Ganz abgesehen von der Neutralitätsver- ketzung — Italien kann die englische Politik im Mittelmeer nicht anerkennen, wenn es nicht seine Großmachtsstellung und seine Zu kunftsträume flufgeben will. Das Mittelmeer dars nicht ein Tummelplatz englisch-französischer Machtaulzucht sein, es muß Italien politische und wirtschaftliche Betätigungsmöglichkeilen bieten. Hier werden sich aber allen Ansprüchen Italiens immer England und Frankreich ent gegenstellen, während anderseits Deutschland und Osterreich-Ungarn nur Interesse daran haben können, daß Italiens Stellung im Mittelmeer immer stärker wird. Auch die Kurzsichtigsten und die Leicht gläubigsten, die begeistertsten Freunde des Dreiverbandes und die ärgsten Feinde des Dreibundes in Italien müssen wohl oder übel einsehen, daß die Interessen ihrer Heimat denen Englands und Frankreichs entgegen gesetzt sind. Italien muß also in wohlver standenem eigenen Interesse neutral bleiben und lediglich auf der Wacht sein, daß es bei der kommenden Neuordnung nicht übergangen wird. Daß Deutschland nicht daran denkt, den Bundesgenossen dabei auszuschalten, dafür müßte die italienische Geschichte eine Gewähr sein. Die zwingende Notwendigkeit und die Entwicklung der Ereignisse am Mittel meer sühren also Italien, will es seine In teressen wahren, immer wieder auf den Weg, den Salandra in der Kammer kennzeichnete, auf den Weg der unbedingten Neutralität. WsstMÄNN. verschiedene Uriegsnachrichten. Neuer deutscher Vorftok am Merkarml. Nach übereinstimmenden Berichten neu traler Blätter hat der allgemeine deut sche Angriff am Merkanal wiederum ein gesetzt. Die deutsche Schlachtfront ist an ver schiedenen Punkten in der Richtung gegen Nieuport vorwärtsgeschritten. — Der deutsche Hilfskreu,er „C o r m ora n" mit 24 Offizieren und 355 Mann wurde in Guam, einer amerikanischen Besitzung im Stillen Ozean, abgerüstet. Die Lage in Belgien« Das deutsche Generalgouvernement in Belgien hofft, zu Beginn 1916 den belgi schen Eisenbahnbetrieb in großem Umfange aufnehmen zu können. --Folgende Verlustziffern der Ver bündeten an der User werden in Brüssel verbreitet: bis 1. Dezember verzeich neten die Belgier 60 000, die Engländer 80000 und die Franzosen 75 000 Tote, Ver wundete und Gefangene. Der Gesamtoerlust der Verbündeten von Mitte Oktober bis 1. Dezember in Flandern allein beträgt also 215 000 Mann. — Einer Pariser Statistik zufolge beläuft sich der Schaden, den Belgien bisher durch den Krieg erlitten hat, auf 5 313 000 000 Frank. Die Hauptposten dieser langen Kostenrechnung sind folgendermaßen verteilt: Lüttich und Umgebung 273 000 000 Frank, Löwen 186000000 Frank. Namur 120 000000 Frank, Charleroi 516 000 000 Frank, Schäden in der Landwirt schait 1418 000 000 Frank, Antwerpen 506000 000 Frank, Schäden an staatlichen Einrichtungen (Eisenbahn usw.) 1200 000 000 Frank, Schäden durch Stillegung des Handels 1000 000 000 Frank. * Der Heilige Krieg. Nach Meldungen bulgarischer Blätter aus Albanien nimmt dort die Bewegung unter den Muselmanen für den Heiligen Krieg großen Umfang an. Mehrere Stämme wollen mit Begeisterung in den Krieg ziehen. — Alle Versuche der Engländer, den Emir von Afghanistan etnzuschüchtern. find fehlgeschlagen. Fast alle nordafghanischen Stämme sind zum Zuge gegen Indien ent schlossen. — In den großen Städten Indiens sind sowohl die Mohammedaner wie die Hindus gegen die Engländer aufsässig. Die indischen Soldaten verweigern den Offizieren den Gehorsam und wollen außer Landes gehen. In Radsputana wurden englische Beamte angegriffen und mehrere von ihnen getötet. Zwischen den Mohammedanern und Hindus ist eine Verständi gung erfolgt. Überall in Indien regt sich mehr und mehr der Geist der Feindschaft gegen die Engländer, an denen man Rache nehmen will, und ein großerAufstand steht bevor. Sieg der Türken über die Engländer. Bei dem Versuch, bei Akaba Truppen zu landen, wurden die englischen Streitkräfte von den Türken angegriffen und zur Flucht ge zwungen. Ein englischer Kreuzer wurde während des Gefechts beschädigt. Aufstand im Sudan. JmSüd enAg yptenshabenKämpfebe« gönnen. Der Hakim von Darfur (das „Land der For", jetzt ägyptische Provinz, liegt zwischen Wadai, Korüofan, Fertit und der Libyschen Wüste) hat mit 80 000 Mann einen Angriff unter nommen, Die ganze Provinz Elkab bei Dongola, zum englischen Sudan gehörig, hat sich erhoben. Die englische Regie rung sandte indische Truppen übers Rote Meer, die bei der Landung meuterten. Ein englischer Militärzug mit Truppen nach Karthumwurde von Beduinen auf- gehalten. Eine Niederlage der Engländer in Deutsch-Srrdwestafrika. In Garub. 30 Meilen östlich von Lüderitzbucht, bat mack einer Meldung des ,Reuterscbcn Bureans' am 16. Dezember ein Gefecht zwischen einer vordringenden englischen Truppe Md deutschen Truppen stattgefundcn. Dev Kampf, -er über zwei Stunden dauerte, endete mit dem Rückzüge der Engländer« Wenn .Reuter' schon einen Rückzug der Engländer meldet, so haben die Deutschen be stimmt einen bedeutsamen Erfolg errungen. Triumph der Waffenbrüderschaft. Der Kampf im Oste». Die halbamtliche «Nordd. Allgem. Ztg.' widmet dem Kampf im Osten folgende bedeut samen Ausführungen: „Das Endergebnis der gewaltigen Schlacht in Polen ist von hier aus noch nicht zu übersehen. Gleichwohl ge währen die amtlichen Berichte des deut schen Grosten Hauptguartiers und des österreichisch-ungarischen Generalstabes einen Ausblick aus die Tragweite der kriegerischen Geschehnisse, die sich gegenwärtig im Osten ab spielen. Es bedarf keiner ins ein zelne gehenden Llngaben, um zu er kennen, vast in dem weit ausgedehnten Gebiet von Nordpolen bis nach West galizien entscheidende Schläge gefallen sind. Der mit viel Ruhm redigkeit angetündigte russische Angriff gegen Schlesien und Posen ist nicht nnr zusammengebrochen, sonder» das russi sche Millionenheer, das zur Aus führung dieser Offensive angesetzt war, ist ans der ganzen Front zum Rück züge g etrieben worden. Das Ergeb nis der weiteren Operationen kann rnhig abgewartet werden." Das halbamtliche Blatt führt dann weiter aus: „Unter meisterhafter Führung haben die deutschen und die österreich-ungarischen Truppen die denkbar höchsten Leistungen vollbracht. Ihre Ausdauer, ihre Tapferkeit und bis zum Letzten gehende Hingabe haben in der Ge schichte dieses wahrhaft heiligen Krieges aber mals Ruhmesblatt an Ruhmesblatt gefügt und werden unauslöschlich im Gedächtnis der Menschheit fortleben, solange es noch gesunde menschliche Seelen gibt, in denen die Be geisterung für hehre Heldentaten nicht ersterben kann. Wir wissen wohl, daß selbst mit völliger Niederringung der gegnerischen Kräfte, deren Bewältigung es jetzt gilt, die Arbeit im Osten noch nicht zumAbschlußgelangt sein wird; weitere Anstrengungen werden nötig sein, ehe das Ziel endgültig erreicht ist. In den bisherigen Ereignissen von weltge schichtlicher Bedeutung liegt aber die sichere Bürgschaft für einen Ausgang der blutigen Auseinandersetzung, der den Friedensstörern für alle Zeit die Neigung nehmen wird, mit dem Schicksal der Völker ein so frevelhaftes Spiel zu treiben. Zugleich bilden die ge meinsamen Kämpfe der Heere Deutschlands und Osterreich-Ungarns einen herrlichen Triumph der Waffenbrüderschaft, die sie umschließt. Noch nie sind die Bedenken gegen jeden Bündniskrieg so glänzend widerlegt worden wie in diesem Kriege durch das feste Zu-' sammenstehen der beiden Kaisermächte. Treue um Treue — hiermit ist in schlichten Worten der Geist bezeichnet, der Deutschland und Osterreich-Ungarn beseelt und sie befähigt, einer Welt von Feinden die Stirn zu bieten. Ein Ziel haben sie vor Augen, das Ziel, ihren Völkern die Bahn zu freier Entfaltung ihrer Kräfte offen zu halten, und ein Wille erfüllt; sie, der Wille, für die Lösung ihrer hohen Auf gabe ohne Schwanken ihr alles einzusetzen. In diesem Geiste werden sie siegen!" Politische Kunälcbau. Deutschland. * Das elsaß - lothringische Ministerium - ordnete die zwangsweise Verwal tung sämtlicher in Elsaß-Lothringen be triebenen Unternehmungen, deren Kapital französischen Staatsangehörigen zusteht, an: ebenso die Verwaltung aller Grundstücke französischer Staatsangehörigen. Italien. * Fürst Bülow bat dem König von Italien; ein Beglaubigungsschreiben über reicht. Hofwagen hatten den Fürsten und die Herren von der Botschaft abgeholt. Vor dem Quirinal begrüßte eine zahlreiche Menschen menge den Botschafter ehrfurchtsvoll. Der König empfing den Fürsten Bülow im Thron saale. Dem Zeremoniell des italienischen' Hofes entsprechend, wurden hierbei keine An sprachen gehalten. England. * Die englische Regierung hat in Athen ersucht, in Griechenland Freiwillige anwerben zu dürfen. Die hellenische Regie rung hat darauf geantwortet, daß die griechischen Staatsangehörigen bis zum 45. Lebensjahre dem Gesetze nach schon in Griechenland Militärdienst tun müßten, so daß nur die über 45 Jahre alten Leute für die englische Anwerbung in Frage kämen. Die Engländer haben nun in Kreta und Kepha- lonia zwei Anw erb est eilen für griechische Freiwillige geschaffen, und die dort angeworbenen Freiwilligen werden nach Malta geschickt. Schweden. * Über die Zusammenkunft der Könige von Schweden, Norwegen und Dänemark ist ein amtlicher Bericht-heraus gegeben worden, in dem es heißt: Die Ver handlungen zwischen den Königen und den Ministern des Äußeren haben nicht nur dazu gedient, die bestehenden guten Beziehungen zwischen den drei nordischen Reichen weiter zu befestigen, sondern während der Verhand lungen ist auch die Einigkeit in denjenigen Fragen festgestellt, die von der einen oder der andern Seite zur Erwägung vorgebracht worden sind. Schließlich sei man auch über eingekommen, die glücklich eingeleiiete Zu sammenarbeit fortzusetzen. Zu diesem Zweck Wird man, wenn die Umstände den Anlaß dazu bieten, die Vertreter der Regierung von neuem zusammentreten lassen. Norwegen. "Die Regierung will im Januar Vor schlägen, das Staatsmonopol für Zucker einzuführen. Balkanstaaten. * An der bulgarisch-serbischen Grenze im Bezirke Strumitza kam es zu einem blutigen Zusammenstoß. Eine Gruppe maze donischer Flüchtlinge aus dem Bezirk Jschtip versuchte die Grenze zu überschreiten, um auf bulgarischem Gebiete Zuflucht zu suchen. Serbische Posten, durch zahlreiche Komitatschts verstärkt, eröffneten nicht allein gegen die Flüchtlinge, die überdies in einen serbischen Hinterhalt gefallen waren, sondern auch gegen die bulgarischen Posten das Feuer. Das Feuergesecht erforderte auf beiden Seiten Opfer. Die bulgarische Regierung hat unver züglich die notwendigen Schritte unternommen, um die Aufmerksamkeit der serbischen Regie rung auf die schwere Verantwortung zu lenken, die ihr zufalle. Es sei zu hoffen, daß die ser bische Regierung alle Maßnahmen treffen werde, um die Wiederkehr ähnlicher Zwischen fälle insbesondere angesichts des ununter brochenen Zuströmens mazedonischer Flücht linge zu vermeiden. 6s braust ein Auf. 19s Erzählung von Max Arendt-Denart. fFortktzung.) Nur zwei Männer saßen da am Tische, denen die Franzosenherrschaft eins reine Freude bereitete, weil sie ihnen Vorteil versprach: der Mehlhändler Hannemann, der feit Jahren in französischem Solde stand, und der Drogist Frohmüller, der es liebte, für einen Franzosen gehalten zu werden und dem man den Bürgermeisterposlen in Aussicht gestellt hatte. Die andern aber hatten in dieser ernsten Stunde sich wiedergesunden. Kaiser und Reich! Heimat und Familie! Fortschritt und Freiheit! Das waren die Werte, um die der Kampf ge führt wurde. So sahen sie es jetzt, und wie ein Alp fiel es ihnen von der Brust, als Ler alte Pförtner erklärte: „Ich meine, wir können ruhig abwarten, was weiter wird. Wenn die Franzosen es ehrlich meinen, so werden sie den Kampf in unsern Mauern nicht annehmen." „Ehrlich meinen?" sagte Hannemann lauernd. .Was sollen sie denn machen, wenn die Deutschen sie beschießen. Sie sind doch nicht gekommen, um ohne Schwertstreich den eroberten Boden wieder zu räumen." »Gewiß nicht!" erwiderte Vater Pigall, „nein, ganz gewiß nicht! Aber, wenn sie es ehrlich meinen mit ihren Versprechungen von der Wohlfahrt des Elsaß, dann werden sie die Stadt nicht besetzt halten und sie so vor der Beschießung bewahren." Hannemann wollte noch etwas einwenden, aber er kam nicht dazu, denn der Wirt kam schreckensbleich hereingestürmt: „Sie bringen Maschinengewehre auf den Kirchturm! Das Straßburger Tor steht derefts unter dem Granatfeuer der Deutschen!" Alles rannte wie toll durcheinander. Nur der alte Pigall verlor die Ruhe nicht. Auf der Straße, die sonst um die späte Abendstunde still und verlassen lag, drängten sich Hunderte von Menschen, beladen mit allerlei wertlosem Hausrat, den sie in der Kopflosigkeit zusam- mengerafft hatten. Männer und Frauen zogen Wagen — die Pferde waren von den Franzosen requiriert worden —, andere schleppten große Packen oder trugen ihre Kinder auf den Armen, und jedesmal, wenn ein Kanonenschuß herüberdröhnte, ging ein Aufschreien durch die Masse. Vater Pallig stand mit dem Fleischer meister an der Ecke des Rathauses. Von hier aus konnte er sein kleines Häuschen über sehen. Seine Frau war ihm vor der Tür des „Löwenbräu" entgegengestürzt: in den Garten der Brauerei halten schon zwei Granaten grauenhafte Verwüstungen ange- richtet: denn unmittelbar hinter der Brauerei, die sich an einem Hügel lehnte, hatten die Franzosen drei Batterien ausgestellt, die von den Deutschen unter Feuer genommen worden waren. Der Fleischermeister war von der Über raschung so benommen, daß er keinen Ent schluß zum Handeln fassen konnte. Er jammerte nur um sein Anwesen: daß Frau und Kinder in Gefahr waren, siel ihm nicht ein. Denr gütigen Zuspruch Palligs gelang es endlich, ihn so weit zu beruhigen, daß er sein Haus aui suchte. das am andern Ende der Stadt weit von der Schußlinie lag, um nach seinen Angehörigen zu sehen. Vater Pallig blieb mit feinem Weibe am Rathause stehen. Er wußte, daß sein Häuschen, das dicht bei der Brauerei stand, gefährdet war, und konnte also dort keine Zuflucht suchen. Seine Frau hatte das Sparkassen buch und die Feuerpolice mitgebracht, denn, so meinte sie, wenn das Häuschen in Brand geschossen würde, so mußte ja die Versiche rung Len Schaden tragen. Das Feuer wurde mit jedem Augenblick lebhafter. Die Gärtnerei von Nobel stand schon in Flammen, das Gymnasium war mehrmals getroffen worden, und über den Platz trugen Soldaten von der Sanitäts kolonne unaufhörlich Verwundete. Auf der Anhöhe drüben wurde Las Feuer immer schwächer. Es schien, als ob einige Geschütze außer Gefecht gesetzt waren, oder als ob einige der Feuerschlünüe eine Drehung gemacht hätten, um sich gegen einen Flankenangriff zu ver teidigen. Plötzlich schrie Frau Pallig auf. „Dat is unseret!" Sie wies auf eine Feuersäule, die unmittel bar neben der Brauerei auistieg. „Dat is unseret. Pallig!" wiederholte sie jammernd, „sie haben nich einmal unser Haus verschont." Pallig nahm ihre Hand. „Mutter," sagte er, „wir haben 28 Jahre lang darin gewohnt und sind glücklich ge wesen. Für uns beide ist überall noch ein Platz. Freilich bin ich traurig, daß unser kleines Anwesen dem Krieg zum Opfer fällt, aber ich jreue mich dennoch, daß ich aus meine alten Tage das habe erleben dürfen: denn Mutter," seine Stimme sank zum Flüsterton herab, „was wir nicht recht begreifen, das vollzieht sich ietzt, das beginnt jetzt, das erleben wir noch mit, und unsere beiden Jungens sind mitten drinnen. Das ist die Neugestal tung Europas." „Ick versteh' dat allen? nich. Ick weiß bloß, daß meine Jungens dabei sind und daß sie vielleicht auf unser Haus, wo sie geboren sind, geschossen haben, Pallig, auf Vater und Mutter geschossen!" Einen Augenblick stand Pallig unter dem Zwange dieses entsetzlichen Gedankenganges. Dann aber sagte er: „Vielleicht auch das, Mutter! Denn was da aus den Kanonen spricht, ist die Vernichtung alles einzelnen, das ist die Verkündung der großen Gemeinsamkeit des Vaterlandes. Da verschwinden neben der großen heiligen Idee alle andern Ge danken. Wenn ich mich an den Krieg erinnere, so steht auch vor mir das Bild, da ich das Haus Ler Eltern im Sturm nehmen mußte, weil sich deutsche Soldaten da festgesetzt haben sollten. Ich kämpfte da mals gegen Deutschland, gegen dasselbe Deutschland, das ich liebgewonnen habe, und dem anzugehören heute mein Stolz ist. Laß brennen, Mutter, unser Haus, es ist eine Fackel mehr, die dem neuen Geschlecht zur Neu ordnung in Europa leuchtet!" Er fuhr plötzlich erschreckt zusammen. Mn Rattern und Zischen erfüllte die Luft, als würden hundert Gewehre nacheinander ab geschossen. Auf dem Kirchturm eröffneten die Maschinengewehre ihr Feuer, ein Zeichen, daß der deutsche Angriff siegreich iortjchritt. und
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