Volltext Seite (XML)
MM,» MÄM Beilage zu Nr. 4. Sonnabend, 8. Januar 1910. Deuksprüche für Gemüt und Verstand. Verachte keinen Brauch und keine Flehgebärde, Womit ein armes Herz emporringt von der Erde. Betrachtung für den ?. Sonntag nach Lpiphanra. Luk. 2, 4k, 42. Seine Eltern gingen alle Fahre gen Jerusalem auf das Osterfest. Und da er zwölf Jahre alt war, gingen sie hinaus gen Jerusalem nach Ge wohnheit des Festes. Was ist es doch herrliches um die christliche Gewöhn, heit? Das Evangelium des heutigen Sonntags heißt dich im Hinblick auf dich und deine Kinder die heilige Gewohnheit des Kirchganges einmal ins Auge zu fassen. Es soll dir eine heilige Gewohnheit sein, ins Gotteshaus zu gehen. Wohl gemerkt „eine heilige Gewohnheit!" Es gibt auch eine leere, tote Gewohnheit: Ihr folgen die, welche regelmäßig zur Kirche gehen, aber dort geistig und geistlich schlafen, oft auch leiblich. Sie lassen eben Gottes Wort nicht wirklich auf sich wirken. Sie geben sich eigentlich selbst nicht Rechenschaft darüber, warum sie eS hören. Sie folgen nur der Gewohnheit vom Vaterhause her. Sie binden sich oft, wenn auch äußerlich, so fest daran, daß sie, ich möchte fast sagen aus Aberglauben, daran festhalten. Sie lassen sich zwar den Gottesdienst nicht zur wirklichen Vertiefung ihres Glaubens und Lebens dienen, aber wenn sie ihn ver säumen, denken sie, es passiert ihnen etwas. Nun, so niedrig auch diese äußere Gewohnheit steht, sie ist immer roch besser als das Gegenteil, da man in Unglauben, Weltsinn oder Gleichgültigkeit überhaupt den Kirchgang sich ab gewöhnt hat. Dort fehlen ja dann immer mehr die Anknüpfungspunkte, durch die der Herr mit seinem Geist das Herz treffen mag. Bei denen, die wenn auch erst in toter Gewohnheit kommen, kann das lebendige Wort Gottes als ein Hammer, der Felsen zerschmeißt, bei umwandelnder Lebenskraft leichter beweisen und aus der leeren Gewohnheit, eine heilige machen. Ja, wie anders die heilige Gewohnheit! Da läßts dem Gottes kinde allerdings keine Ruhe nach der guten Regel, die es sich gemacht, ins Haus des Herrn fleißig zu gehen, weil es die Lebenskräfte des Gotteswortes regelmäßig braucht. Es würde ihm etwas fehlen an Trost, an Kraft zur Besserung, an Fortschritt in Erlernung himmlischer Weisheit, wenn es den Gottesdienst ohne Not gegen die gemachte Regel oft versäumen müßte. Diese heilige Gewohnheit gehört zur christlichen Selbstzucht, womit der alte Adam von dem neuen Menschen eben immer regelmäßig seine ver dienten Stöße bekommt. Wer diese heilige Gewohnheit aus frommen Elternhause kennt und pflegt, kann Gott nicht genug dafür danken. Fromme Eltern suchen nun mit Gottes Hilfe dieselbe auch ins Herz der Kinder zu legen. Ob auch für die Kinder, sobald sie verständiger und reifer werden, die Gewohnheit des Kirchganges erst mehr als äußeres Gesetz, mehr als etwas von der Art der leeren Gewohnheit herankommt, so benutzt doch eben der heilige Geist sie bald als dies Mittel, sie dem Herzen des Kindes nach und nach lieb und wert zu machen und zu heiligen. Mit den Jahren lernt das fromme Kind sie dankbar schätzen und so manches, was erst ohne Ver ständnis es hingenommen, kommt mit der Hilfe des am Herzen des Kindes arbeitenden Gottesgeistes immer mehr Wert für Zeit und Ewigkeit. Darum verachte nie die heilige Gewohnheit des Kirchganges für dich und suche sie in der Erziehung geltend zu machen, wo Kinder deiner Leitung anvertraut sind. Du wirst den Segen Gottes, den er darauf legt, deutlich spüren. Wilsdruff, den 7. Januar. Die Bahnhofswirtschaft auf dem Hauptbahnhof in Dresden soll vom 1. Mai anderweit auf sechs Jahre verpachtet werden. Im Rittergut Gersdorf bei Roßwein wurde ein großer Metallfund gemacht. In einem neben dem Keller entdeckten Gewölbe fand man eine Anzahl Metallbarren im Gewicht von etwa 40 Zentnern. Die Untersuchung wird ergeben, ob der Fund Silber oder anderes Metall enthält. In Gersdorf wurde früher Silberbergbau ge- trieben. Infolge plötzlichen Anziehens des Pferdes fiel in Borna bei Chemnitz die Milchfrau Nickel aus Heiners dorf, die zu Hause einen gelähmten Mann und vier kleine Kinder Hat, so unglücklich vom Wagen, daß sie eine schwere Gehirnerschütterung erlitt und bald darauf starb. Wie wett die Furcht vor dem angeblichen „Gespenst" bei vielen Bewohnern in HohensteinE. geht, beweist folgender Vorfall: Ein Anwohner der Chemnitzer Straße passierte kürzlich abends in der achten Stunde die fis kalische Straße oberhalb der „Zeche". Ungefähr auf halben Wege begegnete ihm — das „Gespenst". Ausreißen und im Restaurant „Zur Zeche" um Hilfe bitten, war eins. Inzwischen war natürlich das „Gespenst" ver schwunden. Nachträglich stellte sich heraus, daß eine Frau in weißer Schürze und mit einem Kind auf den Arm dem betr. Herrn entgegengekommen war, der die Frau für das gefürchtete „Gespenst" gehalten hat. Infolge unvorsichtiger Behandlung eines sogen. Blüt chens hat in Zittau der 40 jährige Kaufmann Albert Haucke, Vater von vier Kindern, seinen Tod gefunden. Der Mann kratzte ein Blütchen an seinem Halse mit dem Fingernagel auf, wobei Schmutz in die Wunde gekommen sein muß. Innerhalb von vier Tagen war der Mann infolge von Blutvergiftung eine Leiche. LLrrrze Lhrsnik. Ein TafchendieLeSbande verhaftet Ter Berliner Kriminalpolizei gelang es, eine aus Budapest zugereiste dreiköpfige Taschendiebesbande, die unter falschen Namen in einem Hotel im Norden Berlins wohnten, auf frischer Tat zu ertappen und zwei davon zu verhaften. Es wurden größere Summen in bar, die offensichtlich aus Taschrndiebstählen herrührten, bei ihnen beschlagnahmt. Die Bande hatte, schon seit den Weih nachtstagen ihr Unwesen getrieben und es hauptsächlich auf die großen Warenhäuser in der Leipziger Straße abgesehen. Ein Leichenfund ist Dienstag nachmittag in der Königsheide bei Berlin gemacht worden. Die Ermitte lungen ergaben, daß die Tote die 19 jährige Schneiderin Upsulat aus Nixdorf ist. Als Täter kommt ein Monteur Friedmann in Frage, der das junge Mädchen wohl mit ihrem Einverständnis erschossen hat. Vorläufig fehlt von dem Manne jede Spur. Mit knapper Not dem Tode entronnen. Fünf polnische Arbeiter, die bei einem Gastwirte in Spandau nächtigten, erlitten eine schwere Gasvergiftung durch Ausströmen von Gas aus einer undichten Leitung. Zwei Bäckerburschen bemerkten zum Glück den starken Gasgeruch und benachrichtigten die Polizei, die sofort die Fenster einschlug und die bereits Bewußtlosen rettete. Kaffeneinbrüche in Apotheken in Gmunden und Umgegend sind in den letzten Tagen vorgekommen. Die Diebe erbrachen nur Apotheken. Es fielen ihnen große Geldbeträge in die Hände. Sächsische Luftschiffer verunglückt. Vorgestern abend zwischen 6 und 7 Uhr mußte ein Luftballon der Dresdner Luftschiffer-Gesellschaft infolge großen Sturmes bei dem Dorfe Durzyn in der Nähe von Krotoschin scharf landen. Dabei schlug der Korb äußerst heftig auf und alle drei Insassen wurden ziemlich schwer verletzt. Zwei von ihnen erlitten Knöchelbrüche, der dritte trug einen Unterschenkelbruch davon. Die Verunglückten find die Professoren Seyffert aus Dresden und Rektor Poeschel von der Fürstenschule in Meißen und der Kaufmann Walter aus Danzig. Eiu Opfer seines Berufs. In Neuwied (Rhein provinz) stürzte bet Reparaturarbeiten an der Rampe, die nach der Fähre des UeberfahrtSschiffchens fährt, der 40 Jahre alte verheiratete städtische Arbeiter Jakob Napel in den hochgehenden Rhein und ertrank. Er hinterläßt eine Witwe mit fünf Kindern. Ueberfall. In Neumark in Galizien überfielen Bauern den Professor Christ, der sich in Begleitung eines Privatbeamteu befand und verwundeten ihn durch Knüppel hiebe tödlich. Der Professor, der von seinem Revolver Gebrauch machte, erschoß vorher einen Bauern und ver wundete mehrere sehr schwer. Grofffeuer. Nach einer aus Wilna eingetroffenen Meldung ist das mehrere Stockwerke hohe Warenhaus der Firma Zahlkind vollständig niedergebrannt. Der Schaden soll über acht Millionen betragen. (?) Bei den Löscharbeiten kam ein Feuerwehrmann ums Leben, mehrere andere erlitten schwere Brandwunden. Eine Spur von Andree? In Newyork ist die Nachricht eingetroffen, daß bei Reinder-Lake, 1500 Kilo meter nördlich von Prince Albert, in der Bathurst-Bai, die Reste eines Ballons aufgefunden wurden, die man für Bestandteile des Aerostaten hält, mit dem Andree und seine Gefährten im Jahre 1897 ihren Polarflug antraten. Eskimos erzählen, es sei ein weißes Haus mit Stricken daran vom Himmel gefallen; drei Personen hätten sich darin befunden. Man vermutet, daß die Insassen des Ballons von Eskimos getötet worden sind, weil sie Wild schossen. kln Nerlisrgm. Originalroman von Hans Wachen Husen. 44 „Brutal!" bauchte sie vor sich hin. „Don etwas Anderem! — Ich fühle mich frei von jedem Vorwurf, aber er sucht." Lie preßte die Hand vor die Stirn. „Er mar zu ruhig, zu sicher, als daß es wahr sein könnte, daß er oeschäftlich . . erschrak vor dem Wort. „Meine Abneigung aegen ihn wächst zum Haß! Sonst mar er wieder gefügig, wenn er bestig gewesen; heute vergaß er, was er mir als Frau schuldig, und -eiale sich von einer Seite, gegen die ich waffenlos bin. And den noch werde ich es nicht sein, wenn mir noch daran gele gen, denn die Frau zu sein eines . . . Niemals! Er lochte ja aber selbst darüber, also . ! Wer ihm nur gesagt hoben wag, daß ich drüben . . ." „Das arme Mädchen tat mir leid, als ich ihm be gegnete! Sie klagte, daß er sie abgewiesen, als sie ihn habe besuchen wollen — ich war ja nicht zu Hause — sie komme vom Vormund. Ihr Bruder entziehe ihnen das Geld so, daß sie kaum noch exisiiren könnten; es sei nichts in der Kaffe, habe er ihr sagen laßen, die Tante müsse drüben schon aushelfen." ' , Hatte Laurette anfangs sich von der Abneigung ihres Mannes gegen die s einigen beeinflussen lassen, so nahm sie jetzt Partei für dieselben, als ihre natürlichen Verbündeten gegen Klaus. Sie hatte Fränzchen heim- sich besucht; Klaus batte das erfahren — durch wen? Sie hatte ihre Jungfer in Verdacht; auf Jean verließ sie sich, sie hatte Beweise von dessen Treue. Aber ihr fehlte jetzt das Interesse für Andere. Was meinte er mit dem Andern, mit dem er ihr fast gedroht? Die Scheidung? Bisher hatte er sich am Gängelbande lühren lassen; seit ganz Kurzem jedoch bemühte er sich, ibr m Zeigen, daß sie ibm gleichgültig geworden, und das kränkte in ihr die schöne Frau, das verlangte Re vanche. Das Wort Scl eiduna war schon zwischen ibnen aefallen, als er sie noch liebte, wenn es heule wieder fiel, wog es schwerer als damals. Verhaft war ihr das Zusammenleben mit diesem Manne; ne suchte ihm zu entfliehen, so viel sie konnte; daffelbe war jedoch dadurch um so unhaltbarer. Aber die Vernunft batte doch auch in Llundcn der Ruhe eine Frage gestellt, die ernst lich erwogen sein wollte. Indeh dazu war der heutige Morgen nickt die Zeit. Wollte sie ihn sich wieder gewinnen? Des war die erste und wichtigste Frage. Er war zu schwach, sie brauchte nur recht schön zu sein, um ihn wieder zu ihren Füßen zu sehen. Der Mann einer schönen Frau brauchte diese ja nur zu überzeugen, daß es an ihm liege, glücklich zu sein, wenn der Friede des Hauses wieder hergcsielll werden soll; sie aber fragte sich seit langem schon, wie viel ihr ein solcher noch wert und wie hoch der Preis desselben für sie sei. Und er erschien ihrem Stolz zu teuer. Als Mensch Halle er sich schon um die Achtung gebracht und durch seine Handlungsweise gegen den Bruder und jetzt hatte er diese auch als Geschäftsmann verloren; das hatte sie empfunden. Aber zu einem Abschluß mit sich selbst mußte sie endlich kommen. Ost war sie während der letzten Hälfte des Winters auf demselben Punkt angekommen, aber wenn sie hin aus geblickt auf Eis und Schnee, hatte ihr Herz vor einem Entschluß gezittert. Sie hatte ihre ganze Klug heit, ihre Geduld aufgeboken, sich ihre Existenz erträg lich zu machen, denn sie hatte ihn ja kennen gelernt in jeder Regung seines niederen, zur Sinnlichkeit geneigten Naturells; jedoch hilflos, wie sie war, zurückdenkend an die Entbehrungen in ihrer Kindheit, an ihre arme Mut ter, Zeit zu gewinnen gesucht und geduldet. Unfähig, eine Märtyrerin zu jein oder zu werden, hatte ne Zer streuung in einer Getellckaft gefunden, aber in letzter Zeit, seit er ost das Wirtshaus aufgechcht, in seinem Hause eine Gesellschaft empfing, die ihr nicht zusagte, namentlich beute, seit er wieder diese Haltung gegen sie eingenommen, sah sie sich zum Äußersten gedrängt. Um ihn zu überzeugen, daß seine Eifersucht auf Fellenkhin eine törichte sei, hatte sie diesen gebeten, um ihres häuslichen Friedens willen, sich ihr ferner zu stel len, und er Halle mit einem Abschiedskuh auf ihre Hand ibr dies versprochen, wenn sie ihm „auf zehn Schritts Entfernung" ihre Achtung bewahren wolle, aber trotz dem hatte Klaus jetzt Stunden, in denen sein Beneh men unzart, verletzend war. Diese Ehe war unhaltbar geworden! Sie wechselte ihre Toilette und verließ dos Haus. 17. Drüben in dem alten Familienhause sah es aller dings recht straurig aus. Fränzcheu saß an demselben Mittage in einfachem Hauskleids auf dem Sopha; ihre Wangen hakten ihrs Jugend frische verloren, ihre Augen blickten so sorgenvoll und belebten sich nur, wenn der junge Mann neben ihr, der den Arm um sie gelegt, ihr die stand drückte — Otto von Schimmelpfennig nämlich in Eivil, und auch mit recht verdrossenem Geächt. Ihnen gegenüber batte sich Robert in einem Sessel zurückgelegt und blickte fins- ier vor sich hin. Der Erstere hakte sich seinen Urlaub auf wehere -Monate verlängern lassen; man hakle ihm denselben gern gegeben, damit er seine Vermögensoerhälknisse ordne. Robert seinerseits hatte einen solchen genommen und erhcrllen, mit der Aussicht, des Königs Rock viel leicht nicht wieder anlegen zu dürfen.