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Ottendorfer Zeitung : 04.12.1914
- Erscheinungsdatum
- 1914-12-04
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-191412043
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19141204
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19141204
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-12
- Tag 1914-12-04
-
Monat
1914-12
-
Jahr
1914
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 04.12.1914
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Veullcklanäs Volkswirtschaft im Kriege. Der Plan unserer Gegner geht auf wirt schaftlichem Gebiete bekanntlich dahin, uns von den Zufuhren aus aller Welt abzu- schneiden und dadurch unsere Volkswirtschaft lahmzulegen, uns zum Staatsbankrott, ebenso wie zum Stillstand aller Betriebe zu treiben, und so aus die Knie zu zwingen. Wenn man bedenkt, daß wir geographisch von allen Seiten eingeschlossen sind und daß England angeblich das Meer beherrscht, so mag Ler Plan auf den ersten Blick bestechend aussehen und ausführbar erscheinen. In Wahrheit aber ist er nicht so leicht durchzuführen. Daß es mit dem Aushungern im buchstäb lichen Sinne des Wortes nicht geht, haben unsere Gegner ja inzwischen schon begriffen. Sind wir doch dank unserer hochentwickelten Landwirtschaft in der Lage, das deutsche Volk vollkommen ausreichend mit den Erzeugnissen der eigenen Scholle zu ernähren. Unsere Lage wäre jetzt schlimm, wenn wir im wesentlichen auf die Zufuhr vom Ausland angewiesen wären, wie z. B. England, das unter dem Mangel der russischen Zufuhr an Eiern und Getreide schon jetzt schwer leidet. Dazu kommt, daß der Krieg bisher auf unsere Industrie, soweit die Warenerzeugung in Betracht kommt, durchaus nicht ungünstig eingewirkt hat. Es gibt nämlich keinen einzigen Stoff, den wir nicht im Lande selber hätten, oder für den wir nicht im Lande brauchbare Ersatzstoffe erzeugen könnten. Das gilt für die Metalle, und es gilt ebenso für Gespinstfaser stoffe, für flüssige Brennstoffe und für sämtliche Chemikalien. Daß dem so ist, beruht wiederum in einer besonderen Politik der Rohstofferzeu gung. die wir in Deutschland in den Friedens jahren wohlweislich getrieben haben. Deutsch land besitzt, was vielleicht weniger bekannt ist, mehrfache und auch recht ergiebige Fund stätten von Kupfer, Blei, Zinn und Zink. Die Förderung an diesen Fundstätten ist jedoch absichtlich niemals stark betrieben worden. Nun ist zwar ein großer Teil der Ausfuhr unserer Industrie unterbunden. Dafür aber bat unsere Industrie in einer Weise für den Krieg zu arbeiten, daß von einem gesteigerten Arbeitsmangel nicht die Rede sein kann. Die vier Milliarden Kriegsanleihe kommen zum überwiegenden Teile der deutschen Industrie zugute. Schon durch sie wird ein wesentlicher Teil des großen Postens .Ausfuhr" gedeckt, Ler in Friedenszeiten auf der Einnahme-Seite unserer Wirtschaftsbilanz steht. Ferner aber fällt ein wesentlicher Ausgabeposten fort, weil uns ja eben die Einfuhr von vielen Dingen abgeschnitten ist. Es sei nur an Metall aller Art, Baumwolle und Petroleum erinnert. Der Bedarf für diese Dinge muß natürlich Lurch die Jnlandserzeugung gedeckt werden, und unsere hochentwickelte Technik besitzt die Mittel dazu in reichem Maße. Wenn man in England glaubt, wir müßten im Winter frieren, weil man uns die Baum wollenzufuhr abgeschnitten hat, so vergißt man, daß wir außer der einheimischen natür lichen Wolle auch noch Kunstwolle. Kunst baumwolle und Kunstseide besitzen. Man ver gißt, daß unsere hochstehende Zellulosetechnik in der Lage ist, aus dem Holze unserer Wälder auf viele Jahre hinaus Kleidungs stoffe für das deutsche Volk zu machen. Wenn uns England alle Gewürze Indiens, alle Düfte der Sunda-Jnseln, alle Arzneistoffe der tropischen Pflanzenwelt absperrt, so vergißt es, daß wir alle diese Dinge längst schon mit Glück und Geschick aus dem schwarzen Teer- topf herausfischen. Eines aber, was wirklich Staatsmacht und Staatsgröße bedeutet, kann man uns nicht abschneiden, weil wir es im Lande selber im Überfluß besitzen, nämlich Eisen und Kohle. Zusammenfassend darf man also sagen: Unsere Volkswirtschaft muß in diesem Kriege neue Grundlagen und Richtlinien suchen, und zwar in dem Sinne, daß sie mit Osterreich- Ungarn zusammen ein in sich geschlossenes Wirtschaftsgebiet bildet. Diese Neugestaltung ist aber erfreulicherweise gut und glatt durch führbar. Sie wird zu einem neuen Zustande führen, in welchem unsere Bilanz für uns unter allen Umständen günstig bleiben wird, wenn auch die beiden Posten: Einfuhr und Ausfuhr gewaltig zusammenschrumpfen werden. Auszuhungern sind wir aber trotz der Herren Grey und Genoffen auch industriell nicht. Kommt aber der Frieden, so bietet sich uns die Möglichkeit, die Ausfuhr zu pflegen, die Einfuhr in geringen Grenzen zu halten und dadurch unsere wirtschaftliche Stellung in der Welt noch mehr zu stärken. verschiedene ttriegsnachrichten. Aus den Ruhmestagen der „Emden". Aus Tokio wird gemeldet: Nachträg lich wird bekannt, Last die „Emden" noch zwei javanische Dampfer mit eng lischen Soldaten an Bord, also im ganzen drei javanische Schisse, versenkt hat. Wahrscheinlich handelte es sich um Transporte indischer Truppen, die zur Verstärkung des japanischen Heeres vor Tsingtau bestimmt waren. Gefechte in Ostafrika. Von den ostafrikanischen Kriegsschauplätzen kommt die Kunde von den dortigen Vorgängen nur langsam und nach englischen Quellen zu uns. Doch auch aus diesen Berichten läßt sich erkennen, daß unsere Schutztruppen sich erfolgreich wehren. Die Engländer berichten von immer erneuten Angriffen auf alle ihre Stellungen. Die Kämvfe in Kamerun. Das Londoner Prestbureau. veröffent licht folgende Mitteilung über die Kämpfe in Kamerun: Die Vorbereitung für die ausgedehnten Operationen nördlich und nordwestlich von Duala waren am 13. November voll endet. Nach einer Beschießung durch de« französischen Kreuzer „Bruix" und die nigerische Regierungsjacht „Ivy" nahm eine Abteilung Seesoldaten Victoria ein. — An demselben Tage rückte eine Kolonne von Susa entlang der Bonaberibahn vor und besetzte die Station Mujuka. In zwischen rückten starke Marine- und Mili tärabteilungen der Verbündeten von ver schiedenen Punkten vor, um Buea zu nehmen. Die Besetzung erfolgte am 15. November. Der Feind hatte sich zu rückgezogen. — Der ,Temps' meldet: Gleichzeitig mit der englisch-französischen Expedi tion im Küstengebiet von Togo wurde Nordtogo von französischen ein geborenen Truppen und 600 Mossi- reitern unter Befehl des Gouverneurs von Französisch-Westafrtka, Arbousster, besetzt. * Zerstörung des Kabels zwischen Rußland und Frankreich. Das .Morgenblad" in Kristiania meldet, daß das Telegraphenkabel zwischen Fredericia und Livau plötzlich unterbrochen sei. Dieses Kabel vermittelte den größten Teil des Tele grammverkehrs zwischen Rußland, England und Frankreich. Auf Ersuchen der Peters burger Telegraphendirektion hat Las schwedische Telegraphenamt die Überleitung des Verkehrs, soweit es die schwedischen Kabel zulaffen, übernommen. — Wahrscheinlich hängt diese Unterbrechung mit der von deutschen Kriegs schiffen bewirkten Sperrung des russischen Hafens Libau zusammen. Die Lage in Marokko. Nach Meldungen aus Tanger haben die Truppen des Obersten Laverdure, die bereits am 13. November bei Khenifra eine schwere Niederlage erlitten, am 24. November auf dem Wege von Tadia nach Fez eine neue, noch schwerere Schlappe erhalten. Oberst Laverdure beabsichtigte, mit 3000 Mann den 6000 Mann starken Kolonnen des Generals Henry entgegenzuziehen, um mit diesen vereint die in Fez eingeschlossene Besatzung zu be freien. Kurz vor seinem Zusammentreffen mit General Henry wurde er von überlegenen Streitkräften während des Marsches durch eine Talschlucht überfallen und zum Kampf in sehr ungünstiger Stellung gezwungen. Nach dem 148 europäische Soldaten und sieben Offiziere gefallen und eine Reihe anderer verwundet worden waren, gelang es dem Obersten durch einen Sturmangriff, nach Norden durchzubrechen. Er mußte jedoch allo Geschütze und das gesamte Wagen material in den Händen der Feinde lasten. * Der „Volkskrieg" in England. In der Sitzung des Oberhauses vom 26. November führte der Lordkanzler bei Beant wortung einer Anfrage über die Stellung von Zivilpersonen gegenüber den Kriegführenden im Falle eines feind lichen Einfalls aus, es sei nicht wün schenswert, diese Angelegenheit vorzeitig an die Öffentlichkeit zu bringen. Es bestehe jedenfalls der Grundsatz, daß die Militär behörden im gegebenen Falle die Sache in die Hand nehmen würden. Gemäß der Haager Konvention würden die Irregulären von Offizieren befehligt werden, die von den Mi litärbehörden zu ernennen sind. Die Mit kämpfer würden mit einem deutlich sichtbaren Abzeichen versehen werden. — Man rechnet also mit aller Bestimmtheit auf einen deutschen Einfall in England. Ägypten in Aufruhr. In England wagt man jetzt nicht mehr zu leugnen, daß in Ägypten ein ernster Ausruhr (als Folgeerscheinung des Heiligen Krieges) ausgebrochen ist. Die Blätter erklären jedoch, daß England Herr der Lage zu bleiben ver möge. Nach zuverlässigen Privatmeldungen soll es schon am 10. November in Abu- Hammed und in El Orfa zu offenem Aufruhr eingeborener ägyp tischer Regimenter gekommen sein. Die Regimenter waren in diese heißen Gegenden des oberen Nil straf verschickt worden, und der Geist der Revolte gärte seit langem unter ihnen. Sendboten der Senussi sollen sie vom Ausbrechen des Heiligen Krieges benachrichtigt haben, worauf sie ihre englischen Offiziere ermorde ten und sich den bereits aufständischen Arabern anschlossen. Man darf annehmen, daß heute schon der ganze ägyptische Sudan aufständisch ist. Auch die Mohammedaner im Somalilande haben sich bereits der Bewegung angeschloffen. — General Smuts hatte im September gesagt, daß 24 Millionen genügen würden, um die englischen Operationen in Südafrika bis zum April im Gange zu halten. Als aber die Erhebung Dewets ausbrach, stellte es sich heraus, daß die 24 Mil lionen schon Ende November aufgebraucht sein würden. Für die Maßnahmen gegen Dewet ist nämlich eine beträchtliche Vergrößerung der Truppenmacht der Union nötig gewesen. Dabei ist der Ertrag der Zölle sehr stark zurückgegangen, und die Diamantindustrie steht fast still. Die ,Times' hatten eine Depesche mit Angaben über die Vergrößerung der Zahl der Regiexüngstruppen infolge des Aufstandes Dewets erhalten, der Zensor strich aber die Ziffer fort. * Rußland gegen Englands Lügen. Die englischen Lügenberichte über die Siege der Russen zwischen Warthe und Weichsel sind so hanebüchen, das? sogar der russische Gcneralstab von ihnen abrückt. In einer Veröffentlichung warnt er vor Privat- nachrichtcn, die meist sehr übertrieben seien und weist darauf hi», das? der Feind hart näckigsten Widerstand leistet. Wenn der Generalstab auch nichts von den Siegen Ler Deutschen meldet, so ist es doch bezeichnend, daß sogar Rußland sich mit Ekel von den englischen Schwindelblättern ab wendet. I-uftkampf über Amiens. (Eine französische Darstellung.) Eine amtliche französische Note erörtert die Lustkämpfe über Amiens am 18. November folgendermaßen: Ein Flugapparat bemerkte 6.30 Uhr früh einen deutschen Apparat auf Amiens zufliegen, verfolgte ihn, erreichte ihn aber erst über Amiens, wo er etwa 100 Schüsse aus Mitrail- leusen auf ihn abgab. Das deutsche Flugzeug wurde leicht beschädigt und entfloh darauf. Darauf griff die französische Maschine ein deutsches Albatrosflugzeug an, das sich halb herumdrehte, sich auf ihn stürzte und den fran zösischen Apparat derartig umstürzte, daß die Mitrailleuse ins Innere fiel. Der Apparat konnte sein Gleichgewicht wiederfinden, aber der Albatros entkam. Im selben Augenblick landete ein anderer französischer Flieger in Amiens und bemerkte feindliche Flugapparate, die die Stadt über flogen. Er verfolgte sie und erreichte einen Flieger, den er zu verhindern suchte, in die deutschen Linien zurückzukehren. Der franzö sische Flieger verfolgte das deutsche Flugzeug bis Mondidier. Der Mechaniker des französi schen Apparats gab etwa zehn Schuß aus seinem Karabiner auf den Deutschen ab, die aber ohne Wirkung blieben. Der französische Apparat erhielt drei Kugeln, von denen eine durch den Benzinbehälter drang. Infolge Munitionsmangels mußte der Franzose die weitere Verfolgung aufgeben. Dem Mechaniker war die Hand erfroren. Gegen 10,45 Minuten begegnete ein Flieger leutnant mit einem Korporal einer Taube, die sie angriffen. Beide waren nur mit Re volvern bewaffnet. Ein Mitrailleusenschuß des deutschen Apparats zerschnitt ihnen das Flügelseil, so daß sie sofort landen mußten. Der Bericht erwähnt nichts von den Schäden, die die deutsche Fliegerflottille, wie aus Privatmeldungen hervorging. durch Herabwerfen von Bomben an Äerpflegungs- kolonnen, Eisenbahngleisen usw. angerichtet hat. Politische Aunäfcbau. Osterreich-Ungarn. *Jm Anschluß an das ruchlose Attentat gegen das österreichische Thronfolgerpaar wird in kurzer Zeit ein neuer Hochverrats- prozetz zur Verhandlung gelangen. Im ersten Prozeß wurden nur die Täter und Mit helfer zur Verantwortung gezogen, in der neuen Verhandlung werden sich sämtliche Per sonen, die mit der großserbischen Propaganda in Verbindung standen, zu verantworten haben. Unter den Angeklagten befinden sich auch der gewesene Bürgermeister von Serajewo und zwei Professoren der Hochschule in Serajewo. Italien. * Der .Corriere della Sera' erfährt von einer hochgestellten Persönlichkeit, daß der deutsch e Botschafter v. Flotow wirk lich ruhebedürftig sei und einige Zeit an der Riviera ausruhen wolle. Uber seinen Ersatz durch den Fürsten Bülow sei noch nichts bekannt. — Fürst Bülow war bekannt lich von 1893 bis 1897 Botschafter in Rom. Belgien. * Der deutsche Kommandant in Gent hat das Erscheinen des sozialdemokrati schen Tageblattes ,V o o r u i t' bis auf weiteres verboten. Das Verbot wurde mit der aufreizenden Sprache begründet, die das Blatt den Behörden gegenüber führe. Dänemark. * Der Generaldirektor im dänischen Aus wärtigen Amt erklärte, die- den Dreiverband- Mächten überreichte Note, welche die Sper rung der Nordsee betrifft, soll betonen, daß die skandinavischen Staaten bereit seien, die unvermeidlichen Schädigungen des Krieges zu ertragen, daß sie aber- solche vermieden wünschen, die durch das internatio nale Recht nicht vorgesehen sind. Unsere Verbindung mit Argentinien geht durch den Ärmelkanal, nach Nordamerika um Schott land herum. Im Kanal ist die Fahrstraße zwischen der Küste und den Minenfeldern be drohlich eng. Wir verhandeln noch über die Modalitäten der Nordüurchfährt. Balkanstaaten. * Die Ankündigung der bevorstehenden An kunft des Freiherm v. d. Goltz in Konstanti nopel hat die Sympathien für den Marschall neu belebt. Das Abendblatt ,Serwet-i-Finun' bringt Las Bild Goltz Paschas und einen Brief, den Goltz vor einiger Zeit geschrieben hat, und in dem es heißt: «Trotz allem hängt mein Herz noch innig an den Konstantinopeler Erinnerungen, und ich denke an die Türkei zu rück wie an eine liebe Heimat." „Goltz Pascha," so versichert das Blatt, „wird hier die alte Liebe und Hochachtung wiederfinden, die diesem ausgezeichneten Menschen und Sol daten gebührt." Es braust ein Kuf. los Erzählung von Max Arendt-Denart. (Fortsetzung.) Da strahlten ihre lieben Augen ihn an: „An mir wird's nicht fehlen, Hermann! Nur eines quält mich jetzt noch." .Was ist's?" „Ich will dein Weib werden, ehe du gehst." „Antonie", sagte er mit dem Ausdruck un endlicher Zärtlichkeit. „Wohl wäre es mein höchstes Glück, wenn des Priesters Segen unsern Bund segnete, ehe ich der Fahne folge; aber denke an deinen Vater. Und noch eines. Wenn ich heimkomm und nicht mehr bin wie heut' — willst du die Last durchs Leden schleppen, unauflöslich an einen gebunden zu sein, der ohne deine Hilfe nicht auskäme? Du willst es, ich weiß es, aber du sollst nicht. Wenn alles entschieden ist, dann sollst du in meine Arme eilen und dein Vater soll, wie meiner, unsern Bund segnen." Sie erwiderte nichts. Sie bot ihm ihre Lippen und er lüßte sie und streichelte ihr Haar. Arm in Arm gingen sie die Dorfstraße hin ab, bis sie am Hause Wehrlins angekommen waren. Da umfaßte er sie noch einmal stür misch und all' feine verhaltene Leidenschaft brach hervor. .Du. du," flüsterte er immer wieder. .Wann mußt' denn fort?" fragte sie unter seinen Liebkosungen. .Morgen mit dem frühesten." Ein weher Aufschrei. .Antonie," bat er, .HM' dein Versprechen l" Laß niemand deinen Schmerz sehen, wie keiner dein Glück ermessen soll. Behalt' beides für dich wie ein Heiligtum." „Hast recht." nickte sie, „ich will an dich denken und deine Zuversicht soll meine Kraft fein." .Leb' wohl!" „Auf Wiedersehen!" Mit schnellen Schritten entfernte er sich. Als er aber an die Wegbiegung kam, wo die Landstraße empor führt zum Hange, wandte er sich noch einmal um. Da stand sie im blaffen Lichte des Mondes noch vor dem Hostor und winkte ihm mit dem Tafchentuche ein letztes Glückauf! * * Im großen und ganzen begriff man in den Dörfern zunächst nicht die ungeheure Trag weite der Mobilmachung. In die Einförmig keit und Eintönigkeit des Lebens in der Ge markung von Hohenlindow empfand man die Aufregung, die sich, ohne daß man sich von ihrem Ursprung Rechenschaft zu geben ver mochte, mehr oder minder jedes einzelnen bemächtigt hatte, als eine Abwechslung. Ein starker Strom des Lebens der Welt da draußen, die dort lag, wo die Eisenbahn durch die Lande jagte, war in die einsamen Dörfer gekommen. Der Schmerz, den man hier und da in den niederen Hütten fühlte, war an diesem ersten Tage eigentlich nichts als eine Bereicherung des inneren Lebens. Daneben empfand man wohl die Größe des Augen blicks: denn es ging ja gegen den Erbfeind, der alljährlich begehrend über den Kamm der Vogesen lugte, wenn feine Nester ihre Manö ver bei Beifort, Toul und Nancy abhielten, oder aber wenn Patrouillenübungen die fremden Soldaten bis hart an die Grenz markierung führten. Daß hinter der Mobil machung der Krieg mit seinen Schrecken stand, daß das Wort: Sieg und Niederlage, Kampf und Überwindung alles Großen und Edlen im Menschen, aber auch aller Niedertracht und aller Instinkte der Bestie barg, bedachte hier niemand. Und am wenigsten wohl, daß nach all' der inneren Erhebung, nach all' dem lauten Jubel der Abschied kam, der Abschied von Söhnen, Brüdern, Vätern, Gatten, Ver lobten. Der Kaiser rief! Damit war das Grübeln über Ursache, Wesen und Verlauf des Krieges erschöpft. Und gerade weil man wußte, daß mancher Deutsche die Grenzbewohner für un zuverlässige Deutsche hielt, war man beson ders stolz darauf, zeigen zu können, daß das Elsaß treu zu Kaiser und Reich stand. Der Kaiser rief! Das allein war entscheidend. Man hatte seit 40 Jahren von dem kommen den Kriege gesprochen: die einen, die Fran- zöslinge — als von einem gerechten Rache kriege, die andern, die sich mit Len Verhält nissen abgefunden hatten und denen Deutsch lands Fürsorge für das Reichsland mehr galt als das schlappe Regiment der Franzosen, die sich nie um Las Elsaß gekümmert hatten, diese andern hatten von dem Kriege ge sprochen als von einer Notwendigkeit zur Erhaltung und Befestigung deutscher Macht und deutscher Herrschaft. Kurz, die Mobil machung fand offene Herzen, die zu jedem Opfer bereit waren, ohne zu sinnen und zu klagen. Nur einige wenige trugen bei aller Er hebung Leid im Herzen. Und unter ihnen war neben Antonie Wehrlin und Hermann Ferchhammer auch der andere Sohn des Ein ödbauern, der jetzt im dunklen Park von Hohenlindow mit der Tochter des Schloßherrn auf und niederging. Die Ulmen rauschten und hier und da schlug ein verträumter Vogel ein paar Töne an. Am See gluckste das Wasser gegen die leichten Ruderboote und tausendstimmig pries der Chor der Frösche die Schönheit dieser hereinbrechenden Sommernacht. Die beiden, die jetzt die wildromantische Seepromenade betraten, fühlten nicht die heiße Lebenswelle, die über sie dahin brauste. Ihre Gedanken weilten in weiter unabmeßbarer Feme, und in jähem Erschrecken über die Bilder, die sie da sahen, schwiegen sie beide: denn hinter den lichten Bildern ihrer jungen Phantasie stand mit flammenden Lettern das Wort Abschied. Sie verschwiegen einander das namenlose Weh, das ihre Herzen zusammenkrampfte, wenn sie an den Abschied dachten, wie sie all die Jahre hindurch von ihrem Fühlen für einander geschwiegen hatten. In ihrem Be wußtsein war das Gefühl der Zusammenge hörigkeit fest verankert, obwohl sie nie ein Wort darüber ausgetauscht hatten. Und dennoch empfanden sie heute das schweigend« Wandeln, wie etwas Furchtbares, wie ein Fliehen voreinander. Unter dem Zwange dieses Gefühls sagte sie endlich — sie hatten eben einen freien Platz betreten, auf den der Mond gespenstische Schatten warf: - .Wir müssen nun Abschied nehmen, Artur«
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