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Vie Stimmung in Irland. Der irische Politiker Hannay, ein England- freund, veröffentlicht einen Artikel über »den neuen Geist in Irland". Er berichtet, wie in den ersten Wochen des Krieges ein ganz neuer Geist aus der „grünen Insel" sich zu entfalten schien. Alle nationalistischen Bewegungen gegen England schienen verflogen. Selbst die größten Zweifler glaubten an die Wirklichkeit dieses neuen Geistes. Aber seitdem hat sich ein deutlicher Umschwung vollzogen, und er begann mit den Rekrutierungsversuchen des irischen Parteiführers Redmond, die einen völligen Mißerfolg bedeuteten. Wie groß oder vielmehr wie winzig klein die Zahl der irischen Rekruten ist, weiß nie mand, denn das Kriegsministerium hütet sich wohl, diese Zahl bekannt zu geben. Aber kein Zweifel ist, daß das kriegerische Jren- volk, das sonst in der englischen Armee einen hohen Prozentsatz stellt, mit tauben Ohren die Werbetrommel hörte. Eine sehr beträcht liche Anzahl junger Männer ist nach Amerika geflohen, um sich jeder Möglichkeit einer An werbung zu entziehen; die Kompagnien der nationalistischen Freiwilligen verschwanden mehr und mehr, und jede Zumutung eines Kampfes für England wurde mit Entrüstung aufgenommen. Die gegen England gerichtete Bewegung zeigte einen Einfluß und eine Stärke, die die Politiker einiach nicht für möglich gehalten hatten. Weil es diesen englandfeindlichen Strömungen nicht gelungen war, sich bei der Parlamentswahl gegen Redmond durchzusetzen, hatte man sie gering geschätzt; nun zeigt es sich, daß das ein schwerer Irrtum war. „Die ganze Überlieferung des irischen Nationalismus ist England feindlich gesinnt. Schon von seiner Kindheit an wird dem Iren beigebracht, daß er die „bewaffnete Macht der Krone" verabscheut. Nun war zwar die Be hauptung, daß Irland jetzt die Selbstverwal tung erlangt habe und den Haß der Jahr hunderte vergessen könne, sehr bestechend, aber niemand glaubt, daß Irland wirklich Home- rule erlangt hat trotz der Zustimmung des Königs zu dem langumstrittenen Gesetz." Die england-feindliche Bewegung verfügt über be trächtliche Geldmittel, die ihr von den ameri kanischen Iren zur Verfügung gestellt worden sind. Sehr viel hat zur Unterstützung der Eng- landfeindschast auch die deutschfreundliche Literatur beigetragen, die von den amerika nischen Iren nach der Heimat gebracht wurde. „Beim Ausbrechen des Krieges war die Stimmung des irischen Volkes zwar in der Hauptsache ohne Begeisterung, aber doch den Verbündeten günstig. Nun ist in vielen Orten ein Umschwung erfolgt zur Sympathie mit den Deutschen, und diese Veränderung ist ebenso sehr der Verbreitung von Schriften aus Amerika als dem Einfluß der heimischen Blätter zuzuschmhen. Dieser Haß gegen England und der Abscheu vor der Rekrutie rung sind nun einmal da. Nun gibt es Leute, die denken, Lgtz dies Gefühl mit Gewalt unterdrückt werden müßte und die Propaganda durch Erschießen der Propagandisten aus der Welt geschafft werden könne. Dies Mittel ist natürlich wirksam, wenn man genug Leute er schießt, aber mehr Rekruten bekommt man da durch auch nichts Der Verfasser führt dann aus,/daß ein wichtiger Anreiz zum Eintritt ins Heer, der in England wirke, für Irland fortfalle. Denn Irland habe bisher noch wenig von den Ein wirkungen des Krieges zu leiden gehabt; die zum größten Teil Ackerbau treibende Bevölke rung leidet weniger Not, und „Arbeitslosigkeit und Elend sind zweifellos sonst wichtige Mittel der Rekrutierung". So ist das völlige Versagen der Werbetrommel auf der „grünen Insel" zu erklären. ^on UNÄ fern. Zunahme des Fremdenverkehrs in Berlin. Ein erfreuliches Zeichen für die Be lebung des Wirtschaftsmarkles in der Reichs- Hauptstadt stellt der zunehmende Fremdenver kehr dar, der hauptsächlich auf die Besuche der Einkäufer und Reisenden zurückzuführen ist. Während im September .nur 69 658 poli ¬ zeilich gemeldete Fremde in Berlin anwesend waren, ist die Zahl im Oktober auf 74 914 ge stiegen. Im Oktober 1913. zur Friedenszeit, betrug die Zahl der Fremden in Berlin aller dings 126 394. Der Rückgang ist hauptsächlich auf das Ausbleiben der Ausländer zurückzu führen. Geschichtliche Funde im Schützen graben. Eine seltene Überraschung ist dem Magistrat der Stadt Köpenick zuteil geworden. Er erhielt aus dem Felde eine größere Kiste mit interessanten Versteinerungen, die bei der Anlage eines Schützengrabens auf franzö sischem Gebiet gefunden worden sind. Die Sendung stammte von der ersten Gardepionier ersatzkompagnie. bei der der zweite Bürger meister von Köpenick, Prümers, als Leut nant d. R. sieht. Auf Wunsch des Bürger meisters wurde der Fund der Sammlung der Köpenicker Körner-Schule einoerleidt. Ein französischer Flieger in deutscher Gefangenschaft. Der französische Flieger Brindejonc de Moulinais ist von den Deut schen gefangen genommen worden. Brinde jonc de Moulinais ist einer der erfolgreichsten französischen Flieger. Er wurde besonders dadurch berühmt, daß er am 10. Juni 1913 die erste Strecke seines Europafluges Paris- Berlin-Warschau an einem einzigen Tage durchflog und in den folgenden Tagen über Dünaburg, Petersburg, Reval, Stockholm, Kopenhagen, Hamburg nach Paris zurückflog. Dreizehn Söhne iry Felde. Von der 6. Kompagnie eines in Paderborn liegenden Ersatz-Jnfanterie-Regimenls wurde vor einigen Tagen ein Rekrut aus Iserlohn eingezogen, von dem bereits zwölf Brüder vor dem Feinde stehen. Somit stehen dreizehn Söhne eines Vaters, der bei der Garde gedient hat, unter Waffen. Drei davon wurden mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet, vier sind verwundet. Aus einem Gefangenenlager in Frank reich entkommen. Der aus Saargemünd stammende, 17 Jahre alte Sohn des Gastwirts" Urbach, der als Kellner in Spinal in Stellung war, suchte bei Ausbruch des Krieges von Epinal über Nancy nach Deutschland zu ge langen, wurde dort aber gefangen gesetzt und nach einem Gefangenenlager in der Nähe von Bordeaux gebracht. Hier ist es ihm nun ge lungen, zu entkommen. Er erreichte Marseille und von dort aus unter vielen Mühseligkeiten Italien. Über Österreich trat er dann die Heimreise an. Er meldete sich sosort als Kriegsfreiwilliger. Autounfall zweier Fliegeroffiziere. Auf dem Wege zum Flugplatz Darmstadt stürzte ein mit mehreren Offizieren besetztes Automobil Um. Der Fliegerleutnant Baron wurde sofort getötet; der Führer des Auto mobils, Fliegerleutnant Saino, wurde schwer verletzt. Die Granate auf der Eisscholle. Die Reise einer Granate sand in Dirschau ihr Ende. Das Geschoß war aus einer Eisscholle vom Kriegsschauplatz in Polen die Weichsel hlnabgeschwommen und landete am Weichsel- ufer. Durch Sprengen wurde das Geschoß unschädlich genmcht. , Sturmflut in Christianis. Die Hafen- teile von Christiania sind von einer gewal tigen Sturmflut heimgesucht worden. Es wurde ein großer Schaden an Waren, Schiffen und Gebäuden am Christiansjord verursacht. Einige große Betriebe anr Fjord mußten die Arbeit einstellen. vermischtes. Wie die Bilder der Londoner National- galerie gegen die Zevveline geschützt werden. Die Engländer, die in diesen drang vollen Zeiten noch den Wunsch hegen sollten, der Nationalgalerie in London einen Besuch abzustatten, finden diese berühmte Stätte Ler Kunst seltsam verändert. Während sie durch den Anblick der Schönheit ihre Gedanken von den Sorgen Les Tages ablenken wollen, werden ihre Blicke sogleich wieder auf die Kriegsgefahr hingewiesen, denn die Museums verwaltung hat umfassende Vorkehrungen ge troffen, um ihre kostbarsten Schätze gegen die Bomben der Zeppeline zu schützen. An den Wänden, von denen sonst strahlende Meister werke grüßten, herrscht gähnende Leere. Hie und da hängen als Überbleibsel der einstigen Pracht ein paar Bildchen von geringerem Werf, die sonst in die Winkel oder in die Nähe der Decke verbannt waren. In anderen Sälen, wo die Kostbarkeiten nicht so dicht beieinander waren, steht es noch etwas voller aus; aber auch hier stolpert man sofort über einen großen eisernen Wasserbehälter, der in der Mitte eines jeden Museumsraumes auf gestellt ist. Die vorsorgliche Verwaltung hat hier die genügenden Wassermengen versammelt, damit die Löscharbeit im Falle einer durch Bomben hervorgerufenen Feuersbrunst sosort beginnen könne. Im ganzen sind mehr als 260 Bilder aus der englischen Nationalgalerie entfernt und in bombensichere Gewölbe ge bracht worden. Auch Privatleute, die dem Museum Bilder als Leihgabe überlasten hatten, sind ängstlich geworden und haben ihre Schätze schleunigst zurückverlangt, um sie möglichst in Sicherheit zu bringen. Oer russilcke Minter. Welchen Einfluß hat die Kälte auf den Krieg? Hindenburg hat jüngst bemerkt, daß der Beginn des Winters in Rußland für uns hervorragende Bedeutung hat, da die Russen sich jetzt nicht mehr in die Erde graben können. Diese Äußerung beweist, daß an maßgebender Stelle nicht nur keine Besorgnis vor dem russischen Winter herrscht, sondern daß er gleichsam als Bundesgenosse empfunden wird. Tatsächlich ist der russische Winter besser als sein Ruf. Die Besorgnis vor einem Winterfeldzug unserer Truppen in Rußland stützte sich haupt sächlich auf die allgemeine Anschauung, daß die Winter in Rußland ungewöhnlich kalt sind und von unseren ein wärmeres Klima ge wöhnten Truppen nur schlecht ertragen werden können. Diese Anschauung wird noch gestützt durch die altbekannte Geschichte von der Ver nichtung des französischen Heeres Napoleons I. durch die russische Winterkälte. Heute sind aber die militärischen, auf wissenschaftlichen Feststellungen beruhenden Vorbereitungen ganz anderer Art. Die hohen Kältegrade, die die russischen Winter aufweisen, geben zu Be sorgnissen heut für einen Winterseldzug durch aus keine Veranlassung. Bei dem Feldzug Napoleons spielten tausend Dinge mit. Erstens war dieser Winter unge wöhnlich kalt, zweitens war das Heer schlecht versorgt und ermattet, so daß es auch dem geringsten Ansturm des Winters nicht ge- wachfen war und endlich war auch der Winter überraschend schnell gekommen. Heut kennt die Wissenschaft genau die Kältegrade, die in den einzelnen Landesteilen erreicht werden. In Polen herrscht durchaus eine Temperatur, wie sie in Posen und Schlesien bekannt ist. Be sonders trifft das sür das westliche Polen zu. Warschau hat z. B. im Dezember eine durch schnittliche Wintertemperatur von 1,9 Grad Kälte. Im Januar von 3,1 Grad Kälte. Das sind Temperaturen, wie wir sie in Posen und Breslau durchaus gewöhnt sind. Je mehr man sich dem Innern Polens nähert, desto größer-werden naturgemäß die Kältegrade. So hat z. B. Brest Litowsk. im Dezember eine durchschnittliche Temperatur von 3 Grad Kälte und im Januar von 4,8 Grad. In Len rus sischen Ostseeprovinzen mit Einschluß von Riga sind durchschnittliche Wintertemperaturen nn Dezember von rund 3 Grad und im Januar von 4,6 bis 5 Grad Kälte sestgestellt worden. Petersburg hat dagegen schon eine durch schnittliche Temperatur von 6,4 Grad und von Ä,L Grad in den beiden Monaten auszuweisen. Die meisten anderen Landesteile, Lie nur für einen Feldzug sür unsere Truppen selbst bei langsamem Vorrücken in Betracht kommen, Haden aber bei weitem geringere Temperaturen als Petersburg aufzuweisen. In diesen sind nämlich, wenn wir das Gelände um Kiew an nehmen, Temperaturen von 4,5 Grad und 6,2 Grad in den einzelnen Monaten üblich. Wilna hat sogar noch bei weitem geringere Kältegrade, die zwischen 3,6 und 6,5 Grad schwanken. Aus diesen Angaben ist zu ersehen, daß auch vom wissenschaftlichen Standpunkte aus Lie Besorgnis vor einem Winterseldzug in Rußland durchaus unbegründet ist. Es kommt noch dazu, daß für unser Heer in so um fastender Weise alle notwendigen Vorbe reitungen getroffen worden sind, daß irgend welche Gefahren überhaupt nicht vorhanden sind. Die Zufuhr aus Deutschland nach den von uns besetzten Landesteilen ist durch die Wirksamkeit unserer Eisenbahner vollkommen ungehindert und läßt ein Versagen der Ver sorgung überhaupt nicht aufkommen. (Die Armee Napoleons hat bekanntlich gar keine Versorgung an Wintersachen.gehabt und auch keine Möglichkeit hierfür.) Die Truppen er tragen den russischen Winter, wie aus vielen Feldpostkarten hervorgeht, genau so gut, wie sie Übungen in Deutschland zur Winterzeit aushalten, denn die strengen Winter, die wir in Deutschland bereits gehabt haben, ohne daß wir Nachteile sür unsere Truppen selbst bei langen Übungen verspürt hätten, geben den russischen Wintern in denjenigen Landes teilen, die sür einen Krieg auch in Zukunft in Betracht kommen werden, durchaus nichts nach. Oer K.etter des ^aren. Welche Vorstellungen sich das russische Volk von seinem „Väterchen Zar" macht, das zeigt eine kleine Geschichte von dem Groß vater des jetzigen Herrschers, an die in der ,Tribunch erinnert wird. Alexander II. war ein nüchterner und arbeitsamer Herr, nur hin und wieder erlaubte er sich, eine Zigarette zu rauchen, aber das Volk wat fest überzeugt, daß er ganz unmäßig in seinen Ausschweifungen wäre. Eines Tages kommt zum Winterpalast aus einer seinen Provinz im innersten Rußland ein starker Bauer; er bittet zunächst zum Zaren geführt zu werden, und als man ihm Schwie rigkeiten macht, wird er sehr dringlich. „Ich muß mit Väterchen sprechen," ruft er in höchster Erregung aus, «ich muß ihn retten!" Der Zar wird benachrichtigt und empfängt den Bauer. Er hört ihn an, lacht, drückt dem Mann die Hand, läßt ihm eine Anzahl Rubel aushändigen und entläßt ihn. Als er wieder zu feiner Umgebung im benachbarten Saal kommt, lacht der Zar noch immer. „Witzt Ihr, was mir der Bauer gesagt hat? „Väter chen, wir wissen alle in meinem Dorf, Laß du ganz unmäßig säufst, sodaß du in der Nacht nicht schlafen kannst. Hier hast du ein Tränk- lein, das dir erlauben wird, immer weiter zu trinken, ohne daß es Dir den geringsten Schaden macht." Mein Wort, daß das nicht stimmte, machte nicht den geringsten Eindruck auf den Mann, er blieb bei seiner Meinung und wollte mir durchaus sein Mcktelchen über geben, fest überzeugt, daß er damit ein großes Werk vollbringe. Die Augen leuchteten ihm förmlich vor Freude . . ." GeriMskaile. Kastel. In dem im Kasseler Vorort Nieder zwehren befindlichen Gefangenenlager hatte ein französischer Kriegsgefangener, von Berus Schlosser, einen raffinierten Gaunertrick angewandt, indem er einen ihm übergebenen Gutschein von Brot- lieferung über 75 Pfg. auf 6,75 Mk. erhöhte. Ein Kamerad von der Tripleentente, ein Ruffe, der in der Kantine aushilfsweise beschäftigt ist, entdeckte die Fälschung. Es wurde Anzeige erstattet, und das Kriegsgericht verurteilte den Täter auf Grund der Aussage seines russischen Kameraden zu vier Monaten Gefängnis. Goldene Morte. Streb'-unermüdlich Gutem nach Und nimm vor Bösem deine Flucht. Nie schlafen darf, wer jenes sucht. Und, wer dies flieht, sei immer wach. --.Rückert. Es kommt nicht darauf an, ob die Sonn« in eines Monarchen Staaten nicht untergeht, sondern was sie während ihres Laufs in diesen Staaten zu sehen bekommt. Lichtenberg. Den Degen soll ein Mann nicht ohne Ursach' zieh'n . Und ohne Ehre dann auch nicht einstecken ihn. Rückert. Nm das heißt Leben, Wenn dein Heut' ein Morgen hat. Hammer zu nehmen. Und mit Feuerleitern brannten die Worte seines Todfeindes in seiner Seele: „Martin Wehrlin, bist doch ein schlechter Kerl." — Nein, sagte er sich selber, sein Haß gegen Anton Ferchhammer war ge recht, und jedes Mittel, dem Verhaßten zu schaden, war recht, aber deshalb durfte er sich nicht zum Spion, zum Angeber erniedrigen. Was er mit dem Einödhof abzumachen hatte, das ging nur ihn und Anton Ferchhammer an, und niemand sollte da als dritter ein Werkzeug sein. So muhte denn der Offizier ohne jeden Erfolg wieder in das Hohenlindowcr Herren haus zurückkehren. Der Kriegsrat dort be gnügte sich inzwischen mit dem Erlaß von Verfügungen, die der deutschen Herrschaft im Elsaß für immer ein Ende machen sollten. In der blumenreichen Sprache, die man noch von dem ersten Napoleon sür den Kriegs fall behalten zu haben scheint, nur daß sie den Zwergen nicht sowohl ansteht als dem Riesen von Korsika, wurde darauf hingewiesen, daß fetzt endlich nach dreiundvierzig Jahren der Tag der Erlösung gekommen sei. Der rote Anschlag wurde an allen Mauerecken der vier Dörfer weithin sichtbar angeklebt. Aber man beachtete ihn nur wenig. Nur über den Schluß war man erstaunt, denn da wurden die treuen Elsässer zu den französischen Fahnen einbe rufen. Niemand aber leistete dem Rufe Folge. Es war, als ob die waffenfähigen Männer die Dörfer bereits verlassen hatten. Vier, fünf Lage gingen so dahin, und man merkte fast gar nicht, daß über Europa der gewaltigste Krieg hereingebrochen war. den es seit Jahr hunderten gesehen hatte, wenn es nicht über haupt der gewaltigste aller Zeiten war. Am sechsten Tage änderte sich plötzlich das Bild. Aus den starken Verschanzungen, die die Franzosen jenseits von Neuendorf, dort, wo sich der Höhenzug aus der Gemarkung Hohenlindow hinabfenkie in die weite Ebene, angelegt hatten, kam beim Morgengrauen eine Kavalleriepatrouille angesprengt und machte anscheinend eine wichtige Meldung. Das ganze Lager geriet darob in große Auf regung. Durch alle Dörfer klang der Alarm, und die Bewohner kamen ängstlich vor die Türen. Bald wußte man, um was es sich handelte. Die Deutschen hatten sich am Rande der Ebene gezeigt, und es hieß, sie hätten starke Artillerieabteilungen hsrangehracht, um Lie Franzosen wieder aus dem Elsaß zu werfen. Der Gemeindediener Jemens, der sich seit dem Einfall der Franzosen ungeheuer viel auf seine französische Abstammung zugute hielt, ging in den Dörfern mit einer Bekannt machung umher, Lie folgenden Wortlaut hatte: „Bewohner des Elsaß! Das siegreiche Frankreich, das die ^Deutschen, unter deren Knechtschaft ihr dreiundvierzig Jahre geschmach tet habt, zurückgeworfen hat, wird in diesen Tagen mit demGegner die Entscheidungsschlacht schlagen. Wir werden auch weiterhin siegreich bleiben und Len Gegner zurückwerfen. Be reits ist die russische Armee im Anmarsch auf seine Hauptstadt. Ihr könnt also den Waffen Frankreichs trauen. Es wird sich vor allem darum handeln, daß ihr in diesen kommenden Tagen ruhiges Blut bewahrt, daß ihr nie vergeßt, wie sehr Frankreich euch liebt, und daß es das ungeheure Opfer dieses Krieges mit einem grausamen Gegner nur auf sich ge nommen hat, um euch aus seiner Knechtschaft zu erlösen. Bewohner des Elsaß! Frankreich, das ruhmreiche, zählt auf euch. Eure Liebe und Treue und unsere Waffen werden den Sieg erfechten helfen, der euch für immer die ersehnte Freiheit bringen soll." Martin Wehrlin las den Anschlag an sei nem Hauls m hrmals. Er glaubte nicht recht an all' das, was da auf dem geduldigen Papier stand. Er erinnerte sich noch sehr gut, daß sein Vater, der den Krieg 1870/71 mitge macht hatte, sehr häufig von der allgemeinen Freude im Elsaß gesprochen hatte, die sich kundgab, als es unter deutsche Verwaltung kam, denn man wußte sehr wohl, daß Frank reich sich um die Grenzprovinzen fast nie ge kümmert hatte. Sie waren ihm eigentlich erst lieb geworden nach dem Frankfurter Frieden. Und mit dem Buchwaldbauern waren viele der Meinung, daß die Ausführungen der fran zösischen Machthaber eitel Trug seien, denn man kannte doch schließlich das deutsche Heer. Es war wohl schlechthin unmöglich, daß dieses Heer den Feind in so wenigen Tagen nach der Hauptstadt kommen ließ, wenn er überhaupt dahinkam. Von Grabow her erscholl Musik, , die Truppen rückten an, um Lie Vorposten hinter Neuendorf zu verstärken. Die Leute machten ernste Gesichter: denn sie wußten wohl, daß jetzt Ler Siegesmarsch, Ler sie im ersten An lauf über die Vogesenpässe hinter sich geführt hatte, auf den ernstesten Widerstand stoßen würde. Sie sängen gleichwohl die Mar seillaise und Spoitlieder auf Deutich'and. Plötzlich ging ein Aufhorchen durch ihre Reihen. Aus der Ebene von Neuendorf rollte kurz hintereinander der Donner von Geschützen. Dort hatte der Artilleriekampf begonnen. Beim ersten Schuß waren erschreckt alle Ein wohner der Dörfer auS ihren Häusern auf die Straße geeilt. Die Männer standen da mit finsteren Stirnen, denn sie sahen ihre Lebensarbeit durch den schrecklichen Würger Krieg bedroht, die Frauen weinten, denn sie merkten jetzt zum ersten Maie, wie bitter ernst der Krieg war, dessen ganze Wahrheit die Mobilmachungstage in den Dörfern nicht zeigen konnten, weil Jubel aus den jungen Kehlen schallte, weil ein seltsamer Glanz die jungen Augen verklärte, weil die Lust am un bekannten und das Vertrauen auf die eigene Kraft und das heiße Fühlen sür das be drängte deutsche Land die jungen Menschen beseelte, die sich lachenden MundeS von Mutter, Weib, Kind und Braut verab schiedeten, um auf dem Felde der Ehre mit ihrem Blute den Bund mit der Heimaterde zu besiegeln. So hatten es die Alten in den ersten Tagen gesehen, da immer wieder und immer wieder durch die Dörfer Scharen von jungen Menschen zogen hinauf nach Straßburg und Metz, nach Kolmar und Stuttgart, um dem Rufe der Fahne zu folgen. Ru » (Fortsetzung folgt.)