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Ottendorfer Zeitung : 21.10.1914
- Erscheinungsdatum
- 1914-10-21
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-191410215
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19141021
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19141021
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-10
- Tag 1914-10-21
-
Monat
1914-10
-
Jahr
1914
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 21.10.1914
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Vor Marlc^u. In aller Stille haben die deutschen Truppen im Osten ihren Vormarsch fortgesetzt. Man hatte diese Braven über dem Fall von Antwerpen und der Besetzung von Lille einen Augenblick vergessen. Nun aber hat die kurze Meldung aus dem Großen Hauptquartier aller Augen nach dem Osten gelenkt, wo in wenigen Tagen eine Hauptentscheidung fallen muß. Die deutschen Truppen stehen vor Warschau! Deutsche Brummer und öster reichische Mörser werden in diesen Tagen ihre eisernen Grüße in die alte heilige Stadt senden, deren Geschichte zurückreicht bis-,zum Jahre 1226, da die Herzöge von Masowien hier ihre Gerichtstage abhielten. Im Jahre 1794 standen die Preußen vor den Toren, auf derselben Ebene, da im ruhm reichen Mittelalter der polnischen Geschichte die Könige Polens sich krönen ließen, und seit der dritten Teilung Polens bis zum Jahre IMS war die alte Residenzstadt in den Händen der Preußen. Damals nahmen sie die Fran zosen, die sie wieder an die Ruffen abtreten mußten. Nach 120 Jahren stehen wir aber mals vor den Toren Warschaus, das der Zar zu seiner westlichen Hauptstadt zu machen ge dachte, wenn Rußland erst bis an die Elbe reichte. Aber anders als damals tönt jetzt unser Einlaßbegehr. Das einige Deutschland pocht an die Fronfeste des Zartums, von der aus Polen, Juden und Deutsche jahrzehnte lang gemißhandelt worden sind. Väterchen hatte sich nach Warschau, Lem berg und Krakau begeben wollen, um seine rückwärts siegenden Truppen ein wenig auf- zumuntern. Noch vor wenigen Tagen hat er ja Truppen nach England und Frankreich senden wollen. Nun ist er selber schleunigst wieder heimgezogen, und seine Truppen braucht er, um den anüringenden Rächern den Weg nach seiner Residenz zu erschweren: denn daran ist nun nicht mehr zu zweifeln: die vereinigten Deutschen und Österreicher drängen nach Petersburg und Moskau. Das Land ist weit genug und bietet ungeahnte Entwick lungsmöglichkeiten. Freilich in Rußland glaubt man sich sicher und gedenkt der Zeit vor hundert Jahren, wo Napoleons stolzes Heer auf den unwirtsamen Schneefeldern Rußlands den Untergang fand. Nun, die Mär von der alles Leden töten den Kälte im russischen Reiche, die jetzt die Blätter in Petersburg ihren naiven Lesern auftischen, schreckt uns nicht. Wir sind der frohen Zuversicht, daß wir, wenn Gott unseren Waffen den Sieg schenkt, unsere Truppen gegen die Unbill des Wetters geschützt sein werden. Natürlich, in Rußland rechnet man damit, daß wir die alte Heeresstraße Kowno — Moskau wählen, die über die Beresina führt, und auf der einst Napoleon vom Verhängnis ereilt wurde. Hier wäre auch bei bestorgani siertem Nachschub einige Gefahr, weil in der öden Gegend die Russen sehr leicht wie da mals alles verwüsten könnten. Aber wir kennen heute eine lohnendere Heerstraße, die ins Herz des Feindes führt, in seine Kornkammern, in seine Eisenlager und Kohlengruben, in seine Geschützfabriken. Das ist der Weg von Lemberg über Kiew, Jekaterinoslaw, Poltawa nach Zarizyn lan der Wolga). Längs dieser ganzen 1800 Kilo meter langen Straße liegen Rußlands größte Kohlen- und Eisengruben, südlich davon die unerschöpflichen Getreideaussuhrgebiete, die zu verwüsten Selbstmord für die Ruffen bedeu tete. Von Zarizyn aus steht der Weg nach Moskau offen, das nach Besetzung dieser Ge biete den Vordringenden keinen Widerstand leisten könnte. Niemand kennt die Absichten der ver bündeten Deutschen und Österreicher. Sie stehen vor Warschau! Das genügt uns vorläufig, und wir trösten uns mit dem Be wußtsein, daß schließlich auch der russische Winter nicht länger dauert als der unsre. Und da ja unsre Feinde den Krieg bis zur Vernichtung wollen, so müssen wir damit rechnen, daß unsre wackeren Truppen diese Wintermonate auf russischer Erde verbringen. Wenn dann der Frühling kommt, sind sie dem Herzen des Feindes so nahe, daß sie den Sommer nicht verstreichen lassen brauchen, ehe sie es erreichen. Lassen wir uns vorläufig an Ler Nachricht genügen, daß unsre Truppen vor Warschau stehen, vor der einst so großen und herrlichen Stadt, in der jetzt das Banditentum sich breit macht und in der die Bevölkerung mit Verzweiflung einer Hungersnot entgegen sieht. Ll. v. * * * verschiedene Uriegsnachrichten. 5V0 0VV französische Tote und Ver wundete. Eine in Barcelona erscheinende Zeitung läßt sich am 29. September von der franzö sischen Grenze berichten, die Franzosen hätten 180000 Tote und 350000 Ver wundete. Von Gefangenen wird nichts gemeldet. — über Paris, Calais, Nancy, Belfort erschienen in den letzten Tagen wiederholt deutsche Flugzeuge, die Mitteilungen von dem Vorrücken der deutschen Truppen, bezw. Bomben abwarsen. * Der geheimnisvolle Sprengstoff. Der Marinesachverständige der .Times" äußert in einem Artikel über den Untergang des russischen Kreuzers „Pallada" die Vermutung, daß die deutschen Torpedos und Minen mit einem besonderen Spreng st off „Trinitrotoluen" geladen seien, deren Wirkung verheerend sein soll. — Der Kommandant der Verteidigungswerke an der Themse, Medway, ließ eine Bekannt machung anschlagen, worin die Bevölkerung vor feindlichen Luftschiffen und Flugzeugen gewarnt wird. Man müsse, sobald man schießen höre, Deckung suchen, möglichst in Kellern und Boden vertiefungen. * Die Haltung Portugals. Der Gouverneur von Angola hat für Por tugiesisch-Kongo das Kriegsrecht erklärt. — Das Verhalten Portugals in diesem Kriege ist so merkwürdig, daß man nicht weiß, was man davon halten soll. Zunächst verhielt sich dieses Land scheinbar neutral, zeigte sich dann kriegsbereit und erklärte schließlich, sich vor derhand nicht in den Krieg einmischen zu wollen (wenigstens nicht, so lange es Eng land nicht befahl). Jetzt wird wieder der Kriegszustand in der portugiesischen Kongo kolonie erklärt. Daß diese Erklärung des Kriegszustandes in engem Zusammenhänge mit der gleichen Maßregel in Südafrika steht, ist klar. Die Engländer treiben wieder ein Doppelspiel, indem sie den Buren und den Portugiesen gleichzeitig als Lohn für die Be teiligung am Kriege Deutsch-Südwestafrika versprechen. * Wie es bei den Russen aussieht. Wie aus einem nach Danzig gerichteten Briese eines Artillerieoffiziers hervorgeht, wurden bei einem Gefecht vom 9. Oktober von den deutschen Truppen russische Gefangene gemacht, von denen einzelne junge Leute von 15 Jahren waren, die erst seit einer Woche in der Uniform staken. — Aus sicherer Quelle verlautet, daß Urmia an der persischen Grenze von tür kischen Kurden besetzt wurde. Der dortige russische Konsul wurde vertrieben. Wie bulgarische Blätter melden, nehmen die serbischen Greuel in den neuserbischen Bezirken ungeheure Ausdehnung an. Im Dorfe Udowo wurden kürzlich ein Türke, in Bedschet Tschausch zwei Bulgaren, im Dorfe Sermenin im Bezirk Gewgeli eine Bulgarin gekreuzigt. In Sofia herrscht darüber große Erregung. * Die Türkei macht ernst. Der ehemalige türkische Großwesir Hakli Pascha, der seit Jahren als Unterhändler über englisch-türkische Fragen sich in London aufgehalten hat, ist von dort nach Konstantinopel zurückgereist. Da die Abreise Hakki Paschas offenbar nichts andres be deutet als die Tatsache, daß der türkische Unterhändler in London nichts mehr zu suchen, d. h. nichts mehr zu verhandeln hat, so darf man sie wohl als eines der vielen Sturmzeichen ansehen, die dem Eintreten schrofferer Beziehungen zwischen England und der Türkei vorangehen. — Sieden alba nische, der türkischen Armee angehörende Offiziere, die sich vom Balkankriege her in serbischer Gefangenschaft befanden und sich für die serbische Propaganda in Albanien gewinnen ließen, sind in der Türkei zum To de v erurt e ilt worden. Diese Verur teilung beweist ebenfalls zur Genüge, daß die Türkei Serbien, den Bundesgenossen des Dreiverbandes, als Feind betrachtet. Vie Klagen über clie feläpost. Unerfüllbarkeit vieler Wünsche. Zu den mannigfachen Klagen über die Feldpost nimmt ein Artikel der halbamtlichen ,Nordd. Allgem. Ztg." Stellung, in dem u. a. ausgeführt wird: Da wir in Deutschland ge wohnt sind, daß die Post schnell und zuver lässig arbeitet, nimmt das Publikum ohne weiteres an, daß auch die postalische Verbin dung mit den im Felde stehenden Truppen ebenso prompt sich abwickeln müßte. Denn jeder Soldat steht in irgend einem militäri schen Verbände, und die Post braucht bloß nachmschlagen, wo dieser Verband sich befindet, um jede Sendung bestellen zu können. Wie aber steht es in Wirklichkeit aus? Zunächst ist der ganze Feldpostbetrieb von dem gewöhnlichen Postbetrieb völlig getrennt. In 19 Postsammelstellen im ganzen Deutschen Reiche — davon drei in Bayern, eine in Württemberg — werden zunächst alle Sen dungen für das Heer nach ihrer Art (Briefe, Zeitungen, Paketchen) getrennt und dann auf dem Wege einer immer feineren Sichtung — nach Linienkorps, Reseroekorps, Landwehr korps: dann Linienreserve-, Landwehrersatz formationen innerhalb der einzelnen Regi menter bis hinab zu den Bataillonen und Batterien — verteilt. Alsdann beginnt wieder die Zusammenfassung nach Sen dungen für die Angehörigen der ein zelnen Armeeoberkommandos, der General kommandos, der Armeekorps und der Divisionen; denn bei jeder von diesen befindet sich eine Feldpost anstalt, die die einlaufenden Sendungen bataillonsweise an die einzelnen Truppenteile ausgibt. Die Verteilung dort ist Sache der Truppe selbst; die Feldpostan stalt bestellt also nicht die einzelnen Sen dungen, wie vielfach irrtümlicherweise ange nommen wird. Welch genaue und sorgfältige Arbeit dieses Sortierungsgeschäft daheim er fordert — denn jede Adresse wird an der Hand der vorliegenden Listen auf die Richtig keit nachgeyrüst — davon kann man sich nun wohl eine Vorstellung machen. Zur weiteren Illustrierung diene der Hinweis, daß der Post infolge der Mobilmachung etwa 70000 Be amte entzogen wyrden sind, für die unaus gebildete Hilfskräfte eingestellt werden mutzten. Nachdem diese Sichtung vollzogen, gehen die Sendungen, in Tausende von Säcken ver packt, auf der Eisenbahn bis an die Grenze, wo die Etappenstraßen beginnen, auf denen besondere Feldpostbeamte die Feldposten für die Armeeoberkommandos, die Generalkom mandos und Divisionen übernehmen und sie diesen zusühren. Zu beachten hierbei ist, daß ein solcher Transport durch Deutschland drei Tage dauert, weil nur Militärzüge benutzt werden können, und durch das kleine Belgien sogar vier Tage. Und auch dies nur, wenn der Beförderung der Post kein Hindernis entgegensteht, La in erster Linie alle Bahnlinien der Truppenbeförderung und dem Nachschub von Proviant und Munition, sowie der Rückbeförderung von Verwundeten dienen müssen. Militärische Rücksichten gehenalfo voran. Wenn schließlich die Bahnstrecke endigt, muß Lie Beförderung im Automobil oder Wagen zu Hilfe genommen werden, und diese ist bei der starten Inan spruchnahme aller Etappenstraßen mindestens ebenso behindert wie die Beförderung aus der Bahn; laufen doch allein über Aachen täglich 30 hochbeladene Eisenbahnwagen mit Postsendungen nach Belgien und Nordsrank reich ! Damit sind aber alle Hindernisse, die sich der rechtzeitigen Beförderung Ler Postsachen entgegenstellen, noch lange nicht erschöpft. Des öjteren ereignet es sich, daß ein Truppen teil zu einer anderen Armee versetzt wird, jo daß sein neuer Bestimmungsort erst spater bekannt gegeben werden kann. Oder es be finden sich dis Truppen im Gefecht oder aus dem Marsch, sodaß eine sofortige Behändi gung unmöglich ist. Und welchen verschiedenen Zufällen ist jeder einzelne Krieger ausgesetzt: er kann verwundet worden sein und ist in ein Lazarett geschafft worden, ohne daß selbst seine Truppe sofort weiß, wo er sich befindet. Ähnlich liegt so der Fall bei den Vermißten, von denen später viele bei anderen Truppen auftauchen, denen sie sich im Kampfe ange schlossen haben, oder die, ohne daß es ein Kamerad bemerkte, verwundet wurden und nun in einem Lazarettzug nach Deutschland befördert wurden. Die Post kann von solchen Änderungen erst Kenntnis erhalten, wenn sie von dem betreffenden Truppenteil selbst dienst lich festgestellt sind, was im Felde einige Zeit erfordert. Aber aller Hindernisse würde die Feldpost Herr werden, wenn das Publikum selbst sie etwas mehr unterstützte. Es finden sich aber noch immer zahlreiche Postsendungen — zwei Fünftel von allen! —, die ungenügend oder völlig falsch adressiert sind. Einen Kanonier Fritz Stellte im 11. Artillerieregiment kann man wirklich im Kriege nicht ausfindig machen. Leider liefern auch jene Kreise der artig ungenaue Adressen, von denen man dieses nach den vorangegangenen aufklärenden Hinweisen in den Zeitungen eigentlich nicht erwarten sollte. Und dann die mangelhafte Verpackung der Päckchen und Pakete! Schon schadhaft kommen sie an, und bei der Weiter beförderung kollert alles durcheinander, oder es fällt überhaupt heraus. Die Postsammel stellen lassen daher seit mehreren Wochen alle ungenügend verpackten Pakete an den Ab sender zurückgehen. Wir haben hier nur einen Ausschnitt aus all den Schwierigkeiten ge liefert, mit denen die Feldpost zu kämpfen hat. Wer sie aber mit Aufmerksamkeit prüft, dürste in Zukunst wohl kaum mehr geneigt sein, alle Schuld der Feldpost aufzubürden. Es gibt eben in der Tat eine Unmenge un erfüllbarer Wünsche. Belgiens Tulammenbruck. Das Land in deutschem Besitz. Vergeblich bemühen sich unsere Feinde, dem Ausland vorzulügen, der Fall Ant werpens sei bedeutungslos, da das ganze belgische Heer intakt sei und sich ohne Ver luste nach der Küste zurückgezogen habe. Diesmal ist die Wahrheit ihren Lügen voraus geeilt: denn als diese Nachrichten im Ausland bekannt wurden, hatten bereits holländische Blätter lange Artikel über die Auflösung des belgischen Heeres veröffentlicht. Wir wissen außerdem durch Lie Meldungen unseres Gratzen Generalstabes, daß über 25 000 Belgier und Engländer aus holländischem Boden ent waffnet worden sind, während 6000 in unsre Gefangenschaft fielen. Daß aber Las belgische Heer völlig zu- sammengedrochen ist und nur seine Trümmer jetzt über Ostende nach England gelangen, geht aus der Schilderung des Kriegsbericht erstatters des .Nieuwe Rotterdamsche Courant" hervor, der seinem Blatte schreibt: Es stellt sich heraus, daß die Verbündeten durch Über gabe Antwerpens ihren Stützpunkt am linken Flügel verloren haben und sich nunmehr aus ganz Belgien schnell zurückziehen. Die Deutschen rücken unter der Losung: „Wir werden sie totmarschieren!"" in Eilmärschen vor. In der Richtung Furnes kämpfte die Nachhut der englisch-französisch-belgischen Armee mit der deutschen und wurde schließlich geworfen. Belgien ist nunmehr vollkommen in der Macht Ler deutschen Truppen. Das ganze östliche und westliche Belgien wird durch sie von den belgischen Soldaten gesäubert. Die Deutschen stellen überall den Straßenbahn verkehr wieder her. — Diese Schilderung in Verbindung mit den knappen aber inhalts reichen Meldungen unseres Großen Haupt quartiers zeigt, daß Belgien in unserem Besitz und daß unser Vormarsch gegen Nordsrank reichs Küste unaufhaltsam ist. Wir werden balü Englands Kanalnachbarn sein. Vock glücklick geworäen. 22j Roman von Otto El st er. «Fortsetzung.) Er tat, als sei nichts geschehen und war klug genug, die Vorfälle der letzten Tage mit keinem Worte zu erwähnen, sondern sich mit Eifer der Angelegenheiten Trudes anzu nehmen. Auch seine geheime Freude, daß er nun bald in den vollen Besitz des Erbes des so schwer Erkrankten eintreten würde, wußte er zu verbergen: er gab sich Mühe, rücksichtsvoll und zartfühlend Trude gegenüber zu erscheinen, um ihr jeden Grund zu nehmen, an eine Trennung von ihm zu denken. Er befolgte darin den Rat seines schlauen Vaters, der ihm ein solches Benehmen dringend ans Herz legte. Aber Trude kannte jetzt ihres Gatten Charakter zu genau, um an eine durchgreifende Besserung zu glauben. Sie ließ ihn gewähren, aber sie könnte ihm nicht mehr vertrauen, und sie atmete erleichtert auf, als nach zwei Tagen Herbert eintraf, dem sie von der schweren Erkrankung des Vaters Mitteilung gemacht hatte. Weinend fiel sie dem Bruder in die Arme, der sie seit zwei Jahren nicht gesehen und der sich in dieser Zeit zu einem ernsten, starken und zielbewußten Manne entwickelt hatte. „Ich bin deinem Rufe gefolgt, Trude," sprach Herbert ernst und bewegt durch den Schmerz der Schwester, „weil du meiner be darfst und um dem Vater die Hand zur Ver söhnung zu bieten, ehe es zu spät ist. Du schriebst mir, daß eine unmittelbare Gefahr nicht vorhanden sei. . ." „Die Katastrophe kann jeden Tag eintreteu, Herbert, so sagt wenigstens der Arzt. Vater liegt noch immer ohne Bewußtsein da, er er kennt niemanden, obgleich seine Augen ruhe los umherwandern. Aber er kann kein Glied rühren — ach, es ist schrecklich anzusehen!" „So kann ich ihn sehen, ohne fürchten zu müssen, daß mein Anblick ihn erschreckt oder ausregt?" «Ich glaube, daß keine Gefahr dabei ist. Er wird dich nicht erkennen." Die Begrüßung zwischen den beiden Schwägern war kühl und förmlich. Franz gab sich allerdings Mühe, einen wärmeren Ton anzuschlagen, aber ein instinktives Gefühl hielt Herbert ab, darauf einzugehen, obgleich er von dem Zerwürfnis zwischen Franz unü Trude nichts wußte. Aber Trudes vergrämtes Gesicht schien ihm noch einen anderen Grund zu haben, als die Erkrankung des Vaters. Er kannte Franz und vermochte ihm kein Ver trauen entgegenzubringen. Franz fühlte es wohl und verabschiedete sich bald von den Geschwistern, um zu seinem Vater zurückzukehren und sich mit ihm zu berat schlagen, wie man sich Herberts Auftreten gegenüber zu verhalten habe. Die Geschwiner gingen zu dem Kranken hinein, Ler starr und regungslos mit ge schloffenen Augen dalag. Nur ein Zucken um die Mundwinkel verriet, daß noch Leben in ihm war. Der Krankenwärter erhob sich, um den Ge schwistern Platz zu machen. «Es scheint besser mit ihm zu gehen", flüsterte der Wärter. „Er hat vorhin ein paar Worte gesprochen — aller dings unverständlich — aber das kann sich mit der Zeit bessern." Er begab sich dann in das Vorzimmer, um einige Eiskompressen herzurichten. Herbert stand am Veit seines Vaters und sah mit ernstem, traurigem Blick auf den Be wußtlosen, den er in der vollen Kraft und Rüstigkeit seiner sechzig Jahre verlassen, um ihn als hilfloses Wrack wieder zu finden. Ernste, traurige Gedanken kamen ihm; er hatte manches heftige Wort von seinem Vater gehört, hatte manche Ungerechtigkeit und Härte ertragen müssen, war fogar Miß handlungen ausgesetzt gewesen, aber es war doch immer sein Vater, dem er sein Leben ver dankte, der ihn als Kind geliebkost, der ein liebevoller Vater zu ihm gewesen, bis die un selige Leidenschaft ihn immer mehr ergriffen, bis in Selbstsucht und trotziger Eitelkeit ver wandelt worden war, was früher nur Stolz und das Bewußtsein seines eigenen Wertes gewesen war. Das Wort „Vater" ließ sich so leicht nicht aus dem Gedächtnis und aus dem Herzen streichen, und Herberts Augen wurden feucht, als er den Vater, der so streng, so heftig, so ungerecht gegen ibn gewesen war, jetzt als einen kranken, hilflosen, schwachen Mann daliegen sah. Lohnte es sich, der Vergänglichkeit der menschlichen Kraft, der Vergänglichkeit des Lebens gegenüber dem Zorn, dem Stolz, dem Trotz einen Platz im Leben zu gönnen, das in einer Sekunde durch die Hanü einer geheimnis vollen Macht zerschmettert werden tonnte? Trude lehnte das Haupt an des Bruders Schulter unü weinte leise vor sich hin. „Wenn du nicht fortgegangen wärest, Herbert", flüsterte sie, „wäre dieses schreckliche Ereignis nicht eingetreten." „Mache mich nicht dafür verantwortlich, Trude", entgegnete Herbert düster. „Ich konnte damals nicht anders handeln." „Aber weshalb sträubtest du dich so gegen den Wunsch des Vaters, Else Martini zu heiraten? Alles wäre anders gekommen." Herbert erglühte. Er wußte nichts zu er widern. Was er damals trotzig von sich ge wiesen, das ersehnte er jetzt mit aller Kraft seines Herzens: was ihm damals als eine Entwürdigung erschienen, machte jetzt sein höchstes Glück aus. Das war seine Schuld und seine Strafe! Er konnte und durste seinem Vater nicht mehr zürnen, daß er jenen Wunsch gehegt, der jetzt seines eigenen Herzens sehnlichster Wunsch geworden war! Nicht der Vater trug die Schuld, er selbst war der Schuldige, daß er trotzig sein Herz der Liebe verschlossen, die dann im Sturm sein Herz erobert hatte. „Es wird alles noch gut werden, Trude," sagte er leise, „wenn nur Vater wieder gesund wird." „Wir werden niemals glücklich werden," schluchzte Trude. Ich wenigstens . . ." „Bist du nicht glücklich, Trude? Du hast doch Alles . . ." „Ach, frage mich nicht!" Sie verbarg ihr Gesicht an seinem Herzen und weinte heftig. , Herbert erkannte in diesem Augenblicke, was er bisher nur geahnt: daß Trude in ihrer Ebe unglücklich geworden war.
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