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Börsenblatt f. d. deutschen Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. 3395 Nichtamtlicher Teil. Vorn Reichstag. Fortsetzung der zweiten Beratung des Gesetzentwurfes, betreffend das Urheberrecht an Werken der Litteratur und der Tonkunst. (Vgl. Nr. 93, 94, 96 d. Bl.) 76. Sitzung am Donnerstag den 18. April 1901 (Schluß). (Nach dem amtlichen stenographischen Verhandlungsbericht.) vr. Niebcrding, Wirklicher Geheimer Rat, Staatssekretär des Reichs-Justizamts, Bevollmächtigter zum Bundesrat: Meine Herren, bei der Vorberatung des Gesetzentwurfs haben wir auch über die jetzt diskutierte Frage Sachverständige gehört nnd bei dieser Dis kussion waren zugegen nicht nnr Verleger, sondern auch Autoren und be sonders auch Dichter. Da hat sich dann ergeben, daß wohl Verleger da waren, die für die Zulassung der Anthologien im bisherigen llmsang sich aussprachen, daß aber kein einziger Autor, kein Dichter geneigt war, in dieser Richtung eine Konzession zu machen. (Hört! hört!) Diese That- sache könnte auch de» Herrn Vorredner etwas bedenklich machen, wenn er in seinen Ausführungen davon ausgegangen ist, daß wohl cs im Interesse der Autoren, nicht aber im Interesse der Verleger liege, die Anthologien unbeschränkt zuzulassen. Die Erfahrungen, die wir gemacht haben, sprechen entschieden nicht für die Annahme des Herrn Vorredners. Nun, meine Herren, giebt es Anthologien, die nicht nur auf gesetz mäßigem Wege, sonder» vielmehr auch — ich will über das formelle Recht hinausgehen — auf durchaus loyale Weise zu stände kommen, und, indem ich das konstatiere, gebe ich auch zu, daß die Anthologien den Bedürfnissen des Volkes in breiter Ausdehnung Rechnung tragen. — Diese Anthologien, die in loyaler Weise zu stände kommen und auch in Zukunft sollen zu stände kommen können, die eine berechtigte Existenz haben, sollen durch den Vorschlag der Kommission nicht angegriffen werden. Diese würden danach auch in Zukunft verfaßt und verbreitet werden können. Sie bestehen aus Bruchstücken von Werken der bereits gcmeinfreien Autoren — die können ohne weiteres ausgenommen werden —, sie bestehen aber auch aus den Dichtungen moderner Verfasser, die noch unter Schutz sich befinden. Es kann, wie mir scheint, doch keine Schwierigkeiten machen, die Zustimmung der betreffenden Autoren nnd Verleger zu einer derartigen Entlehnung zu gewinnen. Geschieht das, dann ist cs möglich, unter loyaler Berücksichtigung der Interessen der Autoren, derartige Anthologien in Zukunft zu stände zu bringen, und das wird der Entwurf ermöglichen; aber es giebt, wieder Herr Vorredner auch anerkannt hat, eine große Anzahl von Büchern, die keineswegs auf dieser Grundlage entstehen, sondern die ohne Rücksicht auf die Autoren zusammen geschnitten werden, und deren Herausgeber und Verleger, wie ich glaube, viel weniger die Bedürfnisse des Volkslebens, die Bedürfnisse der Be lehrung und Unterhaltung in unserem Volke im Auge haben als das Bedürfnis, mittels derartig zusammengeschnittener Bücher ein gutes Ge schäft zu machen. Diesen letzteren, nach meiner Meinung, vom loyalen Standpunkte betrachtet, nicht berechtigten und für die geistigen Bedürfnisse unseres Volkes nicht notwendigen Anthologien soll die Vorlage ent- gcgcntreten. Die Herausgabe von Zusammenstellungen fremder Autorschöpfungen zu einem eigentümliche» litterarischcn Zweck ist eine Erfindung der Gesetz gebung von 1870. Die frühere preußische Gesetzgebung kannte diese Lizenz nicht. Die Gesetzgebung des Auslandes kannte sic ebenso wenig, bis auf einzelne Staaten, und auch diese kennen sie nur in sehr beschei denem, mit dem jetzigen Zustande nicht zu vergleichendem Umfange. Auch die gegenwärtige Gesetzgebung des Auslandes kennt mit einigen wenigen Ausnahmen diese Bestimmung nicht. Kultnrstaaten, wie Frankreich, Bel gien, Italien, England haben sie nicht, und das Volk kan» dort seine geistigen Bedürfnisse befriedigen, ohne daß üi der Weise unserer Antho logien moderne Erzeugnisse fremder Autoren benutzt werden, ohne will kürliche Entlehnungen aus Werken selbständig schaffender Verfasser. Auch das sollte uns zu denken geben. Als im Jahre 1870 diese Bestimmung durchgegangcn war, knüpfte sich an die damit anerkannten eigentümlichen Zwecke auch eine eigentümliche Entwicklung an; denn nun sproßten die -Tichtcrwäldcr und ähnliches der Art, mit schönen Namen ausgestattct nnd auch zum Teil mit hübschen Illustrationen versehen, zum Anreiz für das Publikum, nur so in die Höhe. Die Zahl dieser Anthologien wuchs, als ob seit 1870 ein ganz neues Bedürfnis in unserm Volksleben hervor getreten wäre, nnd so haben wir jetzt viele derartige Werke, die sich zum Teil nur durch eine schöne Ausstattung und fesselnde Zusammenstellung auszeichnen, alle aber kein anderes Verdienst in sich tragen, als daß sie eine oberflächliche Uebersicht über fremde geistige Erzeugnisse gewähren. An diesen Ausgaben, meine Herren, hat das Volk kein Interesse, das Volk kann seine geistigen Bedürfnisse auch ohne sie befriedigen. Auch wirkliche Autoren haben kein Interesse daran; denn vielfach werde» derartige Werke nnr so gemacht, daß ein kompilatorisch begabter Kopf von einem Verleger angenommen wird nnd nun die nötige Auswahl aus dem vorliegenden Material bewerkstelligt. Interesse an diesen Dingen hat der Verleger, der ein neues Produkt aus den Markt bringt, mit einigen Novitäten gegenüber anderen gleichen Werken aus stattet und dann sein Geschäft dabei macht. Ich möchte Sie fragen, ob das Bedürfnis unseres Volkslebens dahin geht und es der Würde unserer Gesetzgebung entspricht, derartige Erzeugnisse unter den Schutz rechtlicher Bestimmungen zu stellen? Meine Herren, es ist uns gesagt worden, diese Bücher machten Re klamen für die Autoren. Wie kommt es denn, daß die Autoren, die doch selbst ihre Interessen zu wahren wissen, entschieden gegen diese guten Dienste Protestieren? Die Autoren glauben sich selbst mächtig genug, um für sich mit ihren eigenen Werken zu werben, sie wünschen diese Unter stützung der angeblich für sie interessierten Buchhändler und Kompilatoren gar nicht Ich glaube, meine Herren, lassen wir es bei dem gegenwärtigen Zu stande, dann wird, wenn ich so sagen dars, die Gewissenlosigkeit auf diesem Gebiete der litterarischcn Produktion sich immer weiter entwickeln zum Nachteil unseres gesamten litterarischcn Verkehrs. Wohl ist uns gesagt worden, das Reichsgericht habe hier bestimmte Grenzen gezogen. Aber meine Herren, das Reichsgericht hat unter Anwendung der Bestimmungen, wie sie das Gesetz von 1870 enthält, nnd unter dem Streben, diesen Be stimmungen eine innerlich gerechtfertigte Grenze zu ziehen, schwer gelitten, und man kann nicht behaupten, daß die Rechtsprechung des Reichsgerichts jetzt zu einem befriedigenden Resultate geführt hätte (sehr richtig!), das eine klare Begrenzung enthält. Auch jetzt noch, meine Herren, kommt es trotz der Rechtsprechung leider zu häufig vor, daß neue Kompilationen der Art entstehen, die nicht verdienen, auf dem Markte zu erscheinen, weil kein Bedürfnis es rechtfertigt, weil sie der eigentlichen Tendenz der Ge setzgebung von 1870 kaum entsprechen. Derart, meine Herren, liegen die Dinge, daß, wenn solche Anthologien deutscher Herkunft ins Ausland gehen, sie dort der Gefahr unterliegen, wegen Nachdrucks verfolgt zu werden, und daß, wenn beispielsweise ein englischer Richter etwa eine solche Anthologie vor seinem Richterstuhl abzuurteilen bekommt, er den Verbreiter wegen Nachdrucks bestrafen wird, mit einigen, wie es in Eng land ja üblich ist, nicht gerade schmeichelhaften Bemerkungen über die Zu stände, unter denen derartige Werke entstehen können. Meine Herren, ich sollte meinen, wir thun gut und vertreten die Würde der Gesetzgebung unserer Nation, wenn wir hier bestimmte Grenzen gegenüber der Ausbeutung ziehen, und ich darf Ihnen deshalb nur em pfehlen, cs bei dem Vorschläge Ihrer Kommission zu belassen. Nun will ich aber gern zugebcn, daß es eine Anzahl von Büchern giebt, zu denen ich nicht bloß die Kommersbücher rechne, zu denen man auch andere gesellige Liederhcfte rechnen kann, Büchelchen sür die Kinder, für die gesellige Unterhaltung der Jugend, die man wohl dulden kann, weil sie die Interessen der darin benutzten Autoren wirklich nicht verletzen. Wenn Sie nach dieser Richtung hin eine Konzession an das tägliche Leben machen wollen, so, glaube ich, würde gegen den Antrag des Herrn Abgeordneten Wellstcin nichts zu erinnern sein. Ich glaube, die ver bündeten Regierungen würden sich mit ihm wenn auch nicht befreunden, so doch ihn nicht beanstanden. Ich empfehle Ihnen deshalb: lehnen Sie beide Anträge ab. Wollen Sie das aber nicht, dann lassen Sie es wenigstens bei dem Anträge Wellstein bewenden. Hautzmarrri, (Böblingen), Abgeordneter: Meine Herren, ich habe meinerseits denselben Antrag in der Kommission gestellt, den heute der Herr Kollege Hasse gestellt hat, und ich werde sür diesen Antrag stimmen aus den Gründen, welche der Herr Kollege Fifcher in der Haupt sache dargelegt hat. Mir scheint cs ein Moment der Volksbildung zu sein, und zwar sür die unteren Klassen der Bevölkerung ebenso wie für die oberen. Wie soll die Bevölkerung Lyrik genießen können, wenn nicht in der Form derartiger Sammlungen und Anthologien! Wie soll auch der gebildete Mann sich in der Lyrik zurecht finden, wenn nicht dadurch, daß er solche Sammlungen liest! Ich meinerseits werde stets dankbar bleiben für die Seherische Zusammenstellung »Bildersaal der Weltlitteratur», und in ähnlicher Weise werden andere sich ihren Ueberblick über diese litterarischen Produktionen verschaffen können. Wem will zugemutet werden, die ganze Summe der Lyrik in sxtorwo durch Anschaffung oder auch nnr durch Entlehnung aus den Bibliotheken sich zu verschaffen! Demgegenüber machen die Anhänger des Kommissionsantrages gel tend, die Lyriker, die Dichter seien geschädigt. Das vermag ich nicht ein zusehen. Wodurch sind sie geschädigt? Was ist ihr Nutzen, wenn die Anthologie» nicht mehr in bisheriger Weise herausgcgeben werden können? Sie meinen, sie würden dann mehr gelesen werden, wenn, wie heute der Ausdruck war, ihre Rosinen» nicht in Anthologien aus genommen wären. Da täuschen sich die Herren ganz gewaltig, wen» sie meinen, daß diejenigen, die ihre Produkte in den Sammlungen lesen, 442