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Die Holzstoff-, Holzzellstoff- und Papierfabrikation Deutschlands. Der Vorsitzende des Schutzvereins der Papier-Industrie und des Vereins Deutscher Buntpapier-Fabrikanten, Herr Kommerzien- rath Max Krause, hat ein Schreiben folgenden Inhalts erhalten: Ministerium ftir Handel und Gewerbe. Berlin, den 9. Februar 1893. Bei dem raschen Aufschwünge, den die Holzstoff-, Cellulose- und Papierfabrikation in Deutschland genommen hat, sind deren gegen wärtige Produktions- und Absatzbedingungen in betheiligten Kreisen sowie in der Presse verschiedenartig beurtheilt worden. Ich habe hieraus Veranlassung genommen, die wirthschaftliche Cage dieser Industriezweige einer näheren Untersuchung unterziehen zu lassen. Die hierüber in meinem Ministerium ausgearbeitete Denkschrift übersende ich dem Direktorium anbei in 5 Abdrücken zur gefälligen Kenntnissnahme und beliebigen Benutzung. Zugleich ersuche ich, etwaige Thatsachen, die in der Denkschrift nicht berücksichtigt sind, aber für die Beurtheilung der Sachlage be deutsam erscheinen, mir mittheilen zu wollen. Der Minister für Handel und Gewerbe. Frhr. v. Berlepsch. Inhalt der Denkschrift. I. Holzstoff-Fabrikation. Bntincklung, Umfang und Lage. Die mittels Schleifens auf Steinen erfolgende Zerkleinerung und Zerfaserung des Holzes zu Papierstoff entstand in Deutschland beim Beginn der 60iger Jahre. Anfangs langsam fortschreitend, entwickelte sich die Holzschleiferei bald rasch, indem sie sich unter Benutzung an sehnlicher Wasserkräfte vorzugsweise in den Gebirgsthälern in oder nahe bei den Forsten ansiedelte und Fichten-, Tannen-, Aspen- und Lindenholz, seltener Kiefern-, Buchen- und Birkenholz verarbeitete. Während Fichten- und Tannenholz das am meisten zur Verfilzung geeignete Zeug lieferte, zeichnete sich der aus Aspen- und Lindenholz hergestellte Stoff durch grössere Weisse aus. In den ersten Jahren wurde die geschliffene Holzfaser nur als Zusatz zum Papierstoff und für untergeordnete Zwecke verwendet; sodann lernte man aber auch aus dem unvermischten Holzstoffe Pappen, Braunholzpapier und — nach dem Reinigen und Bleichen — selbst helles, wenn auch brüchiges Papier herstellen. Einen grossen Aufschwung nahm die Holzstoff industrie, als es gelungen war, durch Dämpfen und theilweises Befreien des Rohholzes von den Harzbestandtheilen (den sogenannten Inkrusten) dem daraus geschliffenen Holzstoffe eine grössere Zähigkeit (Verfilzungs fähigkeit) zu geben und zu dessen Herstellung selbst geringwerthige Kiefernhölzer zu verwenden, indem diesen mindestens 15 pCt. Inkrusten entzogen wurden. Gegenwärtig werden in Deutschland ungefähr 600 Holzschleifereien mit einem jährlichen Verbrauch von einer Million Raummeter Holz und mit einer Jahres-Erzeugung von 3‘/2 Millionen Doppel-Centnern Holzstoff betrieben. Ihr Betrieb ist von den Witterungsverhältnissen (Wasser zugängen) und der Regelung der Waldwirthschaft grösstentheils ab hängig. Namentlich bezieht sich dies auf das Königreich Sachsen, wo allein 240 Schleifereien (40 pCt.) betrieben werden, während die übrigen 360 Schleifereien auf Schlesien, den Harz, die Rheinprovinz usw., sowie auf Bayern, Württemberg, Baden und den Elsass vertheilt sind. Etwa die Hälfte der deutschen Erzeugung wird an die Papier fabriken verkauft oder in eigenen Fabriken der Schleifereien zu Papier verarbeitet; aus der anderen Hälfte werden in den Pappen fabriken der Schleifereien braune sogenannte Lederpappen und weisse Holzpappen hergestellt. Auswärtige Konkurrenz; Ein- und Ausfuhrstatistik; Preisschwankungen. Bis zur Mitte des vorigen Jahrzehnts wurde ein grosser Theil des Holzstoffs wie der Leder- und Holzpappen aus Deutschland nach Belgien, Frankreich, England und Russland ausgeführt. Nach dieser Zeit trat besonders der Wettbewerb schwedischer und norwegischer, schliesslich auch finnländischer Fabrikanten drückend hervor, indem diese mit »gepresster« (trockener) Holzmasse in stets steigenden Mengen auf dem Weltmärkte erschienen. Beispielsweise exportirte Schweden im Jahr 1890 insgesammt 643 955 Doppel-Centner und im Jahr 1891 = 863 360 Doppel-Centner gepresste Holzmasse; dagegen war Norwegens Gesammt-Ausfuhrmenge schon im Jahr 1887 auf 1 550 000 Doppel-Gentner gestiegen und hob sich auf 2 070 000 Doppel-Centner in 1890, sogar auf 2 350 000 Doppel-Centner in 1891 (im Werth von 7 Millionen Kronen zu 1,125 M.). An dem Export beider Länder sind hauptsächlich Grossbritannien, Frankreich, Deutschland und Belgien betheiligt; die grösste Steigerung zeigt hierbei der Antheil Frankreichs. Deutschlands Ein- und Ausfuhr an mechanischem (geschliffenem) Holzstoff, einschliesslich Strohstoff usw. stellte sich in den letzten Jahren folgendermaassen: Einfuhr. Ausfuhr. Dopp.-Ctr. Mark. Dopp.-Ctr. Mark. im Jahr 1887 64 051 1 025 000 144 628 2 603 000 1890 90 820 999 000 62165 746 000 1891 64 008 704 000 52 029 624 000 » » 1892 134 315 1 477 000 71 635 860 000 An dieser Einfuhr war Schweden allein mit 39 817 Doppel-Centnern im Jahr 1890 und .mit 23 275 Doppel-Centnern im Jahr 1891; Norwegen mit 33 587 bezw. 22 711 Doppel-Centnern betheiligt. Auf Schweden- Norwegen zusammen entfielen somit 80 bezw. 72 pCt. der Menge nach. Infolge der Entwicklung der Druckpapier-Fabrikation überstieg in Deutschland seit dem Jahr 1890 die Einfuhr die Ausfuhr erheblich. Bemerkenswerth ist namentlich die Verstärkung der Einfuhrmenge im letzten Vierteljahr von 1892, wodurch sich die Ziffer des ganzen Jahres auf mehr als das Doppelte vom Jahr 1891 erhob. An der deutschen Ausfuhr ist namentlich Grossbritannien und Belgien betheiligt. Der Durchschnittswerth für 100 kg Holzstoff sank in Deutschland von 16 M. (bei der Einfuhr) und 18 M. (bei der Ausfuhr) im Jahr 1887 auf 11 bezw. 12 M. in 1890 und in 1891. Für das Jahr 1892 ist ein weiteres Weichen des Preises bis auf 10—10,5 M. zu verzeichnen; doch gewinnt es bei der gegenwärtigen guten Absatzfähigkeit den Anschein, dass der Holzstoff für das Jahr 1893 einem normalen Geschäftsjahr entgegengeht. Der heimischen Papierfabrikation kam der angegebene Preisrückgang wesentlich zu statten. In bequem und reichlich gebotenen Wasserkräften, in billigem Rohmaterial von meist feinringiger und astreiner Beschaffenheit (Fichte und Tanne), ferner in günstigen VerfrachtungsVerhältnissen zu Wasser und in niedrigen Löhnen stehen der nordischen Konkurrenz Fabrikations vortheile zur Verfügung, wie sie Deutschland nicht geniesst. Die Ueber- legenbeit macht sich daher allenthalben geltend. Daneben ist der öster reichische Wettbewerb empfindlich. Einigermaass« n scheint sich die wirthschaftliche Lage der deutschen Holzstofffabrikanten dadurch ge bessert zu haben, «lass mit schwedisch - norwegischen Fabrikanten im August 1890 eine Vereinbarung über Betriebseinschränkung unter Fest setzung eines minimalen Verkaufspreises getroffen worden ist: doch wird auch hiernach eine lohnende Ausfuhr für Deutschland verloren sein. Denn angeblich betragen die Herstellungskosten für 100 kg gewöhnlichen Holzstoff in Deutschland 9,19 M. in Schweden-Norwegen 3,95 „ in Deutschland mehr 5,24 M. ferner die Herstellungskosten für braunen Stoff aus gedämpftem Holz in Deutschland 10,74 M in Schweden-Norwegen 4,92 „ in Deutschland mehr 5,82 M. Vom wirthschaftlichen Standpunkte aus erscheint es also für Deutsch land richtiger, wenn auf die Ausfuhr von Holzstoff zur Papierfabrikation thunlichst verzichtet wird. II. Holzzellstoff-Fabrikation. Entmcklung, Umfang und Lage. Kaum ein anderer Zweig der Industrie wird in Deutschland seit dem Anfang des vorigen Jahrzehnts eine so rasche Entwicklung wie die Holzzellstoff- oder Cellulose-Fabrikation aufzuweisen haben. Während bis 1882 noch die Mehrzahl der damals bestehenden wenigen Fabriken sich zur Auflösung des Holzes der kaustischen Soda (Natronverfahren) bediente, wendete man sich von da ab dem Aufschliessen oder Auf lösen durch schweflige Säure bezw. Calciumsulfit (Sulfitverfahren) auf Grund der Verfahren von Francke, Tilghman und Mitscherlich mehr und mehr zu. Nachdem der Patent-Anspruch des Dr. Mitscherlich, dass die Auflösung des Holzes mittels schwefliger Säure ohne seine Zu stimmung nicht erfolgen dürfe, durch Entscheidung des Kaiserlichen Patentamts gefallen war, entstanden im In- wie Ausland rasch neue Holzzellstoff-Fabriken, deren Produktion dem Verbrauch weit vorauseilte. Im Jahre 1883 waren deren in Deutschland 21, im Jahr 1885 schon 39 vorhanden. Zur Zeit umfasst die deutsche Holzzellstoffindustrie 63 Fabriken mit einer Gesammtbelegschaft von rund 8000 Arbeitern und mit einer Jahresproduktion von 1‘/2 Millionen Doppel-Centnern in ungefährem Werth von 32—40 Millionen Mark (gegen 1 Million Doppel-Centner im Jahre 1889). Die Fabriken sind vornehmlich auf Schlesien, Sachsen, die Rheinprovinz, Unterfranken und Baden vertheilt; die grössten und leistungsfähigsten befinden sich bei Mannheim (Waldhof) und Dresden: günstig situirte Anlagen besitzen eigene Waldungen. Die angegebene Gesammt-Produktion wird aus mehr als einer Million Raummeter Holz, meistens Fichtenholz, hergestellt. Auf die Natroncellulose entfallen von der Gesammtproduktion nur 125 000 Doppel-Centner, auf die Sulfit cellulose dagegen 1 375 000 Doppel-Centner. Ausgeführt werden un gefähr 50 000 Doppel-Centner Natroncellulose und 450 000 Doppel-Zentner Sulfit-Cellulose. Von den erwähnten 63 Fabriken sind nur 21 (ein Drittel) an der Ausfuhr betheiligt, während ein anderes Drittel den ge wonnenen Zellstoff selbst zu Papier (sogenanntem Surrogat- oder Cellu lose-Papier) für sich, sowie in Mischungen mit Holzstoff, Lumpenhalb zeug u. a. m. verarbeitet. Wird die Sulfitcellulose frei von allen der Holzfaser anhaftenden harzigen Inkrusten und ohne Spur von Säure oder Lauge hergestellt, so kann daraus bei dem gegenwärtigen Stande