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No 1. PAPI ER-ZEIIUNG. Kaufmännische Graphologie. Von W. Langenbruch. Vorwort der Redaktion. Herr Langenbruch, Verfasser der nachstehenden Arbeit, ist seit 21/2 Jahren Leiter eines im Anschluss an die Redaktion von Schorers Familienblatt begründeten graphologischen Bureaus. Er ist seit kurzer Zeit gerichtlicher Sachverständiger und hat uns durch Beurtheilung von Handschriften uns persönlich bekannter Personen die überraschendsten Beweise sowohl von dem Werth der graphologischen Wissenschaft als von seiner eigenen grossen Uebung in der Handschriften-Beurtheilung geliefert. Wenn bei den meisten Personen, welche sich für Graphologie interessiren, neben dem Reiz des Neuen, Fremdartigen, anscheinend Mystischen noch der Kitzel mitwirkt, die eigne Handschrift und diejenige bekannter Personen graphologisch zu ergründen, liegt bei der Geschäftswelt mit Bezug auf angewandte Graphologie ein viel ernsteres, tieferes Interesse vor. Hier handelt es sich darum, festzustellen, inwieweit ein auf gra phologischem Wege gewonnenes Urtheil über den Charakter eines Geschäftsfreundes oder Stellenbewerbers zutreffender ist als das Urtheil, welches man sich durch flüchtige persönliche Be rührung und Einsicht in Zeugnisse bildet. Die Graphologie behauptet, und viele tausend Firmen be stätigen dies mit mehr oder weniger Anerkennung, dass durch graphologische Prüfung ein viel gründlicheres Urtheil möglich ist. Manche bestätigten mir dies unter Hinzufügung der offenen Frage: »Wie macht man das eigentlich?« Diese Frage möchte ich in Nachstehendem, soweit sie auf kaufmännische Handschriften Bezug hat, den Lesern der Papier- Zeitung eingehend beantworten. Ich berücksichtige dabei der Reihe nach diejenigen Eigen schaften, welche der tüchtige Kaufmann in erster Linie besitzen soll. Denn alle die Eigenschaften graphologisch zu erläutern, die von diesem oder jenem Geschäftsinhaber von seinen An gestellten gefördert werden, würde zu weit führen. Beginnen wir mit der Energie. Unter Energie verstehe ich ein gewisses Maass von Willenskraft, bethätigt durch Entschlossenheit und Ausdauer. Willenskraft ohne diese Bethätigung kann vor handen sein (Phlegma), Entschlossenheit ohne Ausdauer eben falls (Initiative, aktive Willenskraft), Ausdauer ohne Entschlossenheit auch (passive Willenskraft). Woran erkennt man nun die Willenskraft? An der relativen Schwere der Schrift, soweit solche durch den (unbewussten) Druck auf die Schreibfeder zur Erscheinung gebracht wurde. Jede Druckstelle, die der Federspaltung ihr Dasein verdankt, bezeugt Willenskraft. Die Erklärung dieser rein physiologischen Erscheinung liegt auf der Hand: Der Willenskräftige macht auch sonst in seinem ganzen Gebahren fortgesetzt unbewusste Kraft äusserungen; in seinen Bewegungen, im Gehen, Sprechen, Dis- kutiren usw. Einen Willensstärken erkennt man meist auf den ersten Blick. Hat die Willensstärke Schrift zugleich keulenförmige, plötzlich abgebrochene Formen, dann liegt Entschlossenheit vor. Sind die Füsse der kleinen Buchstaben eckig, dann dürfen wir mit Sicherheit Ausdauer annehmen. In der folgenden Schritt-Wiedergabe, Fig. 1, sehen wir alles dies vereinigt. Diese Schrift veranschaulicht demnach die Hand schrift des Energischen. Fig. 1. Fig. 2 zeigt den nur Entschlossenen, nicht mit Ausdauer, aber mit Initiative Begabten, der gleich bei der Hand ist mit Wort und That, über der Arbeit aber die Lust zum weiteren Ausführen verliert. Hierher gehören im allgemeinen die Projektenmacher und viel Versprechenden. In Fig. 3 erkennt man den zähen, ausdauernden Menschen ohne besondere Entschlossenheit. Alles ist hier eckig und gleichmässig gross, was Konsequenz besagt, Keulen sind kaum angedeutet. Das ist der Mann der Leberlegung, der Vorsicht, der »Wenn« und »Aber«. Hat er aber einmal Feuer gefangen, dann ist er zähe und hartnäckig. Fig. 2. und man darf sich auf Durchführung des einmal Begonnenen verlassen. Es ist nothwendig, an dieser Stelle einzuschalten, dass mit grosser Ausdauer gewöhnlich Eigensinn’Hand in Hand geht; diese Eigenschaft liegt immer vor, wenn die Schrift korrekt, pedantisch Fig. 3. und eckig ist, insbesondere bei Damen; auch dann, wenn sonst keine Willenskraft durch Druckstellen in der Schrift zum Ausdruck gekommen ist. Bis jetzt haben wir nur Schriften kennen gelernt, welchen ein gewisser Grundzug von Willenskraft innewohnte (Schriften mit Druckstellen). Es giebt aber auch-solche ohne Druckstellen, also ohne eigentliche Willenskraft, wie man aus Fig. 4 sieht. Fig. 4. Solche Handschriften sind immer bedenklich, eben weil eine ausreichende Willenskraft nicht vorhanden ist. Sie bilden gewisser- maassen den Boden, auf dem Charakterschwächen aller Art üppig wuchern. Personen mit solchen Schritten sind nicht im Stande, etwaige ererbte oder erworbene Laster siegreich zu bekämpfen und Charakterschwächen abzulegen. Das grosse Heer der Herunter gekommenen schreibt ohne Druckstellen, aber nicht immer dünn, und damit kommen wir auf einen anderen Schriftcharakter, auf den schmierigen, Willensschwächen Duktus, welcher eine gewisse Schwere nur heuchelt. Der schmierige Duktus entsteht nicht durch Druck auf die Schreibfeder, sondern infolge sehr schräger Federhaltung. Die schräg gehaltene Feder schmiert, weil dann der Berührungspunkt von Feder und Papier weit grösser ist als bei steilerer Feder haltung. Selbstverständlich kann auch eine schmierige Schrift Druckstellen enthalten. Enthält sie aber keine, dann verräth sie nur den energielosen, materiellen genusssüchtigen Realisten, dem Lebensgenuss über alles geht, der aber mangels Thatkraft nicht im Stande ist, sich zu energischem Thun aufzuraffen. Der Dünn schreiber dagegen, gleich willensschwach, ist nie ein so arger Genussmensch wie der Besitzer der schmierigen Handschrift. Fig. 5 zeigt die Handschrift des genusssüchtigen Schwächlings. Fig. 5. Wiederholen wir kurz, so ergiebt sich: Die grundstrichreiche, keulenförmige Schrift verräth den Mann der That; die dünne, grundstrichlose den Thatkraftlosen; die dicke, schmierige, druck stellenfreie den schwachen materiellen Genusssüchtling. (Fortsetzung folgt).