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Wilsdruffer Tageblatt : 10.05.1940
- Erscheinungsdatum
- 1940-05-10
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-194005107
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19400510
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19400510
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1940
-
Monat
1940-05
- Tag 1940-05-10
-
Monat
1940-05
-
Jahr
1940
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 10.05.1940
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»er M nach MiegsverjMWq Zweifelhaftes Vertrauensvotum für Chamberlain — Vor Um bildung der Regierung Die Aussprache im Unterhaus über das mißglückte Norwegen-Abenteuer wurde mit einer Abstimmung abge schlossen, in der mit 281 gegen 200 Stimmen der von oer Regierung gestellte Vertrauensantrag angenommen wurde. Das ist kein überwältigendes Ergebnis für Chamberlain, son dern im Gegenteil ein ernster Wink, der beweist, daß die Miß stimmung gegen das Chamberlain-Kabinett sehr groß ist. Wenn man in Betracht zieht, daß über -10 Regierungsanhänger ihre Stimme der Opposition gegeben haben und 130 sich der Stimme enthielten und wenn man dazu die scharfe Kritik der Opposition an Chamberlain, die nach seiner Rede immer wieder sich in dem Sprechchor „Abtreten! — Abtreien!" vereinte, in Rechnung stellt, dann siebt es nicht so ans, wenn das Kabinett in seiner jetzigen Zusammensetzung noch lange am Leben sein wird. Trotzdem scheint Chamberlain noch nicht weichen, sondern vielmehr einen neuen Versuch unternehmen zu wollen, die Opposition zur Teilnahme an der Negie rungsverantwortung zu veranlassen. Auf diese Weise hofft er, der immer mehr um sich greifenden Mißstimmung im Lande entgegenzuwirken und die Oppositionspartei, die entschieden eine Kriegsverschärsung fordert, für sich zu gewinnen. Doch die Abstimmung ist eine innerpolitische Angelegen heit Englands. Viel wichtiger ist der Gesamteindrnck, den man gus der Parlamentsaussprache gewinnen mußte. Im Unter haus sowohl wie im Oberhaus, wo ebenfalls eine Aussprache über das Norwegen-Abenteuer siaiisand, wurden in klarster Weise die neuen englischen Aggressionsab- sichien rückhaltslos enthüllt Gleichzeitig ergaben die zum Teil äußerst scharfen Attacken der Lppositionsredner und die krampfhaften Verteidigungsreden der Regierungsvertreter hie völlige Ratlosigkeit, mit der das plutokratische England den Gründen und den Auswirkungen der Nieder lage in Norwegen gegennbersteht. Auf der Suche nach oer Schuld für diese unerwartete Katastrophe ist keine Ausrede zu lächerlich und dumm, um nicht von den verantwortlichen Kriegshetzern vorgebracht zu werden, und schamlose Beschul digungen der schändlich verratenen Norweger fehlten ebenfalls nicht. Verlogene EingeMdmffederVe^ Der englische Luftfahrtminister, Sir Samuel Hoare, mußte sich der Opposition stellen, nachdem sich der Unterhans- abgeordnete Morrison über offenbare Mängel bei der Be setzung von Flugplätzen in Norwegen beklagte und der Re gierung vorwars, daß sie leichtfertig die für Finnland be stimmte Streitmacht aufgelöst habe. Sir Samuel Hoare versuchte mit den seltsamsten Taschen spielertricks das völlige Versagen der englischen Luftwaffe im Kamps um Norwegen zu bemänteln, mußte dabei aber die ge waltige Ueberlegenheit der deutschen Luftwaffe im ganzen Verlauf seiner langatmigen Ausführungen immer ivieder zugestehen. Trotzdem haben die Operationen in Nor wegen nach Hoares Auffassung angeblich gezeigt, daß die bri tischen Kampfflugzeuge den deutschen Bombern weit überlegen sind, während er andererseits jammert, die dichte Folge der deutschen Bombenangriffe hätte es unmöglich gemacht, die bri tischen Seestützpunkte zu halten. Die britische Luftflotte ist, so rief Hoare tönend ans, „in Qualität und Quantität unüber troffen, nur ist sie nicht stark genug'. — Wo bleibt da die Logik? Der Erste Lord der Admiralität, Churchill, machte di« Versuche einer Ehrenrettung der britischen Luftwaffe nicht mit. Er gab kleinlaut zu, daß die beständigen Bombardierungen der Stützpunkte von Namsos und Andalsnes die Landung größerer Verstärkungen und den Nachschub unmöglich gemacht hätten. Gleichzeitig machte er den Norwegern den Vorwurf, daß sie die Gebirgspässe nicht gehalten und weder Straßen noch Eisenbahnen zerstört hätten. Der Nückzugs- beschluß sei daher „unzweifelhaft angebracht' gewesen. ' Dabei entschlüpfte dem Lügenlord sogar das Eingeständ nis, daß seiner Ansicht nach auch nicht die leiseste Aussicht be standen hätte, daß eine Armee mit einem Stützpunkt in Drontheim eine deutsche Armee mit ihrem Stützpunkt in Oslo erfolgreich hätte überwinden können. Auf die Frage der Opposition, warum man nicht die bri tische Schlachtflotte zur Unterbrechung der Verbindungen zwischen Deutschland und Norwegen eingesetzt habe, erwiderte Churchill ganz offen, daß diese Methode „zu kostspielig' gewesen wäre. Zum Schluß seiner Rede wartete Churchill mit einer neuen Ausrede für das Fiasko des englischen Norwegenabenteuers mu. Wenn Scyweoen, w meinte er nämlich, Norwegen zu Hilse gekommen wäre, und seine Lustbäsen zur Verfügung der britischen Luftstreitkräfte gestellt hätte, hätte England die Stel lung sehr wohl balten können. Der berüchtigte Kriegshetzer Duff Cooper äußerte im Unterhaus zwar sein Mißfallen mit der Politik der Regierung Aber auch er stieß in das gleiche Horn der Kriegsausweitung Er zeigte verdächtiges Interesse für den Balkan den er als den äußersten Vorposten der Neutralität bezeichnete Er schlug dann vor. einen „Staatsmann vom ersten Kaliber' zum Besuch der Hauptstädte aller dieser Länder zu entsenden, um ihnen klarznlcgen. daß es für sie heute nur zwei Auswege gebe: den einen, der die Sklaverei unter Deutschland bedeute und den anderen, nämlich die „Zusammenarbeit' mit Frank reich und Großbritannien für ihre eigene Unabhängiakeii und Rettung. Churchills neue Chance Die Abstimmung im englischen Unterhaus kommt einer Niederlage der Negierung Chamberlain gleich Hier ist zum erstenmal offenkundig die Stimmung des eng lischen Volkes zum Ausdruck gekommen das es satt »al. von einem Fiasko zum anderen und von einer Niederlage zur anderen auf große Siege und den sicheren Enderfolg vertröstet zu werden Selbst die Regierungspartei ist zer bröckelt. Wenn festgestellt worden ist, daß über 40 Anhänger der Regierung mit der Opposition gestimmt und 130 sich der Stimme enthalten haben, dann heißt das. daß man sich mit der Opposition vereinigt in der Forderung, die in den Sprcch- chöreu nach der Chamberlain Rede zum Ausdruck kam: „A b - treten! AbIre1en " Man muß also mit weiterer Umbildung oder, wie man in London zu sagen pflegt, mit einer „Rekonstruktion' der Regierung rechnen. Es sieht ganz so aus als müßte der alte hilflose Tapergreis Chamberlain der nach den Berichten neutraler Beobachter während der Unterhausaussprache wahre Höllenanalen ausaestanden haben muß. der zitternd den Zwicker bald von der Nase nahm und ihn dann bald wieder aussetzte, der nervös zwei Streichhölzer zerkaute, endlich ab treten von der politischen Bühne. Er hat dem englische» Volk zu viel Geduld zugemmel. Das heißt aber noch nicht, daß nun neue Männer anS Ruder kommen sollen, sondern man wird nur eine Umgrup pierung innerhalb der alten C l i q u e vornehmen, und als Nachfolger Chamberlains hat sich bereits sehr deutlich Winston Churchill dem Parlament empfohlen. Sollte man ihm die ganze Macht, von der er jetzt schon den Großteil in seiner Hand hat. überlassen, so wäre das eine neue Bestätigung dasür, daß Churchill, wo und wann auch immer er England §u einem Reinfall verhalfen hat, dadurch immer nur an Einfluß gewinnt und daß ihm das englische Volk jede Niederlage mit einer neuen Rangerhöhung belohnt. Es ist reichlich ausfällig, wenn Churchill die Niederlage in Norwegen offen zugibt, gleichzeitig aber militärische Sachver ständige dasür verantwortlich macht. Er zieht sich also wieder einmal geschickt aus der Schlinge und hängt schnell den Mantel nach dem Winde, der zur Zeit in England stark bläst. Der Forderung nach Kriegsverschärsung kommt er dadurch ent gegen. daß er in seiner Unterhausrede eine Steigerung der englischen Luftrüstung forderte. Aufsälligerweis« hat sich gegen Churchill keine Stimme der Opposition geregt, auch nicht, als :r die strategischen Fehler in Norwegen eingestand und den Fehlschlag eines Flottenangriffs aus Drontheim zugab DaS englische Volk ruf« also scheinbar nach Churchill. Es fordert neue Kriegsabenteuer, und die kann ihm kein anderer besser gewährleisten als der politische Hasardeur Winston Churchill. 2000 Kilometer Cisenbahnsirecken wieder benutzbar Veber 700 Meter Eifrubahnbrücken wieder her gestellt. Deutsche Eisenbahnpioniere haben in Norwegen die dortigen Eisenbahnstrecken in größerem Umfang wieder- hergcstellt. so daß bereits jetzt die Mehrzahl der Hauptverbin- dungsstreckcn wieder benutzbar ist. Wie umfangreich der Einsatz dieser deutschen Spezialtruppen bisher schon gewesen ist, zeigt die Tatsache, daß die deutschen Eisenbahnpioniere bisher 2000 Kilometer Strecke zum Verkehr freigegeben haben. Sie haben allein über 700 Meter Eisenbahnbrücken wieder hergestellt. Ob aktiv oder fördernd — nicht abseits stehen, wenn Hilfe nottut — Eintreten ins Deutsche Rote Kreuz! Muss MK avee Welt. Ein gehöriger Denkzettel Wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt, Uebertreiung der Straßenverkehrsordnung und des Lustschutzgesetzes halte sich der 31jährige Karl Hutschen- reuther aus Neuhaus vor dem Richler in Sonneberg zu veraniwoilen Er harre sein Fahrzeug vor einem Lokal m Neuhaus geparkt, ohne rechtzeitig Standlicht einzuschalten. Nach einer gehörigen Zeche begab er sich zu seinem Kraft wagen. schaltete ohne Rücksicht ans die Vsrdunkelunasvorschris- len das Lichi ein. ließ sich durch einen hinzukommenden Polizeibeamten nichl belehren, sondern leistele sogar noch Widerstand, als er. zur Vernehmung auf die Polizeiwache ge führt wurde Das Urteil lautete aus sechs Wochen Gefängnis und 30 RM Geldstrafe Strom im Wäschcdraht. Aus tragische Weise kam in Vol marstein im Rheinland eine junge Frau ums Leben, die einer Familie bei der Wäsche geholfen hatte. Als sie die Wäschestücke zum Trocknen aus den Wäschedrahl hängen wollte, erhielt sie einen elektrischen Schlag und war sofort tot. Noch ist nicht einwandfrei geklärt wie der Wäschedrahl unter Strom kommen konnie Kayenwochciiben im Kinderwagen. Als in Heide in Holstein eine Frau den Kinderwagen aus dem Hausflur bolle, um ihr Kind auszusabren, fand sie darin eine ganze Katzensamilie. eine Katzcnmuller mii sechs Jungen, die sich gerade diesen Ori ausgesucht halte, um ibre Jungen ans Licht der Weli zu brinaen Bergrutsch durch starke Regenfälle. Die starken Negenfälle der letzten Tage haben in Bosnien und Südserbien zu zahl reichen Verkehrsstörungen geführt Allein in der Umgebung von Seraievo kam es infolge von Bergrutschen zur Verschüt- lung von Eisenbahnstrecken und zur Entgleisung von Per sonen- und Gülerzügen Ferner wurde vurch einen Bergrutsch auf einer Länge von 50 Metern die Eisenbahnstrecke Belgrad— Skoplje- Saloniki zwischen Skoplje und der jugoslawisch-griechi schen Grenze verschiitiei Wieder Luftverkehr mit Lettland und Estland. Am 7 Mai wurde der Luftverkehr aus der Strecke Königsberg —N iga Tallinn von der estnischen Lustverkehrsgesellschasl Ago eröffnet, die im Anschluß an die Strecke der Lufthansa Berlin Danzig Königsberg betrieben wird Der Dienst aus der wiedereröfsneten Lustverbindung wird mit den bewährten Junkers In-52-Flugzeugen durchgesührt. und zwar dreimal iv der Woche. Todesurteil für polnische Mordbestier Volksdeutsche erschossen, die Leichen verbrannt Das Posener Sondergericht verurteilte auf einer Außem sitzung in Gnesen die beiden Polen Kucharczyk und Gorny wegen schweren Landfriedensbruches zum Tode und zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. Die Angeklagten hatten am 7. September 1939 mit einer schwer bewaffneten Bande unter Führung eines polnischen Unteroffiziers das Gehöft des Volks deutschen Landwirts Schellin in Dornbrunn, Kreis Wongro- witz. überfallen. Schellin und sein Schwager, die sich in einer Scheune versteckt hatten, wurden dort von den Banditen er schossen. Auch auf andere Deutsche der Ortschaft, die beim Erscheinen der Bande in den Wald flohen, wurden Schüsse abgegeben, die glücklicherweise nicht trafen. Die Bande zwang den zehnjährigen Georg Lembke, indem sie ihn mit Erschießen bedrohte, die Scheune anzuzünden. Um das Leben des Kindes, das sich dieser Aufforderung widersetzte, zu retten, forderte schließlich die Ehefrau Schellins den Inngen auf, den Befehl auszuführen. Die Leichen der Ermordeten verbrann- tcn mit der Scheune. VNMerrevmQ Gefangene in Norwegen. In seiner großen Erklärung übet die Pläne der Engländer in Norwegen legte der Reichsminsi ster des Aeußern dar, wie den deutschen Truppen bei Lilleham mer die Operationsbesehle des britischen Expeditionskorps in die Hände sielen. Bilder von diesen gefangenen Engländern bringt die neueste Ausgabe der Kölnischen Jllu silier ten zusammen mit den neuesten Aufnahmen von den Kämp fen. — Außerdem in diesem Heft: Ueber den Strom zum Bun ker, ein Bildbericht Von der Oberrheiufront; Gold und Talmi, Maskentänzer aus Siam; Leny Marenbach, ein neuer Film bericht über die rheinische Schauspielerin; Das macht der Mai, lustige Zeichnungen; Die Nipponpuppe, ein kleines Kunstwerk entsteht. Außerdem noch zahlreiche Bilder und spannende Berichte in der neuen Ausgabe. pronn»»«, vor» Eisels Oksrtto «ropyrtakl t>„ 0rvmetI,«u».L«i»a o. EichaKn: U>r<Xxn«ll 0« 27. Fortsetzung 20. Juki 1915. Ich konnte in den letzten Tagen nicht schreiben. Jede einzige freie Minute hat Henner gehört. Ich habe ihn bom Dienst abgeholt, in einer kurzen Mittagspause ge troffen, er ist abends spät noch nach Lipperloh gekommen — alles, alles ! Und trotzdem sind die letzten Tage vor- Übergeflogen, als wären es nur Sekunden. Der Gedanke einer Trennung wurde mir immer unfaßbarer. Und doch ist Henner gestern gefahren. „Sei tapfer, Hennh!" bat er immer wieder, als ich am Bahnhof sein liebes Gesicht nur durch einen Tränenschleier sehen konnte. Ich habe versucht Ku lächeln, ich habe genickt und seine Hände gehalten. Es war mir, als spalte man mein Herz, als könne ich nicht mehr atmen ohne ihn. Bevor sich die Abteiltür schloß, sah er mir noch tief in die Augen. „Bei meinem nächsten Urlaub heiraten wir, Henny, Willst du mir das versprechen?" Ich nickte nur. „Bereite alles vor l" sagte er und versuchte zu lächeln wie ich. Dann zog der Zug an. Eine Weile sah ich noch Henners blonden Kopf und seine winkende Hand. Mein Weißes Tüchlein flatterte Ich weiß nicht, wie ich heimgekommen bin. Gut, daß ich Arbeit habe, anstrengende, ausfüllende Arbeit, es wäre sonst nicht zu ertragen... Nun geht es mir wie den vielen, die um ihre Lieben an der Front bangen. Ich stürze morgens dem Briefträger entgegen (schon heute hat er mir einen Kartengruß.Henners aus Aachen gebracht), ich verfolge auf der Landkarte seine Stellung, ich lese mit noch mehr Aufmerksamkeit die Heeresberichte aus dem Westen... 30. Juli 1915. Sind es wirklich schon wieder zehn Tage her, daß ich schrieb? Meine Zeit wird immer knapper, denn ich schreibe fast jeden Tag an Henner. Ich weiß, daß gerade ihm, der so allein in der Welt ist, ein Brief und eine Nachricht aus der Heimat besonders viel bedeutet. Fast ebensooft schreibt er wieder, oft halb verwischte Bleistiftkarten und schwer zu entziffernde Briefe. Aber sie sind ein kostbarer Schatz für mich, daß ich mich über die Unleserlichkeit fast freue, weil ich mich dann besonders lange damit beschäftigen muß. Meine Arbeit ist noch gestiegen. Neben dem Bahnhofs dienst und dem Kindergarten betreuen Tante Tina und ich ein Soldatenerholungsheim in Wendsbach. Die Berkows und ich haben es übernommen, ein wenig zur Berschöne- rung des Heims beizutragen. Gerda sorgt für Blumen» Bilder und immer wieder wechselnde Bücher, die sie in der ganzen Nachbarschaft zusammenborat. Tante Tina und ich bemühen uns mehr um die nahrhafte Seite. Die Ver pflegung erhalten die Erholungsbedürftigen natürlich im Sanatorium selbst, aber für Kuchen, eingemachtes Obst oder frische Früchte sind doch alle sehr dankbar. Ebenso für Zigaretten und Tabak. Oft, wenn ich die Leidenden sehe, die draußen Blut und Leben eingesetzt haben, über kommt mich das wehe Gefühl der eigenen Hilflosigkeit. Ach, wenn man helfen könnte, mehr noch, viel mehr 1. September 1915. Mein Tagebuch hat wochenlang vernachlässigt in der Schublade gelegen. Unser Leben verlief im Einerlei unserer Kriegsarbeit: Bahnhofsdienst, Kindergarten, Lazarett. Die letzten Wochen waren besonders anstrengend, da auf Lipper loh alles in der Ernte ist und wir in der knappen Freizett noch helfen mußten, Obst und Gemüse für den Winter einzukochen. Ein paarmal war Dora hier. Sie hat Aus steuersorgen und überlegt hin und her, wie alles auf Lip perloh am schönsten und elegantesten werden könnte. Sie hat ziemlich kühl die schönsten und größten Räume des Hauses schon für sich beschlagnahmt, sie bestimmt auch, daß Handwerker Hierherkommen müßten, um manches zu erneuern und zu verschönen. Tante Tina hörte sie schweigend an und sagte dann ruhig: „Also gut, Dora, — richte dir das ein, wie es dir paßt. Henny und ich siedeln auf alle Fälle jetzt schon nach üben um!" In den nächsten Tagen beginnt also ein großes Räumen und Kramen. Von Henner habe ich jetzt wieder regelmäßig Nachricht, nachdem ich zehn Tage in furchtbarer Angst schwebte — alle Post blieb aus. Gott sei Dank hatte Henner mich darauf vorbereitet, er schrieb von schweren Kämpfen und der Möglichkeit, daß ich einige Tage keine Post erhalten würde. Nachts lag ich oft mit bangem Herz klopfen wach. Tante Tina erschrak oft morgens und sah mich kopfschüttelnd an: „Bist du schmal und blaß geworden, Henny!" Hans-Hermann wird nicht mehr sagen können, daß ich ein Kind sei. 29. Oktober 1915. Arbeit, Arbeit! Sie ist die beste Trösterin. Aber sie ist unbarmherzig und läßt keine Zeit zum Schreiben. Nm Henner bange ich Tag und Nacht. Seine Briefe sind ernst und schwer, aber sie sind wenigstens da, sie zeigen mir, daß er lebt. Hans-Hermann hat auf meine ver schiedenen Schreiben über meine Verlobung ausweichend und flüchtig geantwortet und nur darauf verwiesen, daß sich das alles regeln ließe, wenn er heimkäme. Er hofft auf baldigen Urlaub, um zu heiraten. Dora hat Lipperloh aufs modernste und schönste ausgestattet. Tante Tina und ich haben di« lieben altmodischen Möbel nach oben gerettet und leben in ein paar Zimmern ganz still für uns. Dora beginnt, sich auch in die Haushaltsführung einzumischen, sie hat wenig Takt. Früher hätte mich das alles gekränkt. Heut« berührt es mich kaum. Das Leben ist so gewaltig, so ernst, so grausam. Was bedeuten da die kleinen Alltäglichkeiten und Nichtig keiten! 2. November 1915. Schon immer habe ich mein Tagebuch sorgfältig ver schlossen und dann noch in eine verschließbare Lade gelegt. Jetzt werde ich es noch sorgsamer hüten, daß es ja nicht einem Unberufenen in die Hände fällt. Zu Häßliches und Schreckliches muß ich ihm heute anvertrauen Es begann damit, daß Tante Tina krank wurde. Sekt Onkel Leopolds Tod ist sie nicht mehr die alte, jetzt zog sie sich beim häßlichen Herbststurm erst eine Erkältung zu, dazu kam vorgestern eine Art Nervenfieber. Ich habe den Bahnhofsdienst abgesagt, Gerda wird für Vertretung sorgen. So sitze ich seit Tagen bei Tante Tina und ver suche, sie schnell wieder gesund zu Pflegen. Heute morgen in aUer Frühe kam nun Ellgen, unser alter Verwalter, zu mir und fragte, ob er etwas mit mir besprechen könnte. Er erzählte, daß morgen in Wendsbach eine große Ver steigerung sei: landwirtschaftliche Geräte und lebendes und totes Inventar aus Markshos wird verkauft. Der Besitzer von Markshof ist kürzlich gefallen, seine Witwe will zu ihren Eltern zurück. Ellgen meinte, daß wir vor allem von dem sehr gepflegten Vieh unbedingt etwas erwerben müßten. Seit Kriegsbeginn sei für Lipperloh nichts mehr angeschafft worden. Auch wären einige sehr brauchbare landwirtschaftliche Maschinen da, die für Lipperloh gut verwendbar seien. Er hat auch bei Hans-Hermanns Urlaub schon von diesen notwendigen Anschaffungen gesprochen, und Hans- Hermann gab ihm nach jeder Richtung hin Vollmacht, für ihn zu handeln. (Fortsetzung folgt)
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