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Redaktioneller Teil. 78, 4. April 1914. Den zahlenmäßig grötzten Absatz haben immer noch die Kar- ncvalsnummern, denen ja hier »nd da die Behörden freundlicher weise unter die Arme greifen. Der Simplicissimus kann sich Heuer bei der Polizeidircktion für giilige Propaganda bedanken. Sie hat in ernster Besorgnis um die notleidende Moral den Sortimentern verboten, etwa den »groben Unfug« zu begehen, eine Reihe von Bildern der Num mern auszustellen. Erlaubt waren nur 4 Seiten der eigentliche» Nummer. Das Hausieren und Kolportieren war ganz verboten. Das Sortiment hat den Ukas mit einem verständnisvollen Lächeln cntgegcugenommen, als getreuer Untertan danach geachtet und die erlaubten sittenreincn Seiten um so lieber ausgestellt, als es Wichte, daß das liebe Publikum dieser behördlichen Etikette nicht trauen und den vermuteten Honig erst recht schlecken wird. Die Mitteilung des Verbots geschah mündlich in durchaus höflicher Weise, der man anmerktc, das; hier nur Pflicht und keine Meinung trieb. Wo einige Beamte, ihren Auftrag mißverstehend, das Aus steller! der Nummer überhaupt verbieten wollten, wurden sie in die Grenzen ihrer Befugnis zurückgewicsen. Der Polizeidirektion selbst aber wird das Verbot nicht leicht geworden sein, da sic ja den Reiz der verbotenen Frucht kennt. Diese uralte Erfahrung hätte auch das Verbot des »Zupf« geigcnhansl« verhindern sollen. Die wenigen Lieder, die be anstandet wurden, hätte der Verlag auf Vorstellungen hin gewiß gern durch andere ersetzt. Dadurch wäre dann die Wandcrvogel- bcwegung, die doch jeder für Gesundung unseres Volkes Bedachte gern unterstützen wird, vor einem bedenklichen Odium bewahrt geblieben. Die kleinen Auswüchse, die sich bei ihr zeigen, sind Kinderkrankheiten, und wer wird denn einem sonst gesunden Jun gen wegen Masern gleich das Leben absprcchen? Die Verfügung des Baher. Ministeriums, nach der den Schulen die Teilnahme au allen Vereinigungen, in denen der »Zupfgeigenhansl« in sei ner gegenwärtigen Zusammenstellung benutzt wird, verboten ist, kann diese natürliche gesunde Bewegung ja doch nicht aufhaltcn. So wirkt aber das Verbot wie ein Stückchen Reklame, wenn auch nur für das Buch. Viel feiner verstand eine hiesige Firma sich der Literatur zu Rcklamezweckcn zu bedienen. Wenn es auch nur eine Kompi lation ist, so glaube ich doch, daß eine derartige Verwendung für Reklamezettel ganz amüsant ist: Ludwig T h v IN a, München, Jckstvdtstraßc 42, versendet seit 18 Jahren seine beliebten Münchener Dcsscrt-Nährschnittcn, ein vor zügliches, nahrhaftes, leicht verdauliches, haltbares Gebäck l. Klasse, ohne Hefe hergcstellt. Es eignet sich zur Hochzeit, für Lottchcns Geburtstag, Tante Frieda, ja die ganze L a n s l> n b e n - S i g p c kehrt beim Gennfi desselben zur Moral zurück. Wegen der Gute des Gebäcks hat die Firma manche Me daille erhalten. Täglich senden Leute wie Agricola, Hies, Andreas Vöst, Joses Fllscr und deren Nachbars- lcntc mit der Lokalbahn Eier, einen Hauptbestandteil der Nährschnitten Das von der Firma hergestelltc Kindermehl ist seit vielen Jahren im hiesigen Säuglingsheim mit bestem Er folg im Gebrauch. Dieser Nährmehlfobrik, die zufällig den Namen eines erfolg reichen Auiors führt, müssen eben für ihre Reklame »alle Dinge zum Besten dienen«, und sie tut dies in vornehmer Weise. Wer längere Zeit im Geschäftsleben steht, hat immer wieder die Beobachtung machen müssen, das; Unternehmungen mit viel seitigen Eutwicklungsmöglichkciten, die überraschend schnell ge wachsen sind, nach kurzer Zeit einen Stillstand aufwiesen. Entweder konnte die finanzielle Kraftzufuhr nicht ausrcichen, oder die Organisation hatte nicht den notwendigen Vorsprung. Ein kluger Unternehmer wird in solch kritischer Lage die gesündeste Entwicklungsmöglichkeit herausfinden und der gefährlichen Di stribution die gewährleistende Konzentration vorzichen. Die »Brücke«, deren Bestrebungen großen Anklang gefunden haben, hat sich der Gefahr, sich zu zersplittern und ihre Kräfte durch die Vielseitigkeit aufzureiben, rechtzeitig entzogen. Eine General musterung der bisherigen Leistungen und die Prüfung des vor aussichtlichen Fortschritts hat die Leitung veranlaßt, das Not wendigste voranzustcllcn und vor allein die Durchführung der Weliformate zu Pflegen. Damit ist zugleich eine Sanierung der finanziellen Verhältnisse, die durch die unternommene Vielseitig es kcit natürlich nicht gestärkt wurden, eingeleitct. Hoffentlich bringt die geplante Reorganisation mit den gedachten Einrichtungen von Bureaus in andern Städten eine gesunde Entwicklung. Wie notwendig eine sichere Einheit i» den Formaten ist, beweisen ja wieder unsere Rcmitteudensaktnrcn. Wenn auch die unsinnigen Ricsenformate vermindert wurden, so sind wir doch von der er wünschten und so notwendigen Gleichmäßigkeit des Formats noch recht weit entfernt. Von einer übereinstimmenden Einteilung der Rubriken kann gar keine Rede sein. Der Sortimenter hat ja so unendlich viel Zeit übrig! Besitz verpflichtet! Unser Ausstcllungspark muß seinem Zweck entsprechend eine der Kunst- und Festspielstadt München würdige Verwendung finden. Und nun soll der Schritt von der Stadt- und dann Staats-Ausstellung (1908 München, 1912 Baye rische Gewerbcschau) zur Reichs-Ausstellung gemacht werden: 1915 soll eine große »Ausstellung Deutsches Volk« stattfinden. Daß schließlich nicht nur der finanzielle Zwang, das vorhan dene Areal mit seinen Gebäulichkeiten zu verwerten, die Ur sache dieses Gedankens war, ist ohne weiteres anznnehmcn. Es lag ja nahe, die Grenzen allmählich zu erweitern und schließ lich ganz Deutschland zu einen; Besuch einzuladeu. Schwerlich werden auch die Voraussichten auf die Frequenz wo anders so günstig sein wie gerade in der Fremdenstadt München, die ja alljährlich schon durch ihre Musikfeste kaufkräftige Besucher an- zieht. Für die Industrie allerdings bilden diese fortwährenden Ausstellungen, zu deren Beteiligung schon, man mag wollen oder nicht, der Hinblick aus die lieben Konkurrenten zwingt, keine ge ringe Belastung, lind ihre Rentabilität? Nun, sie wird sich vielleicht so gut kontrollieren lassen wie die Reklame in den Tageszeitungen. Es wäre deshalb zu wünschen, daß diesmal nicht wieder so diffizile Vorschriften für die Aussteller erscheinen wie für die Gewerbcschau 1912. Es wäre dies besonders wegen des Verlags zu wünschen, dem ja schon Heuer durch die Bugra große Kosten entstehen. An dem Gedanken, eine solche Ausstellung zu veranstalten, wäre nichts Neues, wenn sic eine der bisherigen Gewerbe- und Industrie-Ausstellungen wäre. Sie soll aber mehr sein und soll daher die ganze gegenwärtige Kultur des deutschen Volkes wi- derfpiegeln. Sic soll daher auch zeigen, was wir an sozialer Für sorge leisten: Fürsorgcwescn, Krankenpflege, Heilkunde, Woh- uungselend, Jnvalidcnversorgung sollen miteinbezogen werden in ihren Kreis. Dem Kolonialwesen soll ein breiter Raum ge geben werden. Vielleicht gewinnt der Süddeutsche dann etwas mehr Interesse an der Entwicklung unserer Kolonien, als cs bis jetzt der Fall ist! Der Grundgedanke aber ist: diese Ausstellung zu einer beständig wicdcrkehrcndeu zu gestalten, etwa so, wie sic die Leipziger Messen darstellen. Sollte daher diese Absicht sich ver wirklichen, so hätte der Buchhandel die Pflicht, sich recht eingehend dafür zu interessieren, nm sich durch frühzeitige Beteiligung die ihm zustehcnden Vorteile zu sichern. Doch wird sich eine wirk liche Ausgestaltung dieser Ausstellung zur Messe, wie sie Leip zig abhält, nicht nur durch den dem Unternehmen eigentlich zugrunde liegenden Gedanken, unfern Kulturfortschritt zu zeigen, nicht verwirklichen lassen, sondern auch noch durch den Charak ter der Ausstclluugsstadt selbst. München ist eben keine Industrie stadt im überwiegenden Sinne. Ganz anders wäre es in Nürn berg, das durch die ganze Triebkraft seiner Einwohner schon für ein derartiges, doch rein industrielles Unternehmen Gewähr leisten würde. Nein, München muß im Gegenteil bestrebt sein, seinen Ruf als Kunst- und Musikstadt zu erhalten, umfovicl mehr, als cs als Fremdenstadt nicht wie Nürnberg von seinem Dachsfett, von den Überresten der Vergangenheit, viel zu zehren hat. Unter den 3811 deutschen Firmen, die Heuer ans der Leipziger Messe aus gestellt hatten, waren nur 45 aus München. Diese 45 haben sich zwar durch Qualitätsware ausgezeichnet, eine Messe aber kann man in der Tat nur durch die Masse zwingen. Inzwischen ist Leipzig mit rascher Entschlossenheit auf den Plan getreten; cs will bereits im April bindende Beschlüsse über den Bau eines Ausstellungshanses für das moderne Kuustgewerbe fassen. Leipzig, das als .Handelsstadt von besonderer Bedeu tung dafür geeignet ist, dessen ganze historische Entwicklung ihm gewisse Prioritätsrechte sichert, zeigt also, daß es sich seinen Rang