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Beilage zu Str. 8 der Sächsischen Elb Zeitung. Schandau, Sonnabend, den 26. Januar 1884. Feuilleton. Die glückliche Familie auf Ischia. Eine Gespenstergeschichte von Wilh. Acrgsve, bearbeitet von Isidor. (Fortsetzung.) „Ja, das ist nun auch schon so lange her, daß cö des Erzählens nicht wcrth ist," sagte er. „Wenn ich Annina dort ansche, muß ich ja daran denken, daß ich ein alter Mann zu werde» aufangc." „Ist das Ihre Tochter?" rief ich aus. „Annina? Den Namen haben wir bei nnö zn Hanse auch." „Gefällt er Ihnen?" fragte die Fran lebhaft. „Sic wurde so nach der dänischen Dame getauft, bei wel cher ich diente; cs war eine so gntc Signora." Das junge Mädchen war roth geworden, daß inan sie znm Gegenstand der Anfmcrksnmlcit gewacht halte, Sic war zart wic die Mutter, aber weit voller, und auö ihrem offenen kindlichen Gesicht strahlte eine reiche nnschnldigc Freude am Leben heraus, allem so lebhaft wie die Mutter war sic nicht. „Sind Sie verlobt?" fragte ich. „Ja," antwortete sic, noch tiefer crröthcnd und die Hand, die sic vcrrathc», unter dem Tische ver steckend. „Mit wem?" „Mit einem Seemann," antwortete sic leise. „Nehmen Sic sich in acht", sprach ich, vielleicht mit nubcwnßtcr Eifersucht; „die Seeleute sind falsch. Wir haben ein dänisches Lied, worin cS heißt, sic Hütten ein Liebchen in jedem Hafen und haben sic das erst gefunden, so kommen sie nie wieder." „Aber er kommt wieder, das weiß ich gewiß", sagte sie mit rnhigcr Innigkeit; „nnd wenn cr kommt, werde ich seine Fran." Ich ärgerte mich über das, was ich gesagt. An nina stand anf und ging ins Hans. Die Mutter ging der Tochter in's Hans nach. Es entstand eine kleine Panse, welche Fclicctto dazn benutzte, Misere Gläser zn fällen. Kurz nachher kamen Mutter und Tochter wieder heraus, aber AnuiuaS Augen waren mit Thronen gefüllt. „Jetzt kosten Sie 'mal, Signore", sagte Feliectto »nd reichte mir anf der Spitze seines Messers ein Stück der goldenen Frncht, die bis jetzt unangerührt anf dem Tische gelegen. „Was sagen Sie dazn?" „Das ist ja Ananas", sprach ich ganz erstaunt. „Wenigstens schmeckt sie so." „Ja, das sagen sic auch in Neapel", sprach cr lächelnd; und doch istü mir cinc simple Melone aus Felicettoö Weingarten; niemand anders hat fit so gnt wie ich." „Aber warum trägt sic den seltsamen Namen Mo- naccllo? Das bedeutet ja Mönchlciu, und so ncnnl man die Geister, die ihr Unwesen lrcibcn in den Schluchten bei Sorrent." Felicettoö lächelndes Gesicht nahm einen ernsten Anödrnck an. „Ich könnte Ihnen wohl einiges davon erzählen, sagte cr. Aber in demsclbcn Angeublicke berührte seine Fran seine Hand nnd cr verstnmiutc wieder. Die großen Scheiben der duftenden Frncht, die um den Tisch wanderten und mit wunderbarer Schncllig leit verschwanden, der herrliche Wein, der sic begleitete, das stille Mondlicht, das stärker und stärker durch daS Laub herabspicltc und in dessen Glanz Krämer, Blume» und Gebüsche doppelt so starke Wohlgerüche auszuslrömcn schiene» — das alles brachte eine fest liche Stimmung hervor. Wenigstens war das bei mir der Fall; der Wein, der Dnft Und der Mondschein zcmberten allerlei Bilder hervor. Noch ein paar Gläser, nnd ich befand mich der ganzen Menschheit gegenüber in der brüderlichsten wohlwollendsten Slim- mnng, ich betrachtete alle Menschen als Brüder nnd Schwestern, nnd vor solchen branchtc ich mich doch nicht zn gcnircn.zn fragen, ob sic die Tarantella tanzen könnten. „Hörst Dn, Fran?" sagte Feliectto nnd erhob sein GlaS. „Er glanbt vielleicht, wir könnten die Taran tella nicht tanzen? Er meint vielleicht, wir seien zn alt geworden? Filippo, hole mal die Guitarre, nnd Dn, Annina, nimm das Tamburin, das unter dem Bett steht — dann wollen wir's einmal probircn!" Es war, als ob daS Wort Tarantella sic alle wic ein elektrischer Funke getroffen hätte, Filippo nnd Annina eilten die Jnslrnmcntc zn holen, Feliectto nnd seine gewandte Fran ränmtcn im Hlmdnmdrchcn den Platz, ja sogar Giovannino trippelte davon, nm ein Weinglas in Sicherheit zu bringeu, von dessen Inhalt sic sich verstohlen die Hälfte angceignct hatte. I» einer mittelalterlichen Legende wird erzählt, die Tarantella sei znm erste» Male von einem Mönche gespielt worden, der sich wegen eines schönen WeibcS in die Gewalt des Tenfels gegeben nnd mit dessen Hilfe habc cr das ganze heilige Kloster verführt. Ich wciß nicht, ob diese Historie wahr ist, aber so viel wissen wir von den seltsamen Mclodicen, daß sic zur Zeit dcS Mittelalters mit dämonischer Macht die ganzc Bevölkerung Snditalicns ergriffen. Kinder tanz ten in der Wiege, Greise am Nandc des Grabes, Kranke mnßlcn an ihr Lager festgcbundc» werden, Frauen verließen ihre Männer nnd Kinder ihre El tern, nm mit den wandernden Banden mnhcrstreifcn zn können, die von Stadt zn Stadt die Tarantella spielten. Ja sogar die heiligen Manern der Klöster gewährten keine Nuhc mehr. Mönche nnd Nonnen wirbelten im Tanze dahin, steife Prälaten nnd ehr würdige Acbtc gebrauchten ihre Beine so gründlich, daß der heilige Pater in Nom Bann nnd Jntcrdicl wider die verführenden Dämonc nnwcndcn mußte. Allein sic lcbcn noch, nnd wenn diese Töne klingend nnd jubelnd durch die stille, mondhelle Nacht zittern, dann ist es, als ob Feuer in das Blut käme. Dau» siedet und braust cs; man vermag nicht still zu sitzen, selbst den steifen, ernsthafte» Engländer crgrcift ei» solches Lebe», daß cr a»f dem Stuhle hiu- und her- rntscht nnd die dünnen grangcwürfelten Beine bewegt, als wäre cr eine nngchcnrc Spinne. Und dann diese merkwürdige Gewandtheit in dcr Hcmdhabnng der Instrumente! Jeder ist ein geborener BirtnvL, das Tambnrin scheint schon von der Wiege an ihre Klapper gewesen zn sein. Anninas Finger, die so zart nnd klein waren, glitten über die Fläche des Tambnrinö hiu wic Libcllcu, dic am Sommcr- tagc im Sonnenschein spielen nnd deren Flügclschlag man nicht zn folgen vermag. Filippos Hände husch ten über dic Saiten hin wic die glänzenden Silbcr- fischc, die von Stein zu Stein schlüpfen. Niemals griff cr einen falschen Ton, niemals sah cr anf das Instrument. Fclicctto nnd scinc Fran stellten sich anf den Platz unter den Wallnnßbäumcn. Er hob beide Hände em por, sie ergriff mit jeder ihrer Hände einen Zipfel ihres Kleides — ein starker Schlag des Tambnrins, beide verneigte» sich grüßend gegen einander, machten cinc vollständige Schwingung, stellten sich mit erhobenen Armen anf dic Zehm — nnd dic Tarantella begann. Sic beschreiben? — Unmöglich! — Wer kann daö Flattern dcö Schmetterlings in der sommcrwarmcn Lnft erfassen nnd wicdcrgebcn, wenn sie je zwei nnd zwei, von der Sehnsucht dcö Lcbcnö und dcr Liebe erfüllt, über dic Blmnc» hiuhuschc»? Wcr vermag de» kreisenden Flug der Schwalben zn zeichnen, wenn sic znr Abendzeit laut zwitschernd daö Nest umflattern, daö ihre Jnugcn birgt? Wcr hält dcn Gang dcr Wcllcu fest, wenn sic in der silberhellen Sonuncrnacht zwischen Ischias Klippcn hcrcinspüleu und mit leisem To» in wiegendem Geplätscher ihre rasch wieder zn samtticnflicßcuden Niugc und Kreise zeichnen? Wer kann daö Eigcnlhnmlichc in dem Lächeln der Lippen, in dem Blinken des Angcö, in dem Spiel dcr Muö- kcln beschreiben, daö von einer Feinheit ist, daß kaum dcr Blick ihm folgen kann. Dic Tarantella kann ge tanzt, sic kann mit angcschc» werden; aber sie schildern oder malen — nein! daö ist unmöglich! Dic Tarantella ist Improvisation — sic ist eine Novelle Terpsichores, erzählt von zwei, die sich lieben. Sie kann mich von zwei mitgethcilt werden, dic sich nicht lieben; dann wird sic komisch nnd bnrlcök — daö Liebeödrama wird daun zur Posse. So wic Fc- licetto und seine Fran dic Tarantella tanzten, konnte über die Kategorie kein Zweifel entstehen. Ein kräftiger Griff in alle Saiten dcr Guitarrc, ci» Schlag anf das Tamburin, dcr vibrireud scinc früheren Wirbel übertänbtc — nnd dcr Tanz war zn Ende. Ehe ich etwas sagen konnte, hatte Fclicctto dic Gnitarrc ergriffen, seine Fran nahm mit einem strahlenden Blick daö Tamburin und Filippo und Annina stellten sich anf. Dcr Tanz begann ganz in derselben Weise wic vorhin — cinc grüßende Verbeugung, eine Schwingung und dic Mnsik ertönte. Aber wie verschieden war diese Tarantella von der ersten! Annina schien meine Bemerkung über ihren Liebhaber nicht vergessen zn haben. Ruhig, abgemessen nnd kalt bewegte sic sich in kurzen wechselnden Sprüngen auf dcu niedlichen Füßen, aber beständig anf derselben Stelle. Filippo schwang sich in großen Kreisen nm sic herum. Plötz lich machte sic cinc blitzschnelle Bcwcgnng anf ihn zn, zog sich wieder zurück uud tanzte wie vorhin. Seine Kreise wurden enger, seine Blicke mehr suchend, nnd mit einem prächtigen Mienenspiel gab cr auf einmal den Zuschauern zu verstehen, daß sic eigentlich sehr schön sei nnd cö sehr wohl verdiene, daß man ihr die Eonr mache. Er nähert sich, aber kalt weicht sie zurück; cr macht ciue Bewegung, wie um sie zn Haschen, aber sic wendet ihm de» Rücken, nnd tanzt, wie cö scheint, in Gedanken über sich selbst vertieft. Da nahmen Filippos Züge dcn Anödruck einer tiefen komischen Verzweiflung an. Er wirbelt nm sic hcrnm, aber mit unsicher» Schritte» »»d schwankender Halt, nug, als vermöchte cr wegen dcö Schmcrzcö, dcn ihre Kälte ihm verursache, sich kam» aufrecht zu erhalten. Dann umschleicht cr sic, halb in dic Knicc gesunken, mit dcn dcmüthigstcn Gebcrdcn; aber da sic bci ihrer cisigcn Kälte beharrt nnd dic dcmüthigsten Mienen nnd Zeichen ihr kein Lächeln ablockcn können, wird cr plötzlich von allen Qualen der Eifersucht ergriffen — da sicht er ein anderes junges Mädchen; sic ist ihm geneigt, sic lächelt ihm zu und mit einem Sprunge verläßt cr dcn Zanbcrkrcis, während Annina stützend und mit überraschtem Gesichte ihm nachstarrt. Dies war ungefähr dcr Inhalt dcs Tanzes, wenig- stcnö faßte ich ihn so anf; aber wic gesagt, das mnß man sehen, das läßt sich nicht beschreiben, man erhält nnr ein Ballctprogramm. Gewiß mehr als fünfzig mal habe ich später die Tarantella anf Jöchia, in Sorrent, anf Capri tanzen sehen, aber niemals habc ich so frohe, lebhafte Gesichter gesehen, niemals habc ich ciu so herzliches Lachen gehört wie hier. Mittlerweile war cs ziemlich spät geworden, dic Bollmondschcibc begann sich znm Meere hinabzuncigcu, dic letzten Wachtclschläge waren längst im Walde ver stummt uud nnr daö scharfe Zirpen dcr Grillen tönte wie im Piccoloflötcnchor dnrch dic stille sommerwarmc Nacht. Es war Zeit aufzubrechcn, Zeit, von neuem dic uucbeucu Fclscupfadc uud dic dunkeln Waldwege aufzusnchen, bevor der Mond so tief sank, daß dies nnmöglich wurde. Ich bot Fclicetlo znm Abschied eine Cigarre an, und indem ich ihm daö Etni reichte, bat ich ihn, dasselbe als eine Erinnernng an Dänemark zu behalten. Er sah cö mit großen Augen an, schob cö sachte mit der Hand von sich nnd sagte lächelnd: „Nein, daö kann ich gar nicht annehmcn, daö ist ein z» großes Geschenk für mich nnd Sic werden cö sehr vermissen." „Ich kaufe mir in Neapel ein anderes", versetzte ich. Er zanderte noch einen Augenblick uud warf seiner Fran einen Blick zn, worin ich laö: „Darf ich?" Mein Blick begegnete dem ihrigen, sic sah mich hcitcr nnd dankbar an und nickte ihrem Manne zn. Er nahm cs, machte cö anf nnd betrachtete cö mit derselben unverhohlenen Frende wic ein Kind, daö ein Spiclzcng bekommt; dann legte cr cö anf den Boden seiner rothen wollenen Mütze nnd rief anö: „Welch ci» Signore! Ein solches Cigarrenelni anö Dauimarca habe ich mir immer gewünscht. Ich habe sic in dcn großen Schaufenstern in Neapel liegen sehen — denn ich bin zweimal in Neapel gewesen — aber niemals habe ich mir eins kaufen können. Wie werden sie mich anf der Piazza dann» beneiden, wenn ich Sonntag hiunntcrkomme!" Noch mußte ich ciu Glaö Wcin lcercu, bevor ich mich von diesen Menschen trennte, welche gleichsam ciu Spiegel der lachende», heitere» Nat»r waren, i» welcher sie lebte». Feliectto warf seine brcnme Jacke nm die Schlittern nnd pfiff dem branngcflccktcn Hühner hunde, nnd während die Fran mit der kleinen Gio- vannina anf dem Arm nnö bis an das Gartcnpsört- chcu folgte, warf ich dcr stillen Annina nnd dem fröh lichen Filippo, sowie dem friedlichen weißen Hause und dem MuttergottcSbildc mit dcu duftenden Blnmeu noch einen letzten Abschiedögruß zu. Daö Mondlichl hat hier unten im Süden ciue cigcnthümlich täuschende und blendende Wirkung. Es ist so ruhig, so kalt und so klar, daß man alles bis nilf die kleinsten Einzelheiten scheu zu köuucil glanbt; aber gar bald entdeckt man, daß bie Entfernungen sich verschöbe» haben, daß dcr Pfad, dcr da drüben sich hmzicht, mir ein Mondstreif zwischen den Aünmen ist mid daß dcr kleine See, dcr da unten in der Schlucht blinkt, nnr der dürre Felsen ist, dessen Glimmcrflächcn im Mondschein leuchten, lind so waren wir erst eine 'urze Strecke im Walde dahingeschritten, als Fclicetlo meinen Arm ergriff nnd sagte: „Links, Signore: Dcr Weg znr Rechten ist nicht gnt zn passiren, dcr führt durch das todtc Thal." „Dcu Namen habc ich noch uic gehört." „Ja, da kommen auch nie Fremde hiu. Dcr Weg ist schlecht und die Eseltreiber reiten ihn nnr ungern, namentlich abends. Es giebt manche Stellen hier anf cr Insel, welche dic Reisenden nie zu sehe» bekomme»; ie reite» »ur dorthin, wohin dic Eseltreiber sic führen und die kommen eben nie hierher." Der romantische Name „das todtc Thal" hatte anfangö meine Aufmerksamkeit erregt; Felicettoö Worte verwandelten dieselbe in Neugier. „Lassen Sic uns dorthin gehen," sagte ich. „Können Sic gnt klettern, Signore?" „So ziemlich." „Und sind Sie nicht bange?"