Suche löschen...
Wilsdruffer Tageblatt
- Erscheinungsdatum
- 1925-12-13
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192512135
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19251213
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19251213
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1925
-
Monat
1925-12
- Tag 1925-12-13
-
Monat
1925-12
-
Jahr
1925
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
I Wilsdruffer Tageblatt I K 2 Blatt. 289. — Sonntag 13 Dezember 1925 I Adventszeit. Ihr Tage, da zur Dämm erstünde Das holdeste Erinnern webt, Und über schneoverwehten Pfaden Ein seliges Erwarten schwebt: Ob buniel rings und arm das Leben: Ein LichUein blüht im stillen auf Und weckt in deiner Seele Tiefen Ein heimlich Königreich dir «us. Weißt du noch, wie das Leuchten glühte Am Tannenzweig ... im vertrauten Raum . . .? Die Flamme sang — aus weichen Pfaden Verklang das Leben wie ein Traum. Ob Bergeslasten dir verschüttet Den Garten deiner Seligkeit Und Meereswvgen ihn verschlungen — Noch blüht er aus zur stillen Zeit. Fern, fern verklingt des Tags Getriebe Vor deiner Sehnsucht süßem Lied; Mit leisen Schritten naht die Liede Und was sie tränkte, weicht und flieht. Hoch über allen deinen Schmerzen Geht auf der Stern in stiller Pracht Und heimlich knospt die Ehristnachtrofe, Daß sie eidlüh' in heil'ger Nacht. Marie Sauer. Gericht. Ev. Matth. 11, 3: Bist du, der da kommen soll, »der sotten wir eines andern warten? Johannes liegt im Gefängnis. Die gemeinen Seelen des Herodespaares haben gesiegt über ihn, den Gottes boten. Soll das das Ende sein? Soll der, den er als den Retter angekündigt hat, das bestehen lassen gegen ihn, gegen Gottes Ehre? Das kann er nicht fassen. Dann war dieser doch nicht der so heiß Erwartet«? Wir wissen hent: erist' s gewesen. Wie konnte Johannes so blind da gegen sein? Er war so ganz eingestellt darauf, daß Gott seine Macht zeigen müßte durch äußerliche, handgreifliche Beweise für die Guten, gegen die Schlechten. Die leise, stille Art Gottes, wie sie sich in Jesus auswirkte zur Neugeburt von innen her, die verstand er nicht. Jo hannes dachte, genau besehen, letzthin doch an sich selbst: er, seine Auffassung, seine heiße Sehnsucht sollten zu ihrem Recht kommen. Dann hätte er anerkannt. So lehnt er ab. Und damit ist er gerichtet. Jesus spricht das in herber Klarheit in seiner Antwort aus. An Johannes vollzieht sich das Gericht. Heute gibt es Millionen solcher Johannes- naturen. Sie wollen glauben. Aber Gott soll ihre Wünsche erfüllen, ihre eigene Not heben, politisch, Wirt- schaftlich im großen tun, was sie für notwendig halten. Tut er das nicht — nun, dann ist er nicht der rechte Gott. Also sehen sie sich nach anderen Rettern um. Derweil geht der wahre Heiland seinen Weg, still, sicher — und sie lassen ihn an sich vorüber. Auch das gehört zur Advents- zeit, in der ein Evangelium gerade davon spricht, daß Jesus zum Gericht kommt. Der Ernst dieses Gedankens fehlt unserer Christenheit heute fast ganz. Es wäre besser, wenn wir ihn nachdrücklich aufnehmen wollten. „Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines anderen war ten?' „Ich bin zum Gericht in diese Welt ge- komme n." (Joh. 9, 39.) k. H. P. MliwiiMaWche -lusbMe. Die Weltwirtschaft zeigt gegenwärtig das Bild einer lang anhalten den Krisis, den Zustand einer vollkommenen Desorganisation, heroorge- rusen durch den Krieg und seine Folgen, und man kann sagen, wirtschaftlich gesehen hat Europa den Weltkrieg verloren. Durch diesen wurden auch Europas außerhalb vorhandenen Selbständigkeitsbestrebungen grundlegend erschüttert. Während vor dem Kriege sich im Laufe der Jahre der industri ellen Entwicklung eine sehr weitgehende weltwirtschaftliche Arbeitsteilung durchgesetzt hatte, indem Deutschland, England und Frankreich in gegen seitigem Austauschoerkehr standen, ist durch diesen das Netz wirtschaftlicher j Beziehungen zerrißen worden. Der Krieg hat sich zu einem Material- , j kämpfe von Größe ausgewachsen, der es dahin brachte, daß eine voll- s f kommene Neuindustrialisierung stattfand und gerade in den Ländern, die j ! früher als der beste europäische Absatzmarkt galten — Skandinavien, j s Schweiz, Italien, Japan, China, Indien und die südamerikanischen I»- s dustriestaaten. Am stärksten haben sich diese Verhältnisse in den Ver- f einigten Staaten von Nordamerika ausgewirkt, als hier eine ungeheure j Steigerung des gesamten Produktionsapparatss sich entwickelte. Diese > Entwicklungstendenzen suchten die jungen, aufstrebenden Industrien zu i schützen, die sich immermehr ausdehnten und heute die gesamte WAtMirt- t schäft, zum Schaden derselben, ergriffen und selbst vor England nicht j Halt gemacht haben. Dadurch wieder verschoben sich die internationalen Kapitalverhältnißs; heute ist Amerika der größte Gläubigerstaat der Welt, während Europa verarmt ist. ! Das Schuldenproblem innerhalb Europas an die Bereinigten Staaten muß naturgemäß seinen Stempel der weltwirtschaftlichen europäischen Ent wicklung aufdrücken. Die Abtragung der Schulden, ja der Zinjen allein, ! bedingen neue wirtschaftliche Verschiebungen und Umgruppierungen ! der weltwirtschaftlichen Produktionsverhältnisse. Auch das scheint mit i größeren Schwierigkeiten vor sich gehen zu können. Aus der Stellung s Europas zu Amerika ergeben sich auch die inneren Schuldverschiebungen i und die Deutschland auferlegten Reparationslaslen, deren Lösung zu einer, europäisch-wirtschaftlichen Gesamtfrage überhaupt geworden ist. Haben die Vereinigten Staaten überhaupt das Uebergewicht in der Weltwirtschaft er langt, fv fehlt es in Deutschland an der notwendigen Kapitalergänzung als Kriegsfvige der ungeheuren Kapitalvernichtung und falschen Kapitaiosr- wendung, welche in den von der Inflation heimgefuchten Ländern be trieben wurde. In dieser Kapitalverknappung liegt der hauptsächlichste ; Grund für die andauernde Depression der gesamten Weltwirtschaft. Diese s veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse haben zu einer Produktionskrisis s in Europa geführt und zu einem Konkurrenzkampf und Mangel der t Rohstoffe. Diese Krisis bedingt wieder neue Arbeitslosigkeit, und diese ? j ist eine naturgemäße Folge des zu geringen Beschäftigungsgrades der verschiedenen Produktionszweige. Die Kaufkraft des internationalen Mark tes der europäischen Fertigfabrikate ist wesentlich verringert durch die Fol gen des Krieges und die überseeische Konkurrenz, sowie durch den Aus- j fall Rußlands als reguläres Absatzgebiet. Ferner arbeitet die westeuropä- f ische Industrie heute fast durchweg zu teuer. Die sich somit völlig veränderte Weltwirtschaft für die europäischen ! Wirtschaftsstaalen ergebenden Probleme erfordern eine Lösung, deren ; - gemeinsames Ziel zunächst in dem Bestreben auf Aktivierung der Han- i i delsbilanzen liegen muß. Dies ist möglich, wenn dir europäfch: Industrie s konkurrenzfähig auf dem Weltmärkte wird. Dazu bleibt der europäischen ' j Produktion nur übrig ihre Betriebe durch strenge Rationalisierung zu s > verbilligen und gleichzeitig die Qualität ihrer Erzeugnisse auf ein möglichst ' ? hohes Niveau zu heben, um dadurch den Markt der Oualitäts- und Prä- : ! zisionsfabrikate an sich zu bringen. In dieser Richtung werden anzu- s f strebende internationale Vereinbarungen sehr fördernd wirken können, s ! (Deutsch-französischer Lisenblock, mit Anschluß an Belgien-Luxemburg, ; l deutsch-französische Kalioerständigung, Wollkonferenz usw.) Alsdann muß- s ; ten die aus der Landwirtschaft abgezogenen Maßen, die in der Industrie : keinen Platz mehr finden können, in diese zurückverpslanzt werden. Sied- : lungspolitik! Hier ist das politische Merk von Locarno dazu berufen, eine l Atmosphäre zu schassen, in der sich auch die bereits vorhandenen Keime einer, wirtschaftlichen Verständigung entfalten können. Ergeben sich auf diesem Wege Möglichkeiten einer weltwirtschaftlichen Verständigung, so zeigen sie sich auch weiterhin durch die Tagungen der Internationalen ; Handelskammern, die bereits im Juni das gesamte Reparationsproblem , bearbetete. Verwaltung der Internationalen Handelskammer in Paris, j Kongreße, Sonderausschüße, Zollunion können beseitigen helfen, die Absatzschwierigkeiten der nationalen Industrie und sorgen, daß den Pro duktionen in Deutschland und den anderen Ländern der erforderliche Spielraum zu geben ist. Diese europäischen Wirtschastsnöte zeigen sich in einem Bilbe, s welches beleuchtet wird durch die Zerreißung organisch zusammengewachse- ! ner Wirtschaftsgebilde infolge willkürlich aufgerichteter Grenzen. Schließ- j sich ist hierbei auch die gegenwärtige Lage des Inlandsmarktes zu er- i wähnen, welche zu einer systematischen Einengung des Inlandskonsums - führen muß. Kennzeichen in dieser Richtung sind Geldmangel, Produk- l tionseinschränkung, Arbeitslosigkeit, soziale Lasten, lleberbesteuerung, Fak- j toren, welche sich in einen Kreislauf von Verschuldung zu neuer Ver- , 'chuidung bewegen. Wicklung Europas wird es nötig, daß der Wirtschaftsstaat von Na° , tionalstaat aufgegeben werden muß, ohne daß die politische Selbständig- j keil der einzelnen Staaten aufgegeben werden soll oder muß, und ferner s daß die europäischen Kullurstaaten durch so viele gemeinsame Be- l rührungspunkte verbunden sind, welche dazu beitragen sollten, zur Wah- s rung dieser gemeinsamen europäischen Kultur die wirtschaftliche Macht zu i erhalten und zu fördern. Auch in der hochfchutzzöllnerschen Bewegung ist i ein Moment des starken Widerstands gegen den wirtschaftlichen Gemein- s schaftsgedanken zu sehen. Schließlich ist der Widerstand derjenigen Staaten zu brechen, welche in der Verwirklichung starker Einnahmen aus hohen Zollsätzen eine bedeutende Schmälerung ihrer gegenwärtigen starken Einnahmen zu befürchten glauben. Auf die Notwendigkeit einer wirt schaftspolitischen Gemeinschaft von Mitteleuropa weist die allgemeine Wirt- fchastsstockung und die notwendige Rohstoffversorgung zwingend hin. Der Weg bis dahin ist dornenvoll und schwierig; er kann aber zur Ge sundung der europäischen Wirtschaft führen, und es ist schon als ein Ge winn zu buchen, wenn sich die Wirtschaft, wie es den Anschein hat, in dieser Richtung in Marsch setzt. Tagung der prenßiWn Grneralshnode. Stellungnahme zu Feuerbestattungen. In der letzte!' Sitzung der Ecncralshnode zu Berlin fand eine längere Aussprache über die Frage der Mitwirkung von Geistlichen bei Fenerbesta! t u ngcn statt. Die Mehrheit der Generalsvnvde brachte zum Ausdruck, das; die Einäscherung als Ausdruckssorm der christlichen Volkssitie und nicht als im Widerspruch zu einem Glaubenssatz stehend zu betrachten sei, und nahm einen Antrag an, demzufolge den Geistlichen die Beteiligung bei Beisetzungen von Äschenresten grundsätzlich freigestellt wird. Sodann erstattete Abg. Prof. I). Lütgert- Halle den Bericht über den Religionsunterricht an den höheren Schulen. Der Vertreter der Kirchenbehörden, Oberkonsistorialrat Carow, erklärte, daß dem gerechten Ver langen der evangelischen Kirche bei der Festlegung der Richt linien für die Lehrpläne höherer Schulen nicht Rechnung ge tragen worden sei. Die Gensralshnode nahm alsdann einen Antrag des Ausschusses mit großer Mehrheit an, in welchem gefordert wird, daß die Bibel zum Mittelpunkt des Religions unterrichts gemacht wird, daß der knlturkritische Charakter des Christentums mehr zur Geltung komme und daß an den Schulen philosophische und religiöse Gemeinschaften gebildet würden. Wieder em Femsmordpi ozeß. Raubmörder oder politischer Verbrecher? Vor dem Schwurgericht des Landgerichts lil zu Berlin begann der Mordprözcß gegen den jetzt erst lüjührigen Kauf mann Robert G ruette-Lehder aus Hermsdorf, der be- schnloigt wid, Mitte November 1923 im Tcgler Forst den Kaufmann Heinrich Dammers getötet zu haben. Gruette- Lehder hatte ein Geständnis abgelegt und gesagt, daß er den Leutnant Dammers, der als „Oberleutnant a. T. Müller" in der völkischen Bewegung tätig war, a s Kommunistenspitzel be seitigt hätte. Er ha te jedoch später alles widerrufen. Bei der Gerichtsverhandlung äußerte sich der Angeklagte über die Tat Wie folgt: Ich bewegte mich in den verschiedenste» Rechtsorga nisationen. Eines Tages erhielt ich einen Brief von einem Oberleutnant Müller, daß ich nach Ückermünde kommen sollte. Ich sollte wie andere eine Nachtschutzstellung erhalten. Das war aber nur ein Vorwand, denn wie ans Briefen hcrvorging, handelte es sich hierbei nm eine Wafscnschiebung. Ich war vorher auch bei der Deutschvölkischen Freiheitspartei nnd habe Müller, der wohl mehr deutschnational war, darauf aufmerk sam gemacht, daß ich nur für die Völkische Bewegung agitie ren würde. Ich habe mich auch bemüht, die Pommcrschcn Organisationen völkisch umzustimmen. Aus die Frage des Vorsitzenden, wie er zu der Mordtat gekommen sei, antwortete er: Ich hatte längst Verdacht geschöpft, daß Müller ein Spitzel sei und wichtige Dokumente aus der deutschvölkischen Bewe gung an die Gegner verkaufen wolle. Weiter sagte der Angeklagte aus, er habe von den führen den völkischen Abgeordneten Wulle und Kube im Jahre 1923 einen gewissen Auftrag erhalten. Diesen Auftrag habe er aus bestimmten Gründen so aussaßen müssen, daß die ge nannten beiden Abgeordneten die Beseitigung des später er- mordetc» Dammers gerne sehen würden. Grütte-Lehber be kundete dann ferner, das; später die führenden Kreise der Völkischen ihrer Freude Ausdruck.gaben, als sie hörten, daß Dammers von ihm ermordet worden sei. Der Angeklagte sagte dann aus, Dammers habe vor seiner Ermordung erklärt, er habe Von der Tentschvölkischen Frelheitspartei den Auftrag erhalten, den Minister Severing zn ermorden. Wet^ und Wissen. Die elektromagnetischen Wellen des menschlichen Körpers. Professor Ekripski vom Elektrotechnischen Institut in Lenin grad, der vor einiger Zeit behauptete, daß der menschlich« Körper elektromagnetische Welle» entsendet, verkündigt jetzt, daß es ihm gelungen sei, einen Apparat zu konstruieren, der die Möglichkeit bietet, jene Wellen cinzusangen und zu messen. „Die Männer der Wißenschast," sagt der Professor, „werden fortan die charakteristischen elektrischen Merkmale jeder einzeln nen Person scststcllen können; jede Veränderung der vom Menschen ausgehenden elektrischen Wellen ist das Ergebnis einer Wandlung des Gesundhcils- und des Geisteszustandes.^ Russische Forscher erkläre», daß Proscssor Ekripskis Entdeckung der Biologie und der Phpsiolagic unschätzbare Dienste leikeil werde. Vom Glück vergessen. Roman von Fr. Lehne. 31. Fortsetzung. Nachdruck verboten. „Ach, Gwendoline, warum bist du nur immer so gereizt gegen Malte! Du bist sehr ungerecht gegen ihn und das kränkt mich in ihm — dann kann ich dir gar nicht mehr so recht gut sein — Malte ist so lieb und edel — du kennst ihn ' nicht so, wie ich ihn kenne! Welche hohen, großen Gedan ken ihn beseelen!" Gwendoline schlug die Augen nieder; ein heißes Mit gefühl erfüllte sie. „Du Arme, Arme!" dachte sie. Es läutete zum Kirchgang. Feierlich klangen die Elocken- schläge in die reine Morgenluft. Malte und Johanna blieben aus dem Balkon sitzen und beobachteten die Kirchengänger. Die Kinder waren die ersten. Dann kamen die Landleute, die Frauen und Mäd chen im Sonntagsstaat; die weiten, gereihten Röcke in allen Farben hatten einige von ihnen hoch ausgenommen und um die Hüften geschlagen, so daß der rote Unterrock und die weißen derben Strümpfe in den derben Schuhen reichlich ; sichtbar wurden. Die weiße oder seidene Schürze, mit gro ßen, flatternden Schleifenenden gebunden, war das Prunk stück der sonntäglichen Toilette; das kleine seidene, um den Hals geknüpfte Tuch fehlte nicht und jede trug das charak- j teristische runde flache Hütchen mit der Eoldschnur und j Quaste. De Arbeitshände falteten fick um das Eebetbüch- lein, auf dem ein weißes Taschentuch lag. Die Männer in ihren Sonntagsjoppen kamen in lang- ! samem, bedächtigem Schritt; eiliger hatten es die jungen Burschen in den kurzen Lederhosen, im weißen Hemd, die Jacke kühn aus der linken Schulter, das grüne Hütel mit dem Gamsbart keck auf dem Ohr — und die unvermeidliche Tabakspfeife im Mund, die erst kurz vor der Kirchentür ausgeklopft und in die Tasche gesteckt wurde. Dann kamen die Sommerfrischler, meistens Damen, dar unter Gwendoline und Blanka. „Nanu, Blanche so fromm?" fragte Malte leicht spottend. „Ist dir's nicht recht, daß wir jetzt ein Stündchen allein bleiben können? Mama steht nie vor zehn Uhr auf!" „Aber natürlich, mein Herzblatt, mein süßes Lämm chen —er küßte ihre Hand — „jetzt beurlaubst du mich wohl einen Augenblick —" „Malte, wo willst du hin?" Vorwurfsvoll und weiner lich klang ihre Stimme — „bleibe doch —" Mühsam nur bezwang er die ungeduldige Regung, die das glatte Lächeln von feinem Gesicht zu verdrängen drohte. „Du wirst sehen! Eine Ueberraschung für meinen Engel." Aus der nahen Kirche ertönten leise Orgelklänge. Fromm faltete Hanna die Hände, sie drückte sich tiefer in den großen, bequemen Korbftuhl, und ihre großen, feucht schimmernden Augen blickten träumerisch verloren in dis Weite. Malte kam jetzt zurück mit einem flachen Paket. „Da wir noch allein sind, kann ich schnell meiner holden, gütigen Fee meine ergebensten Huldigungen darbringen, hoffend, sie dadurch zu versöhnen — denn sie grollte mir jetzt ein wenig —" mit seinem schelmischen, unwidersteh lichen Lächeln küßte er ihr die Hand, an der sehr viele und kostbare Ringe blitzten, jeder ein kleines Vermögen wert. Hanna löste erwartungsvoll die zierlich gebundene Schleife. Maltes Bild in Boudoirform fiel ihr entgegen und ein großer Briefumschlag. „Ah —" mit einem leisen Ausrus des Entzückens be trachtete sie das Bild. Malte lehnte in ungezwungener Haltung an einem Tisch, die Arme über die Brust ver schränkt — doch so, daß man seine beiden wohlgebildeten, gepflegten Hände mit den spitz verlaufenden Fingern, auf die er nicht wenig eitel war, deutlich sehen konnte. Aus schwärmerischen Augen blickte er den Beschauer an und ei» schwermütiges Lächeln lag um den vollen, frauenhaften Mund. Der ganze EesichtsausdruS und die theatralische Pose, sowie eine genial in die Stirn gezogene Locke paßten nicht zu dem kühnen Durchzieher auf der rechten Wange. Der ganzen Aufnahme haftete etwas Unnatürliches, Gezwun genes an. Hanna sah das aber nicht. Entzückt drückte sie ihre Lippen auf das Bild. Er neigte sich zu ihr und küßte ihr kleines, rosiges Ohr. „Ich bin doch da, Engelchen —" sagte er vorwurfsvoll. Nachdem er eine stürmische Umarmung über sich hatte er-' gehen lassen müssen, fuhr er fori: — „das ist nur für dich allein! Es ist die einzige Ausnahme. In meinem Beisein hat der Photograph die Platte vernichten müssen! Und du zeigst das Bild auch niemand — am allerwenigsten aber Gwendoline, die sonst nur über eine sinnlose Verschwen dung schelten würde —" Hanna drehte die Photographie um und las die Wid mung auf der Rückseite: „Wenig, was ich geben kann, doch alles, was ich hab' und bin. — In treuer, innigster Liebe seinem Schutzengel! Malte." Johanna konnte sich an dem Bilde nicht sattsehen, bis er es ihr scherzend aus der Hand nahm — „das ist nup, wenn ich nicht da bin, jetzt hast du mich! — Da ist noch etwas deines Interesses wert — so Hosse ich " Hanna griff nach dem großen Briefumschlag und öffnete ihn; mehrere cnggeschriebene Manuskripte lagen darin. „Meiner süßen Hanna gewidmet!" las sie halblaut — ach, Gedichte von dir — und auch einige Skizzen —" „Die ich in der letzten Woche geschrieben habe! Es fließt mir jetzt nur so aus der Feder — — und das danke ich meinem gütigen Engel —" wieder zog er ihre Hand an seine Lippen. In holder Freude blickte sie ihn am „Siehst du jetzt ein, daß ich recht hafte? Ein Dichter kann nur im Vollen schassen — ohne die Sorgen des All tags , die mich mehr als jeden anderen quälten , außer den pekuniären auch noch die familiären, die noch viel schlimmer sind, wenn man nicht verstanden wird und täglich harte Tadel anhören muß! Wieviel Vorwürfe hat mir zum Beispiel Line gemacht, daß ich damals das Unglück mit dem Examen hafte und daß ich es noch nicht wiederholt habe —" „Das sollst du überhaupt nicht mehr! Glaubst du, ich wäre damit einverstanden, daß mein süßer Herzensjchatz jetzt wieder anfängt zu studieren und sich den Kopf mit allerlei gelehrtem Zeng ansüllt? Da hätte er ja gar keine Zeit mehr für mich! — Nein, Malte, lieb sollst du mich haben, sollst ein Dichter sein — stolz bin ich darauf." Sie blätterte i> dem Manuskript. (Fortsetzung folgt.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)