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Nr 282. — 84 Jahrgang Tel^r.-Sdr.: „AmUblall- Wilsdruff-Dresde« PoMLeck: Dresden 3640 Sonnabend 5. Dezember 1925 Oie Inflation in Frankreich. Die französische Ministerkrise hat nicht lange gedauert, Briand blieb sehr bald als einziger übrig, der imstande war, ein Ministerium zu bilden. Die Fahrt nach London zur Unterschrift unter den Vertrag von Locarno war für ihn die Erledigung einer Nebensächlichkeit, denn die Hauptsache sind für ihn die innerfranzösischen Sorgen. Er hat ja den anerkannten Führer der französischen Schwerindustrie, Herrn Loucheur, als Nachfolger für Eaillaux auf den Sessel des Finanzministers geholt. Das Problem ist die Stabilisierung der französischen Wäh rung; den Frank vor weiterem Sturze zu bewahren, ist wirklich die „Politik der notwendigen Arbeit". Zunächst ist nach den Ausführungen, die Briand in der Kammer machte und die sein Programm darstellen, mit einer Über gangsperiode zu rechnen, mit „provisorischen Erleichte rungen", auf gut deutsch: mit einer Fortsetzung der In flation. Am 8. Dezember sind 2!4 Milliarden kurz fristiger Schuldverschreibungen einzulösen und die neue französische Regierung sieht keine Möglichkeiten, das an ders zu bewerkstelligen, als durch die Herausgabe neuer Franknoten. Gleichzeitig aber kündigt Briand eine Ab gabe vom Vermögen an, die dazu dienen soll, dem Frank die unbedingt notwendige Stabilität zu sichern. Die Persönlichkeit Loucheurs bürgt natürlich dafür, daß man dabei der französischen Schwerindustrie nicht allzu wehe tun wird. Man hat überhaupt in diesen Kreisen kein großes Interesse an der Währungsstabilisierung. Man verdient zu gut, hat keine Arbeitslosen, die Inflation wirkt als Exportprämie. Doch ganz wird man nicht um eine derartige Kapitalsabgabe herumkommen. Uns Deutsche interessiert natürlich vor allem, was Briand in seinem Programm über die französische Außenpolitik entwickelte. Zunächst äußerte er sich über die finanzielle Außenpolitik Frankreichs, also über die Milliardenschulden, die dieses Land noch bei seinen Ententegenossen hat und die vor allem der Hebel sind, mit dem der Frank geworfen worden ist. Briand kündigt an, daß er die Verhandlungen mit den Alliierten über die Regulierung der Schulden fortsetzen wolle. Dann sprach er einige herzliche Worte über Locarno, die starken Beifall im Hause fanden. Die Politik der inter nationalen Abmachungen will er weiterführen, indem er „Frankreich gleichzeitig alle wünschenswerten Garantien für die Sicherheit seiner Grenzen gibt". Ergänzt soll das werden durch eine Einstellung der Syrien- und der M a r o k k o aktionen, allerdings mit einer starken Ein schränkung, einer Einschränkung, die beinahe wie ein Witz anmutet, aber furchtbar ernst gemeint ist: „Sobald die An griffe aufgehört haben, die dort gegen das Werk der Zivilisation und gegen den traditionellen Liberalismus Frankreichs begonnen haben." Also daß sich der Marok kaner und der Syrier mit den Segnungen der französischen Zivilisation nicht beglücken lassen wollen, wird ihnen als schwere Sünde angerechnet. Begrüßenswert ist aber trotz dieser echt französischen Demonstration, daß der neue Mi nisterpräsident in diesem Zusammenhang von einer Er leichterung der militärischen Lasten redet, was durch jene Politik der internationalen Abmachungen er möglicht werden könnte. Die bittere Pille kam allerdings nach: Loucheur, der Finanzminister, legte einen Gesetzentwurf vor, wonach der Vanknotenumlauf von 51 auf 58 Milliarden Frank erhöht, also die Inflation verstärkt wird. In diesem Gesetzentwurf ist aber auch noch eine zweite, viel inter- f rssantcre Feststellung erfolgt, die nämlich, daß die Frank inflation sozusagen offiziell anerkannt wird. Der No minalbetrag der noch ausstehenden Steuern soll nämlich um 102L erhöht werden. Das ist sozusagen sogar eine Vorwegnahme der Inflation. Freilich ist zu erwarten, daß es die Regierung nicht gar sehr eilig Haben wird mit der Währungsstabilisierung, sobald nur erst der 8. De zember überstanden sein wird. Briand erhielt auf seinen Wunsch von der Kammer ein Vertrauensvotum. Deutscher Reichstag. (130. Sitzung.) 08. Berlin, 3. Dezember. Vor Eintritt in die Tagesordnung gab Abg. Dr. Wirth (bei keiner Fraktion) eine Erklärung ab, worin er die gestrigen Angriffe des Abg. Henning (Völk.) gegen ihn zurückwies. Er ging dabei auf seine Rede nach dem RachenawMorLe ein, worin er das viel angegriffene Wort gesprochen habe: „Der Feind steht rechts'" Aus dem Zusammenhänge ergebe sich klar, daß mit diesem Feinde die Führer der Mordhctze gegen die republikanischen Führer gemeint gewesen seien. Nach Eintritt in die Tagesordnung wurde ein Schreiben des ReichSarbeitSministerS betreffend Teilung der Lanoesvcr- sichernng anstatt Schlesien und Errichtung einer Versicherungs- anstatt für die Provinz Oberschlesien ohne Aussprache dem Ausschuß überwiesen. Daraus wurde die erste Beratung der demokratischen und kommunistischen Gesetzentwürfe über die Abfindung der Kürftenfamilien fortgesetzt. Abg. Hampe (Teutsch-Hann.) stimmte dem Abge ordneten Scheidemann zu in der Darstellung der Bismarchchcn Politik bei der Entthronung und Enteignung der kurhessischen und hannoverschen Fürstenhäuser. Konseguenterweise hätte uun der Abg. Scheidemann sich gegen eine Wiederholung des' damals begangenen Unrechtes wenden müssen. Der von den Demokraten tingebrachte Gesetzentwurf würse zu schematisch alles in «inen Tops, weil er' di» Verschiedenartiakeit der Uölkerbunasrinlritt im Marr lyrb. Stresemann hoffnungsfreudig In London hatte Rcichsaußenminister Dr. Strese- mann eine Unterredung mit einem deutschcnZeitungsver- trctcr und sprach sich dabei äußerst hoffnungssreudig zu dem weiteren Gang der Verhandlungen über die Rück wirkungen von Locarno aus. Der Minister demen tiert die Meldung einiger Blätter, die Alliierten hätten die Verkürzung der Besetzungsfristen für die zweite und dritte Zone bereits abgclehnt, und erklärte, Deutschland werde sofort nach seinem Eintritt in den Völkerbund diese Frage erneut anschneiden. Stresemann sagte: Nach meiner Be rechnung wird Deutschland ungefähr im März näch- sten Jahres in den V ö l k e r b u nd ausgenommen werden können. Es wird nicht möglich sein, das Aufnahmcgesuch so zeitig zu stellen, daß der nächste Woche in Genf zu- sammentrctcnde Völkerbundrat sich damit befassen kann, weil erst die Neubildung der Negierung in Deutschland ahgewartet werden muß. Eine Völkcrbnndratsitzung läßt sich aber immer schnell einberufen. Die Völkerbundrat sitzung, die über die Aufnahme Deutschlands in den Völker bund zu entscheiden hat, könnte dann Ende März nächsten Jahres zusammentrcten. Stresemann betonte, bezüglich der Verfahren gegen K r i e g s b e s ch u l d ig te sei die Hoffnung vorhanden, daß Frankreich dem Beispiel der übrigen Staaten folgen werde. Dieser Frage sei große Bedeutung beizumcssen, da der jetzige Zustand sich nicht mit dem Pakt von Locarno vertrage. Donnerstag haben Reichskanzler Dr. Luther und Außenminister Dr. Stresemann die Rückreise ange- tretrn. In London waren Gerüchte verbreitet, daß Dr. Stresemann auf der Rückreise einen Besuch bei Briand in Paris zu machen gedenke. Auch der Pariser „Matin" nahm von dem Gerücht Notiz. An Berliner amtlicher Stelle war über eine Reise Dr. Stresemanns nach Paris offiziell nichts bekannt. Der Rücktritt der Reichsregierung «ach einigen Nachrichten bereits Freitag abend sofort nach Rückkehr des Reichskanzlers Dr. Luther zu er- warten gewesen. Später wurde jedoch gemeldet, der Rück tritt ^verde,>rcc1ag noch nicht, sondern voraussichtlich erst am Sonnabend erfolgen. Die seit Anfang dieser Woche schwebenden Verhand lungen zwischen den Mittelparteien und den Sozialdemo kraten können gegenwärtig als abgeschlossen gelten. Sie haben zu einem Erfolge nicht geführt. Man beschloß, ab- zuwarten, bis der Reichskanzler Dr. Luther zurückgekehrt ist, und dann wieder in neue Besprechungen einzutrcten. Weder auf eine „Große Koalition" noch auf eine „Koali tion der Mitte" konnte man sich bisher einigen. Hindenburgs Rheinlandreise. Nach Meldungen aus Köln dürfte der Besuch des Reichspräsidenten im geräumten Gebiet schon in de» ersten Fcbruartagen zu erwarten sein, da man mit der Räumung der gesamten ersten Zone bis Ende Januar rechnet. Es ist ein achttägiger Aufenthalt, vor allem in Köln, in Bonn und in Krefeld, in Aussicht genommen. Im Neichstagsansschußfürviebesetzten Gebiete fand eine Aussprache über die angckündigten neuen Besatzungslasteu an verschiedenen Orten statt. Es wurde eine Entschließung des Zentrumsabgeordnetcn Esser einstimmig genehmigt. Sie lautet: „Der Ausschuß richtet an die Ncichsregierung das dringende Ersuchen, bezüglich der angekündigten Mehrbelastung der Städte und Gemeinden in den besetzt bleibenden Gebieten durch vermehrte Beschlagnahme von Wohnungen , und ländlichen Grundstücken mit stärkerem Nachdruck die berechtigten Interessen der bedrohten Gebietsteile gegen üb.er der Besatzungsbehördc zu wahren, insbesondere da hin, daß jede stärkere Belastung einzelner Städte auch bei der Aushebung von Garnisonen an kleineren Plätzen unter allen Umständen vermieden wird." Eigemumsrccyie oer Hurstenyauser n>a)t verüctsichüge. Man müsse dem deutschnationalen Redner zustimmcn, daß ein solches Gesetz verfassungswidrig wäre. Abg. Dr. Kayl (D. Vp.) führte aus, daß seine Freunde ver langten, den hier erörterten Fragenkreis nur im Geiste und Sinne der Gerechtigkeit zu lösen. Deshalb sei eine entschädi- gungslose Enteignung der Fürstenhäuser, wie sie die Kommu nisten wollten, in einem Rechtsstaat!! ganz unmöglich, und bei einem Volksentscheide würden sicherlich viele, die die Wieder kehr des Monarchistenregimes nicht wünschten, dennoch sür die Abfindung der Fürstenhäuser stimmen, weil sie das Gefühl des Tankes empfänden sür das, was Friedrich II., der Große Kur fürst und andere Mitglieder der Hohenzollern und anderer Dynastien in sechs Jahrhunderten sür das Land getan hätten. „Wie ein Volk," so meinte der Redner, „sich stelle zu seiner großen geschichtlichen Vergangenheit, das sei auch ein Stück seiner persönlichen Würde." (Beifall rechts.) Soweit es sich nm Mittel handele, die auf öffentlichen Rechten beruhten, sollten bei der Fürstenabfindung auch nach seiner Meinung die Ge richte nichts damit zu tun haben. Aus keinen Fall dürfen die Fragen zum Gegenstand politischer und damit parteipolitischer Erwägungen gemacht werden. (Beifall rechts.) Der in den demokratischen Entwürfen vorgesehene Ausschluß des Rechts weges fei mit den demokratischen Prinzipien unvereinbar. Im Kreise seiner eigenen Freunde sei die Anregung laut geworden, vielleicht einem R e i ch s s ch i e d s g e r i ch 1 die Nachprüfung der Abfindungsauscinandersetzungen zu übertragen. Zum Schlüsse nahm der Redner die Gerichte gegen den Vorwurf in Schutz, daß sie zugunsten der Fürsten Las Recht beugten. (Beifall rechts.) Abg. Dr. Pfleger (Bayer. Vp.) betonte, daß die Annahme des demokratischen Gesetzentwurfes eine schwerwiegende Ver fassungsänderung bedeuten würde. Die Bayerische Volkspartei würde unter keinen Umständen eine Regelung mitmachcn, bei der der ordentliche Rechtsweg ausgeschlossen wird. Abg. Schröder-Mecklenburg (Völk.) meinte, dieAbfindungs- , frage hätte nach politischen Gesichtspunkten geregelt werden ; können, wenn nicht die Macher der Revolution von 1918 und die Schöpfer der Weimarer Verfassung die Heiligkeit des Eigentums proklamierten und den Fürsten das volle Bürger- > recht in der Republik gegeben hätten. Die Haltung der Sozial demokraten sei nur bestimmt von ihrem Haß gegen die Hohen zollern. Diese hätten aber mehr soziales Verständnis gezeigt als die ganze Sozialdemokratie. (Unruhe bei den Soz.) Abg. Dr. Bredt (Wirisch. Vgg.) betonte, es drehe sich der Vergleich in Preußen um das Hausvcrmögen. Der Prozeß sei vom Staate angestrengt, aber verloren worden Es handle sich bei dieser ganzen Frage darum, ob man den Boden der bürgerlichen Rechtsordnung betreten wolle oder nicht. (Bei fall bei der Wirtschaftsparlei.) Abg. Brodaus (Dem.) faßte das Ergebnis der Aussprache dahin zusammen, daß die Mehrheit des Reichstages bereit ist,, aus der Grundlage des demokratischen Entwurfes im Rechls- ausschuß nach einer Lösung zu suchen. Nachdem der Abg. Schneller tKomm.) noch einmal den An trag seiner Partei empfohlen hatte, wurde die ganze Angelegen heit dem Rechtsausschuß überwiesen. Der Reichstag begann dann die dritte Lesung des Etats und bewilligte zuerst endgültig den Haushalt des Reichstages. Dabei wurde ein Antrag der Sozialdemokraten, des Zentrums, der Deutschen Volkspanet und der Demokraten angenommen, zum Grunderwerb für einen Erweiterungsbau «es Rkickst«a»r 1420 000 Mark zu bewilliaen. In der dann folgenden dritten Beratung des Haushalts des Reichsministerlu ms für Ernährung und Landwirtschaft begründete Abg. Thomsen (Dtn.) eine Interpellation, worin die Regierung gefragt wird, was sie zu tun gedenke, um die augenblickliche ungeheure Kieditnot in der Landwirtschaft rasch und wirksam zu beheben Weiler wird verlangt eine Herabminderung der ösfenttichen Vcrwaltungskosten und ein Ausgleich des Mißverhältnisses zwischen den Preisen sür landwirtschaftliche Erzeugnisse und sür landwirtschaftliche Betriebsmittel. Der Redner meinte, eine Behebung der deutschen Wirtschaftsnot werde sich vor allem durch eine Verminderung der Einfuhr ausländischer Lebcns- niittcl ermöglichen lassen. Dazu müsse die Produktionssähigkeil der deutschen Landwirtschaft gestoben werden. Abg. Hörnlc (Komm.) begründete in längeren Ausführun gen eilte Reihe kommunistischer Anträge und Entschließungen, in denen Hilfsmaßnahmen für nolieidende Kleinbauern, Pächter und Landarbeiter verlangt werden. Daraus vertagte sich der Reichstag auf den S. Dezember. Rücktritt -es spanischen Nirektordlms. Ein neues Kabinett Primo de Rivera. Das spanische Direktorium ist zurückgctrctcn. Der König hat Primo de Rivera mit der Kabinettsbildung betraut. Der plötzliche Rücktritt ist auf das Drängen von Hccrcskreisen zurückzuftthren. Eine Abordnung der Armee teilte Primo de Rivera mit, daß die Armee auf dem so fortigen Rücktritt des Direktoriums bestehe und die Ein- fetzung einer bürgerlichen Negierung fordere. Primo »e Rivera nahm darauf sofort mit den führenden Polrti- !ern Rückfprache und wurde danach von, König empfangen. Ls gelang Primo de Rivera, dem König die grundsätzliche zusage zur UmüUduug der Negierung abzuringcn. i Nach einer Meldung der „Daily News" hat Primo be Rivera dem König folgende Ministcrliste vorgelcgt: Premierminister Primo de Rivera, Kricgsminister der Herzog von Tetuan, auswärtige Angelegenheiten gungnas, Marine Admiral Cortujo, Justiz Gallaponte, Inneres Martinez Aniau, Finanzen Calvor Sotelo, Ar- jcit Aunns, Unterricht Canncjo, öffentliche Arbeite» benjuuca. Kehr Kredite für die Wirtschaft. Erklärungen des Neichsbankprüsidenten Schacht. In einer Sitzung des Zentralausschusses der Rcichs- bank bezeichnete der Vorsitzende Präsident Dr. Schacht die Entwicklung des Status der Bank während der letzten Mo nate als befriedigend, insbesondere auch hinsichtlich der Devisenbestände. Sodann berührte er die in der letzten Zeit in der Öffentlichkeit mehrfach erörterte Frage der Ermäßigung des Neichsbankdiskouts und teilte mit, daß das Neichs- bankdirektorium die Zeit sür die Herabsetzung des Diskontsatzes angesichts der zum Jahrcsschluß zu erwartenden Ansprüche n o ch n i ch t für gekommen er achte. Auch die Tendenz Ler Zinssätze an Leu wichtigen