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Machen des deutschen Zusammenbruchs. Das Werk des Untersuchungsausschusses des Reichstages. Das Erscheinen der endgültigen Publikation des Großen Parlamentarischen Untersuchungsausschusses über die Ursachen des deutschen militärischen Zusammenbruches im Herbst 1918 steht unmittelbar bevor. Nach sechsjähriger Untersuchungsarbeit hat der vierte Unterausschuß seine Untersuchungen über die Ursachen des militärischen Zu sammenbruches nunmehr beendet und wird in den nächsten Tagen das Ergebnis seiner Arbeit in drei stattlichen Bänden dem Reichstage vorlegen. Damit erhält zugleich das ganze Publikationswerk des Untersuchungsausschusses seine endgültige Form, denn die jetzt erscheinenden Bände bilden bereits einen bedeutsamen Bestandteil der Gesamtpublikation des Ausschusses. Entsprechend den vier Unterausschüssen wird dieses Werk, das sich in der Form an die große Aktenpublikation des Auswärtigen Amtes anschließt, vier Abteilun- g e n umfassen, von deren vierter die ersten drei sachlich in sich geschlossenen Bände jetzt zur Ausgabe gelangen. Der Titel des Gesamtwerkes lautet: Das Werk des Unter suchungsausschusses der Deutschen Verfassunggebenden Nationalversammlung und des Deutschen Reichstages 1919 bis 1926. Verhandlungen — Gutachten — Urkunden. Der Inhalt setzt sich folgendermaßen zusammen: Der erste Band enthält neben einem Vorwort des Herausgebers und statistischem. Material die Ent- - schließungen des Unterausschusses sowie einen vollständi gen Verhandlungsbericht über die seit Einsetzung des Untersuchungsausschusses im Jahre 1919 abgehalteuen Sitzungen, vorwiegend in Gestalt der stenographischen Protokolle; der zweite Band enthält das Gutachten des Sach verständigen Oberst a. D. Bernhard Schwertfeger über „die politischen und militärischen Verant wortlichkeiten im Verlaufe der Offensive von 1918"; der dritte Band das Gutachten des Sachver ständigen Generals der Infanterie a. D. v. Kuhl über „die militärischen Grundlagen der deut schen Offensive im Jahre 1918" (erster Teil) und über „Durchführung und Zusammenbruch der deutschen Offensive im Jahre 1918" (zweiter Teil) sowie das Kor referat des Sachverständigen Geheimrats Professor Dr. Hans Delbrück zu den Gutachten des Generals v. Kuhl und des Obersten Schwertfeger. Den politisch wichtigsten Bestandteil der Publikation bilden- die auf Grund der Verhandlungen vom vierten Unterausschuß gefaßten „Entschließungen", mit denen der Untersuchungsausschuß den Endzweck seiner Tätigkeit erfüllt, d. h. sein Votum über die Frage der Ursachen des deutschen Zusammenbruches — zunächst nach der militärischen und militärpolitischen Seite hin — abgibt. Deutscher Reichstag. (94. Sitzung.) 02. Berlin, 14. Juli. Auf der Tagesordnung steht die zweite Beratung des Gesetzentwurfes über die Ablösung öffentlicher Anleihen. Bei § 1, wonach die Markanleihen des Reiches in eine Anleiheablösungsschuld umgetauscht werden, findet zunächst eine allgemeine Aussprache statt. Von den Sozial demokraten lag der Antrag vor, den Entwurf an den Auf wertungsausschuß zurückzuverweisen und ihn nach bestimmten Richtlinien umzuändern. Abg. Leber (Soz.) begründete diesen Antrag und erklärtc das Kompromiß für ungenügend. Seine Partei wolle eine Jnslationssteuer auf die Besitzenden Vorschlägen, um den armen Sparern zu helfen. Das ganze Gesetz sei ein Abwertungsgesetz. Nur die Spekulanten er halten eine Aufwertung, und als ihnen diese noch nicht ge nügte, hätte die Börse gestreikt. Die richtige Antwort daraus Wäre gewesen, die letzten Aufwertung kür die 45) Nheinlandstöchter Sloma»>on Tlara"Viebig. Sie bückte sich hastig und küßte ihn auf die Stirn. „Du lieber Kerl! O wie glücklich Sie sind!" wandte sie sich zu Tylander; es kam ihr aus tiefstem Herzen. „Und Sie kommen zu uns, Nelda, Sie kommen?" „Ich komme. Ich muß Ihre Kinder sehen, ich komme gern!" „Komm jetzt, Papa", sagte Fritz und faßte des Vaters Hand. „Du, man muß Frauenzimmer nicht warten lassen, du weißt doch! Fall nicht, hier sind Stufen! Ich darf doch auf der Straße auch mit dir gehen, Papa, ja? Wir beide! Ich geh am liebsten immer mit dir." Im Berliner Zimmer war eitel Wehklage, Frau Rätin schwamm in Tränen. Sie hatte sich eben zu sehr über Nelda geärgert. Sagte doch das undankbare Kind aus Anlaß des Briefes, der vom Onkel gekommen war — man hatte ihm von Neldas Krankheit geschrieben und er wünschte dringend, die Nichte zu ihrer Erholung bei sich zu haben, wollte umgehend das Reisegeld schicken — sagte doch das undankbare Kind da: „Mama, dann reis' ich gleich. Ich sreu mich unsäglich bei Onkel Konrad zu sein und sehne mich nach Papas Grab!" Wie unzart, immer vom Grab zu sprechen! „Du wirst mich nicht mehr ver missen, Mama", hatte sie auch gesagt. Wie bockig sie war, jetzt gerade reisen zu wollen, wo man sie so nötig brauchte! Frau Rätin weinte ihr Taschentuch nah, dazwischen horchte sie auf die Stimme im Porderzimmer. Wie fatal, Laß sie nicht hineingehen konnte zu Xylander; aber mit den roten Augen, nein! Und ungezogen war sie mich nicht, über den Arger mit Nelda mußte einem ja alles vergehen Gott, wie sollte das noch werden?! Schmolle ging ab und zu und ermutigte. „Reden tvtr, reden wir man endlich-frei von der Leber weg! Sie werden sich doch nicht vor Ihrem eignen Fleisch uns Blut fürchten, Verehrteste? Na, da brate mir einer 'nen Storch! Mir ist es sehr apropos, wenn die Sache zum Klappen kommt. Sehen Sie mal, der erste Juli ist vor der Tür, wir kündigen, machen Hochzeit, feine Reise nach der Ostsee oder dem Harz oder nach Friedrichsroda, was? Ersten Oktober sitzen wir gemütlich eingespunden in urksrer neuen Wohnung, Berlin VV. Gott sei Dank können ! wir's ja? ! „Ach, Wie schön!" Die Rätin seufzte sehnsüchtig, dann schaute sie ängstlich um. „Aber Nelda. Nelda —?!" > Spekulanten auch noch zu stretchen. Der Redner setzte sich zum Schluffe noch für seine Anträge ein, die außer der bereits erwähnten Zurückverweisung der Vorlage unter an derem den Neubesitz ganz streichen wolle. Namens der Demokratischen Partei gab Abg. Freiherr von Richthofcn-Hannover eine Erklärung ab, in der es u. a. heißt, die Demokratische Partei sei einmütig der Auffassung, daß das vorliegende Gesetz eine so unglückliche Fassung er halten habe und zu schwersten Bedenken Veranlassung gäbe; sie würde deshalb dem sozialdemokratischen Anträge, soweit er sich auf die Zurückverweisung beziehe, zustimmen. Abg. Seiffert (Völk.) lehnte die gegenwärtige Fassung für sich und seine Partei ab, weil sie einen Rcchtsbruch darstelle, wie er sich noch nie in der Welt ereignet habe. Für die Mittel der Aufwertung müsse vor allem eine Jnslationssteuer ge schaffen werden. Tas Haus nahm dann die rückständigen Abstimmungen zum Hypvthckenaufwertungs- gesetz vor. Beim Kapitel Aufwertung von Sparkaffenguthaben wurde in namentlicher Abstimmung ein Antrag Keil (Soz.) mit 243 gegen 178 Stimmen und 5 Stimmenthaltungen ab gelehnt, der den Aufwertungsmindestsatz von 12 auf 25 er höhen wollte. Es bleibt also bei 12 A für die Sparguthaben. Annahme mit den Stimmen der Linken, des Zentrums und der Bayerischen Volkspartei fand ein Antrag Best, der einen Satz des Z 67 streicht und dadurch beim Kapitel „Vergleiche und andere Vereinbarungen" eine Ausnahmebe stimmung für die Kaufleute als Gläubiger beseitigt. Ein Antrag des Abg. Dr. Heinze (D. Vp.), der die Reichs- cegierung ermächtigt, weitere Vorschriften über die in Auf wertungssachen erwachsenden Gebühren und Kosten zu erlasse«, wurde im Hammelsprung mit 269 gegen 127 Stimmen ange nommen. Im weiteren Verlauf der Abstimmungen wurden dann alle Anträge der Opposition abgelehnt und die Kompromitzvorlagc des Hypothekenaufwertungsgesctzcs in zweiter Lesung in einfacher Abstimmung angenommen. Darauf setzte das Haus die allgemeine Aussprache über das Anleihegesetz weiter fort. In der Einzelberatung begründete der Abg. Kei! (Soz.) einen Eventualantrag, der Von der Aufwertung alle Markanleihen des Reiches ausschließen will, die der Gläubiger nicht nachweislich vor dem 1. Juli 1922 er worben hat. Abg. Feder (Völk.) meinte, für eine gerechte Lösung dieser Frage sei erforderlich, erst erneut festzustellen, wie groß die Verpflichtungen des Reiches noch seien, und welche Kon kursmasse vorhanden sei. Abg. Saupe (Soz.) forderte im Sinne des sozialdemo kratischen Antrages eine sofortige Sondersteuer von den Ver mögen über 30 000 Mark, die in der Kriegs- und Nachkriegs zeit entstanden sind, einen Zuwachs erfahren oder sich nicht um mehr als 10 vermindert haben. Damit schloß die allgemeine Aussprache Neue Gchwierigkeiien in China. Die Chinesen wollen verhandeln. Während aus Washington gemeldet wird, daß ein Übereinkommen zwischen England, Japan und Amerika infolge des Eingreifens des Präsidenten § Coolidge und einiger Konzessionen, die England ge- « macht habe, zustande gekommen fei, besagen andere Be- - richte, daß England entschlossen sei, von den übrigen « Mächten abzurücken und gegenüber China auf eigene Fan st vorzu gehen. Die britische Regierung soll an der geplanten Chinakonferenz nicht teilnehmen wollen, Amerika aber soll nach wie vor entschlossen sein, sie unter allen Umständen zusammenzubringen. Auf der anderen Seite wird ein Einlenken Chinas gemeldet. Nach einer Meldung aus Peking soll sich der chinesische Außenminister persönlich in alle Ge sandtschaften begeben und die Gesandten um Wieder aufnahme der Unterhandlungen über die Zwischenfalle in Schanghai ersucht haben. Daß die Lage sich wesentlich gebessert habe, kann man nicht behaupten. Noch immer werden räuberische über- ! fälle und blutige Streikzwischenfälle gemeldet. In ISchanghai wird das Fremdenviertel durch 500 Sol daten aus Mulden gegen Angriffe geschützt. Französische SersiärkmMn Abzug der Marokkaner aus der Pfalz. Wie aus Wiesbaden berichtet wird, hat diemarok - kanische Division, die in der Pfalz, und zwar in Landau und Umgegend steht, ihre Standorte verlassen, um sich nach Marokko zu begeben. Ein weiteres marokkanisches Regiment und ein Regiment algerischer Schützen stehen ebenfalls zur Abreise aus dem besetzten Gebiet bereit. Der zum Oberbefehlshaber der marok kanischen Truppen ernannte General Naulin hat Wiesbaden verlassen, um sich über Paris nach Marokko zu begeben. i Auf dem marokkanischen Kriegsschauplatz ist seit etwa zwei Tagen Ruhe eingetreten. Nach dem „Matin" stehen aber neue Angriffe bevor, da Abd-el-Krim seine Absicht, gegen Fez zu marschiere», noch nicht aufgegeben hat. Aur unlerer keimst ) Wilsdruff, am 15. Juli 1925. Merkblatt für den 16. Juli. Sonnenaufgang 3«» !! Mondaufgang 12°° V. Sonnenuntergang 8" !! Monduntergang 4'° N 1870 Mobilmachung gegen Frankreich. — 1918 Ermordung der russischen Zarenfamilie. * Eine Freudenkunde für Radiofreunde. Nach einem Be schluß Les Reichspostministeriums soll spätestens vom 1. Sep tember ab Las Radio-Empfangsgerät völlig freigegeben werben. Damit sind alle Vorschriften ausgehoben, die sich auf die Ver wendung der benutzten Empfänger beziehen. Mit dieser mini steriellen Maßnahme sind die letzten Schranken gefallen, die Ler Teilnahme am Rundfunk bisher gezogen waren, und ein vielfach geäußerter Wunsch aller Radivfrunde ist somit erfüllt. Vor allen Dingen wird -gleichzeitig auch Lie Audion-Dersuchserlaub- nis aufgehoben werden. Das bedeutet, daß nunmehr jedermann ohne Ablegung einer Prüfung Empfangsgerät mit Audivnröhren und Rückkoppelung benutzten darf. Cs gibt somit keinerlei Vor schriften in bezug auf die verwendeten Empfänger mehr. Oessentliche Sitzung des Verbands-Berufsschulausschusses Donnerstag den 16. 8uli nachmittags 5 Uhr im Stadtverord- netenfitz-ungssaal. Tagesordnung: Wahl des Ausschußvorsitzen- den, des Stellvertreters und des Schulleiters. Narrenhände beschmieren Tisch und Wände! Kaum sind -eine ganze Anzahl der Häuser unserer Stadt mit neuem und, wie man immer aufs neue feststellen kann, recht freundlichen Fachenanftrich versehen worden, La machen sich wieder jene Schmierfinken bemerkbar, Lie mit Blei- -oder Blaustift, Kreide oder Ziegelrot an den neugestrichenen Häusern -ihre Striche ziehen. Das kann nicht scharf genug gegeißelt werden und Schule wie Elternhaus werden in öffentlichem «Interesse gebeten, die Kinder auf das Verwerfliche dieser Unsitte hinz-uweisen. Eltern können sür Len durch ihre Kinder angerichteten Schaben haftbar gemacht werden. Man «kann schließlich die Hausbesitzer nicht verdenken, wenn sie erklären, unter den Verhältnissen für Verschönerung des Straßenbildes keinen Heller mehr anzu- wenben. Gesangskonzert im Oberen Park. Der Männer- und Frauen chor „Brubergruß" veranstaltet morgen Donnerstagabend 7,45 Uhr bei günstigem Wetter ein Gesangskonzert im Oberen Park unter Leitung seines Dirigenten, des Herrn Opernsängers Bey reuther (Dresden). Das Programm enthält eine Reihe herr licher Frühlingslieder und zwar 1. Männerchöre: ,,Frühling am Rhein" von Breu und „Frühlingsahnung" von Weber; 2. Frausnchöre: „Frühlingsreigen" von Kieslich und „O Frühling, kehre ein" von Jöckel; 3. Männerchöre: „Frühlings Einzug" von Jüngst und „Frühling von Meyer-Olbersleben; 4. Ge mischte Chöre: „Frühlingsglaube" von Fr. Schubert und „Früh lingsgruß" von Robert Schumann. Hoffentlich steckt dazu der Himmel ein freundliches Gesicht auf. „Na, sie resit eben mit uns. Ich habe Netdacyeu seyr gern. Und es ist ja auch für sie höchst interessant!" „Gott, Schmolke, wie Sie Nelda kennen" — der Ton war ganz ärgerlich — „als ob die so gleich Ja und Amen sagte! Ich möchte lieber sagen, ich habe einen iotge- schlagen, als ihr das erzählen. Ach, könnte man mal ein Glück haben, gleich wird es einem getrübt! Meinetwegen mag sie zu dem Bürgermeister, aber jetzt noch nicht; ich kann sie nicht entbehren. In ein paar Tagen läßt sich doch keine Hochzeit Herrichten; und so lange muß sie bei mir bleiben, die Dehors müssen gewahrt werden!" „Aber, Werte, bei uns alten Leuten!" „Das ist ganz egal. Ich weiß gar nicht, tväs Sie immer mit dem Alter wollen! Die Dehors müssen ge wahrt werden, man ist das seinem Stand schuldig. Mein guter Dallmer war Negierungsrat, mein Vater Registra tor und mein Onkel" — hier machte sie eine kleine Pause — „Geheimer Rechnungsrat!" „Ja, freilich, freilich!" Schmolke wurde ganz rot vor Bewunderung; sein Vater hatte Korinthen und Zichorien verkauft und die Düten selbst gedreht in dem dunklen Lädchen des kleinen märkischen Fleckens. Er war froh, als es draußen zweimal klingelte, und verschwand. Nach fünf Minuten kam er mit Nelda wieder herein. „Nun, wie war's?" Frau Dallmer hatte begründete. Ursache, einen freundlicheren Ton gegen die Tochter an zuschlagen; sie sah, wie Schmolke an seiner Krawatte zupfte und den gestreiften Hemdbusen herausdrückte. Er präparierte eine Ansprache. Jbr schwindelte. „Na, Neldachen", sagte der gute Schmolke und klopfte dem Mädchen aus die Schulter, „das war ja 'ne Freude! Wirklich ein nobler Mann, außerordentlich Nobel, und das Jungchen ganz scharmant. Was Sie alles für Bekanni- fchaften haben! Aber nun bleiben Sie auch hier, nicht wahr, Neldachen? Sie werden doch Muttern nicht kränken und jetzt reisen? Sehen Sie mal" — er druckste und schluckte und räusperte sich — „wir können Sie jetzt absolut nicht entbehren. Wir" — er druckste wieder und schluckte und bekam sogar einen Hustenanfall — „wir — nämlich — sehen Sie mal" — Eine atemraubende Pause. Frau Rätin hatte das Gefühl, in ein Mauseloch kriechen zu müssen. „Wir, nämlich, die Frau Mama und ich — sind gesonnen in den heiligen Stand der Ehe zu treten!" Es war heraus, Gott sei Dank! Nelda fühlte ein eigentümliches Zittern in den Knien; sie mußte sich am Lisch niederlassen und den Kops in die Hand stützen, alles ging mit ihr rundum. „Also doch — also doch?!" War es ihre Stimme, die das sprach, merkwürdig starr und klanglos? Sie warf keinen Blick zur Mutter hinüber, sie konnte nicht: ein eisernes Gewicht drüüie ihr den Nacken nieder, glühende Nöte stieg ihr bis in die Stirn — das war die Scham. „Oh, mein Vater, mein Vater". Sie hätte laut herausschreien mögen: „Du bist vergessen, dein Name wird abgeworfen wie gar nichts — Vater, Vater, ist's möglich?!" Die Pein stieß ihr fast das Herz ab, die Kehle schnürte sich zu, kein Laut wollte über ihre Lippen. Frau Rätin sah angstvoll nach der Tochter hin, sie batte einen lauten Ausbruch befürchtet. „Nelda, ach sei nicht böse", bat sie klüglich, „es mag dir ja komisch sein, aber so eine arme Witwe wie ich! Und Schmolke ist so gut — und es ist ja auch gut sür dich! Denk mal, du brauchst dich nicht mehr mit Stundengeben quälen! Ach Gott, du bist ja mein einziges Kind, wie liegst du mir am Herzen — Neldachen, verdirb mir doch das Vergnügen nicht!" Die Tochter hielt die Lider krampfhaft gesenkt — war das Trotz oder Schmerz um ihren Mund? Es klang un säglich traurig: „Und hast du denn Papa ganz ver gessen?" „O nein, o nein!" Frau Rätin brach in lautes , Schluchzen aus. „Er war ja meine erste Liebe. Aber ich ! habe zu viel durchgemacht im Leben; immer Krankheit, ' und nicht so mittun können, wie man eigentlich gemußt und gern gewollt hätte! Da wird man zuletzt praktischer. Danke du Gott, daß du eine Mutter hast, die immer dein Bestes bedenkt, andere Mütter sind ganz anders, die denken nur an sich. Mein Himmel, was hast du für ein Glück, daß du einen so guten zweiten Papa kriegst, der dich lieb hat und für dich sorgen will!" „Ich will seine Liebe, ich will seine Sorge nicht, schäm dich!" Das schwebte Nelda auf der Zunge; aber — eine todeskalte Hand legte sich ihr auf den Mund — halb- verlöschte Schriftzüge zeigten sich ihren Augen, von der unsicheren Hand eines Sterbenden aufs Papier gekritzelt — eine ferne, ferne Stimme flüsterie: „Sei gut gegen deine Mutter!" Ein Zittern lief durch Neldas Glieder. ' „O mein Vater!" Mit einem Jammerlaut legte sie den Kopf auf den Tisch. „Regen Sie sich nich auf, Neldachen, man ja nich!" Schmolke kam langsam um den Tisch herum und pflanzte sich neben das Mädchen hin; mit der einen Hand trom melte er verlegen auf der Platte, die andere versuchte unge schickt die blonden Haare zu streicheln. „Na, sehen Sie, Neldachen, ich kann das gut begreifen, daß Sie nich sehr erbaut sind; so'n Mann, wie Ihr Herr Vater, bin ich schon lange nich — wenn ich allein die Stellung bedenke! Nosr, Kindchen, man muß mit den Verhältnissen rechnen!"