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Das große Geheimnis. PfingstlegenLe von Bruno Winkler. Der Allmächtige saß auf seinem Thron und die Engel dienten ihm. Der Himmel war Licht und Glanz, ohne Anfang und ohne Ende. Das Licht ging von dem Szepter aus, das der Herr in der Rechten hielt, und durchflutete den endlosen Naum bis in die fernsten Fernen. Die Engel schwebten lobsingend um Gottes Thron, herrliche Wesen, aus leuchtendem Äther gestaltet. Unter ihnen ragte einer hervor durch besonderen Glanz und besondere Schönheit. Ihn liebte der Herr vor allen; denn er hatte in seine Brust ein Saatkorn des Weltwillens ge legt, und der Engel diente ihm so eifrig wie keiner. Als das Saatkorn in seinem Herzen aufging, kam eine Versuchung über den Engel. „Wenn ich das strah lende Szepter in der Hand hielte, wäre ich Gott," sprach er zu sich. „Dann schüfe ich eine neue Welt!" Und ein mal, als Gott, wie in Träume versunken, dem Gesang der himmlischen Heerscharen lauschte, löste er sich aus den Reihen der Lobsingenden, schoß wie ein Falke auf das Szepter, entriß es Gottvater und schwang sich, gewaltig die Flügel schlagend, damit hinaus in das All. Aber er sollte sich seines Raubes nicht lange freuen. Das lichtglühende Szepter lohte hell aus, so daß die Flammen seinen herrlichen Ätherleib versengten. Der Glanz seiner Erscheinung verwandelte sich in rauchende Schwärze, die schneeigen Flügel wurden zu rußigen, krallenbewehrten Häuten und die Locken seines Gold haares zu scheußlichen Hörnern. Da erscholl ein tausend stimmiger Schrei durch Hie Hallen des Himmels; denn es war offenbar, daß der Räuber der Satan war. Der Herr hob die Rechte und winkte Michael und Gabriel, den obersten der Erzengel. Sie jagten, ihre Schwerter schwingend, hinter ihm her. Gabriel schlug ihm mit einem mächtigen Streich das Szepter aus der Hand. Einem Kometen gleich schwebte es zu Gott zurück. Michael aber stieß dem Satan die Spitze seines Schwertes ins Herz, daß er ins Wesenlose abstürzte wie ein toter Stein. Und er ward zum Stein: zu einem ungeheuren leblosen Block, einer riesigen Kugel aus schwarzem Fels, zu einem Ball, der nichts war als Finsternis, einem dunklen Planeten unter der Schar der Himmelskörper. Und dieser Planet war die Erde. Tausend und aber tausend Jahre trieb er dahin. Da blies ihn Gott an mit seinem heiligen Odem; das war der heilige Geist, welcher die Kraft Gottes ist und das ewige Leben, das alles Göttliche erfüllt. Der heilige Geist senkte sich auf den Erdball nieder als ein Kranz von unsichtbaren Strahlen, die aus dem Weltall kamen, und jeder dieser Strahlen zeichnete aus dem glatten Rund der Erde ein winziges Bild des Zukünftigen, das Gottes Wille war. Sie blieben aber nicht an der Oberfläche des Erdenleibs haften, die Strahlen, sondern drangen ein in alle seine Poren und begannen zu wirken mit ihrer ge heimnisvollen Kraft und erweckten die Bilder, die sie auf vie Fläche der ErLkugel warfen, zu lebendigem Sein. Da entstanden Pflanzen und Tiere und herrliche, engelgleiche Wesen: die Menschen. Die Menschen leuchteten auf der Erde wie Sterne im Weltenraum und die vollkommensten unter ihnen strahlten wie Sonnen, sie ragten aus der Menge hervor als göttliche Helden und waren berühmt als Herrscher über die Völker, als Feldherren, Weise oder große Künstler. Eitler aber unter ihnen und ihrer Erscheinung war so licht wie keiner je gewesen. Der war Gottes Sohn. Da erkannten die Menschen, daß auch sie Gottes Kinder waren. Sie suchten mit heißerem Verlangen als zuvor sich ein Bild von ihm zu machen. Aber jedes Volk sand ein anderes Bild, und es floß jahrhundertelang viel Blut um des Glaubens willen. Endlich sahen die Menschen ein, daß sie mit ihrem schwachen Verstände Gott niemals erfassen könnten, daß er das große Geheimnis sei, das ewig verborgen und doch gegenwärtig hinter den Er scheinungen der Allnatur stehe. Trotzdem versuchten sie immer wieder das Unerfaßbare zu ergründen. Denn der Geist trieb sie dem Allmächtigen entgegen und weckte in ihnen das Verlangen, ihm ähnlich zu werden. Sie ent rissen der Natur ein Geheimnis nach dem andern, lösten eines ihrer Rätsel nach dem andern und machte« die Kräfte, die sie einst als Gottheiten verehrt hatten, zu ihren Werkzeugen: sie überwanden den Naum auf windes schnellen Wagen und die Zeit durch den Funken des Blitzes; sie durchdrangen die Stosse mit Strahlen, die ihren Blicken zeigten, was bisher verborgen gewesen; sie sandten ihre Stimme um den Erdball in Kräftewellen, daß sie allgegenwärtig wurden; sie hoben sich in die Lüfte, höher als die Vögel, und drangen in Erdestiefen, wo kein Leben mehr war; sie ließen ihre Sinne hinaus- fchweifen ins All, daß sich ihnen die Wnnder des Himmels enthüllten, und versenkten sie in ihr eigenes Sein, das sie als das größte Wunder erkannten. All' das vermochten sie, weil der Geist in ihnen war. Er offenbarte sich in allem, was sie taten, und entlud sich der Kräfte, mit denen ihn die Schöpfung erfüllt. Es war aber nicht nur das sinnenhafte Wesen der Menschen, das sich so herrlich entfaltete, auch ihre Seele nahm zu an Reinheit und lebendiger Kraft. Sie gründeten unter sich ein Reich der Liebe, auf daß sie Gott, wie an Macht und Weisheit, auch ähnlich würden an Güte. Doch das wird ihnen gar schwer; denn es ist der Fluch des Erd balls, daß er aus dem Leibe Luzifers entstanden ist, des gefallenen Engels, der zum Satan ward, und es müssen noch viele Wunder des heiligen Geistes geschehen, bis die Herzen der Menschen so licht sein werden wie die der tFsigel, die den Thron Gottes umschweben. „Och* aus, mein Herz. . ." Von E. Witwer. Der Tag vorPsingsten blaut. Im klaren Schein des Frühlings liegt Haus an Haus sein säuberlich an steinblanken Straßen. Grün überbuscht die Mauern, es drängt in Banmgruppcn zum Himmel empor und ver mählt sich mit dem patinier-en Not der Dächer, dem stumpfen Gran der Wände und dem fröhlichen Weiß der Läden und Fenster. Tas Städllein ist wie eine geputzte Braut. Kuchenduft zieht frisch durch die Straßen wie Hoffnung auf geruhsamen Genuß. Und wenn Bäcker Krügers Klingel geht, weiß man, daß Frau Schulz ihren Festkuchen geholt hat, den sie dann stolz und mit liebevoller Hand wie eine Köstlichkeit über die Straße trägt, und auf ihrem Gesicht, rund wie eine Bunzlauer Kanne, liegt die Vor freude auf 7>en Pfingstkaffee in der Laube auf blüten weißem Tisch. Wie Botschaft Gottes klingt der Abendglocken Schall. Letzte Vorbereitungen sind abgetan und Abendruhe senkt sich vom Himmel. Wie weich sie kommt. Wie Friede fächelt! Als ob im ewigen Gleichmaß das Städtlein atmete und Wohlgefallen, niemals gestört, stets ein etwas langweiliges, aber gediegenes und nahrhaftes Regiment führe. Liegt aber nicht auch Sehnsucht nach Freude am quicklebendigen Sein im grünen Springquell der Birke, über der Stadt? Mit müden Schritten geht Frau Irmgard durch den Garten, aus dessen Büschen und Blüten herbe und herz bewegende Süße quillt und über dem, umrahmt von etwas blühmüden Fliederhecken, der Himmel sich wohlig ausruht. Mit aufgelösten Gliedern, des Abends harrend, schreitet sie, schaut sie dies und das. Ob die Bohnen kommen, die Erbsen ihre weißen Schmetterlinge blühend zeigen. Ob der alte Edel-Borsdorfer Apfel nicht zuviel taube Blüten trägt — Winterabend und der Duft von Bratäpfeln wird lebendig . . ., ob die förmlich schießenden Erdbeeren Frucht angesetzt . . . Aber der warme Spätfrühling läßt das Interesse der Gewohnheit sinken. Wie gleichgültig schien das alles, diese Einzelheiten des Alltags. Wuchs nicht alles wie es sollte und wollte? Rätselhaft triebmäßig wie das Leben Der Herold des festes. Hörst du der Nacht gespornten Wächter nicht? Sein Schrei verzittert mit dem Dämmerlicht, Und schlummertrunken hebt aus Purpurdecken Ihr Haupt die Sonne; in das kitherbecken Taucht sie die Stirn, man sieht es nicht genau, Gb Licht sie zünde oder trink' im Blau. Glührote Pfeile zucken auf und nieder Und wecken Taues Blitze, wenn im Flug Sie streifen durch der Heide braunen Zug. Da schüttelt auch die Lerche ihr Gefieder, Des Tages Herold seine Liverei; Ihr Köpfchen steckt sie aus dem Ginster scheu, Blinzt nun mit diesem, nun mit jenem Kug'; Dann leise schwankt, es spaltet sich der Strauch, Und wirbelnd des Mandates erste Note, Schießt in das feuchte Blau des Tages Bote. Annette v. Droste-HüISHoff. selbst? Wo war da Bewegtheit? Und doch: eine Gundel rebe hatte eilt nützliches Gemüse unterdrückt. Wilde Natur,, die gepflanzte Regel besiegt. Quecken, sonst wohlgetan fürs Vieh auf dürrem Boden, schnell ein Beet Mohr rüben überwuchert. „Das ganze Städtlein weiß es ja, daß ich ein Unkraut bin . . ." Die hüpfende und ketzerische Weise pochte unwillkürlich. Unkraut. Durchbrechen der wohlabgezirkelten Regel. Das war Schrei des Lebens, des brutalen, in jedem Grashalm aufjauchzenden Willens zum Werden. Eine große, seltsame Müdigkeit lag im lauen Winde, und zum erstenmal nach langer Zeit sank in ihrem ge schwächten Körper die Furcht vor der Robustheit des Kampfes. Mit tausend Poren sog sie die Wollust dieses neuen Wissens ein, aber noch ruhte dieses Erfühlen über den lebendigen Dingen und die Lust, selbst zu sein, däm merte nur. Sie saß dann lange im halbdunklen Garten zimmer. Der Flieder sank mit tausend Sternen in die wachsenden Schatten, die Geräusche von Schritten auf den Straßen verschwammen und die Regelmäßigkeit der Beete und Wege löste sich und die leise wogenden Sträucher und Bäume wurden dunkle Massen. Eine Nachtigall kadenzte tief, ihr süßer, immer klarer werdender Lockruf zog in den Abend hinein. Antwort klang, und wieder, wie über allen Wipfeln, die Nachtigall. Ein Fink, der Frau vertraut, sonst morgenhell frech, pinkte leiser und verstummte ganz vor dem sieghaft aussteigenden Sang. Und sie saß und harrte und sann. Im Halbschlummer rief ihre Zweijährige ganz klar: „Mama". Sie sah die klaren Augen dieses Kindes vor sich, diese Sterne, die über alle frühe Müdigkeit der Mutter heiß hinwegleuchteten in ein Leben. „Blut geht feinen Weg", dachte sie. Das Kind rief noch einmal. Die Stille wuchs mit Lem Dunkel, Wetterwolken hingen schwer und zogen Himmel und Erde in eins. Sie saß und sann den weiten Weg von der Groß stadt bis in diese kleinstädtische Ruhe. Von Tagen raschen und freudigen Schrittes bis zu den müden, da Gewohnheit Zweifel an Beständigkeit weckte, die Frische des Körpers abnahm. Sie sah den Mann warten, wortlos, und diese Ruhe nährte Verdacht. Daß ihr eigener Lebenswille und die Fähigkeit, das Leben zu fühlen, nachgelassen, merkte sie nicht. Bis heute, da plötzlich auch im Gleichmaß des Gartens alles Abgegrenzte ihr wie Leben und Werden er schien und zvn erstenmal wieder das Blut frischer zu schlagen begann. Mit einer zaghaften Stimme sang sie leis' in das Dunkel hinein. Es zog sie zum Flügel. Die Finger suchten die lange gemiedenen Tasten. Gerhardts Lied erklang schlicht: „G e h' a u s, m e i n H e r z . . ." Ganz andächtig, wie Kinder singen, sang sie Vers um Vers. Ein Schritt erklang, aber sie sang weiter... „Du singst? Willst du Pfingsten einsingen?" Ganz eifrig zündete sie die Kerzen an. Schimmer um gab weich Flügel npd Gestalt.Und wie einst schaute sie ihn an, frei und freudevoll. Einen Augenblick stutzte er, dann legte sich seine Hand fast ungläubig auf ihr Schulter. Fröhliche Geborgenheit kam über sie, und wie fröhlicher Übermut perlte: „Trübe Augen, Liebchen, taugen einem holden Bräutchen nicht." Er lachte plötzlich tief auf. Die Jugend war wieder da. Die Freude am Leben und Werden. Und nun kam Pfingsten. Hellsonnig würde es über der Stadt stehen und im Hause würde Freude wieder sein . . . Oer Kin-ermarki zu Pfingsten. Von Fr. Brink. Auf einer Pfingstwanderung war ich vor Jahren in einem kleinen Alpendorfe des Vorarlberger Landes eingelehrt. Ich saß ganz allein bei meinem Schoppen roten tiroler Weines in der altersbraunen lärchenholzgetäfelten Wirtsstube, als sich plötzlich auf der Straße die Stimmen zahlreicher Kinder ver nehmen ließen. Ein langer Zug lam daher, Buben und Mädel, alle wohl ziemlich im gleichen Alter von etwa 12 bis 13 Jahren, jedes mit einem kleinen Bündel bepackt. Wandervögel waren es nicht, die gab es damals noch nicht, und die Kinder machten auch gar nicht den Eindruck, als ob sie sich aus einer fröhlichen Fahrt befänden, sondern sie sahen alle recht müde, abgehärmt und verschüchtert aus. Dennoch hatte ich zuerst an einen Schul ausflug denken wollen, aber der vierschrötige Mann im Loden rock, der jetzt auf der Bildfläche erschien, den Kindern mit Befehlsworten ausgab, sich vor der Wirtshaustür zu sammeln und sich fein ruhig zu Verhalten, der machte wahrhaftig nicht den Eindruck eines Jugendbildners. Er trat jetzt in die Gast stube, bestellte sich einen Schoppen und ein Käsebrot, und er mackste es mir nicht schwer, mit ihm in eine Unterhaltung zu kommen. Was das für ein Ausflug sei? Zuerst verstand er mich nicht, dann lachte er hell auf. Aus flug! Schwabenkinder sind's, und ich bring' sie auf den Kindermarkt. Sie müßten heute noch vier Stunden weiter, bis sie an den Schlafplatz kämen, wo die Kinder in Liner Scheune übernachten sollten, und er halte sich hier nur gegen seinen Willen auf, weil hier noch ein Zug von Kindern aus einem Nachbardors zu ihnen stoßen solle. Er hatte darüber mit der Wirtin eine ziemlich erregte Unterhaltung, bei der ihn die Frau zu beruhigen suchte, und sie behielt übrigens recht: die noch erwarteten Kinder, achtzehn an der Zahl, kamen sehr bald. Die meisten von den Neuankommenden wurden von den Eltern oder von Geschwistern bis hierher begleitet, und nie mals werde ich den herzzerreißenden Abschied vergessen, den hier die Angehörigen voneinander nahmen, denn eine weitere Begleitung duldete der Gestrenge im Lodenrock nicht. Auch die übrigen Kinder stimmten in Erinnerung an den frischen Abschied vom eigenen Elternhaus in die Tränen nnd das Schluchzen ein, und das Bild des Jammers, welches dieser elende Kinderzug nun bot, als er sich zum Weitermarsch in Bewegung setzte, gehört zu den Erlebnissen, die keiner vergißt. Kindermarlt!? Mir wollte das Wo« nicht aus dem Kopfe kommen. Von der Wirtin und von anderen Leuten er fuhr ich nachher mehr darüber. Der Mann, den ich gesehen hatte, war ein Unternehmer eigener Art. Er zieht im Winter und Frühjahr durch die Dörfer und Almen, dahin, wo Kinder aus der Schule kommen. Die „kauft" er, wenn er handels einig wird, den Eltern gegen klingende Münze, die sogleich ausgezahlt wird, ab. Hat er genug beisammen, so sühn er sie dann an einem Sammeltage aus den Kindermarkt, der jedes Jahr am dritten Pfingstseiertag auf dem Marktplatz eines Städtchens unweit vom Bodensee abgehalten wird. Hier er scheinen die Landwirte aus den benachbarten Weidegebieten, aus der Rauhen Alp und dem Schwarzwald«, die solche Kinder zum Viehhüten brauchen, und handeln sie sich ein. Der Unter nehmer ist nicht der einzige, sondern viele seinesgleichen ziehen von Haus zu Haus durch Vorarlberg und Tirol, und sie alle bringen ihre „Ware" zum Markt. Ist das Angebot groß, so werden die Preise gedrückt und der Unternehmer hat Mühe, alle Kinder abzusctzen. Dazu aber ist er verpflichtet. Er darf keines wieder mit zurückbringen. Ans dem Markle erhebt sich nun ein Handeln und Feilschen wie aus jedem anderen auch. Kräftige Kinder, welche den Eindruck machen, daß sie aus dauernd sind und gute Arbeit leisten, finden leicht einen Ab nehmer, schwächliche aber, und das sind die Mehrzahl der aus diesen armen Gebirgsgegenden stammenden Kinder, sind schwierig unterzubringen. Da muß der Verkäuser seine Ware loben, muß versichern, daß das Kind zwar „gering" dreinschaue, aber sehr zäh sei, was Wohl auch in den meisten Fällen stimmt, oder er muß, was ost aus den Abnehmer Eindruck macht, be tonen, daß so ein winziges Geschöpserl auch weniger Essen verlange, oder daß das Kind Geschwister habe, die den gleichen Dienst schon zur vollen Zufriedenheit ausüben, daß es streng erzogen sei und sich gut halten werde, bis endlich, nach langem Hin und Her um ein paar Mark, der ganze Markt geräumt ist oder der „Verkäufer" sluchend mit einem Resi Kinder am Platze steht, die er dann, von Dors zu Dors ziehend, in den nächsten Tagen absetzen muß. Der „Verkäuser" erhält einen Barbetrag von seinen Abnehmern, der so beschassen ist, daß sich das Geschäft für ihn lohnt. Für die angeworbenen Kinder wird außerdem eine Entlohnung in Geld oder in an deren Zuwendungen, ein neuer Anzug usw. ausbedungen. Der Vertrag gilt meist bis zum Spätjahr, wenn das Vieh von den Hochweiden in die Täler getrieben wird. So berichteten mir die Einheimischen, und sie fanden die ganze Sache selbstverständlich. So lange sie denken konnten, hatte dieser Kindermarkt bestanden, manche von ihnen felbst waren in der Jugend so hinausgezogen. Freilich, für die Kinder sei es hart und für die Eitern ost auch; aber was sollten die armen Leute beginnen? Zu Hause bringen sie die Kinder auf dem knappen Boden nicht satt, und meist haben sie viel hungrige Mäuler zu versorgen. Manchmal träfen es die Kinder auch recht gut, verlängerten das Mietsverhältnis von selbst und blieben auch den Winter beim neuen Herrn. Einige hätten sogar Gelegenheit, die Fortbildungsschulen im Winter zu besuchen, und wenn sie zu Besuch nach Hause kämen, sei der ganze Ort stolz auf die stattlich und manierlich gewordene» Jungburschen und Jungmädcl. Ich hätte das alles gern glauben mögen, aber mir stände» immer noch die herzbrechend verzweifelten Augen der Kinder- schar vor der Seele, mit denen sie Abschied genommen hatte» von ihrer Alpenheimat, um mitten durch die feiertäglich pran genden Fluren der unbekannten Fremde zuzupilgern. Ein Nierteljahrhundert später war ich zu Pfingsten i» Lindau, im Alpengarten. Ein Rausch von Jubel unNdD»si wehte um den lachenden See, und es mußte schon eine lew literarisch gebildete höhere Tochter sein, die hier zum Merfwö deklamierte: Pfingsten, das liebliche Fest! Da tras mein Obs der Rus: „Sieh da, die Schwabenkindcr!" Mir war es, als würden Gespenster lebendig. Da zogen sie müde und verstaubt die Landstraße daher, dieselben kleinen Gestalten, dieselben armseligen Päcklein unterm Arm oder über der Schulter, und vor allem dieselben wie vor herzbrechendem Weh glühende» Augen, vor denen alle Frühlingspracht erlosch. Vorn dra» in der Lodenjoppe und mit dem Knotcnstock ein vierschrkstg'r Mann. Jemand sprach nachdenklich das Wollt Wie o" ' Kinderzug des Nattensängers von Hamelni