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Wilsdruffer Tageblatt : 21.04.1925
- Erscheinungsdatum
- 1925-04-21
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192504219
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19250421
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19250421
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1925
-
Monat
1925-04
- Tag 1925-04-21
-
Monat
1925-04
-
Jahr
1925
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 21.04.1925
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j Neues aus aller Welt j ^,„„„,,,1 »».»» »-» «»».»^ Vor der Eröffnung des Deutschen Museums in München. An der Eröffnung des Deutschen Museums, die am 6. und 7. Mai stattfindet, werden u. a. teilnehmen: der stellvertretende Reichspräsident Dr. Simons, Reichs kanzler Dr. Luther mit allen an dem Museum beteiligten Reichsministern, Mitglieder des Reichstages und des Reichsrates, die Staats- und Ministerpräsidenten der Länder, der bayerische Landtagspräsident, Kardinal Faul haber, Nuntius Pacelli, der Präsident der evangelischen Kirche rechts des Rheins. Österreich entsendet den Bundes kanzler Dr. Namek. Aus dem Ausland erscheint n. a. auch Sven Hedin. Die Strecke Goch—Wesel der Reichsbahn übergeben. Die Eisenbahnstrecke Goch—Wesel wird nunmehr an die Reichsbahn abgegeben, da die holländische Privatgesell schaft ihre Auflösung beschlossen hat. Die Reichsbahn be absichtigt den Schnellzugverkehr, der bisher von Wesel nach Emmerich ging, auch bis Goch zu leiten. Verhaftungen bei der bayerischen Girozentrale. Zu dem staatsanwaltschaftlichen Verfahren gegen die Baye rische Girozentrale wird gemeldet, daß ein Haftbefehl ge gen einen Direktor des Lehrer-Siemens-Konzerns erlassen worden sei, und daß die Bücher dieses Konzerns, der Millionenkredite von der Girozentrale erhalten habe, be schlagnahmt worden seien. Auch in München sei eine auf sehenerregende Verhaftung vorgenommen worden. Es handle sich hierbei um den Vermittler der Kredite an den Sesi-Konzern. - Hochwassergefahr am Rhein. Aus Mainz wird ge meldet: Der Rhein und seine Nebenflüsse haben eine starke Steigung zu verzeichnen. An manchen Stellen sind die Flüsse um 40 bis 50 Zentimeter gestiegen, zumal am Ober rhein. Infolge der andauernden Niederschläge und der Schneeschmelzc ist mit weiterem Anwachsen des Wassers zu rechnen. Französische Soldaten als Strastenräuüer. Bei der ; Fronmühle bei Hasloch wurde auf dem Heimwege von : oer Arbeitsstätte abends ein Müllerbursche von drei sran- iösischen Soldaten überfallen und mit vorgehaltenerSchuß- vaffe seiner Barschaft in Höhe von 47 Mark sowie seiner Taschenuhr mit Kette beraubt. Sogar die Tabakspfeife vurde ihm von den Räubern abgenommen, die als An gehörige der Fliegertruppe des Flugplatzes Lachen-Speyer- >orf ermittelt werden konnten. Hochwasser im Schwarzwald. Jnfoic.' der Schuee- chmelze und des Wettersturzes mit 3 tägigen starken Re- zenfällen führen die Schwarzwaldflüsse Hochwasser. Durch Sturmschäden sind ausgedehnte Fernsprechsiörungen im * Schwarzwald und in Baden entstanden. Typhuserlrankungen. In fünf Familien der Ge meinde Volmarstein ist Typhus ausgebrochen. Acht Erkrankte, darunter auch Erwachsene, wurden dem Kran kenhaus zugesührt. Die Krankheit ist auf den Genuß des Wassers aus einem Pumpbrunnen zurückzuführen, der polizeilich geschlossen wurde. Aus der benachbarten Bauernschaft Schlebusch werden ebenfalls zwei Typhus erkrankungen gemeldet. - Zwei Personen infolge eines Irrtums erschossen. Der Kraftwagen des Direktors Koncius der litauischen Mio Bankas in Memel kehrte von einer Ausflugsfahrt gegen 12 Uhr nachts zurück. In dem Wagen befanden sich der Direktor, seine Frau, eine weitere Dame und der Chauffeur. Auf der Chaussee Tauerlauken—Memel warteten in der Nähe von Königswäldchen die beiden Staatspolizeibe amten Schneiderat und Petravizius auf ein gemeldetes Spritschmugglerauto. Die Beamten riefen den Chauffeur an, feuerten sofort hinterher, obgleich der in Fahrt be findliche Wagen nicht sofort halten konnte. Die Frau des Direktors und der Chauffeur wurden durch Kopfschuß so fort getötet. Beerdigung des Professors Hans Held. Die Bei setzung des durch einen Schlaganfall aus dem Leben ge schiedenen Professors Hans Held, des Bruders des bayeri- >chen Ministerpräsidenten, fand in Rom statt. Kardinal Faulhaber zelebrierte das Pontifikalamt in der deut schen Nationalkirche in Anwesenheit des deutschen Bot schafters am Vatikan, von Bergen, des deutschen Geschäfts trägers von Prtttwitz, des bayerischen Gesandten am Va tikan von Ritter, eines Vertreters des päpstlichen Staats- sekretariats, deutscher Prälaten sowie Angehöriger aller deutschen Ordensgesellschaften. ' Dem ertappten Dieb die Hand abgeschlagen. In einem Dorfe bei Girgenti auf Sizilien wurde ein Dieb, der, um die Besitzer zu schädigen, die Buchsbäume mit der Axt abschlug, von einem Besitzer bei der Tat ertappt. Der wütende Eigentümer schlug mit Unterstützung seiner Knechte dem Diebe die linke Hand durch einen Beilhieb ab. Als er ihm dann auch noch die rechte Hand abhauen wollte, konnte sich der Dieb freimachen und entkam blut überströmt. Die Polizei fahndet nach dem flüchtig gewor denen Besitzer. Berlevirle (Illinois U. S. A.). Ein amerikanisches Lust schiff vom Bigscott-Typ, das sich von seinem Anker losge rissen hatte und mit sieben Mann Besatzung davongetriebn! war, landete ohne Unfall in Black-Walnüt. Ford etabliert sich in Frankreich. Die Firma Henry Ford hat in Paris einen Kauf abgeschlossen, wodurch eine ausgedehnte Bodenfläche mit verschiedenen Fabriken, die bisher der Gesellschaft Oxylythe gehörten, in ihren Besitz gelangt. Diese neuen Fabriken befinden sich in Asniöres, 15 Minuten von Paris entfernt, und werden am 1. Juli in Betrieb genommen. Die Direktion hofft, vor erst täglich 3000 Automobile herzustellen, welche Zahl sich dann je nach Bedarf erhöhen wird. Sturmschäden in England. Der Sturm hat in vielen Teilen Englands beträchtlichen Schaden angerichtet. In Preston wurden Dächer abgedeckt, in den Vororten von Manchester viele Bäume entwurzelt. Tiefgelegene Ländereien wurden überflutet. Beim Einsturz eines Neu baus fand ein Arbeiter den Tod. Auf einer Reihe von Segelschiffen, die an der Merseymündung ankerten, ging der Mast über Bord, andere Schiffe sind untergegangen. Im Ärmelkanal hat der Sturm viele Störungen im Schiffsverkehr zur Folge gehabt. Die nach Boulogne be stimmten Kanaldampfer mußten Calais anlaufen. Polnisches Banditenunwesen. Unweit der deutsch-pol nischen Grenze bei C z e n st o ch a u verübten maskierte Banditen einen Überfall auf zwei polnische Polizei offiziere. Die beiden Beamten wurden ermordet und be raubt. Die Banditen entkamen. Die Presse klagt darüber, daß das Banditenunwesen von Ostpolen allmählich aus das ganze Land übergreift. In einem Tage vom Atlantischen zum Stillen Ozean. Eine große technische Leistung wird in den Vereinigten Staaten täglich von der Luftpostlinie zwischen Newyorl und San Franzisko vollbracht. Durch diesen Flugdienst ist es möglich, in weniger als einem Tage von dem einen der beiden größten Zentren des amerikanischen Konti nents zum anderen zu gelangen. Die Flugzeuge der ge- nannten Linie haben Gebiete zu überfliegen, deren klima tische Verhältnisse sehr verschieden sind. Bereits seit zwölf Monaten ist diese Luftpostlinie im Betrieb, und die Flug zeuge haben im ganzen bisher eine Strecke von vier Millionen Kilometer zurückgelegt, ohne daß man bis jetzt einen tödlichen Unfall zu verzeichnen gehabt hätte. Ein Findling als Millionenerbe. Der amerikanische Millionär Leeds, Besitzer großer Zinkhütten, adoptierte, da seine Ehe kinderlos blieb, ein Findelkind, das er sich im Waiseuhause selbst ausgesucht hatte. Das Mädchen ist nach dem im März erfolgten Tode ihres Adoptivvaters, dessen Gattin schon 1922 starb, alleinige Erbin des Vermögens, das auf 65 Millionen Dollar geschätzt wird. Schluß -er Plädoyers in Leipzig. Urteilsverkündung am 22. April. § Leipzig, 18. April. Im Tschekaprozeß haben die Rechtsanwälte ihre Mädoyers beendet. Darauf nahmen die Angeklagten noch das Wort, uni zu versichern, daß die gegen sie erhobenen Anklagen unbegründet seien. Poege erklärt, nie die Absicht gehabt zu haben, eine», Menschen zu töten. Margies schließt: Wenn die Todes- urteile gefällt und vollstreckt würden, so sei das ein klassische, Justizmord und bedeute Wasser ans die Mühlen seiner Partei Der Tod schrecke ihn nicht, er werde sogar um den Vortritt bei der Hinrichtung bitten. Für ihn gebe es keinen schöneren Tod, als wenn er noch im Tode der Partei nützen könne, sm die er gestrebt habe. Die Verhandlung ist damit beendet. Die Urteilsver kündung wird voraussichtlich am Mittwoch, 22. April, vormittags 10 Uhr stattsinden. Barmats Milchgeschäfte. Schluß der Vernehmung BarmatS. Die Vernehmung Barmats durch den parlamentarischen Untersuchungsausschuß ist am Sonnabend zu Ende gesiihrl worden. Die Verhandlung drehte sich in der Hauptsache um jenes viel erörterte Milchgeschäft 1919/20, bei dem es sich um Kondcnsmilchdosen handelt, die 14 englische Unzen enthalten, aber den Aufdruck 16 Unzen führen. Barmat führte aus, daß er den namentlich genannten holländischen Fabrikanten, den größten Firmen ihrer Art, den Auftrag erteilt hat, 16-Unzen- Dosen zu liefern, wogegen Zeuge Rommel aussagte, er sei selbst zugegen gewesen, als dem Geschäftsführer der Reichs fettstelle Thieme von holländischen Direktoren zugegeben worden sei, daß sie 14-Unzen-Dosen mit dem Etikett 16 Unzen geliefert hätten. Die ganze Angelegenheit bedarf noch sehr der Aufklärung. Eine große Rolle spielt der diesem Geschäft zugrunde liegende Vertrag, in dem von „Bruttoinhalt" die Rede ist, was mannig facher Auslegung fähig ist. Barmat bestreitet jede betrügerische Absicht, sowohl für die Amexima, als auch für die großen holländischen Fabriken. Rommel macht den damaligen Ge schäftsführer Thieme von der Reichssettstelle für den Abschluß der Verträge verantwortlich. Nachdem Barmat nochmals betont hatte, daß er aus ! seinen politischen Beziehungen keine persönlichen Vorteile ge- i habt hat, vertagte sich der Ausschuß, der etwa in drei Wochen erst wieder zusammentreten wird. i » vermHAker - ! Die Wette. Ein alter italienischer Journalist, der lange Jahre als Berichterstatter in Leningrad, das damals poch Petersburg hieß, gelebt hat, erzählt folgende be- zeichnende Geschichte aus dem zaristischen Rußland: Es sollte eine große Eisenbahn gebaut werden und Bauge sellschaften aus allen Ländern bewarben sich um die Kon zession. Auch Amerikaner waren darunter. Alle wußten, daß die Entscheidung von einem gewissen Minister ab hing und daß dieser Minister „geschmiert" werden mußte. Natürlich mußte man taktvoll vorgehen und den Schein wahren. Und so erschien denn an einem heißen Sommer tage, an dem kein Wölkchen am Himmel stand, einer der j Amerikaner mit einem vorsintflutlichen Regenschirm im z Ministerium. „Was ist denn los?" fragte der Minister. < „Warum kommen Sie denn bei so herrlichem Wetter mit dem Regenschirm?" — „Exzellenz," sagte der Amerikaner, „ich wette um 50 000 Dollar, daß es heute vormittag noch regnen wird." Der Minister hielt die Wette, und man sprach von den Geschäften. Natürlich regnete es nicht, und der Amerikaner zog seelenruhig sein Scheckbuch aus der Tasche und sagte: „Ich habe die Wette verloren. Hier find meine 50 000 Dollar!" Sprach's, ging und ließ sogar den Regenschirm da. Tags darauf hatten die Amerikaner die Konzession. Eine 400 Jahre alte Blume. Der japanische Botaniker Ohga, der an der Hopkinson-Hochschule in London den Hehrstuhl fürBotanik inne hat, hat demThompson-Jnstitut Mr botanische Forschungen in Newyorl Lotossamen, die nach der Ansicht hervorragender Forscher nicht weniger als 400 Jahre alt sind, geschenkt. Die Samen wurden unter dem Grund eines seit Menschengedenken ausgetrockneteu Teiches in Darien, einer Provinz der Mandschurei, ge sunden. Wie wurde das hohe Alter der Samen festgestellt? Sehr einfach! Sie lagen unter einer Sandschicht, die die SErc»« ans der Wüste nach Darien gefegt hatten. Die Zusammensetzung und die Dicke dieser Erdkruste ließen Schlüffe auf ihr Alter ziehen. So stellte sich heraus, daß fast vier Jahrhunderte vergangen sein müssen, seitdem die Keime im Boden lagen. Die Blume, die bei sachkundiger Pflege aus den Samen hervorsprießen wird, dürfte mit Lug und Recht die älteste aller Blumen zu nennen sein. Die Jazzbands in Amerika überlebt. Die amerika nischen Zeitungen geben einstimmig ihrer Freude über die Massenabwanderung der Jazzbands nach Europa Aus druck. Die europäischen Gehälter sollen ins Phantastische gehen, und kein rechter „Jazzist" kann sich der lockenden Möglichkeit widersetzen, in Europa zum reichen Mann zu werden. Diese musikalische (oder unmusikalische) Völker wanderung sieht das Gros der Amerikaner mit inniger Befriedigung. Die Jazzbands haben drüben längst auf- ,r gehört, populär zu sein, und man betrachtet sie als „rohe Musik", von der befreit zu werden ein nationaler Segen ist. Der Zweck des Menschen ist seine Lebensvoll endung; daß er sie durch die Selbstbestimmung erreicht, die Verwirklichung seiner Fähigkeiten ist seine Sittlichkeit. Carriere. Die Bauerngrafin. Roman von Fr. Lehne. 9. (Nachdruck verboten.) „Das begreife ich vollkommen. Ich bin ja auch auf dem Lande ausgewachsen — bis zu meinem zwölften Jahre. Und als ich dann nach der Stadt mußte, um weilerzulernen, war ich todunglücklich, krank beinahe vor Sehnsucht. Die Sonntage und die Ferien bildeten die Lichtpunkte in mei nem Leben." „Auch mir ist der Begriff „eigene Scholle" das Höchste. Wie es aber häufig im Leben ist: oft wissen die Erbberech tigten das nicht zu schätzen, was anderen Lebensbeding ung ist." Fragend sah sie ihn an, sprach er aus eigener Erfahrung? Und beim Blick in dieses schmale, streng geschnittene, rassige Gesicht, mit dem kleinen, dunklen Bärtchen über dem Munde und dem guten Blick seiner ernsten Augen kam ihr eine un bestimmte Erinnerung — der Mann neben dir ist dir nicht fremd — du hast ihn schon gesehen. Aber Wo? — Sie kam ins Grübeln darüber. „Nun, man muß sich in so vieles finden," fuhr er fort, „aber alles in mir empört sich, wenn ich sehe, wie leichtfertig und gewissenlos darauflosgelebt und nur immer genom men und verlangt wird, ohne daran zu denken: was du er erbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen. — Ein heiliges Vermächtnis von den Vätern überkommen, ist die „eigene Scholle" — und wird doch nicht geachtet, ist nur gerade gut dazu, die Mittel zu einem flotten Leben zu ge währen." Er brach ab, er hatte viel mehr gesagt, als er eigentlich hatte sagen wollen. Aber diese klugen, fragenden Mädchen augen hatten ihn dazu verleitet, das auszusprechen, was ihn seit Jahren mit immer steigendem Groll erfüllt hatte. Die Sonne war im Scheiden. Rosenrot erglänzte es um die kahlen Felsen, während im Tal schon die Dämmerung ihre zarten Schleier wob. Sie saßen im Hotel Rissersee und hatten sich ein Abendessen bestellt. Die Kellnerin nannte sie „gnädige Frau", „gnädiger Herr". Man hielt sie sür ein Ehepaar. Das junge Mäd chen errötete leicht und vermied seinen Blick. Sie drängle zum Aufbruch. „Wir haben noch viel Zeit," meinte er, gab aber doch nach. Es begann kühl zu werden; er hals ihr in ihr Jakett, und so gingen sie weiter, Garmisch-Partenkirchen zu. „Ein wunderbarer Tag! Schade, daß er nm: bald zu Ende ist. Und zu denken, daß morgen die Alltäglichkeit Wieder ihre Rechte geltend macht," meinte er. „Das eben ist ja der Reiz eines Feiertags, das Außer gewöhnliche — sonst wäre er ja kein Feiertag. Ich kann mich eigentlich über mein Leben, wie es ein gütiges Geschick mir gestaltet hat, nicht beklagen — ich könnte mir jeden Tag zum Feiertag gestalten, aber ich tue es aus Klugheit nicht. Ich schaffe und arbeite, um dann am Sonntag froh zu er wachen und zu denken: heut' ist Feiertag, den ich denn auch ganz intensiv genieße, und so erhalte ich mir meine Genuß- fähiakeit." Sie lächelte kindlich froh, und doch lag ein ernster Schein in ihren klaren Augen. „Und heute war sür mich ein Feiertag, wie er mir noch rss beschert ' ^./.en war," sagte er, sie zärtlich ansehend. Sie fühlte den verborgenen Sinn seiner Worte und senkte den Blick. Es war zum erstenmal, daß er mit dieser Aeußerung den Boden der Kameradschaftlichkeit verließ. „Ob wir noch den Vollmond sehen werden, ehe wir nach Garmisch kommen?" Fragte sie ablenkend. „Gestern abend hab' ich den Vollmondzauber auf dem Starnbergersee ge nossen — es war einzig und schön." „Da ist er!" rief ihr Begleiter. Sie blieb auf dem Wiesenpsad stehen und sah sich um. Groß und voll war er gerade hinter einem Felsen hervorge kommen und schwebte, einer rotgoldenen Scheibe gleich, am blaugrauen Abendhimmel, an dessen westlichen Horizont ein schmaler, gelber Streifen verriet, wo die strahlende Tagesgöttin versunken war. Noch war es zu hell, als daß der Schein des Mondes leuchtend wirken konnte, noch war die Dämmerung nicht Siegerin über die Tageshelle gewor den — nur ein unbestimmtes, weiches Licht verwischte die schroffen Umrisse der Felsen. Der Mann aber hatte kein Auge sür die ergreifende Schönheit des scheidenden Tages, die ihn sorlst mit Bewun derung erfüllt hätte — er sah nur seine Begleiterin, die schweigend in andächtigem Entzücken die Landschaft genoß. Wie war das Mädchen schön! Wie reizvoll wirkte der zart bräunliche Lon ihrer Haut, hervorgerusen durch ausgiebigen Aufenthalt in frischer Luft. Wie glänzten ihre großen Au gen, deren Farbe er trotz ihrer Klarheit noch nicht erraten hatte. Stahlblau, dann wieder grauschwarz schimmerte die Iris, und jetzt strahlte sie in nachtdunklem Glanz. Ihr frischer roter Mund war halbgeöffnet, und gleich Perlen glänzten die Weißen Zähne. Und ein Wunsch stieg in ihm auf — kühn, vermessen, abenteuerlich: Du möchtest sie küssen. — Wenn du sie jetzt küßtest. — Aber wäre es nicht erbärmlich gewesen, das Vertrauen, mit dem sie sich angeschlossen, am Ende so zu mißbrau chen? Diese reine Mädchenhaftigkeit mußte ihm heilig sein. Sie waren beide allein; weit und breit war kein Mensch zu sehen. In der Ferne leuchteten die Lichter von Garmisch- Partenkirchen. Hastig trat er von ihr; ihre warme Nähe beunruhigte ihn. Verwundert, mit einer Frage auf den Lippen, wandle sie sich zu ihm; doch csss ihr Blick das kU- denschastlich erregte Männergesicht traf, blieb die Frage unausgesprochen. Verwirrt senkte sie die Augen; ihr Atem ging schneller. Was war über sie gekommen? Wenn er ahnte, welchen Einfluß er auf ihre bis dahin so spröde Mädchenhaftigkeit ausgeübt, wie durch ihn ihr Herz höher schlug — verräterisch überflog das heiße Blut ihr Gesicht. Hatte er das gesehen? Deutete er es richtig nach seiner Weise? Er trat wieder zu ihr, faßte ihre Hand und drückte in überquellendem Gefühl seinen Mund daraus. Er süblte, wie sie erbebte; er sah ihr holdes, purvurn eralühtes Gesicht in seiner Nähe — und da — es war stärker als er, was ihn dazu zwang — er hielt sie an seiner Brust — einen Herz schlag lang — und seine Lippen legten sich in einem beißen, durstigen Kutz auf die ihren. Und sie wehrt es ihm nicht — still, wie von etwas Wunderbarem, ungeahnt Schönem überwältigt, stand sie da. Wie ein Rausch war es über die beiden gekommen. (Fortsetzung solgr.)
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