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No. 100. PAPIER-ZEITUNG. 2911 Anschein nach ist der Grund hierfür in nicht genauem Fräsen zu suchen.« Diesem Uebelstande half erst Berthold ab, der nach dem Vorgänge der genannten englischen Fabrik zuerst in Deutsch- land Kombinationslinien fertigte und behufs Umleitung der waage rechten Leiste zur senkrechten Messing-Kassetten verwendete. Er machte auch den Versuch, durch Beigabe von Gehrungs stücken zu jeder Liniensorte eine ununterbrochene Umleitung des Musters um den rechten Winkel zu ermöglichen, kehrte aber bald zur Kassette zurück. Diese bildet noch immer das beste Verbindungsglied, kann aber auch noch umgangen werden, wenn man nach englischem Vorbild den Rahmen ganz vermeidet und, wie aus den mehrfach in der Papier-Zeitung abgedruckten Arbeiten englischen Stils gezeigt ist, Leisten an Leisten oder an Linien stossen, in Schlitzen verschwinden oder in den Papierrand laufen lässt. Schrägschrift. Die Didot’sche Formung des Schreibschriftenkörpers, welche ums Jahr 1830 herauskam, die Faulmann in seiner Illustrirten Geschichte der Buchdruckerkunst von 1882 auf Seite 719 beschrieb und abbildete, und die auch im Jahrgang 1892, Seite 349, Fig. 2, als eine der frühesten Schrägschrift-Formungen aufgeführt wurde, ist, wie ich zufällig ermittelte, vom 13. August 1891 ab unter Nr. 64896 im Deutschen Reiche patentirt. Die »Erfindung« wird in der Patentschrift durch Figg. 1 bis 3 veranschaulicht. ©6gd V V Fig. 1 Fig. 2 Fig. 3 Der Patent-Anspruch lautet: »Buchdrucklettern für Schreibschrift, deren Seiten von der Grund fläche bis zum Buchstaben bild senkrecht aufsteigen, (wie sollen sie sonst aufsteigen?) und deren Grundfläche aus einem mittleren rechtwinkligen und zwei daran anschliessenden schiefwinkligen Parallelogrammen besteht.« Wenn das der alte Didot wüsste! P. Kalligraphie als Gewerbe. Unter dieser Ueberschrift bringt Nr. 96 der Papier-Zeitung eine Schilderung der Kalligraphie, welche schon deshalb mein Interesse er regte, weil ich mit diesem Gewerbe im Verkehr stehe und weil die in Wien herrschenden Verhältnisse dieses Gewerbes von den angeführten so verschieden sind, dass es sich wohl der Mühe lohnt, einige Worte hierüber zu sagen. In Wien bestehen nur wenige kalligraphische Anstalten, welche mehrere Gehilfen beschäftigen; doch ist im allgemeinen die Entlohnung derselben eine für die hiesigen Verhältnisse ansehnliche, wenn man sich vor Augen hält, dass hier oft ganz tüchtige Lithographen mit 9 bis 12 Gulden wöchentlich bezahlt werden. Ich kenne einen Schönschreiber, welcher sich bei regem Geschäftsgänge gegen 3 Gulden täglich ver dient. Dies ist jedoch nur von den in grösseren Anstalten beschäftigten Gehilfen zu sagen und auch garnicht unberechtigt, da viele Kalligraphen absolvirte Kunstgewerbeschüler und Akademiker sind, welche, nur durch Noth gezwungen, sich diesem Berufe zuwendeten. Diesem Um stande ist es jedoch zu danken, dass aus einzelnen Anstalten Arbeiten hervorgehen, welche sowohl im Figuralen, als auch in der Schrift wirk lich künstlerisch zu nennen sind. Mit Anfertigung von kleineren Arbeiten, wie Besuchskarten, Aus lageschildern, Preis-Etiketten und dergl. ist hier ein lohnendes Geschäft nicht mehr zu machen. Bei Besuchskarten deshalb nicht, weil das Publikum durch die niedrigen Lithographie- und Buchdruckpreise ver anlasst wird, keinen höheren Preis zu bewilligen als beim Drucker. Da sich viele Schreibkundige mangels lohnenderer Beschäftigung mit dieser Art von Gewerbe befassen, ist es begreiflich, dass die Preise der Arbeiten, welche künstlerische Befähigung nicht erfordern, unglaublich gedrückt sind, und dass man von der Ausübung dieser • Kunst« allein nicht leben könnte. Vor grösseren Festen, sowie vor den Schutzheiligen- Tagen der in Wien zahlreich vertretenen Vornamen wandern Ausüber der Schönschreibekunst, ausgerüstet mit Tinte, Farbe und Feder, von Gasthaus zu Gasthaus, um für 10 bis 15 Kreuzer »Herzliche Glück wünsche« und Aehnliches auf Karten zu zaubern. Ziemlich lohnend ist noch immer die Ausführung von Diplomen und Adressen. Wenn auch gerade in diesem Artikel der Wettbewerb sehr gross ist, so sind doch, bei guter Arbeit, Preise von 10 bis 40 Gulden und höher nicht selten. Hier erleichtern sich Viele, theils durch künstlerisches Unvermögen, theils durch geringe Preise gezwungen, ihre Arbeit durch einen »Geschäftskniff«, dessen Anwendung zunimmt. Dabei niederen Preisen sich das selbständige Arbeiten nicht bezahlt macht, kaufen sich die Kalligraphen Blanko-Vordrucke von Diplomen, zeichnen die Schrift hinein, malen Figuren und Umrahmung noch weiter aus, und das schönste Diplom ist fertig. Aus Vorstehendem ist zu entnehmen, dass hier im allgemeinen die »Kalligraphie als Gewerbe«, wie so viele andere, keinen goldenen Boden hat. Nur Einzelne, ausgezeichnet durch Kunst und Geschick lichkeit und begünstigt vom Glück, konnten sich auf diesem Gebiet ein annehmbares Dasein schaffen. . . . . a. Unzüchtige Schriften. Der Centralverein Deutscher Kolportage-Buchhändler hat beim Reichstag eine Petition eingereicht, welche sich gegen die ge plante Aenderung des § 184 Strafgesetzbuchs wendet. Die neue Fassung dieses Paragraphen lautet wie folgt: Wer unzüchtige Schriften, Abbildungen oder Darstellungen feilhält, verkauft, vertheilt, an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind, ausstellt oder anschlägt, oder sonst verbreitet, wer sie zur Verbreitung herstellt, oder zum Zweck der Verbreitung im Besitz hat, ankündigt oder anpreist, oder wer durch Ankündigung in Druckschriften unzüchtige Verbindungen einzuleiten sucht, ingleichen wer an öffentlichen Strassen oder Plätzen Abbildungen oder Darstellungen ausstellt oder anschlägt, welche, ohne unzüchtig zu sein, durch grobe Verletzung des Scham- und Sittlichkeitsgefühl Aergerniss zu erregen geeignet sind, wird mit Gefängniss bis zu sechs Monaten und mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder mit einer dieser Strafen bestraft. Ist die Handlung gewerbsmässig begangen, so tritt Gefängniss- strafe nicht unter drei Monaten ein, neben welcher auf Geldstrafe bis zu eintausendfünfhundert Mark, auf Verlust der bürgerlichen Ehren rechte sowie auf Zulässigkeit von Polizei-Aufsicht erkannt werden kann. Die Strafen des Absatz 1 treffen auch Denjenigen, welcher aus 'Gerichtsverhandlungen, für die wegen Gefährdung der Sittlichkeit die Oeffentlichkeit ausgeschlossen war, oder aus den diesen Verhandlungen zu Grunde liegenden amtlichen Schriftstücken öffentlich Mittheilungen macht, welche geeignet sind, Aergerniss zu erregen. Der § 184 (Abs. 1) lautet in seiner gegenwärtigen Fassung: Wer unzüchtige Schriften, Abbildungen oder Darstellungen ver kauft, vertheilt oder sonst verbreitet, oder an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind, ausstellt oder anschlägt, wird mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder mit Gefängniss bis zu sechs Monaten bestraft. Während also bisher nur Derjenige bestraft wurde, welcher Drucksachen usw. der gekennzeichneten Art verkaufte, vertheilte oder sonstwie verbreitete, soll künftig auch Derjenige, welcher sie herstellte oder »zum Zweck der Verbreitung in Besitz hat«, straf bar sein. Die Petition weist in geschickter und überzeugender Weise auf die Schwächen des neuen Wortlauts hin und betont zunächst, dass der Begriff »unzüchtig« keineswegs feststehe und nicht allein nach Ort, Bestimmungs- und Verwendungsart verschieden auf zufassen, sondern auch von den Gerichten in verschiedenster Weise beurtheilt worden sei. Ein eingeschaltetes, einem möglichen Zukunftsereigniss durchaus entsprechendes Beispiel zeigt mit vielem Humor, wie nach dem Wortlaut des neuen Paragraphen auch ein ganz unschuldiger Buchhändler künftig verurtheilt werden kann. Nach Kenntnissnahme dieser eindringlichen und sachlichen Darstellungen wird es den Gesetzgebern kaum noch möglich sein, den neuen Paragraphen aufrecht zu erhalten. Büchertisch. Novellen-Bibliothek der Illustrirten Zeitung. Sammlung aus gewählter Erzählungen. Leipzig, Verlagsbuchhandlung J. J. Weber. Die Leipziger Illustrirte Zeitung pflegt bekanntlich den hübschen Brauch, jeder Nummer in einem Beiblatt eine kurze Erzählung bei zugeben, die meist in einer Nummer, höchstens in zweien, abgeschlossen ist. Diese, zum Theil von namhaften Schriftstellern verfassten Beiträge werden von Zeit zu Zeit zum Buche vereinigt und als neuer Band der »Novellen-Bibliothek« herausgegeben. Der uns vorliegende 12. Band bringt auf 394 Seiten 18 Erzählungen, meist anmuthige kleine Aus schnitte aus Lebensschicksalen, bald freundlicher, bald ergreifender Art, ein angenehmer und gediegener Lesestoff zur Ausfüllung müssiger Stunden. Töte sie! Von Balduin Groller. Berlin, Verlag des Vereins der Bücherfreunde. 1892. Gegen Zahlung von vierteljährlich 3 M. für ungebundene, von 4 M. für gebundene Bände erhalten die Mit glieder alljährlich 8 abgeschlossene Bücher mit zusammen mindestens 150 Bogen Inhalt. Die Novelle »Töte sie« ist eine Erzählung aus dem Bereich der Wiener vornehmen Lebewelt. Das Ereigniss, von welchem der Verfasser ausgeht, und welches nach seiner Darstellung die Wiener Gesellschafts kreise in Aufregung versetzte, ist die plötzliche und unvermuthete Ileirath