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No. 92. PAPIER-ZEITUNG. 2661 Lehrplan der Fachschule Berliner Buchdrucker. Die Fachgenossen im Reiche haben ein begreifliches Interesse daran, zu erfahren, wie die Berliner Buchdrucker ihre Lehrlinge er ziehen. Der Gedanke liegt nahe, dass dort die denkbar besten Vor kehrungen getroffen sein müssten, das heranwachsende Fach-Geschlecht auf die grossen Aufgaben vorzubereiten, die seiner harren. Man wird glauben, dass die »Alten «, von denen ein beträchtlicher Theil sich von gewissen Fortschritten und bahnbrechenden Neuerungen auf graphischem Gebiete hat überraschen lassen, ohne für richtigen Anschluss gesorgt zu haben, wenigstens Sorge tragen, dass den »Jungen« die schmerzliche Erkenntniss kunsttechnischen Unvermögens einst erspart bleiben möge. Wohlmeinende Fachleute werden daher voraussetzen, dass der Lehrplan der Berliner Buchdrucker- Fachschule eine wohlgeordnete Reihe sorgfältig gewählter fachlicher Unterrichtsgegenstände aufweisen müsse, in erster Linie das für die verschiedensten Arbeitsgebiete des Buchdrucks unerlässliche Zeichnen. Man wird dann auf dem Lehrplan die Hilfswissenschaften Holz schnitt, Aetzung, Licht- und Kupferdruck, als angewandte Wissen schaften gedacht und gelehrt, vermuthen. Man wird die für die typographische Technik heute schon sehr wichtige, von dieser in Zukunft untrennbare Photographie als zeit gemässen Unterrichtsgegenstand betrachten und an diese an knüpfend die zahlreichen Verfahren, mit Hilfe des Lichtes Druckplatten her zustellen. Dass endlich die Farbenkunde auf dem Lehrplan nicht fehlen dürfe, umsomehr, als die Volksschulen sich hierüber fast völlig aus schweigen und der Lehrling sonst keine Gelegenheit hat, sich in der Farbentheorie zu festigen, erscheint selbstverständlich. Zuguterletzt muss man auch eine Theorie des Setzens und des Druckens erwarten, welche dem die Fachschule besuchenden Lehrling ermöglicht, auch bei mangelhafter praktischer Ausbildung tagsüber durch schulgemässe Unterweisung technische Fehler erkennen und ver meiden zu lernen. Wer sich solche Vorstellungen gemacht hat, wird durch den soeben ausgegebenen Lehrplan der Berliner Fachschule nicht wenig enttäuscht sein. Derselbe zählt folgende Unterrichtsgegenstände auf: • Deutsch (Grammatik, Aufsätze, Literatur), Französisch, Englisch, Lateinisch, Griechisch, Rechnen (die Bürgerlichen Rechnungsarten, Flächen- und Körperberechnung), Elemente der Algebra und mathe matische Zeichen, Buchführung, Stenographie und (endlich) Zeichnen (Ornamentzeichnen, Erfinden von Einfassungen und Verzierungen).• (!!) Darunter steht dann nebenbei, als besondere aus dem Rahmen des vorstehenden Lehrplans fallende Zeile: »Technischer Unterricht wird durch freie Vorträge von Fach männern ertheiltt. Also: Französisch, Englisch, Lateinisch, Griechisch usw. in der Fachschule eines Gewerbes, das den Mangel tüchtiger Zeichenkräfte schon jetzt schwer empfindet. — Wie soll das erst in Zukunft werden! ? Dann Flächen- und Körperberechnung! Es ist dem Lehrling zweifels ohne dienlich, wenn er etwa in der Frühstückspause den Hohlraum eines Bleisteges zu berechnen weiss oder den Inhalt eines Farbcylinders: es wäre zu beklagen, wenn er das nicht könnte! —- Algebra ist wahr scheinlich auch sehr nützlich für Aufstellung von Preisberechnungen! Ueber Stenographie kann man nichts sagen, obgleich wahrlich wichtigere Aufgaben vorliegen, als eine nur durch Reporter usw. im vollen Umfang ausnutzbare Wissenschaft zu lehren. Zeichnen aber steht da, wo es nach Ansicht der Fachschul- Kuratoren hingehört, nämlich am Schluss des Lehrplanes! Und es ist sogleich verklausulirt, damit ein Jeder wisse, was darunter zu verstehen sei. — Nicht Formenlehre, nicht Aufklärung über die Anwendungs gebiete des typographischen Ornaments, nein: Erfinden von Einfassungen wnd Verzierungen! Wer sind die Verfertiger dieses Lehrplanes? Sind es Fachleute? In welchem Ideenkreise leben sie? Das sind die Fragen, die sich dem unbeeinflussten Leser dieses Lehrplanes auf die Lippen drängen. Können Die, denen das Wohl und Wehe des Nachwuchses unserer Kunst in die Hände gegeben ist, ihrer schweren Verantwortung mit solchem Lehr plan genügen? — R. * * * Wenn der Einsender vorstehender Kritik die Zusammen stellung des Lehrganges der Berliner Buchdrucker-Fachschule bemängelt, so kann man ihm angesichts des vorstehenden Pro gramms das Recht hierzu nicht bestreiten. Es ist auch bekannt, dass die Leitung der Berliner Buchdruck-Lehranstalt in den Händen von Angehörigen der »alten Schule« liegt, welche über das, was dem Lehrlinge noth thut, ihre eigenen Anschauungen haben. Uns scheint aber, als lege der Einsender einen zu grossen Werth auf das Zeichnen als allgemeinen Unterrichts-Gegenstand. Er hätte erwägen müssen, dass nicht alle Lehrlinge auf den Accidenzsetzer-Beruf lossteuern, dass vielen das Talent fehlt, und zu einer allerdings auch ohne vorhandenes Talent möglichen handwerksmässigen Schulung im Zeichnen die dazu erforderliche Zeit. Namentlich Druckerlehrlinge haben Wichtigeres zu lernen als Ornamentzeichnen, zu dessen praktischer Ausübung ihre künftige Thätigkeit wohl nur selten Anlass giebt, und dessen Nutzen als geschmackbildendes Moment in keinem richtigen Ver- hältniss stellt zu der knapp bemessenen Zeit. Die Betheiligung am Zeichenunterricht müsste nur für Setzer und nur vielleicht ein Halbjahr lang obligatorisch sein. Nach dieser Zeit würde sich herausstellen, ob für den einzelnen Schüler weiterer Unterricht einen Zweck hätte. Ein kundiger Lehrer wird nach dieser Zeit feststellen können, ob Fortsetzung der Uebungen Nutzen bietet, oder ob völlige Talentlosigkeit vorliegt. Im letzteren Falle könnte der Lehrling vom Zeichenunterricht befreit und während der hierdurch bisher in Anspruch genommenen Zeit einer andern Klasse zugewiesen werden. Die Aufnahme des »Erfindens von Einfassungen und Ver zierungen« in den Lehrplan ist in hohem Maasse lächerlich. Der Unterricht in Sprachen, Mathematik usw. gehört über haupt nicht in eine Fachschule. Falls die vom Lehrling mit gebrachten Kenntnisse darin nicht genügen, bietet sich ihm in den sehr gut geleiteten städtischen Fortbildungsschulen passende Ge legenheit zur Ergänzung seines Wissens. Einer Fachschule, welche erst dann mit Vortheil einsetzen kann, wenn ein innerhalb gewisser Grenzen abgeschlossener Bildungsgang vorliegt, sollte nie die Ergänzung vorhandener Lücken im Allgemeinwissen des Schülers als Haupt-Aufgabe gestellt werden, sondern sie müsste ihr Hauptaugenmerk darauf richten, dem Schüler die in den ver schiedenen Zweigen des Fachs gewonnenen Erfahrungen in syste matischer Weise zugänglich zu machen. Wenn sich herausgestellt hat, dass die Durchschnitts vorbildung der Lehrlinge den Ansprüchen des von denselben ge wählten Berufs nicht entspricht, so lasse man die sich Meldenden einen andern wählen und stelle höhere Anforderungen an die von den Lehrlingen mitzubringende Vorbildung. Die im all gemeinen sehr gering gewordene Bildungshöhe des buchdruckeri schen Nachwuchses ist hauptsächlich durch jene traurige Auf fassung herbeigeführt worden, welche den Lehrling nicht als einen dem Lehrherrn zur technischen Erziehung anvertrauten jungen Menschen betrachtet, sondern als billige Arbeitskraft, die recht frühzeitig und recht gründlich ausgenutzt werden soll. Die Möglichkeit, ein besseres Lehrlingsmaterial heranzuziehen, wird ja ziemlich allgemein bestritten; wer aber viel in der Welt herumgekommen ist, wird zugeben müssen, dass es tüchtigen Firmen doch vielfach gelungen ist, ausreichend vorgebildete Lehrlinge einzustellen. Erst wenn dies in grösserem Maasse ge lungen ist, erst wenn man nicht mehr in die traurige Noth wendigkeit versetzt ist, einem Menschen, der während seines ganzen künftigen Lebens sich mit korrekter Wiedergabe der Sprache befassen soll, zunächst Unterricht in derselben zu er- theilen, erst dann wird eine Fachschule ihren eigentlichen Zweck durch Beschränkung auf das rein Technische erfüllen. Wir er blicken in der Ueberlastung der Berliner Buchdrucker-Fachschule durch allgemeine Lehrgegenstände weniger einen Mangel an Ver- ständniss seitens der Leiter derselben, als ein Zeugniss für die höchst unzureichende Vorbildung der meisten Lehrlinge. So lange sich dies nicht ändert, und die Fachschule noch ge- nöthigt ist, an dem Allgemeinwissen der Schüler herumzuflicken, wird sie allerdings ihre Aufgabe als Unterstützerin des praktischen Arbeits-Unterrichts in den Druckereien nur sehr mangelhaft erfüllen können. Künstlerische Plakate. Im Kunstgewerbe-Verein zu Berlin hielt Herr Professor E. Doepier d. J. in der Sitzung vom 9. November einen Vortrag über modernes Plakatwesen. Wenn es für Angehörige der graphischen Künste im allgemeinen nichts Verlockendes hat, sich von Professoren über die Ziele ihres Gewerbes belehren zu lassen, so liegt die Sache hier doch wesentlich anders. Herr Doepier ist ein praktischer Mitarbeiter der graphischen Gewerbe, durch häufigen Verkehr mit Männern unseres Faches gut unterrichtet und versteht es, mit grosser Selbstbeherrschung dem jeweiligen Stande der Sache gerecht zu werden. Es dürfte deshalb den Fachmann auch nicht verwundern, dass der Vortragende nicht etwa den deutschen künstelnden Plakattypus verherrlichte, sondern — die englisch-amerikanische Ausstattungsweise als Muster hinstellte. Die Grundbedingungen für jedes Plakat wie für jede Reklame- Arbeit sind nach Doepier: Einfachheit im Figürlichen, Klarheit und Lesbarkeit der Schrift, Beschränkung in den Mitteln. In diesen drei Punkten, besonders den letzten beiden, sind die Amerikaner uns voraus; ihre Plakate sind auffällig, lesbar auf weite Entfernungen und also zweckdienlich. Die Gegensätze in den Farben sind theilweise schreiend, aber durch den Zweck ge-