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2628 PAPIER-ZEITUNG. No. 91. 32/28 Sachliche Mittheilungen finden kostenfreie Aufnahme; Mitarbeiter und Berichterstatter erhalten angemessene Bezahlung. Eingesandte Werke finden Besprechung. 63 6 63 63 Fort mit der Broschur! Die Forderung, welche obige Ueberschrift enthält, mag auf den ersten Blick kühn erscheinen. Denn — wird man fragen - wie kann der Buchhandel ohne die Broschur bestehen? Wie soll der Verleger die Bücher unbroschirt versenden, wie soll sie der Sortimenter verkaufen? Und warum »fort mit der Broschur?« Ist sie nicht eine alte, anerkannte Einrichtung? ist sie nicht ganz geeignet, Druckwerke handlich und in schöner Form zum Versandt zu bringen? Hat sich das Publikum nicht prächtig an die Broschur gewöhnt, und ist es nicht bequem, die Bücher lesen zu können, ohne dass man sie binden lässt? Diese Fragen sind wohl berechtigt; und wenn man die Broschur beseitigen will, so muss man an ihre Stelle eine Einrichtung setzen, welche dieselben Vorzüge besitzt, aber deren Nachtheile entbehrt. Die Nachtheile der Broschur aber sind, wie ich beweisen werde, bedeutend grösser als die Vorzüge. Noch in unserem Jahrhundert wurden unbroschirte Bücher verkauft. Die Bogen eines Werkes waren in der Reihenfolge der Bogensignatur zusammengelegt, in der Mitte einmal gebrochen, in Makulatur gehüllt und dann mit einem Faden oder mit Papier streifen umschnürt. So versandte der Verleger vor Zeiten alle Bücher, die nicht sofort gebunden wurden, so stapelte sie der Sortimenter in seinen Regalen auf und gab sie an die Kunden ab. So elegant, so weihevoll wie heut war der Eindruck eines damaligen Bücherladens allerdings nicht. Da strahlten dem Ein tretenden nicht die bunten Kalikobände mit ihrem Gold- und Farben flitter entgegen, da lachten ihn nicht stattliche Reihen buntfarbiger Broschüren an, sondern er sah nur Pergament- oder Lederbände und umschnürtes Druckpapier. Wenn er aber die unbroschirten Bücher kaufte und dann von seinem Buchbinder fein säuberlich einbinden liess, so hatte er seine Freude daran. Denn die noch jungfräulichen, durch die Arbeit des Broschirens nicht ver dorbenen Druckbogen ergaben ein dauerhaftes Buch, das ihn, seine Kinder und Enkel überleben konnte. Von den heutigen, broschirten Büchern kann man das kaum noch sagen. Das an sich wenig haltbare Druckpapier wird während des Broschirens am Rücken der Bogen mit Nadel, Heftmaschine, Leim, Kleister, Messer und Hammer oft schlimm bearbeitet. Der Laie sieht davon nichts, denn der bunte Umschlag, welcher über den Rücken geklebt ist, verdeckt die Wunden, die dem Buch rücken durch das Broschiren geschlagen werden. Doch der Buch binder weiss, welchen Schaden das Broschiren anrichtet. Er hat täglich Gelegenheit, es zu verwünschen, wenn er die zusammen gekleisterten und geleimten Bogen auseinandernehmen und zum Binden vorrichten muss. Er weiss auch, dass für manches Buch das Broschiren den Nagel zum Sarge bedeutet. Wer der Erfinder der Broschur war, ist uns unbekannt, was wir aber nicht bedauern wollen. Den Anlass zu der Erfindung gab ohne Zweifel die Erwägung, dass broschirte Bücher einerseits handlicher sind, anderseits ein einladenderes Aeusseres besitzen als einfache Druckbogen. Doch man kann hier sagen: Aussen glänzend, innen faul. Die einzelnen Bogen erhalten schon durch das Heften zwei Nadelstiche im Rücken, durch unglücklichen Zufall vielleicht auch noch vom Heftfaden ein geschnittene Risse. Dann werden die Bogen in die Presse gesetzt; der Buchbinder nimmt ein Messer und schneidet kreuz und quer eine Anzahl tiefer Einschnitte in die Rücken der Bogen, einzig zu demZweck, dem später aufzustreichenden Kleister und Leim das Eindringen in die Schnitte und damit in das Innere des Bogens zu erleichtern. Unverständige Buchbinder gehen selbst soweit, mit einer Handsäge Löcher in die Rücken zu sägen, in welche der Leim klümpchenweise eindringt, sich dort festsetzt und später das Auseinandernehmen der Bogen ungemein erschwert. Damit Leim und Kleister ja recht tief in die ein geschnittenen und eingesägten Löcher dringen können, werden sie noch überdies fest mit der scharfen Seite eines Hammers ein gerieben. Nach dem Trocknen des Rückens wird dann der Um schlag mit Leim um die Broschur geklebt, und das Wunderwerk ist fertig. Es wird verkauft und soll dann vor Gebrauch gebunden werden. Nimmt nun der Buchbinder, welchem diese Aufgabe zufällt, die Broschur auseinander und zerlegt sie in einzelne Bogen, was vor dem Binden unbedingt nöthig ist, so werden sich die Rücken der Bogen nicht selten als arg beschädigt erweisen. Die Leim- und Kleister-Klümpchen, welche in den eingeschnittenen oder gar eingesägten Löchern sitzen, müssen entfernt werden. Beim Ab kratzen oder Abreissen nehmen sie Fasertheile des Papiers mit sich, die Löcher vergrössern sich, füllen sich beim späteren Leimen und Abpressen des Rückens wieder mit Leim und Kleister und verun stalten die Bücher. Ebenso müssen die Heftfäden aus den Bogen entfernt werden. Der Leim haftet auch an diesen, sie sind an ihren Enden steif und spröde, kleben auch oft am Bogen fest und reissen bei der geringsten Unachtsamkeit des Buchbinders durch den Rücken falz hindurch. Wer Gelegenheit hat, eine stark geleimte und ein geschnittene Broschur nach dem Auseinandernehmen oder — wie der Buchbinder sagt — nach dem »Ausreissen« zu sehen, dürfte beim Anblick der Bogen mit ihren Leim- und Faden-Anhängseln einen gelinden Schreck verspüren. Gewiss würde er kopfschüttelnd fragen: „Warum diese Misshandlung, dieses offenbare Beschädigen der Bücher vor dem Einbinden?“ Ja, warum? Um einer übel angebrachten Bequemlichkeit und einer eingerissenen Gewohnheit zu entsprechen! Aber mit dem »Ausreissen« ist die Sache noch nicht beendet. Das Broschiren der Bücher wird mit 1 M. 40 Pf. bis 2 M. die 1000 Bogen bezahlt, ein Preis, der nur bei hastiger Arbeit Gewinn ermöglicht. Für das Falzen erhalten Mädchen und Gehilfen vom Buchbindermeister 40 Pfennige für 1000 Bogen. Will der Arbeiter dabei sein tägliches Brot verdienen, so muss das Falzen mit un geheurer Geschwindigkeit ausgeführt werden. Bei dieser Ge schwindigkeit wird es nicht immer genau mit der Arbeit genom men, es kommen ziemlich viel schiefgefälzte Bogen vor. Diese Bogen muss der Buchbinder vor dem Einbinden umfalzen«, d. h. er legt den Bogen auseinander und falzt ihn regelrecht. Hierbei werden aber die alten Brüche seitlich verschoben. Hat nun ein schlecht gefalzter Bogen vom Broschiren her Löcher im Rücken bruch, so kommen diese Löcher nach dem Umfalzen seitlich vom neuen Rückenbruch zu liegen, sie sind also im Rückensteg des gebundenen Buches sichtbar und verunstalten das Buch. Für wirkliche Bücherfreunde ist ein derartig verunstaltetes Buch ent- werthet, wie sich überhaupt jeder Ordnungsfreund über solche offenkundigen Beschädigungen ärgern wird. Dass unter diesen Missständen die Haltbarkeit des Buches leidet, ist selbstverständlich. Was nützt das beste und haltbarste Papier, wenn die Bücher durch das Broschiren im Rücken be schädigt, zerschnitten und verleimt werden? Man sorgt für die Nachwelt, man fordert haltbare, holzfreie Papiere — was nützt das, wenn man nicht zugleich für Beseitigung des Broschuren-Un- fügs sorgt?! Viele Bücherkäufer unterlassen es, die Broschur, welche nicht für die Dauer berechnet ist, sofort nach dem Kauf zum Um binden bei einem Buchbinder zu geben. Sie nehmen sie erst in Gebrauch, schneiden die Bogen auf und lesen so lange in dem Buche, bis dieses auseinanderfallt. Dabei schneiden die Heftfaden oft die Rückenbrüche einzelner Bogen durch, die Doppelblätter zerreissen, und wenn das Buch zum Einbinden gegeben wird, ist es oft in einem traurigen Zustande. Der Buchbinder hat mit solchen Bücherfetzen schweren Stand. Er sucht die zerrissenen Bogen zu flicken und vergeudet dabei mehr Zeit, als ihm bezahlt wird, und das gebundene Buch bleibt doch immer ein unansehnliches, entwerthetes Stück. Würden diese Bücher nicht broschirt ver kauft, so würden viele derselben nicht den schnellen Untergang finden, dem die aufgeschnittene Broschur in den Händen nach lässiger Leser geweiht ist. Nun entsteht die Frage: Was soll man an die Stelle der heutigen Broschur setzen? Auf die alte Art des Versendens gedruckter Bücher in offenen Bogen zurückzugreifen, ist bei der heutigen Beschaffenheit des Buchhandels nicht gutmöglich. Der Wettbewerb heischtein nettes,ge schmackvolles Aussehen der zu versendenden Bücher, der Sortimenter will sie im Schaufenster ausstellen und bequem in seinem Lager-