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No. 85. PAPIER-ZEITUNG. 2435 66383 6 Sachliche Mittheilungen finden kostenfreie Aufnahme; Mitarbeiter und Berichterstatter erhalten angemessene Bezahlung. Eingesandte Werke finden Besprechung. 83.63 8 6 Centralisation im Verlags-Buchhandel. Vor einiger Zeit machte bekanntlich eine englische, von dem berüchtigten Horatio Bottomley gegründete Aktiengesellschaft den Versuch, durch Ankauf deutscher und österreichischer Ge schäfte des Papier- und Buchgewerbes eine gewerbliche Centrali sation herbeizuführen, die in Europa einzig in ihrer Art dastehen sollte. Die Sache wurde mit mehr Geschrei als Geschick betrieben, und bevor das Unternehmen wirklich ins Leben trat, war die Ge sellschaft zahlungsunfähig. Was diese Engländer mit grossen Worten und kleinen Thaten versuchten, hatten Deutsche bereits ins Werk gesetzt, wenn auch nicht in so verblüffendem Umfange. Soviel Worte hatten diese allerdings nicht vorausgesendet; mit der Schweigsamkeit, die auch bedeutenden Geschäftsstrategen wohl ansteht, hatten sie ihre Pläne angelegt und ausgeführt, und statt durch grosse Projekte wurde die Welt plötzlich durch grosse Thaten überrascht. Welcher Fachmann hat nicht die grossartigen Ankäufe der Gebrüder Kröner, jetzt Aktiengesellschaft Union, oder die Unter nehmungen der deutschen Verlags-Anstalt in Stuttgart mit Staunen und Verwunderung verfolgt? Einzig in ihrer Art steht besonders die Union da. Sie ist ohne Zweifel das grösste buchgewerbliche Unternehmen in Deutsch land, wohl auch im Auslande. Die Gründer sind Gebr. Kröner. Sie entstand durch Ankäufe und Verschmelzung hervorragender deutscher Verlagsgeschäfte. Der erste, aufsehenerregende Ankauf war derjenige der »Gartenlaube« mit dem zugkräftigen Keil’schen Verlage, jetzt unter Leitung des Herrn Adolf Kröner stehend. Auf diesen folgte nach kurzer Zeit der Ankauf der grossen Cotta'- sehen Buchdruckerei, welche die Gebr. Kröner vordem in Pacht hatten. Kurz darauf erwarben sie das bekannte Schönlein’sche Verlagsgeschäft in Stuttgart mit den weitverbreiteten Zeitschriften »Das Buch für Alle« und »Chronik der Zeit«, nebst der dazu gehörenden Druckerei, welche 24 Schnellpressen beschäftigte. Nicht lange währte es, so wurde die Fachwelt von einer neuen, aufsehenerregenden Nachricht überrascht: Am 24. Januar 1889 war die altberühmte Cotta’sche Verlagshandlung mit allem Zu behör, ebenso die Münchener »Allgemeine Zeitung« mit Gebäuden und grosser Druckerei, darin eine Rotationsmaschine und drei Schnellpressen, in Kröner'schen Besitz übergegangen. Man sprach damals von einem Kaufpreis von 21/2 Millionen M. Doch damit war die Reihe der Erwerbungen noch nicht abgeschlossen. Bald darauf erfuhr man durch ein Rundschreiben, dass zu all den grossartigen Ankäufen noch die Erwerbung des mächtig auf strebenden Spemann'schen Verlages in Stuttgart mit »Pierer's Konversations-Lexikon« und einer Anzahl Zeitschriften gekommen sei, unter letzteren hervorragend »Vom Fels zum Meer«, »Deut sches Malerjournal«, »Deutsche Litteraturzeitung«, »Der gute Kamerad«, »Repertorium für Kunstwissenschaft« usw. Mit dieser letzten Erwerbung verwandelte sich die Firma in die Aktien gesellschaft Union. Welchen mächtigen Umfang das Geschäft hat, kann man sich schon aus den einzelnen Käufen, bei denen es sich jedesmal um riesige Kaufsummen handelte, vorstellen. Mit diesen Ankäufen ging aber auch noch eine zeitgemässe Umgestaltung des Stutt garter Stamm-Geschäftes Hand in Hand. In diesem ist jetzt der Buchhandel vereinigt mit grossartiger Buchdruckerei, Anstalten für Holzschneiderei, Zinkätzung, Schriftgiesserei, Galvanoplastik, Lichtdruck und guteingerichteter Buchbinderei. Auch die Deutsche Verlags - Anstalt in Stuttgart entfaltete weitblickende Regsamkeit. Die Hauptkraft dieser Anstalt liegt im Zeitschriften-Verlag. Ihre bedeutendsten Zeitschriften » Land und Meer« und »Illustrirte Welt« sind allgemein bekannt. Um dieselben vor Konkurrenz zu sichern, opferte die Verlags- Anstalt seiner Zeit eine grosse Summe, erwarb die »Deutsche Illustrirte Zeitung« und liess sie eingehen; aus ähnlichen Gründen übernahm sie auch die österreichische »Neue illustrirte Zeitung«. Auch dieses Geschäft besitzt eigene vorzüglich eingerichtete graphische Anstalten. Diese zwei Beispiele, denen sich noch andere anfügen liessen, mögen zeigen, wie im Buchhandel das Bestreben einzelner kapital kräftiger Unternehmer nach möglichster Centralisation klar zu Tage tritt. Bei oberflächlicher Betrachtung zwingt uns solch ausserordentlicher Unternehmungsgeist Bewunderung ab, blicken wir aber tiefer, so zeigt sich unter der blinkenden Oberfläche noch ein anderes, bedenkliches Bild. Schon ein Blick auf die Ankäufe lässt erkennen, dass die selben durch bestimmte Beweggründe geleitet sind, welche auf Erwerbung lebensfähiger, weitverbreiteter und im Volksthum wurzelnder Zeitschriften abzielen. Bevorzugt sind belletristische Familienblätter, doch auch Fachzeitungen sind geschätzte Kauf- Gegenstände. Zeitungen und Zeitschriften sind eine Macht, nicht nur in der Politik, sondern auch im Buchhandel. Ein Buchhändler, welcher weitverbreitete Zeitschriften sein eigen nennt, hat damit eine Wünscheiruthe in der Hand, welche ihn Schätze finden lässt, die andere Buchhändler vergebens suchen. Einflussreiche Zeit schriften verrichten Wunderdinge. Sie füllen die Taschen ihrer Verleger nicht nur durch die Rente, welche sie selbst gewähren, sie dienen auch dazu, aus anderen Verlagswerken ungeheure Renten zu schlagen. Hier ein Beispiel: Wem verdankt das bekannte Bock’sche »Buch vom gesunden und kranken Menschen« seine ungeheure Verbreitung? Dem eigenen Werthe wohl nur zum Theile; zum grösseren Theile gewiss der Reklame der »Gartenlaube«. Wer daran zweifelt, der lese die Gartenlaube aus jener Zeit, in welcher Bock’s Buch erschien, und er wird finden, dass in jeder Nummer gesperrte, auffallende Empfehlungen des Buches zu finden sind; die Empfeh lungen sind an den Anfang oder an das Ende des Nummer-Textes gedruckt und wirken dadurch bedeutend kräftiger, als gewöhnliche Anzeigen. Die Gartenlaube wird oder wurde wenigstens nach oberflächlicher Schätzung von mehr als einer Million Menschen gelesen; dieser Million wurde monate-, ja jahrelang immer die Vortrefflichkeit des Bock’schen Buches durch gespreizten Druck versichert; — kein Wunder, dass endlich über hunderttausend Exemplare verkauft und Hunderttausende von Markstücken daran verdient wurden. Dass dasselbe Werk in einem anderen Verlage dieselbe Auflagehöhe erreicht hätte, ist ganz unwahrscheinlich. Dies ist ein Beispiel, dem sich viele andere anfügen liessen. Sie alle beweisen, welche Macht die Zeitschriften im Buchhandel sind. Der Zeitschriften-Besitzer hat es in der Hand, für seine Verlagswerke durch die eigene Zeitschrift wirkungsvolle Reklame zu machen. Der Verleger hingegen, welcher keine Zeitschrift in den Händen hat, ist auf den kostspieligen und nicht so wirkungsvollen Weg der Anzeige angewiesen. Seine Anzeige kann er nicht in den Zeitungstext bringen, sie steht inmitten der anderen, wirkt daher auf das Publikum nicht mit derselben Kraft, wie die Anzeige des Zeitungsbesitzers. Ersterem kostet die Ver öffentlichung Geld, mit dem er sparsam umgehen muss; letzterem kostet sie nichts, er kann seine Anzeige wiederholen, so oft es ihm beliebt. Eigene Zeitschriften von grosser Verbreitung sichern den Verlegern schon dadurch ein gewisses Uebergewicht über ihre Mitbewerber. Bei illustrirten Zeitschriften und Unterhaltungs blättern kommt dazu aber noch ein Umstand von tiefgehender Bedeutung, welcher besonders Roman- und Kunst-Verleger betrifft. Die schöne Literatur macht einen stattlichen Theil des Ge- sammtbuchhandels aus, man kann rund den zehnten Theil rechnen. In Deutschland giebt es bedeutende Verleger, welche sich über wiegend mit schöner Literatur, also dem Verlage von Romanen, Erzählungen und Gedichten befassen. Unter diesen sind aber nur einzelne zugleich Besitzer von einflussreichen belletristischen Zeitschriften und diese Einzelnen haben gegen die übrigen Ver leger durch ihre Zeitschriften einen grossen Vortheil in der Hand, nämlich den, alle Schriftsteller von Ruf an ihr Geschäft fesseln zu können. Als die Zeitschriftenliteratur noch nicht das ungeheure Ueber gewicht besass wie heut, waren die Schriftsteller hauptsächlich darauf angewiesen, ihre Romane in Buchausgabe erscheinen zu