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1528 PAPIER-ZEITUNG. No. 53 Buchgewerbe. Druckindustrie, Buchbinderei, Buchhandel. Sachliche Mittheilungen finden kostenfreie Aufnahme; Mitarbeiter und Berichterstatter erhalten angemessene Bezahlung. Eingesandte Werke finden Besprechung. Englischer Accidenzstil. Von Albert Hoffmann. In der englischen Accidenz-Ausstattung hat sich seit einigen Jahren eine beachtenswerthe Wandlung vollzogen. Während zur Zeit des Aufschwunges der deutschen Buchdruck-Ornamentik, etwa in den Jahren 1880 bis 1886, die englischen Accidenzarbeiten eine nahezu kindlich naive Auffassung des Begriffs »Ornament« er kennen liessen, und der geschulte deutsche Buchdrucker z. B. die im Internationalen Musteraustausch gesammelten englischen Ar beiten nur mit mitleidigem Lächeln zu betrachten pflegte, haben wir jetzt alle Veranlassung, die Leistungen der neuen englischen Schule aufmerksam und ernst zu betrachten und davon zu lernen. Der erwähnte Aufschwung ist um so erstaunlicher, als er eigentlich auf eine einzelne Provinzdruckerei, ja vielleicht auf einen einzelnen Menschen zurückzuführen ist. Im Jahre 1888 erschienen bei Raithby, Lawrence & Co. in Leicester die ersten Nummern der Zeitschrift »British Printer«, herausgegeben von Robert Hilton. Die neue Zeitschrift beschritt von vornherein eigene Wege. Sie brachte in den regelmässig beigegebenen Satzvorbildern — auch eine für England neue Einrichtung — einfache, aber mit Rücksicht auf angenehme Halbtonwirkung sehr verständig ange ordnete Arbeiten, welche in ihrer Ausstattung eine sehr selbständige, von dem bisher in England lieblichen abweichende Auffassung bekundeten. Da auch der Text-Inhalt und die Gesammt-Ausstattung des Blattes entsprechend sorgfältig gewählt war, erzielte die neue Zeitschrift einen beispiellosen Erfolg. Ihre Auflage stieg rasch auf mehrere Tausende, wuchs von Jahr zu Jahr und hat jetzt Zehntausend überschritten. Wie keine zweite Buchdruck-Zeitschrift ist der British Printer in die Druckereien Englands, Amerikas und der englischen Kolonieen eingedrungen, und es erscheint angesichts dieser Ver breitung begreiflich, dass der »Stil von Leicester« sofort Beach tung finden und bei den bisher haltlos in den meist von Deutsch land eingeführten Zierformen herumtappenden englischen Buch druckern Schule machen musste. Der Sieg dieses Stils war um so sicherer, als er an das tech nische Können nur geringe Anforderungen stellt, selten von der geraden Linie und dem rechten Winkel ab weicht, mit vollen, festen Stücken arbeitet und somit auch ein festes, gut hantirbares Satzgefüge schafft. Die auf nebenstehendem Blatt abgedruckten Beispiele sind in ihrem ornamentalen Theil getreu Vorbildern des British Printer nachgebildet, aber mit deutschem Text versehen. Sie reichen aus, um das Charakteristische und Wesentliche des Stils von Leicester zu veranschaulichen und zu zeigen, inwieweit wir von demselben lernen können. * Wenn man sich die Aufgabe stellt, zu ermitteln, worauf der günstige Eindruck dieser Arbeiten beruht, so findet man, dass mit Bezug auf das verwendete eigenartige Material hauptsächlich vier Faktoren Zusammenwirken: 1) stumpffeine Linien, 2) ruhige, in der Gesammtheit grau erscheinende Flächen- Ornamente, 3) kräftige, lebhafte, zu den vorgenannten Flächen-Ornamenten stark kontrastirende Silhouett- oder Intarsia-Friesformen, 4) reizvolle Schriftformen in eigenartiger, oft von der Symmetrie abweichender Zeilenanordnung. Zunächst ist bemerkenswerth, dass weder fette, noch feine, sondern durchweg stumpffeine Linien verwendet sind. Die Wichtigkeit der stumpffeinen Linie wird in Deutschland leider noch nicht genügend gewürdigt. In den Jahren 1883 bis 1886 habe ich in typographischen Fachzeitschriften wiederholt auf die Bedeutung dieser Liniengattung für den Accidenzsatz hin gewiesen (u. a. Correspondent von 1883, Nr. 115), gegenüber dem alten deutschen Buchdrucker-Schlendrian aber, der mit »fein« und »fett« auszukommen glaubte und von der stumpffeinen Linie eine »Verfischung« der feinen befürchtete, nur wenig aus gerichtet. Jetzt zeigen uns die Engländer in zielbewusster, systematischer Weise, »wie’s gemacht werden muss«, und jetzt wird die stumpffeine Linie von denjenigen deutschen Druckereien, welche die Vorzüge des mit solchen Linien arbeitenden englischen Stils erfasst haben, Hals über Kopf angeschafft. Was ich damals über die stumpffeine Linie sagte, trifft noch heute zu, und ich kann den günstigen Einfluss, welchen sie auf den Gesammt-Eindruck der modernen englischen Arbeiten ausübt, nicht besser erklären, als indem ich aus der erwähnten alten Nummer des Correspondent, der damals noch ab und zu technische Aufsätze brachte, Nachstehendes wiedergebe: »Das Bild der feinen Linie verhält sich, nachdem es durch mehr maligen Gebrauch erst die unangenehme Messerscharfe verloren hat, zu dem der fetten etwa wie 1 zu 6. Die Differenz ist also sehr be deutend, und für einigermaassen fein abzustufende Kombinationen macht sich ein Mittelglied nothwendig, welches diese Lücke füllt. Das ist die Achtelpetit-halbfette oder stumpffeine Linie. Es ist äusserst charakteristisch für die mangelhafte Ausbildung des künstlerischen Gesichtssinnes bei unseren Fachgenossen, dass man diese Lücke so selten empfindet. Die Lithographen und Holzschneider, welche mit einer unendlichen Menge von Abstufungen in der Stärke der Linien wie der Schatten arbeiten, lachen uns aus, wenn wir ihnen sagen, wir wollten ihnen mit unserm plumpen Material, mit diesen zwei Linienstärken, Konkurrenz machen. In der That werden wir auch an Feinheit der Abstufungen und Töne nicht eher mit der Lithographie konkurriren können, bis wenigstens ein Zwischenglied die grosse Kluft zwischen feiner und fetter Achtel petit überbrückt. Sehr oft wird die stumpffeine Linie an die Stelle der feinen treten können. An ihr sieht doch das Auge etwas. Unsere feinen Linien dagegen, die der Maschinenmeister bis zum Verschwinden zart hält, sind Schemen, sind Nichtse. Da braucht bloss ein ebenso feines, durch keine kleinen Verstärkungen variirtes Ornamentwerk hinzuzukommen, und das Auge wird bis zum Ekel ermüdet.« Um zu verstehen, auf wie einfache und bequeme Art bei unsern Beispielen die Linien -Wirkung erzielt ist, muss man indess noch wissen, dass die Engländer neben der stumpffeinen, meist auf Viertelcicero und Achtelcicero gezogenen Linie auch die doppelstumpffeine Linie auf Viertelcicero besitzen. Das ist ein dankbares, überaus verwendungsfähiges, nahezu unverwüstliches Accidenzmaterial. Zur doppelstumpffeinen Linie lassen sich die Engländer Ecken und Gehrungsstücke bis auf Cicero - Länge herab in einer so grossen Auswahl liefern, wie sie bei uns wohl nirgends anzutreffen ist. Ausserdem haben die englischen Accidenzsetzer Gehrungsschnitte wie die folgenden zur Ver fügung: Aw A • Damit können sie dann alle möglichen Kombinationen machen: Eckstücke, kleine Kästchen, Auskröpfungen, Einkröpfungen usw. Diese Linien, mit denen die neue englische Schule ihre besten Wirkungen erzielt, sind meist deutschen Ursprungs. Sie werden von englischen Agenten (z. B. Fr. Wesselhoeft in London) gleich andern Messinglinien- Erzeugnissen in sortirten kleinen Paketen vorräthig gehalten und paketweise verkauft. Der Engländer bestellt nicht pfundweise wie wir, sondern er fordert beim Agenten ein oder mehrere Pakete Messinglinien, wie wir ein Paket Pfeffer kuchen kaufen. Die einfachstumpffeine Linie steht meist nicht in der Mitte des Kegels, sondern am Rande, sodass zwei mit dem »Fleisch« gegeneinandergestellte Linien dasselbe Bild geben, wie eine doppel stumpffeine. Die Verwendungsfähigkeit der doppelstumpffeinen Linien wird noch weiter gefordert durch eine naive, aber berechtigte Leicht herzigkeit der Engländer in der Auffassung der Anschluss-Be dingungen. Der englische Setzer bildet einen aus Doppellinien bestehenden Rahmen z. B. so: während der Deutsche wahrscheinlich die Anschlüsse mit vieler Mühe so gestalten würde: