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No. 60. PAPIER-ZEITUNG. 1729 2383 83/63 Sachliche Mittheilungen finden kostenfreie Aufnahme; Mitarbeiter und Berichterstatter erhalten angemessene Bezahlung. Eingesandte Werke finden Besprechung. 63 83 63 63 Reitschriften. So könnte man die bisher namenlose Typengattung nennen, auf welche die Herren Hagelmoser, Mammen, Emil Mosig und Robert Mosig in Berlin das Deutsche Reichspatent Nr. 62 629 er hielten. Die Ausführung des Patentes hat die Firma Ferd. Thein- hardfs Schriftgiesserei in Berlin übernommen. Die neuen Typen a, welche durch Figg. 1 und 3 in einem der Kegelrichtung folgenden Durchschnitt, in Fig. 2 in perspektivischer Ansicht veranschaulicht sind, haben nur etwas mehr als halbe Höhe der gewöhnlichen Typen (15 mm) und besitzen in der Mitte ihrer Unterseite eine zur Kegelrichtung senkrechte, rechtwinklige Nuth, so dass sie gewissermaassen auf zwei Füssen stehen. Mit diesen Füssen » reiten « sie auf messingenen, entsprechend geformten Stegen b, mit welchen zusammen sie genaue Schrifthöhe aufweisen. Durch diese Anordnung wird bezweckt, den Typenkörper leichter zu machen, ein Korrigiren ohne Erzeugung von Lücken in der Form zu ermöglichen und durcli Herstellung eines festen Zeilenkörpers Schrägstellungen usw. zu erleichtern. Es versteht sich von selbst, dass die mit Rippen b l ver sehenen Stege und die Reittypen genau ineinanderpassen müssen. Nur zwischen dem Obertheil der Rippe b l und der tiefsten Stelle der Nuth befindet sich ein kleiner Zwischenraum, welcher die störenden Einflüsse des etwa dort sich befindenden Staubes be ¬ seitigen soll. Aus gleichem Grunde werden, wie in Fig. 3 ge zeigt, die oberen Kanten c d der Rippe b' auch ein wenig ab gestumpft, und es wäre vielleicht empfehlenswerth, auch die Kanten e f der Reittype abzustumpfen, um einen störenden Einfluss des beiderseits in den Winkeln am Fusse der Rippe sich an setzenden Staubes auszuschliessen. Die Unterlagstege werden in systematischen Längen geliefert, so dass jede auf Cicero oder Nonpareil ausgehende Zeilenbreite hergestellt werden kann. Das Reitschriften-System kann natürlich mit Vortheil nur auf grössere Grade, etwa von Text ab, angewendet werden, und wird beim Plakat- und Prospektsatz voraussichtlich seine dank barste Anwendung finden. Die Erfinder versprechen sich von diesem System auch besonders günstigen Einfluss auf Schreib schriften, welche zu diesem Zweck auf schrägen Kegel gegossen werden, während die Nuth die Richtung der Schriftlinie erhält. Zum Guss der geradestehenden Titel- und Plakatschriften bis zu Grober Kanon werden Komplett-Giessmaschinen eingerichtet, die Schreibschriften dagegen werden aus bekannten Gründen auf der Hand-Giessmaschine hergestellt. Die Firma Theinhardt beabsichtigt, den Preis des Reitschriften- Gusses gegenüber dem bisherigen Preis voll ausgegossener Typen nicht zu erhöhen, wird also künftig für den bisherigen Preis etwa die doppelte Letternzahl liefern. Für den Buchdrucker macht sich nur die Anschaffung einer Anzahl Unterlagstege nöthig, welche für jeden Kegel nur einmal vorhanden zu sein brauchen und nach erfolgtem Druck sofort anderweitig verwendet werden können. Zum Einstecken der Reittypen in Titelschriftkästen werden hölzerne, am Boden derselben, befestigte Rippen verwendet werden, auf welche die Reitschriften ebenso aufgesetzt werden, wie auf die Rippe des Unterlagsteges. Bei derart untergebrachten Buchstaben kommt der Uebelstand des Umfallens, welcher zur Ausführung zahlreicher Schutzvorrichtungen führte, ganz in Wegfall. Jede einzelne Type sitzt fest. Die Titelschriftkästen werden auch in geringerer Höhe ausgeführt und in grösserer Zahl als bisher in den Regalen untergebracht werden können. Die ausführende Giesserei ist mit ihren Einrichtungen zur Reitschriften-Erzeugung noch nicht ganz fertig, hofft aber in einiger Zeit der Buchdruckerwelt die wichtigsten Titelschriften in Gestalt von Reitschriften zur Verfügung halten zu können. Marahrens’ Handbuch der Typographie in zweiter Auflage. Die in Nr. 58, Seite 1675 enthaltene Besprechung dieses Handbuchs kennzeichnet zwar bereits den von den Anschauungen der Gegenwart theilweise erheblich abweichenden Standpunkt dieses Werks, geht aber meines Erachtens mit zu grossem Wohlwollen über offenbare Mängel desselben hinweg. Ich bin der Ansicht, dass man der Fachwelt über ein neues Lehr buch, welches den Anspruch erhebt, » vollständig, theoretisch und prak tisch« zu sein und den »heutigen Standpunkt« zu vertreten, welches demgemäss als technisches Gesetzbuch für das heranwachsende Buch druckergeschlecht dienen soll, durchaus reinen Wein einschenken muss. Ich bitte daher die Redaktion, mir zu gestatten, auf eine Anzahl an fechtbarer Anschauungen, Fehler und Irrthümer in dem Marahrens’schen Buche aufmerksam machen zu dürfen. Der erste abgeschlossen vorliegende Band behandelt den Satz, und die ersten Kapitel beschreiben die Setztechnik, sowie das dabei erforder liche Handwerkszeug. Dabei fällt es zunächst auf, dass Marahrens unter »Kegel« etwas ganz Anderes versteht, als die Mehrheit der deutschen Buchdrucker. »Kegel« ist nach allgemeiner Auffassung die jenige Dimension der Type, welche von der Rückenfläche derselben bis zur Signaturfläche reicht, also bei der nachstehend abgedruckten Type m z. B. die Linie a b. a a m b b Marahrens dagegen erklärt: »Der einzelne Buchstabe hat die Form eines länglichen Körpers von rechtwinkligen Verhältnissen, den der Setzer Kegel nennt.« In der allgemeinen Buchdrucker-Terminologie ist der Kegel eine Dimension, bei Marahrens ein Körper! Dann heisst es weiter: »Der Buchstabenkörper (Kegel) hat einen Fuss« usw.: Ausschliessungen nennt Marahrens »Typenkegel ohne | Bild«(!!), und auf Seite 58 steht noch einmal ganz deutlich: »Wir I wissen bereits, dass Kegel unser typographischer Ausdruck für den I Buchstabenkörper ist.« - Marahrens macht sich also einer Verschiebung ' und Verdunkelung des klaren typographischen Begriffs »Kegel« schuldig. Das Schriftmetall besteht nach Marahrens aus 70 Weichblei, 30 An- | timon nebst Zusatz von Kupfer, Eisen und Stahl. Blei schmilzt bei 330, Eisen bei 1050 bis 1200, Stahl bei 1300 bis 1400 Grad Celsius. Wollte I inan Blei bis zur Eisenschmelzhitze bringen, was zur Vermischung mit Eisen erforderlich wäre, so würde das Blei zum Schornstein hinaus fliegen. Das alte Märchen empfehlungsbeflissener Schriftgiesserei-Reisender vom Eisen- und Stahlzusatz sollte doch endlich aus ernsten Lehrbüchern verschwinden! Schon bei Beschreibung der Setzergeräthe macht sich der für das ganze Buch charakteristische Mangel an Abbildungen bemerkbar. Wie soll Jemand z. B. den Mechanismus eines Winkelhakens verstehen, wenn dieser nicht veranschaulicht ist! Dasselbe ist bei der Hantirung des Aushebens und Ausbindens der Fall. Die Marahrens’schen Ausschliessregeln, welche in gemildeter Fassung und der Form der Zehn Gebote angepasst, in Nrn. 47 und 48 der Papier-Zeitung abgedruckt wurden, sind zu streng und haben keine Aussicht auf unveränderte Annahme. Orthographische Absonderlichkeiten, wie die Ansicht des Verfassers, dass »die Einführung des ff ein Verstoss gegen die Rechtschreibung sei«, gehören nicht in ein Lehrbuch, welches Lehrlingen in die Hand ge geben wird. Solche selbst unter den Gelehrten noch nicht geregelte Fragen gehen den Lehrling nichts an: dieser hat genug zu thun, wenn er den allgemeinen Brauch erfasst und danach handelt. Verfasser hält lassen, bassen, russisc für richtig, lassen, hassen, rustisc für falsch, duldet aber im Texte des Buches in hunderten von Fällen die letztere Schreib« weise. Dass 2c. eine Kürzung ist, hat Marahrens immer noch nicht ein gesehen: er hält es für ein Lesezeichen. Die den Grundregeln des Setzens folgende Darstellung des Werk satzes bietet nur geringen Anlass zu Ausstellungen, doch hätten die später aufgeführten (aber wieder nicht abgebildeten) Vorrichtungen zur