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PAPIER-ZEITUNG. 1525 Sulfitlaugen. Von August Harpf, Chemiker. Es’ ist eine bekannte Thatsache, dass die in der Sulfitzellstoff- Erzeugung gebrauchten Kochlaugen, welche aus einer Lösung von einfach schwefligsaurem Kalk in wässeriger schwefliger Säure von wechselnder Zusammensetzung bestehen, seit einer Reihe von Jahren nicht mehr, wie es zur Zeit des Entstehens dieser Industrie, d. h. gegen Ende der Siebziger Jahre üblich war, bloss mit dem Araeometer auf ihren Gehalt an wirksamen Körpern, schweflige Säure und Kalk geprüft, sondern dass sie jetzt stets einer chemi schen Untersuchung unterzogen werden. Dadurch ist man im Stande, nicht bloss das spezifische Gewicht der betreffenden Lauge, in Graden Beaum ausgedrückt, zu bestimmen, sondern auch (len Gehalt derselben an schwefliger Säure, sowohl in freier als auch in gebundener Form, damit auch den Gehalt an Gesammt-schwefliger Säure, und je nachdem die Lösung eine mehr oder weniger reine Kalklauge ist, auch den Gehalt an Calciumoxyd mit grösserer oder geringerer Genauigkeit indirekt festzustellen. Das Abwägen der Lauge mit dem Araeometer, d. h. das Ablesen der Grade Beaume' mit Hilfe desselben, ist zwar immer noch werthvoll, aber es ist durch diese Untersuchung dennoch mehr oder wepiger zu einem Arbeiterbehelf herabgesunken. Diese Thatsache ist wohl durch den Umstand befördert worden, dass man erstens einsah, dass die gewöhnlichen Araeometer nicht besonders genau einge- theilt sind, und dass zweitens Laugen von anscheinend gleicher Grädigkeit oft eine ziemlich verschiedene Zusammensetzung zeigen, wenn man sie einer Titrirung unterzieht. Auch ich habe einen Theil meiner Thätigkeit während meiner mehrjährigen Sulfitstoffpraxis auf die regelmässige Untersuchung dieser Laugen verwendet und habe viele Monate hindurch täglich die erzeugten Laugen untersucht, um darnach den Betrieb der Laugenstation regeln zu können. Schon nach kurzer Zeit jedoch fiel mir eine gewisse, aller dings nur in weiten Grenzen vorhandene Regelmässigkeit in der Zusammensetzung dieser Laugen auf, sobald sie, mit dem« Araeometer gemessen, annähernd gleiche Grade zeigten. Zum Theil liess sich diese Regelmässigkeit ja wohl dadurch erklären, dass alle die gewonnenen Zahlen für Gesammt-, freie und gebun dene schweflige Säure Vielfache des Titres der Zehntel-Normal- Jodlösung (0,32) waren, doch genügte dieser Umstand lange nicht für die Erklärung der im Grossen und Ganzen, wie bereits betont, in weiten Grenzen auftretenden Uebereinstimmung. Vornehmlich bemerkte ich, dass z. B. die im Mitscherlich- Thurm erzeugte Sulfitlauge, welche 5° und 51/4 0 Beaume wies, die von Herrn Dr. Adolf Frank früher gelegentlich besonders empfohlene Zusammensetzung von etwa 3,2 pCt. Gesammt-, 2 pCt. freie und 1,2 pCt. gebundene schweflige Säure sehr häufig be- sass. Die mindergrädigen Laugen blieben unter dieser Zusam mensetzung, die schwereren gingen selbstverständlich darüber hinaus. Es war nun eine schon seit Jahren von mir gehegte Hoffnung, dass es mir gelingen würde, ein Gesetz für diese Regelmässigkeit in der Zusammensetzung der Laugen zu entdecken. Die Wahr scheinlichkeit dafür war ja vorhanden, wenn der Betrieb regel mässig geführt wurde, wenn die Oefen von gewissen haften Arbei tern bedient, stets gleichmässig in der Glut erhalten blieben und daher gleichmässig starkes Gas gaben; wenn man dafür sorgte, dass die Thürme immer in möglichst reinem, gut ziehendem Zustande erhalten und stets so' viel als möglich gefüllt blieben; wenn man ferner darauf sah, dass in der Zufuhr des für die Laugenerzeugung nothwendigen Wassers, sowohl was seine Temperatur, als auch seine mechanische Reinheit und Menge an belangt, keine Verschiedenheiten und Unterbrechungen entstanden, und wenn endlich, wie gesagt, der Betrieb im Grossen und Ganzen stets gleich geleitet wurde und dadurch die Verhältnisse, unter welchen die Laugen erzeugt werden, immer die gleichen blieben. Man regelt die Stärke der Laugen dann sehr einfach ganz nach Wunsch durch Zufliessenlassen von mehr oder weniger Wasser. Ich war mir der Schwierigkeiten dieser meiner Aufgabe wohl bewusst, insbesondere, da es kaum möglich ist, die oben gekenn zeichnete Bedingung, d. i. ein vollständig gleichmässiger Betrieb in der Laugen-Anlage einer Sulfitstoff-Fabrik, innezuhalten, da die Fabrikation der Lauge nicht nur von den Leitern und Arbei tern, sondern oft von unvorhergesehenen Schwierigkeiten und Störungen, ferner aber auch von der Witterung, ob dieselbe ruhig i oder stürmisch, warm oder kalt genannt werden kann, sehr ab- i hängig ist. Die hauptsächlichsten Unzuträglichkeiten, welche sich i im Thurmbetriebe einzustellen pflegen, sind die folgenden: 1 Leider nicht zu selten kommt es vor, dass die Thürme den »Zug« versagen. Es kommt dies daher, dass die im Innern des Thurmes befindlichen Steine sich mit Krusten von Gips und ein fach-schwefligsaurem Kalk überziehen, diese Krusten zum Theil ■ in kleinen Brock eichen losbrechen, hinunterfällen und dann im i Roste oder auf demselben, wo die Steine am dichtesten sind, liegen i bleiben und so den Thurm verlegen. Wenn derselbe längere Zeit i ohne Reinigung im Betriebe war, so waren diese Krusten manch- , mal mit den übrigen Steinen, was besonders bei Dolomit-Füllung i gerne ein trat, so zusammengebacken, dass man sie wie einen • Steinklotz mit der Hacke heraushauen musste. Hat man im Thurm nur einen Rost, und zwar unten ange- 1 bracht, sodass der ganze Raum bis hinauf unter die Brause eine ■ Kalksäule darstellt, so kommt es wohl vor, dass sich durch die 1 verzehrende Wirkung des Gases und der Lauge im Innern des 1 Thurmes an verschieden hohen Stellen Hohlräume innerhalb dieser Kalkfüllung bilden. Man ging dann bei eingetretenen 1 Verstopfungen mit grossen Hämmern oder eisernen Stangen auf die einzelnen Stockwerke und schlug gegen den Thurm, durch welche Erschütterungen die Kalkfüllung einstürzte, was auch 1 ohnedies infolge ihrer Schwere manchmal geschah und wodurch eine Neulagerung der Steine entstand, so dass dann wieder ein besserer Zug eintrat. Hat man jedoch den Thurm durch angebrachte Zwischenroste in verschiedene Stockwerke getheilt (siehe meine Abhandlung ' »Der Laugenthurm« in der Papier-Zeitung 1891, Nrn. 76 und 78), so ist dieses Verfahren unmöglich. Die Verstopfungen lassen sich bei dieser Einrichtung am besten dadurch vermeiden, dass innerhalb 4 Wochen jeder Thurm äusser Betrieb gesetzt und durch Arbeiter, welche hineinsteigen müssen, wenigstens in den unteren Räumen gründlich gereinigt wird. Dies ist besser als ■Spülen, denn das letztere schwemmt erst recht die losgebröckelten Kalkkrusten in den unteren Theilen zusammen und giebt so manchmal neuerdings zu Verstopfungen Anlass. Die Folge solcher Verstopfungen ist, wie gesagt, das Auf hören des Zuges im Laugensystem. Die Oefen stossen hierdurch aus, belästigen Arbeiter und die ganze Umgegend und werden dunkler, d. h. sie brennen schwächer, da die Sauerstoff-Zufuhr abgenommen hat; sie geben ärmeres Gas, ja bei länger dauernden Störungen drohen sie sogar auszugehen. Eine andere Schwierigkeit, welche in manchen Fabriken, die in dieser Beziehung etwas ungünstig liegen, sich sehr unan genehm fühlbar macht, ist der Wassermangel, infolgedessen natürlich auch die Laugerei nicht regelmässig arbeiten kann. Im Winter kommen hierzu Unzuträglichkeiten infolge grossen Frostes, so dass man oft die grösste Mühe hat, Laugenleitungen oder die Wasserleitung, welche das Wasser auf den Thurm bringt, aufzuthauen. Bekannt ist, dass man auch hierbei mit Vorsicht zu Werke gehen muss, indem sogar starke schmiede eiserne Röhren sonst beim Aufthauen leicht springen, Dass (1er Thurm selbst, so lange er in Betrieb ist, einfriert, ist meines Wissens noch nicht vorgekommen; äusser Betrieb ge setzte Thürme sollen wohl schon eingefroren sein. Endlich ist die Nachlässigkeit der Arbeiter auch oft schuld daran, dass die Oefen schlecht betrieben werden oder der Thurm den Zug versagt, und so giebt es eine Reihe von Schwierigkeiten, welche die Regelmässigkeit eines solchen Betriebes beeinträchtigen, und welche dem betreffenden Leiter des Betriebes viel mehr Arbeit machen, als die gleichmässig laufenden Holländer oder die von einem alten erfahrenen Maschinenführer bediente Papier maschine in einer Papierfabrik. Ich leugne keinesfalls, dass es stets möglich ist, diesen Unzuträglichkeiten in jedem einzelnen Falle zu begegnen und dieselben zu heben, aber wie gesagt, immer nur mit einem gewissen Arbeits- und Kraftaufwande. Nicht unbekannt dürfte es sein, dass die Kiesöfen bei stürmi scher Witterung bedeutend heftiger ziehen als bei ruhiger, und dass dann oft viel Gas unabsorbirt durch den Thurm hindurch gerissen wird. Endlich ist die Lufttemperatur, oder im Grossen und Ganzen ausgedrückt, das Klima ebenfalls nicht ohne Einfluss für die Fabrikation als solche, indem im Winter mehr schweflige Säure von dem herabfliessenden Wasser aufgenommen werden wird als im Sommer. Auf diesen Umstand komme ich später noch zurück. * * * In den nun folgenden Mittheilungen über die in der Fabrik, in welcher ich thätig war, vorhandenen Einrichtungen werde ich mir erlauben, dem Leser ein Bild des Betriebes zu entwerfen, um ihm so ein Urtheil zu ermöglichen, auf welche Weise die hier besprochenen Sulfitlaugen entstanden sind. Umstehende Figur 1 giebt den Plan der in der betreffenden,