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1296 PAPIER-ZEITUNG. No. 45. schrift zu bringen, so dass dieses letztere nach oben und unten gleichmässig hervorragt, wodurch ein ganz ruhiges Aussehen er zielt wird. Was ich befürworten möchte, ist nur das: die Giessereien möchten sich diesen Punkt immer vor Augen halten und sich nicht mit dem einfachen: Das geht nicht anders! beruhigen. Nur im Nothfall soll das Prinzip: »Korrekte Fusslinie!« durchbrochen werden. Die Lagerlinie der verschiedenen Giessereien unter sich ist ebenfalls durchaus nicht dieselbe. Wenn man z. B. von der einen Firma die Brotschrift bezogen hat und bestellt bei der anderen Firma die Auszeichnungsschrift, so kann man nicht ver langen, dass diese beiden mit einander Linie halten, und wenn es der Fall ist, so ist es Zufall. Wohlgemerkt: Ich sprach bisher nur von Lagerschriften. Wenn man Auszeichnungsschriften in eigene Linie gegossen haben will, so muss man diesen Guss, welcher für jede Schrift neu ge macht werden muss, auch höher bezahlen. Einen Guss mit eigener Linie zu bestellen, verlohnt sich aber nur dann, wenn man eine grössere Menge Schrift beziehen kann. Bei einem einfachen Minimum ist die Preis-Erhöhung so bedeutend, dass wohl die meisten vor diesem Experiment zurückschrecken werden, ganz ab gesehen davon, dass die Giesserei solche Aufträge nur höchst un gern übernimmt, da sich dieselben sowohl für den Arbeiter als für das Geschäft selbst sehr schlecht bezahlt machen. Nehmen wir z. B. an, ein Kilo Petit Egyptienne koste 7 M., und das Minimum betrage 5 Kilo, so kostet dasselbe 35 M. Die Mehr-Kosten aber für den Guss in eigene Linie würden sich auf allermindestens 15 M. belaufen, wobei ich noch bezweifle, ob die Giessereien den Auftrag dafür übernehmen möchten, so dass sich das Minimum auf 50 M. stellen würde, was einem Mehr von bei nahe 50 pCt. gleichkäme. Ich glaube, dass wenige Buchdrucker den Opfermuth besitzen werden, diese Mehrbelastung auf sich zu nehmen, wenn man auch anderseits wieder in Betracht ziehen muss, dass der Setzer im Lauf der Jahre viel mehr an Zeit zum Unterlegen verwendet, als die einmalige Ausgabe beträgt. Also: Man kann wohl seine Auszeichnungsschriften vom Giesser genau in Linie gestellt erhalten, muss dann aber auch nicht mit den Lagerpreisen rechnen, sondern ohne Murren den Beutel ziehen. Am rationellsten ist es aber, seine Brod- und Auszeichnungs schriften von einer und derselben Firma zu beziehen und dabei diejenige Brotschrift-Garnitur zu wählen, nach welcher die Aus zeichnungsschriften von der Giesserei eingeführt und auf Lager gehalten werden. Man kann dann die üblichen Auszeichnungs schriften in Linie stehend zu Lagerpreisen verlangen, vorausge setzt, dass man in den Brotschriften Pariser und nicht eigenen Kegel führt. Um sicher zu gehen, dürfte es sich empfehlen, vor der Bestellung von Brotschriften eine Verständigung mit der Giesserei zu suchen und deren Rath zu folgen. Wenn man eine ganz aussergewöhnliche Garnitur Brotschriften bestellt, kann man nicht erwarten, dass die Linie der Auszeich nungsschriften vom Lager damit stimmt. Sämmtliche Garnituren Brotschriften nebst Auszeichnung auf Lager zu halten, ist für die Giesserei unmöglich, weil zu kostspielig. Es ist für den Buch drucker viel einfacher als für den Giesser, eine sogenannte Normal- Linie einzuführen, resp. durchzuführen, weil der erstere gewöhn lich nur mit ein bis zwei Garnituren zu rechnen hat. Man sehe nur die Brotschrift-Proben renommirter Giessereien durch, und man wird finden, dass es nicht möglich ist, alle diese Schriften über einen Kamm zu scheeren. In den Probenbüchern sind auch meist die auf Lager gehaltenen Garnituren als Lagerschriften ge kennzeichnet. Hält man sich bei der Bestellung an diese, so wird eine einheitliche Linie in der Buchdruckerei leichter durchzuführen sein. Was vorstehend über die Linie der Schrift gesagt wurde, ist indessen nur ein Theil von dem, was der Schriftgiesser unter »Zurichtung« versteht. Dazu gehört ausserdem noch 2) die Weite oder Dickte (korrumpirt aus »Dicke«), und 3) die Steilung. Die »Stellung« ist eigentlich bei den Buchstaben, welche in ihrer Zeichnung waagerechte Striche aufweisen, wie m, n usw., in der Antiqua schon durch die Linie gegeben. Der Giesser ver steht darunter das genaue Senkrechtstehen des Buchstabenbildes bei geradestehenden Schriften, bei Kursiv jedoch das genaue Parallelstehen sämmtlicher Grundstriche resp. das Uebereinstimmen des Neigungswinkels. Die »Stellung« richtig zu machen, ist eigentlich schwieriger, als die Linie zu treffen, namentlich bei den Buchstaben, welche dem Auge keine genaue senkrechte oder waagerechte Linie als Anhalts punkt bieten. Deshalb ist die Lösung dieser Aufgabe in der Fraktur und Kursiv schwieriger, als in der Antiqua. Wer die Technik des Giessens nicht kennt, kann sich keine rechte Vor stellung machen, wie genau und sorgfältig der Zurichter bei seiner Arbeit vorgehen muss, und mit welch geringen Grössen er zu rechnen hat, wenn er eine tadellose Schrift hervorbringen will. Bisweilen gelingt dies doch nicht in allen Fällen, und dann muss der betreffende Buchstabe aus dem Guss weggeworfen werden. In vielen Giessereien werden deshalb bei jedem Neuguss Probe- Abzüge gemacht, d. h. es werden von jedem Buchstaben 2 Stück abgesetzt, zwischen m gestellt und fest geschlossen abgezogen. Nach diesen Abzügen wird vom Faktor Linie, Stellung und Weite revidirt, und erst wenn alles tadellos befunden ist, gelangt die Schrift zur Absendung. Es bliebe jetzt noch übrig, die Dickte zu besprechen. Dickte ist einfach die Breite des Buchstabenbildes nebst dem dazu ge hörigen »Fleisch«. Die Bestimmung dieses »Fleisches ist aber ein für das Aussehen einer Schrift sehr wichtiger Umstand, da von der stärkeren oder schwächeren Dickte häufig die Lesbarkeit und auch das gefällige Aussehen der Schrift bedingt wird. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass zu eng zugerichtete Schriften fast immer schwer lesbar und undeutlich werden. Als allgemeine Regel dürfte sich das Folgende bezeichnen lassen: Die Weite wird nach der sogenannten »Bunzenweite« bestimmt, d. h. der Entfernung der Grundstriche eines Buch stabens in sich von einander. Bei schmalen Schriften soll man eher die Weite etwas grösser zurichten als die Bunzenbreite, bei breiten Schriften dagegen kann man etwas unter diese herunter gehen. Normal gezeichnete Schriften von mittlerer Breite müssten demnach genau nach Bunzenweite zugerichtet werden. Das eben Gesagte gilt von Brot- und Titelschriften. Zier- und schattirte Schriften dagegen sehen fast immer besser aus, — namentlich in kleineren Graden — wenn sie, selbst bei schlanken Charakteren, etwas weiter gehalten werden, weil der verzierte Charakter diese Schriften zu leicht undeutlich macht. Amerikanische Giessereien pflegen Brotschriften ausser ordentlich eng zuzurichten, namentlich sind die Rundungen (siehe oben, 6. Absatz) eng aufeinander gepackt, was einen nicht sehr schönen Eindruck macht. Ich halte die deutsche Weite-Zurich- tung für entschieden besser. Mit der Erwähnung der Rundungen kommen wir von den allgemeinen Gesichtspunkten auf die spezielleren. Es gilt nämlich, ähnlich wie bei der Linie, der Grundsatz, dass Buchstaben mit Rundungen enger gehalten werden, d. h. an beiden Seiten weniger »Fleisch« erhalten, als Buchstaben mit geraden Zügen. Das a, welches beispielsweise auf der rechten Seite gerade und links rund ist, wird an der Rundung weniger »Fleisch« haben dürfen als auf der rechten Seite, wenn es dem Auge als gleichmässig von anderen Buchstaben abstehend er scheinen soll. Von diesem Gesichtspunkte aus wird jeder Buchstabe vor dem Guss genau geprüft, um die Dickte festzustellen. Das r in der Fraktur und der Antiqua muss beispielsweise auf der rechten Seite ziemlich scharf auf die Kante des Buchstabens gestellt werden, weil sonst der Raum unter dem Haken das r als zu weit vom folgenden Buchstaben abstehend erscheinen lassen würde. Die gleiche Sorgfalt muss auf die Versalien verwendet werden; in der Fraktur zwar weniger als in der Antiqua. Man befolgt bei den Versalien zumeist die Regel, dass der Versal »einen Hauch« weiter stehen darf als die Gemeinen. In der Antiqua kommt die dreieckige Form mancher Versalien, wie A, F, L, P, T, V, W, in Betracht. Diese müssen alle eng, d. h. ohne Fleisch zugerichtet werden. Einige Giessereien befolgen die Praxis, diese Versalien in grösseren Graden zur Hälfte zu unter schneiden, damit der Setzer das zeitraubende Unterteilen spart, eine Praxis, die allen Giessereien hiermit dringend anempfohlen sei. Versalienschriften (natürlich nur in Antiqua) werden von vornherein anders in der Weite zugerichtet als Versalien, welche mit Gemeinen verwendet werden sollen, und zwar werden sie weiter als diese zugerichtet. Für uns ist dies weniger wichtig als für die Engländer, Amerikaner und die Völker romanischer Zunge, welche Versaliensatz viel häufiger verwenden als wir. Von grosser Wichtigkeit wird die Dickte für den Buchdrucker bei Defektbestellungen. Man versäume nie, von jedem zu giessenden Defektbuchstaben zwei Stück für den Giesser als Dickte-Zurichtung äusser den für die Linie nöthigen m mitzusenden, denn wenn die Dickte nicht genau nach der Originalschrift gemacht wird, so wird der Setzer beim Korrigiren bei jeder Buchstaben-Auswechslung die Zeile frisch ausschliessen müssen, ganz abgesehen davon, dass die Schrift durch solche nicht ordnungsmässige Defektgüsse schlechtes, unruhiges Aussehen erhalten muss. Offenbach a. M. R. Winkler.